Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2024 24 Jan

Aus der Wundertüte

von: Jochen Siemer Filed under: Blog | TB | Tags: , , | 3 Comments

 

Nun ist sie gelegt, die Lunte zu Lage. Der Reihe nach: das anheimelnde Ambiente im Amsterdamer Bimhus lud geradezu ein, auf der Suche nach einem besänftigen Betthupferl. Denn wenn man russische Spione, getarnt als american dream einer Musterehe im Washington der Reagan-Ära, allabendlich televisionär begleitet, wie sie ihrer skrupelosen, durchtrainierten und zuweilen blutigen Arbeit nachgehen, dann sollte man dem guten Schlaf zuliebe einen Puffer einbauen, damit wertvolles Melatonin nicht verscheucht wird, man gar vom Gulag träumt. Da kam das Melissa Aldana Quartet gerade recht. Man ist doch stets aufs Neue erstaunt, wie viele gute Musiker es gibt, von denen man zuvor noch nie was hörte, auch in der sogenannten „zweiten Riege“. Ganz reizend die äussere Erscheinung und die Bewegungen der chilenischen Frontdame („Das Auge hört mit!“) mit ihrem Tenorsaxofon, die wohl längst in die erste Reihe zu platzieren ist. Begleitet wird sie von drei Herren an Kontrabass, Schlagzeug und elektrischer Gitarre. Wenngleich, hier könnte man analog zu den zuvor erwähnten russischen Spionen von guter Tarnung sprechen, denn diese „Gestrüpp-Gitarre“ klingt stellenweise so wunderbar eierig, ätherisch, akustisch, zuweilen sogar nach Sitar und Spinett, dass man sich fragt, ob hier statt lediglich die Stimmung zu verändern stillheimlich ganze Saiten ausgetauscht wurden. Merkwürdige Fingerbewegungen, selbst einem Langzeit-Gitarrero seltsam unvertraut, geben erste Indizien. Hatte nicht einst ein gewisser Kurt Rosenwinkel absichtlich sein Instrument umgestimmt, um eingefahrene Muster zu verlassen? Das Zusammenspiel dieser vier jungen Musiker jedenfalls ist traumhaft. Wenn maskuline Machojazzer in Netz-Kommentaren diese musikalische Feingeisterei abfällig „woke-jazz“ nennen (nicht alles muss wie Brötzmann klingen, verehrte Vollbartträger!), dann bin ich gerne wach, verzichte auch auf Thekengrölerei, wenn es im Ganzen eine Spur sensibler zugeht und sich zuweilen anhört wie die stilleren Töne mit Paul Motian. Musik aus der Wundertüte, auch die Frauen können’s, das ist schon lange kein Geheimnis mehr. Und was die Saitenlage des Herrn Lund betrifft: wir bleiben dran!

 

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