Manafonistas

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Archives: Oktober 2019

2019 23 Okt.

Pilzköpfe

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when the men on the chessboard get up and tell you where to go and you’ve just had some kind of mushrooms and your mind is moving low

 

Go ask Alice

 

As I was walking down Abbey Road I got a phone call from Lucy.

„How are you?“, she asked.

„I’m fine – collected some mushrooms today.“

„Alice, you won’t swallow them …“

„Oh no, I will prepare them, here ’s the recipe, Lucy, try them out …“

 

500gr porcini mushroom

1 shallot

30gr bacon

200ml cream

6 stems parsley

salt and pepper 2 spoons butter

1 spoon oil

200gr Tagliatelle

 

mix everything, then add the porcini for 5 min.

Enjoy the meal and Gardez la dame!

 

2019 22 Okt.

Years and Years (HBO)

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Years and Years is the kind of show that I had hoped Black Mirror would be but never could deliver because much as I tried to like it, BM comes across to this viewer as The Twilight Zone without heart. The creator of Black Mirror seems to revel in torturing his protagonists with the futuristic technologies he conceives. There are rarely happy endings in the dystopian worlds he creates. After a while, I just couldn’t hang with it.

Not so with the new HBO miniseries Years and Years. While dealing with big ideas and imagined (but entirely plausible) new technologies, Years and Years retains its humanity. And in contrast with Black Mirror’s obsession with tech gone awry, Years and Years has far bigger fish to fry.

It’s hard to write about the series without giving away any spoilers. Suffice it to say Years starts out in the year 2024 and spans nearly a decade. The world is in a shambles of course. With climate change getting worse and economic meltdowns on the horizon in the UK, Emma Thompson, cast against type, plays the rising new political star, a monster just as clueless and dangerous as Trump. Thompson seems to relish the role (she produced the series,) and her character stokes the dark corners of the collective British psyche much as the Orange One has done in the US.

It’s a sprawling story: Besides functioning as a caveat for the perils of technology and its negative effects on privacy, health and it’s potential for inflicting massive human abuses with the kind of efficiency the Nazis could never have dreamed of, it’s main focus is on climate change migration and the logical conclusions of the current virus of nationalism and xenophobia which seems to be infecting the globe. In short, it takes what’s happening today and extrapolates where we might end up if humankind keeps going on its current trajectory.

The writing is smart in that the series gets its larger ideas across by keeping its focus on just one family. Thus through the lens of individual struggles and conflicts, the show succeeds in humanizing the larger issues by illustrating how they affect real people we grow to care about deeply.

Years and Years can be looked upon as both an allegory for what’s happening today and as a warning of the real possibility of a much darker future if we humans don’t start to become active as individuals (and collectively) and do our part to prevent looming catastrophe. Rather than merely preach, the show’s creators chose instead to involve the viewer on an emotional level, delivering their messages through the actions of the characters. There is one powerful summarizing monologue delivered by an unlikely character towards the end, but when it comes, delivered with a walloping performance by Muriel Deacon, the show has more than earned it.

There’s wry humor here, high drama and devastating tragedy, but behind it all lies a higher, transcendent purpose. To say more would be giving away too much. Highly recommended.

2019 22 Okt.

Eine alte (neue) Affäre

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Da ist dieser Überraschungseffekt des unbekannten Neuen, der in gewissem Sinne auch ein Wiedererkennungseffekt sein kann: in uns wirkt eine Sehnsucht nach dem, was wesensnah ist und dennoch oftmals ungelebt bleibt. Man kann es dann in Identifikationsfiguren finden und in Geschichten, die andere erzählen. So geschah es mir oftmals mit den Fernsehserien, vor allem in der Pionierzeit, als alles unverbraucht war: wow und flow zugleich und Netflix war noch nicht in aller Munde. Eine solche Serie war The Affair. Zu Beginn ein Vorbehalt: Beziehungssülze, Seitensprünge, oh Gott! Doch dann diese Anfangssequenz: eine New Yorker Intellektuellenfamilie samt Kinderschar ist am Packen und auf dem Sprung in die grossen Ferien. Sogleich das Drama: der Sohn simuliert, er habe sich im Bad erhängt, nur um den Vater zu schocken. Nein, ganz anders: die erste Szene war eine üppig-muskulöse Beischlafszene, ich erinnere mich genau und wollte schon abschalten. Wie dem auch sei, die Quintessenz aus vier Staffeln: ein existenziell-erdiger Realismus auf der Höhe der heutigen Zeit, voller Eros, Spannung, Tiefgang, Herzblut. In der vierten Staffel beispielsweise eine tolle Darstellung davon, was Traumatherapie eigentlich ist, dann auch die Charakterskizze eines soziopathischen Lovers – als Variation der des emphatischen gegenübergestellt. Eine gesamte Staffel sah ich zum zweitenmal, weil mich schlichtweg die Sehnsucht packte, zu den Orten und Figuren zurückzukehren. Der Clou der Serie ist, dass die gleichen Vorkommnisse aus verschiedenen Sichtweisen erzählt verblüffend zeigen: jede Wirklichkeit ist variabel. War das nicht auch schon damals im Roman Stiller so, bei Max Frisch? Apropos: mag sein, dass die Attraktivität der Schauplätze New York und Montauk eine Rolle spielten, gewiss aber die der weiblichen Darstellerinnen: die zickig pubertäre Tochtergöre beispielsweise, gespielt von einer jungen Brasilianerin. Nun ja, ich könnte noch viel erzählen, das ist hier ja nur locker hinskizziert mit dem Ziel, das Beste nun schlussendlich zu promoten: die finale fünfte Staffel wartet, von mir bislang ungesehen. Wer die vorab bewertet oder was davon erzählt, dem drohe ich mit einer Festrede auf Peter Handke. 

 

2019 21 Okt.

Squonk Opera

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Squonk Opera

Pittsburgh, October 20, 2019

 

Man stelle sich eine uralte Maschine vor, deren feines und unergründlich komplexes Räderwerk ineinandergreifend seit Urzeiten alle klanglichen Möglichkeiten erschöpfend abzubilden in der Lage ist. Die im Zusammenwirken all ihrer Teile war vielleicht schon immer in der Lage die Gegenwart mit all ihren Optionen zu lesen und die zukünftigen Manifestationsmöglichkeiten präzise vorherzusagen. Eine solche Maschine wurde vor einigen Jahrzehnten im ägäischen Meer gefunden und unzählige Wissenschaftler rätseln noch heute über ihre Funktionen. Bei einigen weiß man, dass sie Sternkonstellationen und Sonnenzyklen wahrscheinlich für Jahrtausende im voraus genauestens abbilden kann, bei anderen rätselt man mit heißen Köpfen grübelnd weiter. Antikythera heißt diese Maschine, benannt nach ihrem Fundort. Angenommen sie würde Musik abbilden, all die unendlichen Variationen, die die menschliche Kultur seitdem hervorgebracht hat, vom klagenden Hauchen der Panflöte in der Hitze des mediterranen Mittags, dem hohlen Pfeifen der Knochentrompete der Eskimos, den Eingeweide aufwühlenden Schlägen japanischer Taiko-Trommeln, dem Zirpen eines Cembalos als Begleitung barocker Schreittänze, der verwirrendenden Heftigkeit und Komplexität der nachklassischen Orchestermusik zu den astralen Klängen eines präparierten Klaviers und all ihre Kombinationen und vor allem, was da noch kommen mag. Gregor würde es vielleicht eine universale Jukebox nennen. Man trifft die Wahl, drückt die entsprechende Taste und dann geht alles ganz leicht: Antikythera, eine Jukebox am Ende des Universums.

 

“Meine Idee war, die Musik, die wir improvisierten als eine komplexe Maschine zu betrachten und das funktionierte perfekt und flüssig. Eine Maschine aus der Vergangenheit, die aus vielen verschiedenen Teilen und Zahnrädern besteht und in der Lage ist die Gegenwart zu lesen, die Zukunft vorherzusagen und in der Lage ist das Unbekannte zu betrachten und nützliche Dinge darin zu finden“ beschreibt Lorenzo Feliciati den Entstehungsprozess seinen neuen Albums Antikythera zusammen mit dem Drummer und Perkussionisten Michele Rabbia, von dem wir dieses Jahr ja schon ein phantastisches Album zusammen mit Eivind Aarset und Gianluca Petrella zu hören bekommen haben: Lost River.

 

Über mehr als zwei Jahre ist in regelmäßigem Zusammenspielen und einem aufwändigen Postproduktiosprozeß der beiden Musiker ein facettenreiches und tiefgründiges wie atmosphärisch dichtes Album entstanden, auf dem zu den Klangfarben Elektrischer Bässe und Gitarren, Drums und Electronics die Unterstützung vieler hervorragender Gastmusiker, wie Andy Sheppard, Cuong Vu, Rita Marcotulli, Alessandro Gwis und Roy Powell zu hören ist. Im Opener Irregular Orbit wird die mysteriöse Maschine durch ein sich langsam entwickelndes Thema aus dem mystischen Urgrund gehoben, um dann in 223 Teeth (die Anzahl der Zahnräder des größten Rades der antiken Maschine) zu einem Ostinato auf einem präparierten Klavier mit dem Saxophon Andy Sheppards auf eine andere Ebene gehoben zu werden. Corrosion zeigt Rabbia als meisterhaften Klangkünstler an den Becken, schwebend und fast irreal. Auf den beiden nächsten Stücken steht der warme Trompetenton Cuong Vu‘s über den komplexen Klanglandschaften und darauf folgend Allesandro Gwis zarte Klavierklänge und elektronische Verfremdungen. In Apogee kommen eine unheilvolle Hammondorgel und Synthesizer von Roy Powell dazu und schließlich kommt das Album mit dem sanft schwingenden Parapegma, wieder mit Andy Sheppard ganz wundervoll zur Ruhe. Die kosmische Jukebox aber läuft weiter, in meinem Kopf und irgendwo im Unfassbaren, aus dem vielleicht zu gegebener Zeit wieder solch ein wunderbar alchemistisches Meisterwerk zwischen allen Stühlen geboren wird, während sich das langsame Drehen der großen Spiralgalaxien im Hintergrund des ewigen Maschine fortsetzt. Prädikat extrem hörenswert!

 
 

 

2019 18 Okt.

Die andere Seite der Sechziger Jahre

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2019 18 Okt.

Tankred

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Mein ältester Sohn heißt Philip. Der humanistisch gebildete Kollege von der Fachschaft Musik vermisste das Fehlen eines p am Ende des Namens. Ich habe es mit Absicht weggelassen. Das p sieht aus wie ein Rucksack. Zwei Rucksäcke wollte ich meinem Sohn nicht anhängen.

Als Lehrer – ganz besonders als Musiklehrer – hatte ich einen vorzüglichen Überblick über die beliebtesten Vornamen im Landkreis Kronach. Mitte der 80er Jahre gab es unter meinen Schülern nur zwei mit dem Namen Philipp. Einer von ihnen trug am Ende nur ein p. Der Name Philip gefiel mir schon immer und weil er damals nur spärlich auftrat, umwehte ihn ein leichter Hauch von Exklusivität, jedenfalls in den Ländereien um Kronach. Am liebsten hätte ich meinen Sohn Carl Philip Emanuel genannt, habe davon aber abgesehen.

Dieser Beitrag scheint von Namen zu handeln. Das stimmt nicht – er handelt tatsächlich von Namen, ebenso wie jener von der Linder Ebene. Auch darin spielten Namen eine Rolle, Namen von Orten – Oberlind, Sonneberg, Steinach, Muppberg … Ich bin viele Jahre zu Fuß und per Fahrrad in dieser Gegend unterwegs gewesen, aber erst seit 2 Monaten versuche ich, mehr über diese Region zu erfahren. Stichwort Sonneberg: mein altes MEYERS GROSSES TASCHENLEXIKON gibt wenig Auskunft über diese Stadt am Südhang des Thüringer Waldes. Dass es Mittelpunkt der thüringisch-fränkischen Spielzeugindustrie ist – besser gesagt gewesen ist – war mir bekannt aus Erzählungen meiner Schwiegereltern. Die Großmutter meiner Ehefrau bemalte in Heimarbeit Puppenköpfe aus Porzellan für Verleger in Sonneberg.

Seit 1989 ist Sonneberg wieder zugänglich von Bayern aus. Der Nachfolger meines humanistisch gebildeten Fachkollegen kommt aus Sonneberg. Mit ihm habe ich erstmals die Sonneberger Jazztage besucht. Das Festival war damals extrem am Oldtime Jazz ausgerichtet.

 

Aus der Taufe gehoben wurde das Festival anlässlich des 15. Bühnenjubiläums der Sonneberger Jazzband „Jazz Optimisten“ am 29. November 1986. Zum 15. Geburtstag der „Jazz Optimisten“ ermöglichte der Generaldirektor des damaligen VEB Kombinat Spielwaren Sonneberg als Trägerbetrieb die Ausrichtung einer Jazz-Nacht mit namhaften Gästen in Sonneberg. Auf Grund des Erfolgs dieser Veranstaltung wurde beschlossen, alljährlich im November die „Sonneberger Jazz-Nacht“ mit mehreren Formationen zu wiederholen. Mit dem „Jazz Day Orchestra“ aus Polen trat 1987 erstmals eine internationale Gruppe bei dem Festival auf.

Quelle: Wikipedia

 

Inzwischen ist man in Sonneberg offen für zeitgenössischen Jazz. Großen Anteil daran hat ein befreundeter Arzt, der nach einem erfolglosen Versuch, eine Jazzreihe in Kronach zu etablieren, sich der Sonneberger Szene zuwandte. Vor allem skandinavische Künstler wie Helge Lien, Iiro Rantala, Dan Berglund treten nunmehr in nächster Nähe meines Heimatdorfes auf.

 

 

 

 

Das Bild zeigt Conny Bauer. Dass er viele Jahre in Sonneberg lebte, verrät nicht einmal Martin Kunzlers Jazz-Lexikon, wohl aber Wikipedia.

 

Konrad Bauer wuchs in Halle (Saale) und im thüringischen Sonneberg auf. Als Schüler wurde er im Privatunterricht in die Posaunenmusik eingeführt und spielte dieses Instrument im Posaunenchor der evangelischen Kirche in Steinbach. Besonders interessierte er sich aber für moderne Tanzmusik. Während der Oberschulzeit spielte er zunächst in verschiedenen Amateurbands als Sänger und Gitarrist. Nach dem Abitur absolvierte eine Ausbildung zum Keramikfacharbeiter. Auch während der Lehrzeit war er als Freizeitmusiker unterwegs und spielte außer Gitarre auch Klavier. Mit den Erfahrungen aus der Tanzmusik entschloss er sich, nach der Berufsausbildung ein Musikstudium aufzunehmen. […]

Mit seinen musikalischen Ambitionen beeinflusste Conny Bauer u. a. die Entwicklung seiner jüngeren Geschwister außerordentlich. Hannes als Posaunist und Matthias am Kontrabass wurden ebenfalls international anerkannte Jazz-Musiker. Seine Schwester spielte Saxophon in der Band des Bassgitarristen „Smut“, mit dem Conny als Jugendlicher in Sonneberg musiziert hatte, und der trotz vieler Verbote über 20 Jahre lang die mit Conny begonnene Bandtradition in Sonneberg aufrecht erhielt.

 

Mit Conny Bauer begegnet man DDR-Jazz von Weltrang. Folgt man seinen Fährten trifft man auf Namen wie Günter „Baby“ Sommer, Ulrich Gumpert, Barre Phillips (oha!), Peter Brötzmann, Alexander von Schlippenbach, Han Bennink, Globe Unity Orchestra …

Conny Bauer habe ich in Nürnberg bei Jazz-Ost-West im Quartett Doppelmoppel gehört, zusammen mit seinem Bruder Johannes und den beiden Gitarristen Uwe Kropinski und Helmut „Joe“ Sachse. Demnächst schließt sich ein verbogener Kreis: Joe Sachse spielt am 15. November ein Privatkonzert bei meinem Freund Achim Goettert.

Wenige Jahre nach der Geburt meines Sohnes Philip nahm die Anzahl von Schülern namens Philipp deutlich zu. Vorbei war es mit der Exklusivität. Ich hätte ihm den Namen Tankred geben und meine Tochter konsequenterweise Clorinda nennen sollen. Nie sind mir Schüler mit diesen Namen begegnet.

In Oberlind ist Tankred Dorst geboren, von dem ich nur den Namen kenne, von dem ich nur weiß, dass er ein viel gespielter Dramatiker war. Tankred Dorst verwendet in seinem Theaterstück Auf dem Chimborazo für den Muppberg symbolisch den Namen eines fernen südamerikanischen Berges – wegen der innerdeutschen Grenze und wegen der handelnden Personen. Das waren richtige Überraschungen bei meinem Wikipedia-Streifzug durch die Linder Ebene.

2019 16 Okt.

Sechzehn Zehn Neunzehn

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Und vielleicht waren das die schönsten Stunden des Sommers gewesen: morgens, wenn im Haus alles noch schlief den Holzsteg bis zum Ende gehen, einen Pott Kaffee an der Hand, den Blick über das Wasser schweifen lassen. Nach und nach wurden alle Anderen wach und dann begann der Tag, endgültig.

Jetzt füllt der tropfende Wasserhahn wieder den darunter stehenden Wasserkessel für eine neue Kanne Tee. Die Tage runterzählen bis zum nächsten Sommer, zu einem Wiedersehen. Der Leuchtturm. Die Radtour quer über die Insel. Die überteuerten Fischbrötchen.

Alles wird wieder so sein wie es war. Und nichts wird wieder so sein.

 

Auf den Spuren der Obstdiebin – Eine herbstliche Reise in die Picardie
 
 

 

Und noch eins: für Zwischenzeiten sorgen, möglichst viele. Wie habe ich jedesmal aufgeatmet, und ruhiger geatmet, sooft eine dramatische Geschichte unterbrochen wurde mit einem „in der Zwischenzeit“. Die Zwischenzeiten, sie stehen in deiner Macht. Daß du sie dir nicht nehmen läßt! In den Zwischenzeiten, auf den Zwischenstrecken, da geschieht´s, da ereignet es sich, da wird’s, da ist´s. Suchen, innehalten, rufen, rennen, die Wälder, die kleinsten, vor allem die, durchstöbern, die Hauptstraßen, die Städte, die Weiler, vor allem die, peinlich in Augenschein nehmen, ja. Aber in der Zwischenzeit den Weg hinter den Gärten zu nehmen, das kann nicht schaden.

 

 

Das war an der Regionalbahnstation Saint-Christophe von Cergy, gedacht wohl als Zentrum der Zentren der Neuen Stadt, als Name jener der längst verschwundenen Kirche da, gewidmet dem einstigen Ortsheiligen, dem Christophorus, dem Fährmann, der einst auf seinem Rücken das Kind Christus, das dabei schwer und schwerer wurde, nachts über einen Fluß getragen hatte, über alle Flüsse, und so auch hier über den Fluß Oise. An der Stelle der Kirche Saint-Christophe steht nun, was das Wahrzeichen der Neuen Stadt sein soll, ein Stahlgerüst in Gestalt einer mindestens kirchturmhohen Arkade, unter die eine monumentale (Durchmesser zwölf? Sechszehn Meter – nachzuschauen im Internet) stählerne, im Raum zwischen den Speichen allerdings den Blick hinauf in den freien Himmel durchlassende Uhr angebracht ist, mit römischen Ziffern, von I bis XII.

 

 

Die Abteile hatten sich zwar nicht geleert, aber viele Plätze waren frei, und man konnte, weg von der engen Treppe, für sich sitzen, im Abstand zu den spärlich gewordenen anderen. Wir saßen? Wir lasen? Wir schauten aus den Zugfenstern? Wir seufzten? Nichts von gleichwelchem „wir“. Kein „wir“ mehr heute. “No Milk today, my love has gone away“? …

Hell war es zusehens geworden in den Abteilen, die offen ineinander übergingen, bis zum ersten Wagen vorn an der Lokomotive, wo ich saß mit dem Rücken zur Fahrt, bis zum letzten hinten, wo sich hinter der Glastür die Gleise wegspulten; hell von der nach Pontoise, und spürbarer noch, nach Osny und Bossy I´Aillerie, von Mal zu Mal weniger besiedelten, da und dort, wie auf Restflächen, kultivierten, mehr und mehr aber wie verwilderten Landschaft – die Strecke führte flußauf durch das Auental der Viosne _; hell von den, Halt für Halt, sich vergrößernden Leerräumen im Zug, die mich an weiße Stellen auf – nur den alten? – Landkarten denken ließen; …

 

 

Und gleich wieder ausgestiegen, an der in jeder Hinsicht unvergleichlichen Haltestelle von Lavilletertre, fern vom weder sicht- noch hörbaren Dorf. … Als einziger ausgestiegen, glaubte ich mich an der Station allein. Ein tiefes Ein- und Ausatmen, mehrmals. Da stand es wieder, das ehemalige Bahnhäuschen, längst geschlossen, und verrammelt. Immerhin war es frisch gestrichen, und würde vielleicht eines Tages neu geöffnet, nur: für wen? Keinen Schalter gab es mehr. Hatte es vielleicht nie einen gegeben? Aber auch kein Fahrkartenautomat irgendwo – eine der Unvergleichlichkeiten des Zughalts von Lavilletertre.

 

 

Weg von der Tierwelt. Heim in die Zivilisation, brav den regulierten Fluß entlang in die Stadt. Wie hieß doch das Lied aus dem anderen Jahrhundert, gesungen von Petula Clark für Amerika und darüber hinaus in die Welt “Downtown“. Ob freillich Chaumont-en-Vexin etwas wie eine Downtown hatte? Außerdem war sie, als Obstdiebin, in einer “Downtown“ nicht am Platz, war da nie am Platz gewesen, hatte sich, vor allem, da nie erwünscht gefühlt. Und wie tat es ihr not, wie bedürftig war sie, wie sehnte sie sich danach, sich endlich wo erwünscht zu finden. Wie im übrigen “downtown“ übersetzen? Mit “Innenstadt“? Nein. Downtown war unübersetzbar. (Noch so eine Unübersetzbarkeit.)

 

 

Es ist noch früh, lang vor dem Abend. Trotzdem sollten die Obstdiebin und ihr Begleiter allmählich aufbrechen. Sie sind aber immer noch in Chars, und zwar wieder in einem Lokal, dem Kebab-vis-à-vis dem “Cafe de l´Univers“. Wie das? Aus Entdeckerlust. Aus Forschungsgeist. Erforschen und entdecken in einer Bude an der Durchfahrtsstraße?

 

 

Zwar war das die Straße, die nach Dieppe an den Atlantik führte und auch so hieß, „Route de Dieppe“. Aber erst einmal war es zum Meer noch weit, gut hundert Kilometer nordwestwärts. Und außerdem: jetzt nur kein Meer, nur von hier nicht weg ans Meer. Hier ist es. Da spielt es sich ab, hier und jetzt im Landesinnern. Wahr: die „Route de Dieppe“, die Departementalstraße 915, nachdem sie die Ile-de-France verlassen hat, auf ihrem Teilstück quer durch den westlichen Zipfel der Picardie bis zum Übergang in die Normandie, Dieppe als Endpunkt, hat dazu den Beinamen „Route du Blues“, und beginnt gleich oben auf dem Vexinplateau, kurz nach der Ortsausfahrt von Chars, eine amerikanische Meile und soundso viele russische Werst vor dem Dorf Bouconvillers, wo vor dem Wirtshaus “Cheval Blanc“, am Rand der „Route du Blues“, zur Mittagszeit, ungefähr auf halben Weg zwischen Paris und dem Meer, ein Laster hinter dem anderen parkt.

Und zuletzt blieben wir stehen und äugten in dem einzelnen, anscheinend leeren Quittenbaum an einem der Vexindorfränder nach der einen Frucht, und da war sie, da wölbte sich aus der Laubfläche ein Körper, ein Fruchtkörper, ein einzelner, der einzige.
 
 
 
 

 
 
Ich gratuliere Peter Handke zum Literaturnobelpreis.

Alle Zitate aus: Peter Handke – Die Obstdiebin, Berlin 2017.

2019 15 Okt.

Was vor der Wende war

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Am 7. Oktober 2019 waren die Straßen in Berlin voll mit Polizeiwagen. Ich wusste nicht warum, erfuhr dann aus der „Berliner Zeitung“, dass ein Autokorso zum Gedenken an den blutigen 40. Gründungstag der DDR erinnern sollte. Das war ja kurz vor der Wiedervereinigung. Was um den 32. Jahrestag stattfand, erfuhr ich jetzt aus einem Film, der aus dieser Zeit erzählt, einer Zeit „als es noch Rollerskates gab, als alle Mädchen noch Schamhaare hatten und die Jungs Dauerwellen und Make-up, als jeder noch einen Plattenspieler und Kassettenrekorder besaß, als noch in den Kneipen und im TV geraucht wurde, als es die Hausbesetzer und die RAF gab, die DM, die Mauer, die DDR und Westberlin.“ „Ich war dabei“, sagt Mark Reeder aus Manchester in dem Film Lust and Sound.

 
 

 
 

Ich auch. Als ich letzte Woche auf dem Mauerweg vom Babelsberger Schloss zur Glieniecker Brücke spazierte, sozusagen auf dem Todesstreifen, entlang der fiktiven Mauer, dachte ich an meine 80 er Jahre hinter dem realen iron curtain. Ich wohnte in Schöneberg, Kreuzberg war aber auch mein Kiez. Dschungel, Risiko, Mitropa waren die Szeneorte und natürlich das SO36, wo man nachts dem Roboter Tanz von Martin Kippenberger zusehen konnte, wo man Eric Burdon, die Toten Hosen oder Christiane F. traf. David Bowie verkehrte in meinem Tortenladen um die Ecke, dem „Anderes Ufer“. Oben in der Goltzstrasse verkauften Gudrun Gut und Blixa Klamotten und Musik im „Eisengrau“. Es wimmelte von Punks und Queers, Berlin bebte. Bowie spielte vor dem Reichstag und schickte so den west sound über die Mauer. Egal, wohin man kam, privat oder in die Kneipen, überall lief Joy Division oder Annette Humpe’s  „Ich steh auf Berlin“. Wenn es Einbrüche gab, wie der Tod von Ian, nur ein paar Monate nach dem Auftritt von Joy Division im Kant Kino (Koma Kino), dann litten wir tief, gingen nicht raus, sondern hörten zu hause am Boden liegend Musik von Tangerine Dream, Ashram Temple oder folgten dem depressiven Sprechgesang von Anne Clark. Als der junge Hausbesetzer in der Potsdamer Strasse über fahren wurde und starb, waren wir wie gelähmt. „You need a drug“ war nicht nur musikalisch eine Hilfe. WestBam tröstete. Meistens waren wir gut drauf, Westberlin war wirklich sexy. Gudrun Gut, die Frontfrau von Malaria! sang frei und verführerisch, ihr Freund Blixa Bargeld streunte lasziv durch die Szene. Ostberlin interessierte ihn nicht. Er fand es spannend in einer Stadt zu leben, von der er die andere Hälfte nicht kennt. Ich war immer neugierig auf Ostberlin. Ich fuhr in den 80 ern im Sommer rüber, am Hauptmann von Köpenick vorbei zum Schwimmen im Müggelsee.

Heutzutage zieht es mich nicht nach Berlin Mitte oder Prenzlauer Berg. Ich fahre immer wieder nach Potsdam, die Stadt ist für mich wie ein Tor zur Schönheit: „Achtung, Sie verlassen jetzt Berlin“. Das vollkommen zerstörte Potsdam hat in den letzten 30 Jahren seinen preußischen Glanz aufpoliert. Die Schlösser und Villen waren zum Glück wenig zerstört. Günther Jauch hat in der Villa Kellermann am Heiligen See in Potsdam vor kurzem ein Restaurant eröffnet. Ich besuchte es, auch weil ein echter Andy Warhol (der Alte Fritz) dort hängt.

 
 

 
 

Bedient wird man dort von jungen Frauen in grauen Arbeitsanzügen. Soll das Retro-Sozialismus sein? Als sich die in diesem Outfit vollkommen unerotisch wirkende Bedienung näherte und mich fragte: „Was darf’s denn sein?“ antwortete ich: „Kaltes, klares Wasser“. (Von Malaria!)

 


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