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2019 18 Okt

Tankred

von: Hans-Dieter Klinger Filed under: Blog | TB | Comments off

Mein ältester Sohn heißt Philip. Der humanistisch gebildete Kollege von der Fachschaft Musik vermisste das Fehlen eines p am Ende des Namens. Ich habe es mit Absicht weggelassen. Das p sieht aus wie ein Rucksack. Zwei Rucksäcke wollte ich meinem Sohn nicht anhängen.

Als Lehrer – ganz besonders als Musiklehrer – hatte ich einen vorzüglichen Überblick über die beliebtesten Vornamen im Landkreis Kronach. Mitte der 80er Jahre gab es unter meinen Schülern nur zwei mit dem Namen Philipp. Einer von ihnen trug am Ende nur ein p. Der Name Philip gefiel mir schon immer und weil er damals nur spärlich auftrat, umwehte ihn ein leichter Hauch von Exklusivität, jedenfalls in den Ländereien um Kronach. Am liebsten hätte ich meinen Sohn Carl Philip Emanuel genannt, habe davon aber abgesehen.

Dieser Beitrag scheint von Namen zu handeln. Das stimmt nicht – er handelt tatsächlich von Namen, ebenso wie jener von der Linder Ebene. Auch darin spielten Namen eine Rolle, Namen von Orten – Oberlind, Sonneberg, Steinach, Muppberg … Ich bin viele Jahre zu Fuß und per Fahrrad in dieser Gegend unterwegs gewesen, aber erst seit 2 Monaten versuche ich, mehr über diese Region zu erfahren. Stichwort Sonneberg: mein altes MEYERS GROSSES TASCHENLEXIKON gibt wenig Auskunft über diese Stadt am Südhang des Thüringer Waldes. Dass es Mittelpunkt der thüringisch-fränkischen Spielzeugindustrie ist – besser gesagt gewesen ist – war mir bekannt aus Erzählungen meiner Schwiegereltern. Die Großmutter meiner Ehefrau bemalte in Heimarbeit Puppenköpfe aus Porzellan für Verleger in Sonneberg.

Seit 1989 ist Sonneberg wieder zugänglich von Bayern aus. Der Nachfolger meines humanistisch gebildeten Fachkollegen kommt aus Sonneberg. Mit ihm habe ich erstmals die Sonneberger Jazztage besucht. Das Festival war damals extrem am Oldtime Jazz ausgerichtet.

 

Aus der Taufe gehoben wurde das Festival anlässlich des 15. Bühnenjubiläums der Sonneberger Jazzband „Jazz Optimisten“ am 29. November 1986. Zum 15. Geburtstag der „Jazz Optimisten“ ermöglichte der Generaldirektor des damaligen VEB Kombinat Spielwaren Sonneberg als Trägerbetrieb die Ausrichtung einer Jazz-Nacht mit namhaften Gästen in Sonneberg. Auf Grund des Erfolgs dieser Veranstaltung wurde beschlossen, alljährlich im November die „Sonneberger Jazz-Nacht“ mit mehreren Formationen zu wiederholen. Mit dem „Jazz Day Orchestra“ aus Polen trat 1987 erstmals eine internationale Gruppe bei dem Festival auf.

Quelle: Wikipedia

 

Inzwischen ist man in Sonneberg offen für zeitgenössischen Jazz. Großen Anteil daran hat ein befreundeter Arzt, der nach einem erfolglosen Versuch, eine Jazzreihe in Kronach zu etablieren, sich der Sonneberger Szene zuwandte. Vor allem skandinavische Künstler wie Helge Lien, Iiro Rantala, Dan Berglund treten nunmehr in nächster Nähe meines Heimatdorfes auf.

 

 

 

 

Das Bild zeigt Conny Bauer. Dass er viele Jahre in Sonneberg lebte, verrät nicht einmal Martin Kunzlers Jazz-Lexikon, wohl aber Wikipedia.

 

Konrad Bauer wuchs in Halle (Saale) und im thüringischen Sonneberg auf. Als Schüler wurde er im Privatunterricht in die Posaunenmusik eingeführt und spielte dieses Instrument im Posaunenchor der evangelischen Kirche in Steinbach. Besonders interessierte er sich aber für moderne Tanzmusik. Während der Oberschulzeit spielte er zunächst in verschiedenen Amateurbands als Sänger und Gitarrist. Nach dem Abitur absolvierte eine Ausbildung zum Keramikfacharbeiter. Auch während der Lehrzeit war er als Freizeitmusiker unterwegs und spielte außer Gitarre auch Klavier. Mit den Erfahrungen aus der Tanzmusik entschloss er sich, nach der Berufsausbildung ein Musikstudium aufzunehmen. […]

Mit seinen musikalischen Ambitionen beeinflusste Conny Bauer u. a. die Entwicklung seiner jüngeren Geschwister außerordentlich. Hannes als Posaunist und Matthias am Kontrabass wurden ebenfalls international anerkannte Jazz-Musiker. Seine Schwester spielte Saxophon in der Band des Bassgitarristen „Smut“, mit dem Conny als Jugendlicher in Sonneberg musiziert hatte, und der trotz vieler Verbote über 20 Jahre lang die mit Conny begonnene Bandtradition in Sonneberg aufrecht erhielt.

 

Mit Conny Bauer begegnet man DDR-Jazz von Weltrang. Folgt man seinen Fährten trifft man auf Namen wie Günter „Baby“ Sommer, Ulrich Gumpert, Barre Phillips (oha!), Peter Brötzmann, Alexander von Schlippenbach, Han Bennink, Globe Unity Orchestra …

Conny Bauer habe ich in Nürnberg bei Jazz-Ost-West im Quartett Doppelmoppel gehört, zusammen mit seinem Bruder Johannes und den beiden Gitarristen Uwe Kropinski und Helmut „Joe“ Sachse. Demnächst schließt sich ein verbogener Kreis: Joe Sachse spielt am 15. November ein Privatkonzert bei meinem Freund Achim Goettert.

Wenige Jahre nach der Geburt meines Sohnes Philip nahm die Anzahl von Schülern namens Philipp deutlich zu. Vorbei war es mit der Exklusivität. Ich hätte ihm den Namen Tankred geben und meine Tochter konsequenterweise Clorinda nennen sollen. Nie sind mir Schüler mit diesen Namen begegnet.

In Oberlind ist Tankred Dorst geboren, von dem ich nur den Namen kenne, von dem ich nur weiß, dass er ein viel gespielter Dramatiker war. Tankred Dorst verwendet in seinem Theaterstück Auf dem Chimborazo für den Muppberg symbolisch den Namen eines fernen südamerikanischen Berges – wegen der innerdeutschen Grenze und wegen der handelnden Personen. Das waren richtige Überraschungen bei meinem Wikipedia-Streifzug durch die Linder Ebene.

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