Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

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Archives: Dezember 2018

Kaum ist die Jahresbestenliste veröffentlicht, ja schon wieder Vergangenheit und Lajla wünscht sich Musik aus dem „Palace of Zen“ – da fällt mir das Debutalbum eines jungen DJ und Produzenten aus Tokio in die Hände. Und das hat es in sich. Aber erst mal der Reihe nach: Yoshinori Hayashi ist ambivalent. Beyond mainstream. Mit ausgeprägtem Hang zur Abstraktion und zu Kollagen.

Kollagen liebte ich schon zu Schulzeiten. Damals machte ich im Kunstleistungskurs komplexe Kollagen und jagte sie dann durch den neuen Kopierer der Schule bis sie auf einer formalen Ebene angekommen waren, bis die ganzen Schnipsel und Elemente zusammengehörten, zu Einem wurden. Copy Art. Später setzte ich das, wenn mein Geldbeutel es erlaubte, mit großformatigen Farbcollagen auf Farbkopierern um und produzierte Multiples. Und war nicht zuletzt oft begeistert davon, wenn Musiker das in ähnlicher Buntheit ins Studio bringen konnten. Holger Czukay war z.B. ein großer Meister darin.

 Aber zurück zu Yoshinori Hayashi, der in Japan eine klassisch-moderne Ausbildung erhielt, was Spuren auf Ambivalence hinterließ und zwischen den Zeilen zu vielen unvorhergesehenen kompositorischen Wendungen führt. Die ritualistischen, hypnotischen Stücke verarbeiten Elemente aus der Minimal music, alten Jazzplatten, Dub und House, sowie traditioneller japanischer Musik und nicht zuletzt akustischen Instrumenten und Studiotexturen. Overflow. Eine seltsame Melange von Atmosphären, Grooves und akustischen Found Objects, die gekonnt kollagiert, übereinandergeschichtet, unerwartet hintereinandergeheftet, surreal voneinander abgezogen werden, gerafft und gequetscht, gestretched und verzogen werden. Palanquin Bearing Monkey. Sie fangen irgendwo an als Clubmusik und driften unversehens ins dubbige oder ambienthafte, ist Musik für innere Filme mit unerwarteten Wendungen wie aus den Träumen in den Morgenstunden, wenn der Schlaf nicht mehr so tief ist. Bit of Garden – 0208. Aber das wäre nicht gelungen, wenn nicht alles auf faszinierende und hintergründige Weise zusammengehören, formal auf einer Ebene landen und als Akustik-Koan enden würde. Aber was wäre hierauf die richtige Antwort? Was ist der Duft des Raumes zwischen zwei Stühlen? Geckos.

 
 
 

 


 
 

The album ends with a few words from Charles Dickens extolling us to dwell not upon the past: “Never heed such dismal reminiscences,” he advises us in his playful Scots brogue. “There are few men who have lived long enough in the world, who cannot call up such thoughts any day in the year. Then do not select the merriest of the three hundred and sixty-five for your doleful recollections, but draw your chair nearer the blazing fire – fill the glass and send round the song.” It’s the perfect conclusion for a record that understands that doleful recollections are the very stuff of Christmas, and that we need our midwinter’s feast precisely because of our doleful recollections. Whatever your Christmas finds you doing, putting a brave face on your despair in the bosom of your family, or savouring your glass of reeking punch with no one but sad memories, or even bathing in a rare wonderful happiness, Ghost Stories for Christmas makes an excellent companion. (Colin Bond)

– eine Woche vor Heiligabend im Handel

 
 

Aidan Moffat & RM Hubbert –  „A Ghost Story for Christmas“ (Lyric Video)

2018 10 Dez.

It Must Schwing

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Heute Nacht einen wunderbaren Film von Eric Friedler über die ersten Blue Note Jahre gesehen. Gibt’s noch bis 16.12. in der Mediathek! Sehr empfehlenswert und eine für den Jazz sehr wichtige, aber auch schwierige Zeit sensibel würdigend.

 

 

2018 9 Dez.

Jan’s Best Of 2018

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Top 10:
 

  1. Laurie Anderson & Kronos Quartet: Landfall
  2. Jon Hassell: Listening to Pictures
  3. Nils Frahm: All Melody
  4. Geir Sundstøl: Brødløs
  5. David Byrne a.o.: True Stories, The Complete Soundtrack
  6. John Coltrane: Both Directions At Once
  7. David Byrne: American Utopia
  8. The Manhattan Transfer: The Junction
  9. Klaus Schulze: Silhouettes
  10. The Low Anthem: The Salt Doll Went To Measure The Depth Of The Sea

 
In no specific order followed by:
 

  • Flavien Berger: Contre-Temps
  • Gong Expresso: Decadence
  • Peter Gordon: Eighteen
  • Guru Guru: Rotate! 50 Years Guru Guru
  • Jean-Michel Jarre: Equinoxe Infinity
  • Keith Jarrett: La Fenice
  • Glenn Jones: The Giant Who Ate Himself
  • Cat Power: Wanderer
  • Steve Reich: Pulse / Quartet

 
Noncompetitive albums because not originally or only in parts released in 2018:
 

  • The Beatles: White Album, 50th Anniversary Edition
  • Holger Czukay: Cinema
  • Brian Eno: Music for Installations
  • Janis Joplin & BBHC: Sex, Dope & Cheap Thrills
  • David Sylvian & Holger Czukay: Plight & Premonition/Flux + Mutability

 
Rediscovered:
 

  • Genesis: Seconds Out (1977)
  • Steve Hillage/Miquette Giraudy: Rainbow Dome Musick (1979)
  • Ougenweide: Herzsprung (2010)
  • Gerry Rafferty: City to City (1977)
  • Simon & Garfunkel: The Concert in Central Park (1982)
  • Karlheinz Stockhausen: Inori (1992)

 

2018 9 Dez.

Spot on Bernocchi

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Über die vergangenen Jahre fiel mir Eraldo Bernocchi immer wieder als Sideman in den verschiedensten Projekten auf und nun hat er sein erstes Album nur unter seinem Namen produziert, was es dann auch gleich in meine Jahresbestenliste geschafft hat. Like a Fire That Consumes All Before It ist der Soundtrack zu Cy Dear, einer Dokumentation über den amerikanischen Künstler Cy Twombly, der unübersehbar auch einen wichtigen Einfluß auf die ECM-Covergestaltung der frühen Jahre gehabt haben muss. Geschaffen hat er eine ruhige, weite und eigene Ambientmusik, die einem Fundament von langsamen infite delays feine rhythmische Strukturen, ein subtiles Schweben und verhallte Pianotropfen zur Seite stellt, ohne dabei je in Gefahr zu laufen in die Nähe von New Age-Akustikaffronts zu laufen. Ein sehr intimes, leises Werk, das sehr viel Raum hat und den Hörer sanft hineinzieht und zum Abdriften verleitet.

 
 


 
 

Wer noch tiefer in die Stille heingehen möchte, dem sei Solitary Universe empfohlen, dass Bernocchi im Februar zusammen mit Chihei Hatakayema, einem der produktivsten und konsequentesten japanischen Ambientmusiker, veröffentlicht hat. Hier tanzen die beiden Gitarristen in unendlicher Langsamkeit um das uns auf ewig verborgene Zentrum der absoluten Stille des Universums, schweben in einer Unendlichkeit in dem dimensionslosen Netz, das der indischen Mythologie nach der Gott Indra knüpfte, um die Welt zu umschließen. In jedem der Knotenpunkte befindet sich ein funkelnder Juwel, dessen Licht bei jeder Bewegung Indra’s oszillierend mit allen anderen Knotenpunkten in Verbindung steht und so den Urgrund unserer gigantischen Illusion des Seins darstellt. Vielleicht bleiben in der Schönheit und Ruhe dieser Musik einmal die Gedanken für einen Augenblick stehen und ein Funkeln weist uns zu einem Blinzeln des ewigen Augenblicks. Wer sich das nur eingeschränkt vorstellen kann, dem hilft hier ein kleines Kunstbüchlein, dem die CD beiliegt, das ohne große Worte, aber mit eigenwillig korrespondierenden, dezenten Fotos von Petulia Mattioli und Yasushi Miura Momente in den Fäden Indra’s Netz einfängt.

Unter den vielen Kollaborationen muss aber noch eine erwähnt werden, von der es mich wundert, dass sie bislang ihren Weg noch nicht in diesen Blog gefonden hat: Winter Garden, von Bernocchi zusammen mit Harold Budd (mit dem er schon früher zusammenarbeitete) und Robin Guthrie 2015 veröffentlicht. Ein Ambient-Monument, dass den gemeinsamen Alben Budd’s mit Brian Eno um nichts nachsteht, ein echter Lifer in seiner hypnotischen Tiefe und eigenwilligen Schönheit. Es beginnt mit dem durchaus praktischen Hinweis Don’t go where i can’t find you, wandert über die Trance von Entangled und dem programmatischen Harmony and the play of light auf fast melancholischen Wegen zum Südpol des Himmels und entlässt den Hörer mit der dann eigentlich nicht mehr notwendigen Empfehlung Dream on in das dringende Bedürfnis danach gleich alles wieder von vorne zu hören. Nie hätte ichgedacht, dass ich mich als frostscheuer Mensch in einem Winter Garden so heimelig fühlen könnte …

 

 
 
 

On the back cover of Paul Cronin´s book of conversations with Werner Herzog Werner Herzog – A Guide for the Perplexed one can find this amazing list which might be helpful in various situations.

 

Always take the initiative. There is nothing wrong with spending a night in jail if it means getting the shot you need. Send out all your dogs and one might return with prey. Never wallow in your troubles; despair must be kept private and brief. Learn to live with your mistakes. Expand your knowledge and understanding of music and literature, old and modern. That roll of unexposed celluloid you have in your hand might be the last in existence, so do something impressive with it. There is never an excuse not to finish a film. Carry bolt cutters everywhere. Thwart institutional cowardice. Ask for forgiveness, not permission. Take your fate into your own hands. Learn to read the inner essence of a landscape. Ignite the fire within and explore unknown territory. Walk straight ahead, never detour. Manoeuvre and mislead, but always deliver. Don’t be fearful of rejection. Develop your own voice. Day one is the point of no return. A badge of honor is to fail a film theory class. Chance is the lifeblood of cinema. Guerrilla tactics are best. Take revenge if need be. Get used to the bear behind you.

Vor ein paar Tagen zeigte mir meine Tochter die Bilanz der letzten 11 Monate ihres Lieblingsstreamingdienstes: genau 34036 Minuten seit Anfang des Jahres. Dazu kommen noch jede Menge andere Quellen und bereits geladene Musik, am Ende vielleicht mehr als anderthalb Monate reines Musikhören. Nicht wenig. Leider habe ich keine App oder keinen Agenten, der meine Musikgenusszeiten misst und aufsummiert, aber es muss schon einige Zeit zusammengekommen sein, bis meine Favoritenliste für die Neuerschienungen des Jahres 2018 stand. Das sind ja nur die Alben, die mir wirklich gefallen haben und nicht die, die ich nach wenigen Liedern ausgeschaltet habe und nicht die, die zwar auch echt gut waren, aber nun stumm ab Nummer 31 zu finden wären und nicht diejenigen, die aus den Jahrzehnten davor stammen. Und zu guter letzt kam mir der Gedanke, dass wahrscheinlich jedes Jahr weitaus mehr Hörzeiten für diesen Blog anfallen, als das Jahr Stunden hat …

 
 
 

 
 

  1. Steve Tibbetts: Life of
  2. Laurie Anderson & Kronos Quartett: Landfall
  3. Jon Hassell: Listening to Pictures
  4. Sly & Robbie meet Nils Petter Molvær: Nordub
  5. Sonar with David Torn: Vortex
  6. Mueller & Roedelius: Imagori II
  7. Qluster: Elemente
  8. Paul Frick: Second Yard Botanicals
  9. Hilde Marie Holsen: Lazuli
  10. Kim Downes: Obsidian
  11. Julia Holter: Aviary
  12. The Necks: Body
  13. Low: Double Negative
  14. Irmin Schmidt: 5 Klavierstücke
  15. Eraldo Bernocchi: Like a Fire That Consumes All Before It
  16. ShadowParty: ShadowParty
  17. GoGo Penguin: A Humdrum Star
  18. Emanuele Errante: The Evanescence Of A Thousand Colors
  19. Arve Henriksen: The Height of the Reeds
  20. Rim Banna: Voice Of Resistance
  21. Frode Haltli: Avant Folk
  22. Erik Griswold: Yokohama Flowers
  23. Louise Landes Levi: Ikiru Or The Wanderer
  24. Clarice Jensen: For This From That Will Be Filled
  25. The Residents: Intruder
  26. Peter Schwalm: How We Fall
  27. Laaraji, Arji OceAnanda & Dallas Acid: Arrive Without Leaving
  28. Steve Reich: Pulse / Quartet
  29. Ilhan Ersahin: Solar Plexus (Istanbul Sessions)
  30. Neneh Cherry: Broken Polictics

 

Ausserhalb dieser Best of-Liste steht (natürlich eigentlich ganz oben) Brian Eno mit Music for Installations, einer Mischung aus Reissues und Unveröffentlichem, also nur halb-neu. Und hier muss für eingefleischte Brian Eno Fans noch auf Bloom 10 hingewiesen werden, eine App die vor zwei Tagen veröffentlicht wurde und es dem Nichtmusiker und begeisterten Hörer endlich ermöglicht in Eno’s Fußstapfen zu treten und astreine Ambientmusik spielerisch selber zu gestalten – ein wunderbares kleines Spielzeug quasi zum Nikolaustag!

 

 
 

Some might find moody shots of Forster walking across an empty field or staring at a bonfire cliched or even trite. But they are people who hold more value in technique than soul. And the Go-Betweens have always been about soul, not technique. As Lindy Morrison says, “We didn’t look the part, we didn’t sound the part, we were too intelligent.”

Stenders has made an emotional, rolling thunder of a film, one this extraordinary band deserves. Those for whom the Go-Betweens are part of the architecture of their lives will love it. For casual watchers, it might introduce them to something special.

(Padrâig Collins, The Guardian)

2018 7 Dez.

Meine Begegnung mit Julia

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Hunderte unserer Leser rätselten, wer denn nun Sylvia war, die sich vor Monaten auf dem Blog meldete und sich erkundigte, ob ich ihr alter Freund Michael aus Kirchhörde sei. Ich ging in meinem Gedächtnis alle verfügbaren Szenen mit den beiden potentiellen Sylvias der Teenagerjahre durch, ich stellte Vermutungen an, platzierte Luftbilder von meinem alten Zuhause, aber sie meldete sich nie wieder. Seitdem zählt sie zu den vier, fünf, sechs Kurzaufgetauchten, die, statt mir (einst) blaue Stunden und endlose Nächte zu schenken, oder wenigstens Männerversteherinnen zu sein, einfach verschwanden, in andere Lebensläufe hinein. Zugegeben, die anderen Fatima Morganas waren greifbarer, drehten Pirouetten im Bahnhof Langendreer, verschenkten Blicke für eine Handvoll glückliche Jahre, machten es sich in meinem Studentenzimmer bequem („Michael, wer war die heisse Braut?“), allein, sie waren nicht mehr gesehen und auffindbar, und wie spannend wäre es, an jene Tage zurückkehren, und das Paradoxon aller Zeitreisen neu beleben. Warum diese lange Einleitung, keine Ahnung – bin halt Wiederholungstäter! Nun also Julia Holter, auch sie eine Kurzaufgetauchte, auch sie werde ich nie mehr im persönlichen Gespräch erleben, es war die reine Ernüchterung, und das ist der grosse Unterschied zu all den unerfüllten Romantizismen einer vergangenen Ära. Es war wohl eines der uninspiriertesten Interviews meines Lebens, und das mit der Frau, von der Brian Eno nach dem Hören ihres gefeierten Albums „Have You In My Wilderness“ sagte, in den Siebzigern wäre sie eine Ikone gewesen. Nun lag das weder an ihr noch an mir. Weder waren meine Fragen dumm und supersmart,  noch ihre Antworten aus der Retorte, formelhaft. Wenn ich sie fragte, verzweigten sich ihre Gedanken hierhin, dorthin, und sie spielte jede Spannung herunter. Ich entdeckte keine Geschichten, konnte ihr in keine Wildnis folgen. Eine sehr reflektierte blitzgescheite 28-Jährige, beide Elternteile Historiker, die das widerständige, komplexe Opus „Aviary“ zuwegebrachte, Kompositionen mit beträchtlichem Verstörungspotential (wir sprachen über Dissonanzen), aber während unserer zwanzig Minuten passierte nichts Einhakendes, alles blieb vage, nicht mal eine einzige gemeinsame Begeisterung erfüllte den Raum, selbst da blieb alles gelistete Erinnerung. Klar fragte ich sie nach ihren Lieblingsplatten von Eno, und sie nannte die Tigerbergscheibe, die Überlandmusik, und die Flughafensache, aber nichts war an ein Erlebnis geknüpft. Hinterher wusste ich, was ich hätte anstellen müssen, das wäre der Dreh gewesen, der Twist-and-Turn, ich hätte sie in diesem kleinen hässlichen funktionalen Grauwandzimmer, im renommierten Bochumer Schauspielhaus, mit ihrer Hornbrille und ihrem unprätentiösen graublauen Wuschelpullover, fotografieren müssen, und alles wäre bezaubernd nüchtern gewesen. Denn um den Zauber hinter dem Nüchternen ging es wohl, wenn ihre Gedanken in sanftes Schlingern kamen, rote Fäden suchten, Momente griffen, Momente verpassten. Schön wars dennoch, einfach, weil ich dieses Foto in Erinnerung habe, das ich nie gemacht habe, und „Aviary“ daheim auf mich wartete. We didn‘t talk about shrieking birds. But I gave her a short crash course in lucid dreaming at the end, you never know!

 

 
 
 

When I read the book, the biography famous,
And is this then (said I) what the author calls a man’s life?
And so will some one when I am dead and gone write my life?
(As if any man really knew aught my life,
Why even I myself I often think know little or nothing of my real life,
Only a few hints, a few diffused faint clews and indirections
I seek for my own use to trace out here.)

 


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