Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

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Archives: August 2012

 
 

 
 
 
Jan P. Dennis: Magico (and to a slightly lesser extent the companion disc Folk Songs, containing the same personnel) is certainly a hight point in the history of jazz. When Manfried Eicher got Haden, Gismonti, and Garbarek in the studio at the end of the seventies to perform their trio magic, something special, something probably completely unanticipated, happened: haunting, elegiac, ravishingly beautiful songs in the context of lilting collective improvisation. Garbarek with his keening, Nordic sax; Haden with his rock-solid Midwestern American bass; Gismonti with his dancing, mercurial Brazilian guitar and piano: three distinct voices blending and interweaving mysteriously, magically.

 

MAGICO hiess die eine Langspielplatte, die das Trio schuf, FOLK SONGS die andere. Damals konnte der Produzent Manfred Eicher kaum irren, wenn er seine Musiker in immer neuen Kombinationen anregte, luftige und intime Musik zu gestalten. Fast jede Platte geriet im „hot spot“ der ECM-Ästhetik (die von früh an weit gefächert war) unter Meilenstein-Verdacht. Speziell  MAGICO  wurde von der Kritik gefeiert: das Trio schien unmittelbar einen Draht zueinander zu finden, obwohl jeder eine sehr eigene kulturelle Historie mitbrachte: die Cover waren für ECM-Verhältnisse ungeheuer farbenfroh, das Cover von MAGICO würde ich mir jederzeit in Grossformat an die Wand hängen. Es ist alles andere als eine Enttäuschung, ins Archiv zu greifen, und diese so hochkonzentriert wie entspannt dargebotene Melange aus Jazz, Folk und undefinierbaren Zwischenräumen ans (am besten allerdings gedämpfte) Tageslicht zu befördern. Am 5. Oktober, habe ich zufällig bei Amazon / jpc gesehen, erscheint nun eine Doppel-CD des Trios: MAGICO – CARTA DE AMOR. Die Gruppenfotos zeigen diese Musiker in jungen Jahren, und, da die Spielzeiten der damals im Studio aufgenommenen und nun wieder dargebotenen Stücke – es scheinen auch unbekannte Kompositionen dabei zu sein – unterschiedlich sind, bleibt nur die Schlussfolgerung: ein Live-Dokument aus alter Zeit! Wir sind gespannt. Denn was da so manchmal unverhofft aus dunklen Kellern auftaucht, ist schon, wie jüngst im Fall von SLEEPER mit Jarrett/Garbarek/Christensen/Danielsson, verblüffend, ja, sensationell.
 
 
 

 
 
 
P.S.: A fascinating set from three strong and contrasting musical personalities: Norwegian saxophonist, Brazilian guitarist-pianist, and US bassist making purposeful and creative music together on this previously unreleased live recording. Carta de Amor documents music captured at Munichs Amerika Haus in April, 1981. Two years on from the much-loved albums Magico and Folk Songs, the trios improvisational empathy and sensibilities were further honed by experiences as a touring group. Repertoire includes five pieces from Gismontis pen, with the title track heard in two variations, opening and closing this enthralling double album. Also heard here are Garbareks folk song arrangements and an extended, freewheeling version of his composition Spor. Charlie Haden brings in La Pasionaria, from the repertoire of the Liberation Music Orchestra and All That Is Beautiful, not previously documented on disc. Recorded by Manfred Eicher and Martin Wieland in 1981, mixed from original analog tapes by Eicher and Jan Erik Kongshaug in 24 bit/96 kHz in 2012.

2012 31 Aug

Kurze Musikhörgeschichten

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Cat Power: Sun

Eigenwillige Lebensmutmusik, mit Multi-Instrumentalistin Chan Marshall im Stimmen-Spiegel-Kabinett (***1/2)

David Byrne & St. Vincent: Love A Giant

Wie einst mit der Dirty Dozen Brass Band, setzt Byrne wieder mal auf Blasinstrumentenmusik und ausgefuchste Gesänge (***1/2)

Swans: The Seer

Besser spät entdecken als niemals: Musik als uraltes Ritual, Schamanismus mit den Mitteln des Post-Rock (****1/2)

Calexico: Algiers

Jetzt sind Joey Burns und seine Freunde in einen Vorort von New Orleans gezogen. Ein schönes, nur allzu vorhersehbares Werk, mit viel Staub und Spätsommer (***)

Greta Aagre & Erik Honore: Year Of The Bullet

Ein dunkel funkelnder Songreigen mit der alten Punktbande (Jan Bang, Arve Henriksen u.a.): Ohrwürmer in Zeitlupe, und knärzende doppelte Böden (****)

Stian Westerhus: The Matriarch and the Wrong Kind of Flowers

Seltsame Gitarrenmusik aus einem Mausoleum, die gar nicht nach Gitarre klingt; aus der Abteilung „Psychedelik“ der Neuen Kammermusik! (****)

Animal Collective: Centipede HZ

Neue Hippie-Musik mit hohem Hipness-Faktor fürs Feuilleton, leider auch mit hohem Nervfaktor (**)
 
 
 

(Cover: Swans)
 

2012 29 Aug

Gregor öffnet seinen Plattenschrank (24)

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Musik hinter den Dünen

 
Es gibt ein Leben für Musikliebhaber jenseits vom Knopf im Ohr, auch im Urlaub. 2,3 km hinter den Dünen entdeckt man nahe der spanischen Grenze, kurz vor San Sebastian, den Ort Urrugne.
Hier findet sich die Kirche Saint Vincent, erbaut schon im zehnten Jahrhundert, zerstört Anfang des 16.Jahrhunderts, 1550 aber schon wieder aufgebaut. 2009 bekam diese Kirche nun eine fantastische neue Orgel, davon später. Im Nachbarort, Ciboure, nimmt der erstaunte Tourist zur Kenntnis, dass es auch hier eine Kirche Saint Vincent gibt, leider noch ohne Orgel, die soll erst in zwei Jahren dort eingebaut werden.
 
 
 

 
 
 
Beide Kirchen glänzen mit einer so wunderbaren Akustik, dass Manfred Eicher von ECM, wüsste er davon, sofort von St.Gerold in Österreich als Aufnahmeort Abschied nehmen und zum Atlantik umziehen würde.
Der Akustik wegen – aber auch, weil ein berühmter Musiker aus Ciboure stammt, nämlich Maurice Ravel – finden dort im Sommer zahlreiche Konzerte statt. So konnte man in Saint Vincent Ciboure in diesem Jahr Guillaume Sigier (piano); Samika Honda (violon) und Iris Zerdoud (clarinette) mit Werken von Claude Debussy, Gilbert Amy, Bela Bartok und natürlich Maurice Ravel hören.
In einem anderen Konzert war in derselben Kirche das Quatuor Hermes (Omer Bouchez, Elise Liu, Yung-Hsin Chang und Anthony Kondo) mit Josef Haydn, Claude Debussy und Maurice Ravel zu genießen. Der Höhepunkt der musikalischen Genüsse sollte aber erst noch kommen: ein Orgelkonzert in Saint Vincent Urrugne. Auf der wunderbaren Orgel spielte ein mir vollkommen unbekannter junger Mann, Jahrgang 1990: Thomas Ospital!
Vor zwei Jahren schrieb die Badische Zeitung nach einem Konzert Ospitals im Freiburger Münster: „Der 1990 geborene Ospital, der 2009 als jüngster Teilnehmer völlig überraschend den Wettbewerb in Saragossa gewonnen hat, bot am Hauptspieltisch eine so packende wie reife Lektion in Sachen französische Orgelkultur des (frühen) 20. Jahrhunderts, wobei sich allein schon durch die Widmungsträger der Werke Bezüge ergaben. So ist Viernes dritte Sinfonie Marcel Dupré zugeeignet und Maurice Duruflés „Veni Creator“-Opus dem Kollegen Vierne. Dass Ospital, der am Pariser Conservatoire Koryphäen wie Olivier Latry und Thierry Escaich zu seinen Lehrern zählt, technisch und musikalisch bereits überaus fit ist, hörte man.“
 
 
 

 
 
 
Das war im August 2010, zwei Jahre später im Konzert am 19.08.2012 in Urrugne wäre meine Meinung über Ospital nicht, dass er musikalisch `überaus fit sei´, nein, er begeistert. Diesen Namen muss man sich als Liebhaber französischer zeitgenössischer Orgelmusik wirklich merken.
In Urrugne spielte Thomas Ospital Bach, Mendelssohn Batholdy, Robert Schumann, Louis Vierne, Valèry Aubertin, Maurice Durufle und – Höhepunkt für mich – Olivier Messiaen. Eine Kostprobe seines Spiels, damals war der junge Organist gerade einmal 20 Jahre alt, kann man auf Youtube genießen: Thomas OSPITAL interprète la „Toccata en ré mineur“ (Bux 155) de Dietrich BUXTEHUDE (1637-1707) sur le grand orgue de la cathédrale St-Léonce de Fréjus, le 11 avril 2010.
CDs gibt es von diesem genialen Musiker noch nicht, zum Trost lege ich Olivier Messiaen im Original in meinen Player. Auf der 4CD -Box Messiaen par lui-même kann man hören, wie eine der größten Komponisten der Musikgeschichte seine eigenen Werke interpretiert.
 
 

„The Matriarch And The Wrong Kind Of Flowers“ was recorded at the Emanuel Vigeland Mausoleum in Oslo, a tomb with a 20 second natural reverb and a constant temperature of five degrees Celsius. No surprise, then, to find a suite of solo improvisations that match the space´s cold grandeur and cavernous scale. Westerhus sites King Crimson as an influence, and „Shine“ borrows the bathysphere ping of Pink Floyd´s „Echoes“ before ascending to Popol Vuh´s vertiginous spiritual heights. Throughout, Westerhus shrouds the guitar in a series of disguises – mournful violin, hurdy-gurdy drone, country fiddle and non-musical sounds like distant guns and humming machinery – folding multiple textures in on themselves to create abstract narrative arcs. (thewire.co.uk)

 

Die Tourdaten:

2012

September: 23 Stian Westerhus solo – Leipzig Jazz Festival (D) / 28 Stian Westerhus solo – Tonne, Dresden (D) / October: 12 Stian Westerhus solo – Bunker Ulmenwall, Bielefeld (D) / 13 Stian Westerhus solo – Domicil, Dortmund (D  / 17 Stian Westerhus solo – Stadtgarten, Köln (D) / 19 Stian Westerhus solo – HBC, Berlin (D) / 27 NPM – Frankfurt (D) / November 2 NPM – ewz-Unterwerk Selnau, Zürich (CH) / 3 NPM – Hansesaal, Lünen (D) / 11 Stian Westerhus solo – S’Hertogenbosch (NL) / 13 PUMA – Hamburg (D)

2013

January: 30 Sidsel Endresen / Stian Westerhus – Stadtgarten, Köln (D) / 31 Sidsel Endresen / Stian Westerhus – Vooruit, Gent (B) / February: 1 Sidsel Endresen / Stian Westerhus – Porgy and Bess, Vienna (A) / 2 Sidsel Endresen / Stian Westerhus – Woman in Jazz Festival, Opera, Halle (D) / 4 Sidsel Endresen / Stian Westerhus – Moods, Zürich (CH)  / 5 Sidsel Endresen / Stian Westerhus – Vortex, London (UK) / 6 Sidsel Endresen / Stian Westerhus – Unterfahrt, München (D) / 7 Sidsel Endresen / Stian Westerhus – Sendesaal Bremen (D) / 10 Sidsel Endresen / Stian Westerhus – Bee Flat, Bern (CH) 

 
 
 

 

Soul: das ist nicht die Musik, bei der ich normalerweise zerfliesse. Voluminöse, gefühlsschwangere Stimmen einer bestimmten Sorte lösen bei mir eher Ermüdung als Ergriffenheit aus, von der mich derzeit von Plakatwänden anstarrenden Joss Stone, bis zu dem neuen Liebling aller Schwiegermütter, Michael Kiwanuka, oder wie immer der genau heisst. Es gibt Ausnahmen, Altmeister/innen aus einer Ära, als man Recycling noch für eine neue Art des Fahrradfahrens hielt. Und es gibt die, deren Stimmen im Alter noch mal gewaltig zulegen an Falten und Rissen und Frissuren: Mavis Staples gehört dazu, und Bettye Lavette. „The walls may come tumblin‘ down“. Eine junge weibliche Stimme, die der Alabama Shakes, hat auch die richtigen Lektionen gelernt und singt nicht „von der Stange“. Wer die Stimme der Bettye Lavette so unwiderstehlich findet wie ich, der möge einen Blick auf die „tracklist“ ihres in der zweiten Septemberhälfte erscheinenden Werkes werfen: Vorfreude! Besonders gespannt auf die Interpretationen des Neil Young-Songs (aus seinem fruhen, zweiten Studioalbum), auf das Dylan-Lied (aus OH, MERCY), und die langsame Version von „Dirty Old Town“. Da zeitgleich ihre Lebensgeschichte veröffentlicht wird, scheinen mir die Titel nach autobiographischen Aspekten ausgewählt zu sein.

 

1. Everything is Broken (Bob Dylan)

2. I’m Not the One (Daniel Auerbach/Patrick Carney)

3. Dirty Old Town (Ewan MacColl)

4. The More I Search (The More I Die) (Kim McLean)

5. I’m Tired (Chris Youlden)

6. Crazy (Brian Burton/Thomas Callaway/Gian Piero Reverberi/Gian Franco Reverberi )

7. Yesterday Is Here (Tom Waits)

8. Thankful N‘ Thoughtful (Sly & The Family Stone)

9. Fair Enough (Beth Nielsen Chapman)

10. Time Will Do the Talking (Patty Griffin)

11. Everybody Knows This is Nowhere (Neil Young)

12. Dirty Old Town* (slow version)

Das erste Mal, dass man bei Bob Dylan von einem Spätwerk sprach, war 1982, als das famose Album OH, MERCY erschien. Schliesslich war es damals noch in Mode, jedem über 30 zu misstrauen, Dylan war um die 40, hatte eine Drogenphase hinter sich, einen verheerenden Motorradunfall, und etliche Klassiker in die Welt gesetzt, es gab also Gründe, bereits damals ein Spätwerk auszurufen. Danach gingen die Jahre ins Land, ohne dass etwas Herausragendes von His Bobness veröffentlicht wurde. Aber dann, Monsieur Lanois war wiederum der Produzent, 1997, gab es das nächste fulminante Spätwerk, TIME OUT OF MIND. Rabenschwarz, wie es sich für ein ordentliches Spätwerk gehört. Ich kaufte mir die CD in Portsmouth, an meiner Seite Susanne, allemal so hinreissend wie Dylans Sarah, und nachts lief die Musik in dem Haus, in dem Daphne de Maurier einen berühmten Piratenschinken geschrieben hatte, wir vögelten in einem violetten Himmelbett. Die Dylanologen betrieben alsbald wieder fleissige Sitzungen, die Texte zu deuten. Das sind Leute, die schon im Morgengrauen, lange vor Geschäftsöffnung, vor Plattenläden Schlange stehen, um die edle Ware eines neuen Opus zu erstehen. Man tauscht neue Erkenntnisse aus, und manchmal streitet man sich über die Wichtigkeit älterer Werke: war DESIRE wirklich so gut? Wieder gingen die Jahre vorüber wie nichts Gutes, dann kam nach einigen Petitessen das nächste beeindruckende Spätwerk: MODERN TIMES. 2006. Einsame Klasse. Diesmal produzierte Jack Frost, und das ist Dylan persönlich. Die never-ending-tour schien nie zu enden, Dylan zersägte seine alten Lieder, erfand sie neu, beissend und knurrend, Marginales folgte, ein Doppelalbum, aus der Hüfte geschossen, nicht wirklich wichtig, dafür essentielle Produktionen aus der OFFICIAL BOOTLEG SERIES, das letzte Wort war aber noch nicht gesungen. Über Dylans nächste Partyplatte gab es auch nichts Tolles zu sagen, sie verkaufte sich wie warme Semmeln, Dylan fur Nostalgiker und Barbecue-Freaks. Eher eine Regression im Dienste des Ichs, als ein weiteres mögliches Vermächntnis. Eine schrullige Platte mit Weihnachtsliedern gab es auch noch. Die Stimme hat manchen Winz gewiss tief erschrocken. Nun aber ist es soweit, 2012, TEMPEST, das nächste imposante Spätwerk. Die ersten Sounds tönen wie aus einem alten Radio, und als Dylans Stimmbänder ohne die letzte Ölung loslegen, inmitten eines alten Swingsounds aus den 30er/40er Jahren, mit Gitarren, die wie Klarinetten klingen, denke ich kurz an Louis Armstrong. Ein Hauch von Armstrong in Dylans Stimme? Unglaublich. Ein Freund aus England hat mir die neue Musik via Download geschickt, und ich gehe erst weit nach Mitternacht ins Bett. Es gibt Platten, die können Perspektiven über Nacht verändern, einen Spurwechsel bewirken, eine neue Wachheit provozieren. Man sollte sich besser davor hüten, solche Stimmen, mit denen uns eine lange Geschichte verbindet, als Ruhekissen zu begreifen, als Stillhalteabkommen, als Verwalten der eigenen Träume jenseits der Verwandlungslust. Es ist soweit, ich muss nur noch ein paar Mal in die Lieder hineinkriechen, es wird höchste Zeit, es ist schon spät! (für E.)

2012 27 Aug

Meldungen aus dem Hauptquartier von ECM

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Immerhin fünf Jazzneuheiten stehen bei ECM im September zur Veröffentlichung an:
 
Nik Bärtsch’s Ronin offeriert mit Live ein kraftvolles und atmosphärisches Live-Doppelalbum mit Mitschnitten aus Auftritten in Deutschland, Österreich, Holland, England und Japan. Der 2-CD-Set enthält die letzten Aufnahmen von Ronin mit Björn Meyers elegantem Bassspiel als einer der prägenden Stimmen der Band. Der neue Bassist Thomy Jordi hat im Stück “Modul 55” einen eindrucksvollen Einstand.
 
„Small Places“ ist das Nachfolgewerk zu “The Rub and Spare Change”, Michael Formaneks  ECM-Debüt als Leader aus dem Jahr 2010. Das neue Album präsentiert die gleiche Powerhouse-Band aus langjährigen Gleichgesinnten, dabei befindet sich Formanek in telepathischem Einverständnis mit Saxofonist Tim Berne, Pianist Craig Taborn und Drummer Gerald Cleaver.
 
Auch auf “Swept Away” kommuniziert ein Quartett aus Spitzenkönnern – Pianistin Eliane Elias, Bassist Marc Johnson, Drummer Joey Baron und Saxofonist Joe Lovano – durch Musik, die gleichermaßen einladend und sinnlich, lyrisch und voller Swing ist. Eliane Elias hatte mit den ECM-Veteranen Baron und Lovano schon auf Johnsons 2005er ECM-Album „Shades of Jade“ gespielt. “Swept Away” enthält eine Handvoll melodiensatter Elias-Kompositionen. Ein weiteres Highlight ist Marc Johnsons groovendes, östlich angehauchtes “When The Sun Comes Up”; mit Johnsons Solo-Fassung des amerikanischen Folksongs “Shenandoah” schließt das Album.
 
„Equilibrium“, das ECM-Debüt des Benedikt Jahnel Trios, bezieht viel Spannung aus den gegensätzlichen Spielweisen von Benedikt Jahnel (vielen auch als Pianist von Cyminology bekannt) und Drummer Owen Howard. Dabei findet sich Bassist Antonio Miguel nicht selten in der Rolle des musikalischen Vermittlers zwischen diesen Polen. Der Stil der Band integriert subtil Elemente aus der Klassik wie auch moderne Groove-Konzepte.
 
“Matanë Malit” (Hinter dem Berg), Elina Dunis ECM-Debüt, ist eine musikalische Hommage an Albanien. Ihre Jazz-Erfahrungen prägen ihre Forschungsreise durch Folksongs aus dem Balkan – mit wachem Bewusstsein für deren Atmosphäre, deren Klangwelt, ihre Strukturen, die Bedeutung hinter den Worten. Duni hatte Albanien 1992 als Zehnjährige verlassen.

 
 

 
 

„Shine a light / Move it on / You burned so bright / Roll on, John“. Das letzte Lied des Albums ist eine Liebeserklärung für einen alten Freund, John Lennon. Was Wohltuendes, ja, so kommt es einem vor. Einzelne Stationen aus Lennons Lebens blitzen auf, auch Songzitate, etwa „A Day In The Life“. Dylans Blick scheint stets ein rückwärtsgewandter zu sein, Geschichte abzuarbeiten: ist er nun doch altersmilde geworden? Ist „Roll on, John“ eine besinnliche Nummer zum Ausklang? Falsch, liebe Rock’n’Roll-Nostalgiker! Die simple Wahrheit dieses Liedes ist hammerhart. Dylan fühlt sich ein in die letzten Momente des durch einen feigen Mordanschlag innerlich Verblutenden, und das ist kein heiterer Tanz ins beglückende Jenseits. Das ist Agonie, mit flüchtig flackernden, letzten Bildern. Dann könnte womöglich doch etwas schief gehen, denn Dylan widmet sich in epischer Songlänge dem Untergang der Titanic (und zitiert dabei mehr als einmal Leonardo DiCaprio, oder ist es Leo Zimmerman, eim Namensvetter von Robert Zimmerman, und damals wirklich an Bord gewesen): „Leo took his sketchbook / he was often so inclined / he closed his eyes and painted / the scenery of his mind.“ Der Film war ein Schmachtfetzen, ein Blockbuster, aber eben auch eine sehr kalkulierte, auf Massengeschmack und Taschentücherkonsum, zugeschnittene Version der Geschichte. Zum Glück: wenn dieser zentrale Song von „Tempest“ ein Film wäre, er wäre in Schwarzweiss gedreht. Dylan erzählt nämlich keine lineare Story, vielmehr folgt er einmal mehr eiskaltem Sterben und darwinistischem Überlebenskampf. „Jeder  stirbt für sich allein“: Fallada hat recht (und Bob Dylan wäre, nebenbei bemerkt, ein grosser Fallada-Fan, hätte er diesen Roman gelesen.) Die Quellenforschungen Dylans reichen aber weit genug, wie wir es von seinen Bluesanklängen gewohnt sind, am liebsten ins Alte Amerika; die Ur-Country-Gruppe „The Carter Family“ hatte auch einst ein Lied zur Titanic angestimmt, und auch das verarbeitet Dylan (nur Dylan darf Muddy Waters-Riffs und alte Landmusik aufgreifen, ohne Quellen zu zitieren. Da hat er Narrenfreiheit, gut so). Tod, Untergang, Wirrungen, Horror, ja, und auch ein Serienkiller: Dylans gnadenloseste Platte seit „Modern Times“ ist ein Panoptikum des Unheils, und der rückwärts gewandte Blick holt all diese Stories aus historiscnen Absicherungen und nostalgisch abgemildertem „Es war einmal“ heraus, transportiert sie in einen unentwegten Strudel der Zeit, in eine nicht korrumpierbare Gegenwart. Alles beginnt, so scheint es, hoffnungsfroh, mit dem ersten Song, einer raffinierten „falschen Fährte“, beheimatet im guten alte Genre des „Train Songs“. Ein luftiges, burleskes Ding: „Duquesne Whistle“ wird von old time-Jazzklängen befeuert, der Grundton ist fast heiter, selbst die Vorboten des Unheils werden mit grossem Gleichmut vorgetragen: „Can’t you hear that Duquesne whistle blowin’/Blowin‘ like the sky’s gonna blow apart“. Und damit ist das Terrain eröffnet, in dem es in der Folge nur so wimmelt vor Lebenslügen, Katastrophen, und Todesfällen. Wer Dylans immer krächziger werdende Stimme auf seinen letzten Auftritten in Deutschland gehört hat, wird feststellen: da ist nichts geschminkt worden, aber keiner wird sich hinstellen und sich eine jüngere Ausgabe wünschen, einen retouchierten Dylan. Sie gehören einfach dazu, diese Bell- und Knurr- umd Zischlaute. Die Musik ist meilenweit entfernt von den entspannten Barbecue- und Partystimmungen seines letzten Studioalbums. Die alten Jungs an seiner Seite begleiten Dylan, wenn es sein muss, und hier muss es anscheinend sein, bis ans Ende der Nacht. Und hier werden keine Feuerzeuge in den schwarzen Himmel gereckt. Hier ist Schluss mit lustig. Die zweite Hälfte des Albums entwickelt einen solch dunklen Sog, das „Tempest“ fraglos zu seinen essentiellen vier „Spätwerken“ seit 1982 zu zählen sein wird, neben „Oh, Mercy“, „Time Out Of Mind“ und „Modern Times“. Die Schwärze verdichtet sich im gegrummelten, perfide kalt entworfenen Totentanz „Tin Angel“. „Tempest“ ist eine rohe, wütende Mixtur, in der sich alttestamentarische Glaubensreste und Endzeitahnungen durchdringen. Etwas ist ganz und gar aus den Fugen geraten. Aber was können wir tun? „Listen to that Duquesne whistle blow / Sounds like it’s on a final run.“ Gute Nacht, und viel Glück!

 

Auf meinem Kindle erhielt ich die Leseprobe eines Buches, dessen kommende Lektüre unausweichlich sein wird: Zeilen und Tage – Notizen 2008-2011, so sein Titel und der Autor erhärtet damit den Verdacht, Deutschlands bester Feuilletonist zu sein: aufklärend, unterhaltsam, seriös und subversiv zugleich. An einem „hohlen Sonntag“ (on a hollow sunday) hatte Peter Sloterdijk eines seiner zahlreichen Notizhefte aus dem Regal gezogen, um es zu transskribieren. Ausgewähltes aus den Heften Hundert bis Hundertelf scheint nun – redigiert und veröffentlicht – vergnügliche Blicke durchs Schlüsselloch freizugeben:

8.Mai, Karlsruhe. Das intellektuelle Überleben in dieser Stadt hängt zu wesentlichen Teilen von den Tischgesprächen mit den Freunden ab. Fehlt auch nur einer über längere Zeit, spürt man den Entzug. Boris berichtet gerade von einer jungen Russin, Dacha Jukowa, die als amtierende Geliebte von Roman Abramowitsch gilt, dem russischen Mogul von Chelsea. Er lernte sie kürzlich in London kennen, als sie am Rande eines von ihm gegebenen Seminars seinen Rat suchte: Sie interessiere sich neuerdings, eigentlich aber immer schon, für Kunst und möchte sich besser „orientieren“; zu diesem Zweck habe sie sich einen Privatjet gekauft. Der werde sie, so ihre Annahme, der Kunst näher bringen, die unglücklicherweise so weit verstreut ist …

Eine ironische Auflistung Alain de Bottons (Trost der Philosophie) besagt ja, dass der Besitz eines Flugzeugs neben anderen Dingen unverzichtbare Grundlage für ein glückliches Leben sei. Kommt dann noch die Kunst hinzu – umso besser. Auch Bazon Brock kommt in der Kindle-Leseprobe zu Wort. Sein koangleiches Doppel-Theorem Lerne zu leiden, ohne zu klagen und lerne zu klagen, ohne zu leiden! ist nicht ohne. Und wer der im obigen Zitat genannte Boris ist, das weiß der aufmerksame Manafonistas-Leser ohnehin, oder er findet es heraus, indem er diesen Namen in das Suchfeld eingibt.


Michael Chabon sets his sprawling new novel, Telegraph Avenue, in his adopted home of Berkeley, Calif., and its grittier southern neighbor, Oakland. With its multiracial, multigenerational cast of jazz musicians, former blaxploitation stars, midwives, gay teens and Black Panthers-turned-politicians, the book both celebrates and gently sends up the countercultural norms and complex racial politics of East Bay life. The plot nominally revolves around Archy Stallings‘ and Nat Jaffe’s efforts to save their used-record store (located on the eponymous Telegraph Avenue), which is threatened when a black football legend and entrepreneur makes plans to locate a media megastore in the neighborhood. (source: npr.org)

Michael Chabons nicht zuletzt an Nabokov geschulter Stil ist Geschmackssache. Die oft langen, verschachtelten Sätze können manieriert wirken, wenn sich eine Geschichte allzu langsam entwickelt. Die Sprachideen können die Handlungsideen lähmen, und so habe ich von ihm Bücher gelesen, die mich mal begeistert, mal gelangweilt haben. Die Inhaltsangabe des neuen Romans scheint auf ein grosses Feuerwerk hinzudeuten, in dem die Balance von Sprachvirtuosität, diversen Dialekten und „action“ wieder eine ganz gelungene sein könnte. Für die Übersetzung wird der Verlag Kiepenheuer & Witsch wieder Spitzenleute brauchen, und Zeit. (M.E.)

Excerpt: „Hello?“ Gwen called, letting herself in the front door. A small black Buddha greeted her from a low table by the front door, where it kept company with a photograph of Lydia Frankenthaler, the producer of an Oscar­-winning documentary film about the neglected plight of lesbians in Nazi Germany; Lydia’s partner, Garth; and Lydia’s daughter from her first marriage, a child whose father was black and whose name Gwen had forgotten. It was a Chinese Buddha, the kind that was supposed to pull in money and luck, jolly, baby­faced, and potbellied, reminding Gwen of her darling husband apart from the signal difference that you could rub the continental expanse of Archy Stallings’s abdomen for a very long time without attracting any flow of money in your direction. „Somebody having a baby around here?“


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