Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

 
 

 
 

„Shine a light / Move it on / You burned so bright / Roll on, John“. Das letzte Lied des Albums ist eine Liebeserklärung für einen alten Freund, John Lennon. Was Wohltuendes, ja, so kommt es einem vor. Einzelne Stationen aus Lennons Lebens blitzen auf, auch Songzitate, etwa „A Day In The Life“. Dylans Blick scheint stets ein rückwärtsgewandter zu sein, Geschichte abzuarbeiten: ist er nun doch altersmilde geworden? Ist „Roll on, John“ eine besinnliche Nummer zum Ausklang? Falsch, liebe Rock’n’Roll-Nostalgiker! Die simple Wahrheit dieses Liedes ist hammerhart. Dylan fühlt sich ein in die letzten Momente des durch einen feigen Mordanschlag innerlich Verblutenden, und das ist kein heiterer Tanz ins beglückende Jenseits. Das ist Agonie, mit flüchtig flackernden, letzten Bildern. Dann könnte womöglich doch etwas schief gehen, denn Dylan widmet sich in epischer Songlänge dem Untergang der Titanic (und zitiert dabei mehr als einmal Leonardo DiCaprio, oder ist es Leo Zimmerman, eim Namensvetter von Robert Zimmerman, und damals wirklich an Bord gewesen): „Leo took his sketchbook / he was often so inclined / he closed his eyes and painted / the scenery of his mind.“ Der Film war ein Schmachtfetzen, ein Blockbuster, aber eben auch eine sehr kalkulierte, auf Massengeschmack und Taschentücherkonsum, zugeschnittene Version der Geschichte. Zum Glück: wenn dieser zentrale Song von „Tempest“ ein Film wäre, er wäre in Schwarzweiss gedreht. Dylan erzählt nämlich keine lineare Story, vielmehr folgt er einmal mehr eiskaltem Sterben und darwinistischem Überlebenskampf. „Jeder  stirbt für sich allein“: Fallada hat recht (und Bob Dylan wäre, nebenbei bemerkt, ein grosser Fallada-Fan, hätte er diesen Roman gelesen.) Die Quellenforschungen Dylans reichen aber weit genug, wie wir es von seinen Bluesanklängen gewohnt sind, am liebsten ins Alte Amerika; die Ur-Country-Gruppe „The Carter Family“ hatte auch einst ein Lied zur Titanic angestimmt, und auch das verarbeitet Dylan (nur Dylan darf Muddy Waters-Riffs und alte Landmusik aufgreifen, ohne Quellen zu zitieren. Da hat er Narrenfreiheit, gut so). Tod, Untergang, Wirrungen, Horror, ja, und auch ein Serienkiller: Dylans gnadenloseste Platte seit „Modern Times“ ist ein Panoptikum des Unheils, und der rückwärts gewandte Blick holt all diese Stories aus historiscnen Absicherungen und nostalgisch abgemildertem „Es war einmal“ heraus, transportiert sie in einen unentwegten Strudel der Zeit, in eine nicht korrumpierbare Gegenwart. Alles beginnt, so scheint es, hoffnungsfroh, mit dem ersten Song, einer raffinierten „falschen Fährte“, beheimatet im guten alte Genre des „Train Songs“. Ein luftiges, burleskes Ding: „Duquesne Whistle“ wird von old time-Jazzklängen befeuert, der Grundton ist fast heiter, selbst die Vorboten des Unheils werden mit grossem Gleichmut vorgetragen: „Can’t you hear that Duquesne whistle blowin’/Blowin‘ like the sky’s gonna blow apart“. Und damit ist das Terrain eröffnet, in dem es in der Folge nur so wimmelt vor Lebenslügen, Katastrophen, und Todesfällen. Wer Dylans immer krächziger werdende Stimme auf seinen letzten Auftritten in Deutschland gehört hat, wird feststellen: da ist nichts geschminkt worden, aber keiner wird sich hinstellen und sich eine jüngere Ausgabe wünschen, einen retouchierten Dylan. Sie gehören einfach dazu, diese Bell- und Knurr- umd Zischlaute. Die Musik ist meilenweit entfernt von den entspannten Barbecue- und Partystimmungen seines letzten Studioalbums. Die alten Jungs an seiner Seite begleiten Dylan, wenn es sein muss, und hier muss es anscheinend sein, bis ans Ende der Nacht. Und hier werden keine Feuerzeuge in den schwarzen Himmel gereckt. Hier ist Schluss mit lustig. Die zweite Hälfte des Albums entwickelt einen solch dunklen Sog, das „Tempest“ fraglos zu seinen essentiellen vier „Spätwerken“ seit 1982 zu zählen sein wird, neben „Oh, Mercy“, „Time Out Of Mind“ und „Modern Times“. Die Schwärze verdichtet sich im gegrummelten, perfide kalt entworfenen Totentanz „Tin Angel“. „Tempest“ ist eine rohe, wütende Mixtur, in der sich alttestamentarische Glaubensreste und Endzeitahnungen durchdringen. Etwas ist ganz und gar aus den Fugen geraten. Aber was können wir tun? „Listen to that Duquesne whistle blow / Sounds like it’s on a final run.“ Gute Nacht, und viel Glück!

 

This entry was posted on Montag, 27. August 2012 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

2 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    Ein Dank an „die Quelle“, die mir das Album zugänglich gemacht hat:)

  2. Eric:

    Man muss ModBob eben mögen, aber die 5 Songs, die ich bislang gehört habe, gefallen mir schonmal sehr gut.


Manafonistas | Impressum | Kontakt | Datenschutz