Manafonistas

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Archives: Zeitreisen

In meiner Kindheit gab es eine Radiosendung, die nannte sich „Herr Sanders öffnet seinen Schallplattenschrank“. Der Musikgeschmack des Herrn Sanders sagte mir aber nicht so zu, und deshalb war ich, obwohl es für mich ungeheuer spannend war zu erfahren, ob nicht doch der eine oder andere Schatz gehoben werden könnte, nur für kurze Zeit sein Hörer.

Die ZEIT erinnerte an Herrn Sanders und schrieb im Juni 2005: „In Köln zum Beispiel, wo Heinrich Böll gerade Wo warst du, Adam? schrieb, leitete damals der in Breslau geborene Dirigent Franz Marszalek nicht nur das dortige Rundfunkorchester, sondern präsentierte auch eine Sendung, die den drolligen Titel Herr Sanders öffnet seinen Schallplattenschrank trug. Dieser Herr Sanders pflegte sein Publikum sehr geduldig auf das Abo Blau im Stadttheater vorzubereiten, wo es in der Pause Pikkolöchen von Deinhard gab. Und vorher und nachher Carmen.“

Seit Ende der fünfziger Jahren träume ich von einer Sendung, die den Namen trägt „Gregor öffnet seinen Plattenschrank“. Im Unterschied zu Sanders sollte es in dieser Sendung keine musikalischen Grenzen geben und damit eben zu wirklichen Überraschungen kommen, Schätze sollten gehoben werden, an Vergessenes erinnert, Neues präsentiert werden. Ja, und nun kommt es auf manafonistas.de zu einer „Trockenübung“. Es soll in lockerer Folge unter dem Titel „Gregor öffnet seinen Plattenschrank“ an Musiktitel erinnert werden, die es lohnt, einmal wieder herauszukramen und aufzulegen.

Allerdings hat Michael mit seiner hier veröffentlichten „My 50 All Time Favourite Albums“ mein Konzept für die erste Folge von „Gregor öffnet seinen Plattenschrank“ vollkommen durcheinander gebracht, denn nun kam mir die Idee, mit der Vorstellung von fünf meiner „100 All Time Favourite Titel“ zu beginnen (allerdings ganz ohne Platzierungsvorstellung). Mit der Vorstellung der nun folgenden Titel ist dann auch die Tiefe und Weite meines Plattenschranks abgesteckt:

1. 1973 im Herbst, erstes Semester meines Studiums in Bielefeld, ein Besuch in der Altstädter Nicolaikirche: plötzlich rauschen vollkommen fremde Orgelklänge von der Empore herunter. Nach dem Gottesdienst steige ich zum Organisten hinauf, ich muss unbedingt wissen, was für eine Musik da eben gespielt wurde. Es war französiche Orgelmusik, genauer, Musik von Olivier Messiaen. Diese Musik fesselt mich seitdem. Für heute wähle ich aus dem „Livre Du Saint Sacrement“ von Olivier Messiaen (1908-1992) das Stück: „La Resurrection Du Christ“ mit A. Rößler an der Orgel des Passauer Doms. Rößler spielte die Uraufführung des letzten großen Orgelzyklus, der Meister selbst konnte damals seine Komposition nicht mehr spielen.

2. „John Surman: Road to Saint Ives“ erschien 1990 bei ECM. John Surman spielte diese Platte solo ein (soprano, baritone saxophone, bass clarinet, keyboards, percussion). Auf dieser Platte befindet sich ein unglaubliches Stück, ein Musikstück, für mich ungeheuer mitreißend und tiefgründig: „Tintagel“! „Tintagel“, einer Ortschaft inmitten eines zerklüfteten Küstenabschnitts der Grafschaft Cornwall, wird hier ein musikalisches Denkmal gesetzt.

3. 1969 erschien das großartige Album „Miles Davis: In A Silent Way“ Das Titelstück „In A Silent Way“ begeistert mich besonders wegen der Spannung, die sich in diesem Stück aufbaut und die sich erst auflöst, wenn Tony Williams am Schlagzeug so richtig loslegt.

4. Smokey Robinson & The Miracles veröffentlichten im Juli 1970 „The Tears of a Clown“, am 12.9.1970 kletterten Sie mit ihrer U.K.version auf Platz 1 der britischen Hitparade. In Deutschland nahm man von dieser wunderbaren Platte kaum Notiz, aber der Musikbox-Aufsteller in der Milchbar meines Heimatortes hatte ein Einsehen und stellte die Platte ein. Ich weiß nicht, wie oft ich diese Platte gedrückt habe, bis ich sie mir endlich für 4,75 DM gekauft habe. Heute hat sie einen unverrückbaren Ehrenplatz in meiner eigenen Jukebox.

5. Bei OWL Records erschien 1984 eine der wohl besten Platten des Pianisten Paul Bley. Produzent dieses famosen Werkes war Jean-Jacques Pussiau. Ein Werk aus der Stille kommend, sehr intensiv, ungeheuer konzentriert, auf das Wesentliche reduziert. Titel der Schallplatte „Tears“. Und, da es ja hier um Titel gehen soll: Das Titelstück „Tears“ stellt tatsächlich das Zentrum der Platte dar.

2011 5 Aug.

How To Kill A Memory

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The Marmalade – „Reflections Of My Life“

 

SWAPDELTA Inc. entwickelt eine Oldie-Zerstörungsmaschine. Wir alle kennen Songs, die wir lieben oder liebten, aus unseren jungen Jahren. Die Oldie-Zerstörungsmaschine  hilft, sich von einzelnen Episoden zu trennen, generell loszulassen. Sie kennen das Lied mit den Zeilen THIS WILL BE THE LAST TIME … (mit der Oldie-Zerstörungsmaschine wird es tatsächlich das letzte Mal sein). Sie speichern das jeweilige Lied ein (zum Beispiel obiges, der Höhepunkt von The Marmalade) – und mittels einer bestimmten Software hören Sie, wie das Lied immer mehr an Kontur verliert und letztlich in sich zusammenbricht, mit einem seufzenden Geräusch. Sir erleben hautnah die Zerstörung eines Lieblingssongs, die so lange dauert wie der Song selbst. Immer wieder schnappen Sie einzelne Fragmente auf, und dann – Ende Gelände. Warum sollten Sie so blöd sein, fragen Sie. Die Destruktion des Songs geht erstmal durchaus fantasievoll vonstatten, nicht umsonst kostet das Teil 430 Euro. Richard Brautigan hat mal eine Geschichte darüber geschrieben, wie er sein Radio in Brand setzte und die Lieder sich dann in Rauch auflösten. Aber wir leben in einer anderen Zeit, und wir stecken uns auch nicht, wie der Hippie-Poet, einen Gewehrlauf in den Mund. Wir fangen noch einmal an. Wir lassen nur etwas Gepäck zurück. Irgendwann müssen wir ja mal damit anfangen. Sie sind also gar nicht blöd, wenn Sie sich die Maschine von SWAPDELTA Inc. zulegen. Die Trauerarbeit dauert nur so lange, bis der Song zerstört ist. Danach sagt Ihnen das Lied nichts mehr, nie wieder. Sie haben sich ein Stück Gegenwart zurück erobert. You´re welcome!

2011 3 Juli

A Dublin Accent

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Once hitchhiking in Ireland, an elderly couple picked me up. After a while of nice conversation the Lady turned her head and asked me, who was sitting on the backseat
of the car: „Are you from Dublin, Dear? You´ve got a Dublin Accent!“

I was astonished and replied: „No, Lady, I´m not irish – I am from Bremen, Germany.“
„Oh, really? Then your English is quite good“ and to her husband she said:
„He definitely has a Dublin Accent, hasnt´t he?“

I felt a little proud and took it as a compliment for years – unless one day, by chance,
i heard a Dubliner speaking in his native language and it hit me like a stroke: he sounded like a stranger, speaking in a strange language. He sounded like a guy from Bremen, who speaks like tripping over a sharp stone; who speaks like not speaking english very well.

 

Hörte ein Stück im Radio, 1995, eine Interpretation von „Don’t Let Me Be Misunderstood“ und dachte: Hey, das ist was Neues. Also ab in´n Plattenladen, denn da werden sie geholfen, und gefragt: Wo kommt das her? Robben Ford and The Blue Line, aha, HANDFUL OF BLUES. Pocketful of Money, deshalb gleich gekauft. Wurde Kult, für mich persönlich.

Die Stimme: gewöhnungsbedürftig, etwas dünn, aber mit Feeling. Umso fülliger, auch mit Feeling: die Gitarre. Das Trio mit Tom Brechtlein on drums und Roscoe Beck (der im Cover-Booklet aussieht wie ein geschniegelter Tom Waits) on bass bildet die Grundformation, teilweise verstärkt durch Hammond, Harmonica, E-Piano, 2nd Guitar (Danny Kortschmar). Produced by Danny Kortschmar, Chick Corea and Ron Moss.

Handwerklich perfekt, absolut zeitlos, Referenz. Dazu eine Intensität, Geradlinigkeit und postmoderne Spielfreude, die einen Bluesabstinenzler wie mich zum Bluesfan machte und heut‘, nach 16 Jahren, geht immer noch die Post beim Hören ab. Ging damals auch zum Konzert (4 Linden in Hildesheim). Viele Rocker war’n da, Bluesfreaks, Holzfällerhemden und Holzfällerhemdenbräute, als wäre Twin Peaks in Niedersachsen. Fantastische Live-Performance, auch. Robben Ford Live: jederzeit wieder.

Das beste Stück neben „Running Out On Me“ und „When I Leave Here“ ist „Strong Will To Live“ (mit Kontrabass!!). Von der ersten bis zur letzten: jede Note, jede Phrasierung steht wie ’ne Eins. Blues wird hier zelebriert, als sei´s ein akkurates und gediegenes Handwerk – along the blue line.

 
 
 

 

2011 14 Juni

Reader´s Digest

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Das Folgende gehört wohl stimmungsmäßig zum Erna-Und-Herbert-Zyklus unserer Kalendergeschichten, ist zeitlich teilweise sogar noch etwas früher angesiedelt: meine Eltern, nennen wir sie hier mal Jan und Elsbeth, hatten damals, als wir Kinder waren, alles Mögliche abonniert: regelmäßige Büchersendungen vom Bertelsmannverlag, verschiedene Zeitschriften. Darunter auch Eltern, ein Magazin, das Hilfestellung gab bei der fachgerechten Aufzucht der nicht immer pflegeleichten Gören.

Als gerademal Zehnjähriger las ich darin mit detektivischer Sorgfalt, um zu prüfen, ob der Inhalt auch meinem Interesse und dem meiner kleinen Geschwister entsprach. Mit Freude und Genugtuung stellte ich fest, dass ein Artikel über O´Neills Summerhill dazu führte, dass Jan und Elsbeth ein Buch dieses Autors über „Antiautoritäre Erziehung“ kauften. Ich entlieh es klammheimlich vom Nachttisch, las es selbst und war erfreut: „Um meine Eltern muß ich mir keine Sorgen machen, sie sind auf einem guten Weg“. Dass man hier und da mal rückfällig wurde – geschenkt. Die Nazizeit lag ja grad mal ein paar Jährchen zurück.

Als mir zum Ende eines heissen, sonnenreichen Sommers – ich war schon deutlich älter als Zehn – der illegale Anbau gewisser Pflanzen, die Ähnlichkeiten mit Tomaten aufweisen, gut einen Meter „über den Kopf wuchs“, fragte Jan nach feierabendlichem Rundgang auf dem großen Grundstück: „Was sind das da oben eigentlich für riesige Pflanzen, Elsbeth?“
Seine Frau entgegnete: „Das? Ooch, das sind Tomaten.“ Warum ein landwirtschaftlich äußerst bewanderter Mann wie Jan dem nicht weiter nachging? Vielleicht der Einfluss der englischen Summerhillschule, vielleicht die Feierabendmüdigkeit, vielleicht auch die Einsicht in liberal-matriarchale Vernunft nach patriarchal dominierendem Arbeitsalltag.

Die Motivation meiner Mutter hingegen kannte ich, hatte ich ihr doch einen winzigen Teil der Ernte als äußerst gesunde, appetitanregende Gewürzmischung versprochen und angepriesen. – Worauf ich aber eigentlich hinauswollte: unter den oben erwähnten abonnierten Zeitschriften befand sich auch eine eher buchähnliche: Reader´s Digest.
In letzter Zeit denke ich oft an dieses merkwürdige Sammelsurium aus Allem und Nichts (Everything And Nothing), an dieses Kuriositätenkabinett – so jedenfalls hab ich es in Erinnerung. Ähnlichkeiten mit einem vielversprechenden Blog auf dem aufsteigenden Ast,
der auch zu Allem und Jedem was verfasst, sind natürlich rein zufällig. Sein Name: Manafonistas.


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