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Archives: Stephan Mathieu

Zehn Jahre ist es nun her. Im Alpha-Room wartet nach Sylvians erstmals live dargebotener Version seiner alten Komposition „Plight & Premonition“ ein seltsames Set-Up auf die Zuhörer: ein altes, leicht derangiert wirkendes Kofferradio von Telefunken, eine Tischzither, die vor Ewigkeiten von Gospelmusikern gespielt wurde, kleine wie Kinderspielzeug aussehende Klangerzeuger, mit denen die Saiten der Zither in Schwingung versetzt werden. Mittels Frequenzanalyse werden die nicht vorherhörbaren Radiosignale und die obertonreichen Tischzithermanipulationen verrechnet, und zaubern ein Soundgewebe in den Saal, welches von Stephan Mathieu in der Live-Situation subtil verwandelt wird.

 
 

 
 

Der Mann aus Saarbrücken arbeitet mit lebendigen Drones, er fühlte sich auf seinem Weg gewiss ermutigt von La Monte Young, Phil Niblock oder Thomas Köner. Interessant auch, dass Klangströme aus Sylvians “Plight and Premonition” vollkommen verwandelt auftauchten, Spuren des Originals liessen sich allenfalls ahnen und „hellhören“. Es war der ideale Ausklang dieses Konzerttages, eine Musik, die sich, wie Sylvians Zeitreise, in manche Träume eingeschmuggelt haben wird. Unter dem Strich gab es also drei “streams”, die einander modulieren: eine Zither, ein Radio, und Davids Band. Stephan Mathieu bearbeitete gar die gesamte 2. Hälfte der Sylvian-Aufführung, also den kompletten Stereo-Mix, der aus der PA kam. Man befindet sich eher in einer “Parallelwelt”.

 

Peter J. Schwalm war beeindruckt von der Performance des Herrn Mathieu. Ein weiteres Highlight von Punkt 2011. Er fotografierte den kleinen Aufbau der Gerätschaften, man fühlte sich wahrlich wie in ein Museum versetzt. Stephan Mathieu kombiniert das Uralte und das Highfidele ohne nostalgischen Zierat. Er besitzt einer Sammlung rarer Schellackplatten aus den 10er und 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Und er nennt auch alte Grammophone sein eigen, räumt im Gespräch gern mit den Vorurteilen auf, diese ehrwürdigen Teile hätten in ihrer Zeit eher gruselig geklungen. Das Gegenteil sei der Fall. Und er beschreibt, wie es sich anhörte, damals, als sich die Stahlnadel auf eine Robert Johnson-Bluesplatte senkte. Auch Mathieu pflegt die Praxis der Zeitreisen.

Da kommen sie, schlicht gekleidet, auf die Bühne des Lichtspieltheaters. Ein Deutscher, ein Österreicher, ein Engländer. Stephan Mathieu liebt alte Grammophone, Christian Fennesz das elektrische Gitarrenspiel von Neil Young, und David Sylvian die Gedichte von Emily Dickinson. Kein Pappenstiel, die folgenden 70 Minuten. Wer solch fein gesponnene Kammermusik aus dem Geiste von Ambient, Drone und Sample schätzt, oder Zeiten kennt, in denen man sich vom strengen Morton Feldman eine dunkelblaue Stunde verordnen lässt (um die Sinne zu schärfen), kommt dem kühlen Mr. Sylvian und seiner „Kilowatt Hour“ leichter auf die Spur. In gewissen Abständen betritt eine geisterhafte Stimme das Rund, die in einem verwitterten, betagten Amerikanisch allerlei Unheiteres erzählt, was wahlweise auf Krankheit, Sinnverlust, Drogen, oder letzte Anstrengungen schliessen lässt, ein Beckett’sches Endspiel läuft da vor unseren Ohren ab, der Resthumor wird vom letzten Licht verschluckt. Die Stimme erinnert mich an William Burroughs, diese staubtrockene Beharrlichkeit in einem Laurie Anderson-Song. Sharkey’s Night? (Wie ich am nächsten Morgen herausfand, stammen Stimme und Texte von Franz Wright. David Sylvian hat ihn besucht, und die Aufnahme geleitet.)  Die Kilowattstunde mutiert zur Tranceinduktion, lieber läge ich lauschend auf einer Hängematte. Wo kommen die Klaviertöne her, die durchs Dunkel taumeln? Immerhin greift Fennesz manchmal zur Gitarre und verströmt einen dezenten Hauch aus der Ursuppe der Rockmusik. Mit seinem Set-up sorgt Stephan Mathieu für jene  Weite, die jeder Beklommenheit, jeder Enge entgegen arbeitet. Überschwang geht natürlich gar nicht, die Stimme aus dem Off ist zwar merklich angeschlagen, duldet jedoch weder Zuspruch, noch milde Gaben. Das Höchste der Gefühle ist eine kurze flackernde Reminiszenz an ein altes Lied, aus Frank Sinatras Schallplatte „Only The Lonely“. A dead bird is not a dead bird, wittert die Stimme mit den zahllosen Jahresringen, Einrissen und Erosionen. Im Hintergrund ist die Bildsprache beredt und raumgreifend im besten Sinn, die Ähren wiegen sich im Wind, und der tote Vogel zieht seine Kreise im Traum eines Anderen. Existenzieller Stoff. Dunkelspieltheater. Aus. Vorbei.

Bei google/maps können Sie sich ja mal die Gegend anschauen: Bambush 69,
B-4850 Moresnet
ist die genaue Adresse des belgischen Restaurants Le Gregalin. Allerdings sollte der deutsche Neuankömmling die Strasse, die direkt vor der kleinen Eingangstür liegt, sorgsam beachten, denn mit 70 km/h, und oft weitaus schneller, flitzen die Autos vor der eigenen Nase vorbei.

 
 
 

(direkt am Restaurant aufgenommen, die schmale Strasse im Visier)
 
 
Hinter dem altem Mauerwerk verbirgt sich ein elegant-minimalistisches Ambiente. Und noch besser, eines der besten Restaurants der Region. Die Zwei, die den Laden schmeissen, sind freundlich, wechseln spielend zwischen den Sprachen der belgischen und deutschen Gäste. Das Essen ist fantasievoll, ohne überkandidelt zu sein. So ass ich heute eine gegrillte Wassermelone mit Roquefort und Chorizo, hauchdünn geschnittenen Salamischeiben. Eine leicht erwärmte Wassermelone mag an heissen Tagen ein Stirnrunzeln auslösen, das aber von dem Erlebnis dieser besonderen Zusammenstellung Lügen gestraft wird.
 
 
 

(die gegrillte Wassermelone im Gegenlicht)
 
 

Bin ich dort allein, nähern sich mir fortlaufend gute Gedanken, die vom Genuss kühlen stillen Wassers noch an Klarheit und Kontur gewinnen. So kam ich von einer Sekunde zur andern darauf, wie in meiner nächsten Ausgabe der Klanghorizonte, am 22. Juni, das Flair einer alten Zeit (Maria Sardovska, June Tabor, Stephan Mathieu) und die Klangfantasien dystopischer Gegenwarts- und Zukunftsräume (Boards of Canada, Pan American) einander Spiegel sein können.

Es funktioniert mit Fragmenten alter Gitarrendröhnungen, architektonischen Sichtungen in einem alten modernen Amerika anno 1960 inklusive glasverspiegelter Flughafenareale – und mit „vergrabenen Stimmen“. Das schottische Duo von Boards of Canada muss jedemfalls in der Abteilung „Library Music“ geforscht , und dabei allerlei Stimmenexotika ans Licht gefördert haben, die sie auf ihrem neuen Album „Tomorrow’s Harvest“ raffiniert verfremden.

Und Stephan Mathieu lässt seinerseits auf seinem fantastischen Album „Un Coeur Simple“ neben Rauschklangerfahrungen der feineren Art auch manche geliebte alte Klangquelle ertönen, so die Aufzeichnung eines belgischen oder französischen Chores, der sich in den Zwanziger oder Dreissiger Jahren des letzten Jahrhunderts eindrucksvoll um ein Liebeslied von Monsieur Dufay gekümmert hat. Mathieu lässt diese Rarität erklingen, um sie allmählich in alle Windesrichtungen aufzulösen, zu zerstäuben! Das Gespenstische solcher Vokalbearbeitungen (bei Boards of Canada wie bei Stephan Mathieu) erlaubt solche Verwirbelungen der Zeit.
 
 
 

(Le Gregalin von vorne, vom Parkplatz aus)
 
 

A propos Verwirbelungen der Zeit: schon öfter wurde Chefkoch Gregory gebeten, einen Ring im Dessert zu „verstecken“, damit bei einem stilvollen Ambiente im Gregalin ein Heiratsantrag gemacht werden konnte. Montags und Dienstags hat Le Gregalin übrigens geschlossen. Die Küche ist von 12.00 bis 14.00 Uhr und von 18.00 bis 22.00 Uhr geöffnet. Sonntags heisst Sie der feine Laden von der Mittagsstunde an durchweg willkommen, es empfiehlt sich eine telefonische Reservierung.


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