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Archives: Musik und Zahl

 
 

 
 

Es ist schon sehr lange her – Micha saß eventuell in der Untertertia des Gymnasiums – ich saß in einem Schallplattenladen in der Sonnenstraße zu München. Der Laden verfügte über vier einigermaßen schalldichte Kabinen, ausgestattet mit Lautsprechern. Ob es solche Läden heute noch gibt? Es war mein Klassikladen in München. Klassik gab’s ja nicht in der Gleichmannstraße 10 bei jazz by post. Ich hörte mir Klaviersonaten von Prokofiev an, als die Tür aufging und zwei Schüler – vielleicht Obersekunda – eintraten mit einem dicken Packerl LPs unter dem Arm. Wir kamen ein wenig ins Gespräch. Die beiden wunderten sich, was ich für komisches Zeug anhöre und ich ließ mir zeigen, was sie aufzulegen vorhatten: klar, Rockscheiben, aber von mir völlig unbekannten Bands. Ich fragte nach, was sie veranlasst habe, diese Alben auszuwählen, ob sie die Bands kennen würden. „Nee, aber die Plattencovers sind geil“ sagte einer der beiden sinngemäß. Aha.

Vor 2 bis 3 Jahren kannte ich die Namen „RONIN“ und „Nik Bärtsch“ nicht. Sie tauchen ja nicht in den SPIEGEL-Bestseller-Listen auf. Ihre Musik ist mir auch im Radio nie begegnet und selbst im Manafonistas-Blog sind sie mir nicht aufgefallen. Es war Zufall, dass ich auf RONIN aufmerksam wurde. Beim Durchblättern des Qobuz-Streaming-Portals bin ich hängen geblieben. Da fielen mir Track-Titel auf, die aus MODUL und einer Zahl bestanden. „Geile Titel“ dachte ich – sinngemäß. Aha.

So ein MODUL hörte ich mir an, fand nicht nur den Titel witzig (i.e. verblüffend, ungewöhnlich, originell etc.), sondern auch die Musik. Bald kaufte ich das Album NIK BÄRTSCH’S RONIN LIVE und hatte den Wunsch, die Band live zu erleben. Der Wunsch ging am 22. November 2019 in Erfüllung. Nachfolgend hat mich Nik Bärtschs Musik brennend interessiert und beschäftigt. Irgendwann dachte ich daran, mich mit meinen Mutmaßungen unmittelbar an Nik zu wenden. Hier sind die Ergebnisse unseres Mail-Ping-Pongs. Niks Worte sind in manafonistasbrauner Schrift dargestellt, etwa so:

 

Danke für Deinen umfassenden Bericht und die Hintergründe. Ich habe mich sehr darüber gefreut. Herzliche Güsse auch an Michael. Meine Comments, siehe unten.

 

Als Hörer kann man ja neugierig sein, was der Künstler sich gedacht hat – sag ich jetzt mal so nichtssagend flapsig. Vielleicht ist man als Künstler auch neugierig, was beim Hörer ausgelöst wird – oft sind ja nur die vibrations wahrnehmbar & natürlich der Beifall.

 
unbedingt, danke

 

MODUL

 

Ein Titel, der einigermaßen selten gewählt wird für Musikstücke. Nik Bärtsch & seine Bands RONIN, MOBILE etc. spielen reine Instrumentalmusik. Dass Instrumentalmusik und Vokalmusik als gleichrangig gelten, ist für uns eine fraglose Selbstverständlichkeit.

 

Musikhistorischer Exkurs

 

„Sonate, que me veux-tu?“
„Sonate, was willst du von mir?“
„Sonate, was willst du mir sagen?“

 

Diese Frage wird dem frz. Philosophen Bernard de Fontenelle (1657-1757) zugeschrieben. Er soll sie gestellt haben bei einem Konzert, das ausschließlich aus Instrumentalmusik bestand. Welche Bedeutung kann solche Musik ohne Worte haben?

 

Gute Frage, da gibt es ja eine ganze Debatte dazu im 19. Jahrhundert. Interessant ist wieder einmal Strawinsky dazu:
 

„Manchmal fühle ich mich wie jene alten Männer, denen Gulliver auf der Reise nach Laputa begegnet: Sie haben der Sprache entsagt und versuchen, sich mit Hilfe von Objekten zu verständigen. Ein Komponist befindet sich immer in dieser Lage, da er keine verbale Kontrolle über seine Musik hat. Der einzige wahre Kommentar zu einem Musikstück ist ein anderes Musikstück.“

 

Vokalmusik dominierte die Musik des europäischen Kulturraums bis ins ausgehende 16. Jahrhundert. Instrumentalmusik galt als zweitrangig nach der wortgebundenen Vokalmusik. Sie existierte in selbstständiger Form als Tanzmusik, Militärmusik, u.ä. Sie existierte als “Zutat” von Vokalwerken, als “Intrada”, “Sinfonia”, “Ritornello”. Das sind neutrale Bezeichnungen, so wie auch “Sonata”, “Klavierstück” (Karlheinz Stockhausen), “Study” (Conlon Nancarrow), “MODUL” …

 

Ganz genau!!! Keine inhaltlichen Vorgaben, der Hörer und die Spielerin dürfen in der Musik hören, was sie möchten.

 

Es dauerte etwa 200 Jahre, bis sich nach einem längeren Prozess ein Paradigmenwechsel vollzogen hat. E.T.A. Hoffmann schreibt im Jahr 1810 in seiner berühmten Rezension von Beethovens 5. Sinfonie:

 

Wenn von der Musik als einer selbstständigen Kunst die Rede ist, sollte immer nur die Instrumental-Musik gemeint seyn, welche, jede Hülfe, jede Beymischung einer andern Kunst verschmähend, das eigenthümliche, nur in ihr zu erkennende Wesen der Kunst rein ausspricht. Sie ist die romantischste aller Künste, – fast möchte man sagen, allein rein romantisch.

 

Das ist genau die Debatte, die ich meinte.

 

Titel von Jazz-Stücken
 

Wenn es um Standards geht, sind es die Titel von Vokalnummern aus Musicals, Filmen usw. Es scheint zur Gewohnheit geworden zu sein, später auch Stücke die keinerlei Text-Bezug haben mit poetischen Titeln zu versehen – “Long as you know you’re living yours” / “Mortgage on my Soul” / “Follow the crooked Path” / “Human” …

 

Exakt

 

„MODUL, que me veux-tu?“
„MODUL, was willst du mir sagen?“

 

Ich weiß nicht, was Ísland bedeutet. Anders gesagt, ich habe keine Ahnung, was der Kosmos bedeutet. Ich finde Ísland & den Kosmos einfach toll. Ich finde Niks MODULE auch toll – toll, wie eine hinreißende Landschaft.

 

interessant, das meine ich genau, DU kannst entscheiden, DEINE Fantasie ist ebenso wichtig wie das Stück.

 

Geht es überhaupt um Ausdruck in Niks Musik? Oder ist Niks Musik nicht einfach ein kleiner Kosmos im großen Kosmos. You know: ich finde Ísland & den Kosmos & Niks MODULE einfach toll …

 

Finde ich eine adäquate Umschreibung. Natürlich gelten Regeln der Musik auch in meinem Kosmos, aber er hat schon eine eigene Logik und Grammatik.

 

Vielleicht wählt Nik den Titel MODUL, weil damit jeder Hinweis auf eine „Bedeutung“ oder einen „Ausdruck“ unterbleibt.

 
Genau
 

Was sagt Igor Stravinsky? Dies hier:

 

Ich bin der Ansicht, daß die Musik ihrem Wesen nach unfähig ist, irgend etwas ,auszudrücken‘, was es auch sein möge: ein Gefühl, eine Haltung, einen psychologischen Zustand, ein Naturphänomen oder was sonst. Der ,Ausdruck‘ ist nie eine immanente Eigenschaft der Musik gewesen, und auf keine Weise ist ihre Daseinsberechtigung vom ,Ausdruck‘ abhängig. Wenn, wie es fast immer der Fall ist, die Musik etwas auszudrücken scheint, so ist dies Illusion und nicht Wirklichkeit. Es ist nichts als eine äußere Zutat, eine Eigenschaft, die wir der Musik leihen gemäß altem stillschweigend übernommenem Herkommen, und mit der wir sie versehen wie mit einer Etikette, einer Formel — kurz, es ist ein Kleid, das wir aus Gewohnheit und mangelnder Einsicht allmählich mit dem Wesen verwechseln, dem wir es übergezogen haben.
All diese Mißverständnisse entstehen dadurch, daß diese Leute in der Musik immer etwas anderes als Musik finden wollen. Für sie ist es wichtig, zu wissen, was die Musik ausdrückt, was der Komponist wohl gedacht hat, als er sie schrieb. Sie können nicht begreifen, daß die Musik eine Sache ,für sich‘ ist und völlig unabhängig von den Gedanken, die sie in ihnen erweckt. Anders gesagt: die Musik interessiert sie nur, soweit sie an Dinge rührt, die zwar nicht in ihr enthalten sind, die aber bei ihnen gewohnte Gefühle erwecken.

 

Diese Äusserungen kenn ich auch und kann viel damit anfangen. Ich würde aber „den Leuten“ nicht zu nahe treten und jeder Mensch darf in der Musik hören, was er möchte. Toll ist es natürlich, wenn dabei etwas Neues in einem entsteht!

 

Hmm, was richtet Musik bei den Hörenden an? Vielleicht gibt es so viele Möglichkeiten, wie es Menschen gibt und gab. Zunächst muss man sich überhaupt von den Klängen angesprochen fühlen, zur Resonanz angeregt werden, d.h. sie überhaupt anhören wollen. Bei mir geht sehr oft „emotionales“ und strukturelles Hören Hand in Hand. Außerdem kann das, was ich zur Zeit gerne und oft höre sich gehörig unterscheiden, etwa

 

– RONIN
– Ravel, Gaspard de la nuit
– Rachmaninoffs 3. Piano Concerto
– Shai Maestro
– Miles Davis, Cellar Door Sessions 1970

 

Am Freitag dürfte die CD Entendre bei mir eintreffen. Aber ich kenne das Album ja schon. Ich finde es ganz wunderbar:

 

klangsinnlich
intellektuell anspruchsvoll
MODUL 55 blickt in die Ferne mit kurzen Einsprengseln, die ich mir auf einer persischen Santur gespielt vorstellen könnte
pianistisch sehr beeindruckend
feine Balance von Strenge und Freiheit
abwechslungsreich

 

Danke für Deine Rückmeldung, wie immer sehr interessant und passend.

 

RHYTHMUS
 

Dass Nik & RONIN sowie weitere Formationen etwas ganz EIGENES erdacht haben, merkt man sofort beim allerersten Höreindruck. Oberflächlich/wenig tief hörend/vereinfacht hält man es für ein „Wesen“ aus dem (Be)Reich der repetitiven Musik, die ja seit den 60er/70er Jahren auch im westlichen Kulturkreis existiert. Nik Bärtschs Konzept beruht auf repetitiven Patterns von unterschiedlicher Länge, deren Überlagerung ein hörend kaum zu durchschauendes irisierendes Ganzes bilden. Ein einzelnes Pattern mag einfach sein. Im Zusammenwirken fordern sie von den Bandmitgliedern höchste Konzentration und Präzision. Erstaunlich finde ich, wie Nik es schafft, Piano Solo diese vertrackten Zeitstrukturen wie es scheint mühelos vorzutragen. Ich gehe davon aus, dass Nik wenigstens anfangs eine klassische Ausbildung am Klavier durchlief, also mit Bach, Beethoven etc.

 

Nicht am Anfang, ich spielte Boogie-Woogie, dann Blues, Jazz, Latin, Gershwin, Bartók, dann Klassik von Bach bis modernste abstrakte Komponisten. Op.27 von Anton Webern auswendig gelernt etc …

 

In der Klassischen Musik (17. bis 19.Jh.) wird man die komplexen Zeitstreckenkombinationen von Niks Kompositionen nie antreffen. Ich kann mir gut vorstellen, dass ein klassisch geschulter Pianist mit der Zeitorganisation von Niks MODULEN überfordert ist, vor allem dann, wenn er die eigentlich einprägsamen Patterns in ihrer irritierenden Verflechtung ohne ein Notenblatt vor Augen darbieten soll. Nik habe ich übrigens nie mit einem Notenblatt erwischt ( Live / YouTube / yourstage.life ).

 

Stimmt haargenau. Im Anhang Notenblätter von 5, 26, 42 (Vienna), 55, 13, 58 gibts nur als Band Versionen, 58 ist quasi eine Improvisation mit den Patterns in dem Modul.

 

MODUL 13
 

Anhand von MODUL 13 möchte ich ein wenig verdeutlichen, was es mit der erwähnten speziellen Zeitgestaltung auf sich hat. MODUL 13 erscheint auf dem neuen Album „Entendre“, liegt aber schon seit 2002 auf dem Album „Hishiryo“ vor. Auf diese ältere Version beziehe ich mich, und zwar auf Episode 2 (3:12 bis 4:03). Auf Vorzeichen habe ich in den Notentexten verzichtet. Es kommen folgende Töne vor: as / ces / es / f / ges

 

 

Dieses Pattern erklingt 8 mal. Es ist 8 + 9 (in summa 17) Zeiteinheiten lang. ’8‘ beginnt mit einer Achtelpause, ’9‘ besteht aus neun Achtelpausen.

 

 

Hier liegen 2 Patterns vor. Das einfache der beiden Patterns ist der orange gezeichnete Cymbal-Klang, der für sich genommen extrem simpel ist: gleichmäßige Impulse im Abstand von 4 Zeiteinheiten. Das zweite Pattern ist in zwei Schichten notiert. Im Notenbeispiel stehen in der oberen Zeile die akzentuierten Töne, darunter die Figuration, welche jeweils mit einem akzentuierten Ton beginnt. Es gibt darin 2 Zeitstrecken:

 

4+4+5 (13 Zeiteinheiten)
4+4+4+4+5 (21 Zeiteinheiten, vollständig sichtbar in Bild 3)

 

 

Im vorhergehenden Notenbeispiel (Bild 2) ist ein wichtiger Ton, ein rhythmischer Impuls ausgelassen. Hier in Bild 3 ist er als blauer Klecks zu sehen. Pattern 1 ist auch dabei. Die „blauen Pulse“ erklingen regelmäßig im Abstand von 2 Zeiteinheiten. Für sich allein genommen ist jedes Pattern alles andere als eine pianistische Herausforderung. Das Zusammenbringen durch einen Solospieler ist jedoch zum Verrücktwerden knifflig. Ob der Cymbalklang per Fußpedal eingebunden wird ???

 

Das Cymbal habe ich danach aufgenommen.

 

Die Patterns umfassen Zeitstrecken, welche der Klassischen Musik des 17./18./19. Jahrhunderts völlig fremd sind, in ihrer simultanen Überlagerung sowieso. Ich frage mich natürlich, ob es für Nik ein langer Weg war, diese herausfordernden Zeitstrukturen zu verinnerlichen. Schaut man ihm beim Spielen zu, dann sieht man souveräne Leichtigkeit. Hört man ihm beim Spielen zu, dann hört man souveräne Leichtigkeit

 

Sehr langes Training. Zyklen, Polyrhythmen und deren Überlagerung mit guter Klangkultur und Lockerheit zu spielen, braucht lange Jahre der Reifung und Vertiefung.

 
Hörbeispiele in comment #1

 
MUSIK und ZAHL

 

Die gesamte 2. Episode ist so strukturiert:


4 4 5
4 4 5
4 4 4 4 5
4 4 5
4 4 4 4 5
4 4 5
4 4 4 4 5
4 4 5
4 4

 

spekulativ

 

8 ( 4+4)
5 ist die Zahl, welche den „quadratischen“ 4er-Puls ins Wanken bringt

 

Die festgestellten Zeiteinheiten 5 / 8 / 13 / 21 repräsentieren Fibonacci-Zahlen. Der Quotient benachbarter Fibonacci-Zahlen nähert sich dem „Goldenen Schnitt“ je weiter fortgeschrittene Fibonacci-Zahlen man wählt (z.B. 89 / 144)

 

ich habe ein Faible für Primzahlen
es sind die Individualisten unter den Zahlen
sie entziehen sich dem Zugriff, sind unvorhersehbar
man kennt bis heutigentags keine Formel, sie zu berechnen
ob der von John Cage so geschätzte Zufall wohl eine Rolle spielt?

 
 

2 ist eine Primzahl

3 ist eine Primzahl

5 ist eine Primzahl

7 ist eine Primzahl

 
 

2357 ist die schönste Primzahl
 

DER ORT
 

Ich wohne ungefähr 1 Meile entfernt von der bayrisch-thüringischen Grenze. Es ist nicht weit bis nach Sonneberg, dem nächstgelegenen Ort an der Jazzmeile Thüringen. An dieser langgestreckten Meile liegen die Städte Erfurt, Weimar, Jena und noch ein paar mehr.

Der 22. November, ein Freitag, war ein sonniger Tag, ein guter Tag für einen Ausflug, selbst wenn man sich kein besonderes Ziel vorgenommen hatte. Wir hatten ein Ziel, fuhren bei Sonnenhöchststand los und erreichten es gegen 3 Uhr nachmittags.

 
 


     
 
 
 

Das Gebäude, vor dem wir stehen – es ist das ehemalige Empfangsgebäude des Saalbahnhofs und heißt jetzt Kulturbahnhof – gehört zu den Kulturdenkmalen Jenas. Kaum zu glauben. Das hat der Palast der Republik nicht geschafft (2004 fand nach dem Beschluss des Berliner Senates zum Abriss des Palastes der Republik ein Konzert der Band Einstürzende Neubauten statt). Wie konnte der SaalKulturBahnhof zum Denkmal avancieren? Vermutlich liegt es an seinen inneren Werten. Betritt man die Eingangshalle des 1965 eingeweihten, nach einer Bauhaus-Konzeption errichteten Gebäudes, fällt rechter Hand ein aus Aluminiumbändern gefertigtes Wandbild auf. Erstaunt bin ich, dass es nicht den Arbeiter- und Bauernstaat zelebriert, sondern Jena würdigt als Universitätsstadt, als Ort in dem schon im 19. Jahrhundert technische Produkte von Weltruf entwickelt wurden: Carl Zeiss’ Nah- und Fernrohre (Mikroskope und Teleskope) und das hitzebeständige Glas Otto Schotts, später bekannt geworden als Jenaer Glas.

Mein Mädel und ich haben den Kulturbahnhof gesucht, weil er ein Knotenpunkt der thüringer Jazzmeile ist. Bis zum Beginn der Ritual Groove Music waren es noch ein paar Stunden und da es nicht weit ist bis zur Innenstadt, schlenderten wir die Sophienstraße entlang, in welcher schöne alte Gebäude offenbar bewohnt sind. Die Sophienstraße ist nicht zur Shopping Promenade mutiert. Auf dem Weg zurück zum Kulturbahnhof kehren wir ein im Sophienstübl, wo man zu günstigen Preisen köstliche einfache Mahlzeiten und frisches Bier aus der regionalen Rosenbrauerei serviert bekommt.

 
 


 
 
 

Im Kulturbahnhof ist über dem Eingang ein Lichtspiel, das den Weg weist, das Magisches verspricht – alles aus einem Hut … Treten wir ein. Ein Ambiente nach meinem Geschmack. Eine ganz spezielle Clubatmosphäre, an der Rückwand ein Tresen wo Getränke angeboten werden, eine Fläche, die den halben Zuschauerraum einnimmt für Stehende oder Tanzende. Vor der kleinen Bühne gibt es fünf oder sechs Stuhlreihen mit rund 50 Sitzplätzen für frühzeitig Kommende. Aber lassen wir zwei Bilder sprechen, zu deren Verwendung für den Manafonistas-Blog die Fotografin Tina Peißker mir die Erlaubnis erteilt hat (die komplette Bilderserie kann man hier betrachten). Vielen Dank!

 
 


     
 
 
 

Der Raum wirkt einladend. Er strahlt nicht die exklusive elitäre Kühle der Elbphilharmonie aus. Den Kulturbahnhof besuchen bestimmt keine „Saaltouristen“ sondern Menschen, die neugierig sind auf etwas Neues, und Leute welche die auftretende Band kennen und live hören wollen.

 
DIE MUSIK
 

Jede Musik braucht den zu ihr passenden Raum, und zwar aus verschiedenen Gründen, unter denen raumakustische Aspekte für mich die wichtigsten sind. Wir saßen in der ersten Reihe. Von den Instrumenten, besonders von den Reeds und vom Drum Set nimmt man viel Direktschall wahr – die reine Freude! Becken und Cymbals klingen fein und gar nicht schrill. Die Sounds der Trommeln kommen trocken und wuchtig ans Ohr, die Töne von Saxophon und Bassklarinette ertönen natürlich.

Als ich RONIN zum ersten Mal von CD hörte, war ich sofort fasziniert von der einzigartigen Mixtur. Die Musik ist verführerisch klangsinnlich, vor allem durch Nik Bärtschs Klavierspiel. Durch allerei Manipulationen im Inneren des Flügels zaubert er magische Klänge „aus dem Hut“. Die Musik kann animalisch grooven, man kann dann den Körper kaum ruhig halten. Die Musik führt mich oft freundlich in die Irre: hat man sich einem Puls aus dem repetitiven Rhythmusgeflecht ergeben, kann es passieren, dass man bald auf dem falschen Fuß erwischt wird. Und dann fängt – jedenfalls bei mir – der Verstand an zu forschen: wo verflixt nochmal steckt die Raffinesse in diesen subtilen, manchmal drastischen Verschiebungen?

NEW CONCEPTS OF ARTISTRY IN RHYTHM

RONIN hat ein ganz spezielles rhythmisches Konzept erfunden, das ich gerne einer Reihe anderer bzw. andersartiger Konzeptionen anfügen möchte:

 
– Igor Stravinsky, Sacre du Printemps
– Conlon Nancarrow, Studies for Player Piano
– Steve Reich, Methode des phase shiftings in Come Out, Piano Phase, Drumming etc.
– Jazz, das Prinzip des swings
 

Auf einem Tisch, wo CDs der Band feil geboten wurden, lag ein Exemplar der Score des Albums Llyrìa. Die Partitur habe ich erworben, denn selbst intensives Belauschen enthüllt nicht die Geheimnisse dieser Rhythmik. Wer neugierig darauf ist, möge bitte hier weiterlesen.

NEW CONCEPTS OF BAND LIFE

Mir scheint, RONIN befolgt nicht nur ein spezifisches Rhythmuskonzept, sondern auch ein besonderes Konzept des Band Life’s. Am Ende des Recitals erfährt man, dass RONIN (fast) jeden Montag in Zürich im Club EXIL spielt. Details findet man hier. Bestimmt dienen diese Auftritte der Verinnerlichung des Repertoires, das ja irgendwann im nicht-öffentlichen Rahmen erarbeitet und geübt werden musste.

Würde ich in der Nähe Zürichs wohnen, besuchte ich bestimmt einige der Montagskonzerte. Nun habe ich das 782. Montagskonzert vom 25. November 2019 tatsächlich live erlebt. Wie das? Es liegt daran, dass ich meine Ausflüge gerne noch einmal nachreise im virtuellen Raum, wo man große Abstecher bis in entlegene Nischen machen kann. Auf diese Weise habe ich von einem kostenpflichtigen Schweizer Streamingportal erfahren, das diese Montagskonzerte anbietet und recht lange Zeit im Archiv behält. Auch RONINS Auftritt in der Elbphilharmonie ist dort aufbewahrt. Ich habe ein Probeabo gebucht. Kein Wunder, denn das KuBa-Konzert ist eines der am stärksten nachwirkenden, die ich je erlebt habe.


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