Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2019 4 Aug.

Top Twenty 2020

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01 Succession – Seasons One & Two  02 The Marvelous Mrs. Maisel – Season Three 03 Der Überläufer – Vierteiler (ARD) 04 Better Call Saul – Season Five 05 Big Little Lies – Season One & Two 06 Unorthodox – Mini Series 07 The Marriage Story – (Netflix Film) 08 Giri / Haji – Limited Series 09 The Meyerowitz Stories – Miniseries 10 Little Fires Everywhere – Miniseries 11 Bosch – Season 6 12 Ozark – Season One 13 The Sinner – Season Three 14 Unterleuten – Dreiteiler (ZDF) 15 Miss Americana – Taylor Swift (Netflix Documentary) 16 Marc MaronEnd Times Fun (Comedy) 17 Citizen K (documentary on Michail Chodorkowski) 18 Corona Explained – Miniseries (Netflix) 19 After Life – Season 2 20 I Am Not Okay With This – Season One 

(all viewed this year)

Musik Produktion Schwarzwald (Teil 6)

 

Die Platte erschien bei MPS-Records in Villingen, Michael Naura, Wolfgang Schlüter, Eberhard Weber und Joe Nay mussten aber nicht den langen Weg nach Süddeutschland auf sich nehmen, aufgenommen wurde diese wunderbare Scheibe 1971 im Windrose Studio in Hamburg. Alle Stücke dieser Platte, die sieben Jahre nach Nauras schwerer Krankheit und acht Jahre nach der letzten LP-Veröffentlichung European Jazz Sounds aufgenommen wurden, entstammen Nauras Feder. Michael Naura wurde 1934 in Memel geboren, verbrachte seine Schulzeit in Ostberlin, nach dem Abitur studierte er Soziologie und Philosophie an der FU Berlin, besuchte aber auch die Meisterschule für Grafik und Buchgewerbe. Das Klavierspiel erlernte er autodidaktisch. Mit seinem engen Freund Peter Rühmkorf wurde er mit Jazz & Lyrik bekannt (siehe auch die ECM-Platten Phönix Voran und Kein Apolloprogramm Für Lyrik).

 
 

 
 

Bis zu seiner Krankheit im Jahr 1964 war Naura jahrelang in Jazzkellern und Konzertsälen unterwegs, dann spielte er nur noch regelmäßig im Hamburger Jazzhaus und übernahm schließlich 1971 die NDR-Jazzredaktion, die er bis 1999 leitete. Im Februar 2017 starb Naura im Alter von 82 Jahren.

Letztes Jahr erschien nun die Michael-Naura-Platte Call endlich wieder, das Remastering ist unfasslich gut, die Platte hört sich an, als sei sie gerade in einem modernen Studio aufgenommen worden. Siegfried Schmidt-Joos stellt in seinen Liner-Notes alle acht Naura-Werke ausführlich vor: Soledad De Murcia, M.O.C., Forgotten Garden, Take Us Down To The River, Why Is Mary So Nervous, Don´t Stop, Miriam, und schließlich Call.

 

„Früher haben wir die berühmten Jazzthemen der Vergangenheit nachgespielt. Aber je länger Wolfgang Schlüter und ich zusammen sind, desto mehr spüren wir, daß wir uns in eigenen Stücken besser entfalten können.“ Und Schmidt-Joos ergänzt: „ … es sind Themen, für die es Skizzen, aber keine ausgearbeiteten Arrangements mehr gibt. Stimmungen, dazu einige musikalische Versatzstücke, sind festgelegt. Alles andere ergibt sich im spontanen Zusammenspiel. An die Stelle von Chorusabfolgen tritt ein fortwährendes Interplay.“

(Michael Naura)

 

Auch Kriegel arbeitete mit Eberhard Weber und Joe Nay in der 1973 gegründeten Band Spectrum zusammen, mit der er 1974 bei MPS Mild Maniac veröffentlichte. Damals war auch Peter Giger und Rainer Brüninghaus dabei. Diese Platte wurde im Januar dieses Jahres wieder veröffentlicht.

 
 

 
 

Eine weitere berühmte MPS-Einspielung, die auch 1971 entstand, sei hier noch dringend empfohlen. Hans-Georg Brunner-Schwer nahm im MPS-Studio in Villingen mit Volker Kriegel, John Taylor, Peter Trunk, Cees See und Peter Baumeister Spectrum auf. Auch diese Platte wurde wieder neu aufgelegt.

 
 

L: Helma, du hast deine Doktorarbeit über den Jazz in der DDR geschrieben, Ende des Jahres kommt sie als Buch bei der Cambridge University Press heraus. Wie bist du auf dieses Thema gestoßen?

 

H: Ich wohne in New Orleans. Dort habe ich vor vielen Jahren James C. Booker getroffen. James war häufiger Gast in der DDR. Er hatte dort Ende der 70er Jahren bei Amiga Plattenaufnahmen gemacht. Die wirklich letzte Amiga LP ist ja: „Let’s make a better world“. Booker hat mich nie ganz losgelassen. Während meines PHD Programms kam ich dann auf die Idee, mich mit dem Jazz in der DDR auseinander zu setzen. Und zwar unter der Betrachtung der historischen Gegebenheiten. Der Titel meines Buches lautet auch deswegen: „A People’s Music: Jazz in East Germany 1945 – 1990.“

 

Wie sahen denn nun die Anfänge des Jazz in der DDR aus?

 

Amiga war das erste deutsche Jazz Label. Eigentlich war der Gründer Ernst Busch mit seiner Firma: Lied der Zeit. 1948 machte der amerikanische Trompeter Rex Stewart die ersten Plattenaufnahmen bei Amiga. Er war geschickt worden, um die amerikanischen Soldaten zu entertainen. Er trat u.a. im Delphi-Palast auf, damals ein großer Tanzpalast. Es spielten ausschliesslich schwarze Musiker in den amerikanischen Bands. Jazz galt bei den Staatsobrigkeiten als „amerikanische Unkultur“. Geschickt nutzten einige Jazzfans die Gunst des Zeitgeistes, allen voran Josh Sellhorn, einer der Pioniere des DDR Jazz, und proklamierten ihn um zum „proletarischen Ausdruck der unterdrückten Neger“.

 

Welche Jazzmusiker nutzten ihre Chance zu ihrer Entwicklung einer eigenen Szene im Osten?

 

Dazu gehörten sicherlich der eben erwähnte Sellhorn, dann Petrowsky (1968 in Montreux), Klaus Lenz, der als Meister des Modern Jazz galt. Klar, Manfred Krug, Gumpert, Uschi Brüning, Conrad Bauer, Baby Sommer, Joachim Kühn … Da kommen eine Menge zusammen. Zunächst wurde der Jazz als freie Musik und vorallem als kollektive Erfahrung empfunden. Das grosse Jazzfestival z.B. in Peitz (1972) im Spreewald wurde absolut als Nische empfunden, leider dann 1982 vom Staat verboten. Erstaunlicherweise  waren einige Musiker ziemlich priviligiert. Sie hatten Pässe und konnten somit reisen. Einige besaßen sogar Wohnungen im Westen. Trotzdem verließen einige ihre Heimat und wurden von den Dagebliebenen ziemlich vermisst, wie z. B. Manfred Krug.

 

Im Tal der Ahnungslosen – in Desden – konnte man wahrscheinlich auch schlecht die Radiosender AFN und RIAS empfangen. Der berühmte Maler A.R. Penck stammt ja aus Dresden. Er gründete eine Jazzband mit dem lustigen Namen „Archaik-Fri-Jazz“. Zu seinen Bildzeichen war sie eine herrliche Klangkulisse. Gab es andere Städte, wo sich eine eigene Jazzszene herausbildete?

 

Ja, besonders in Leipzig. Dort wurden schon früh kleine Jazzfeste organisiert. In den 70ern kam es dann zu den öffentlich angekündigten Leipziger Jazztagen. Natürlich darf der Boss vom Leipziger Jazzclub nicht unerwähnt bleiben. Bert Noglik. Bis 2007 war er künstlerischer Leiter der Leipziger Jazztage, später dann ja sogar vom Berliner Jazzfest.

 

In meinen Dresdner Arbeitsjahren waren seine Sendungen im Figaro, wie der MDR noch damals hieß, genüssliche Highlights.

 

Ja unvergessen seine Interviews mit Jazzmusikern, verewigt in „Jazz im Gespräch“ im Verlag Neue Musik Berlin 1980.

 

Noch eine letzte Frage. ECM feiert in diesem Jahr sein 50 jähriges Bestehen, Amiga ist bereits über 70 😊. Gab es zwischen den beiden Labels mal eine Gemeinschaftsproduktion?

 

Darüber ist mir nichts bekannt. Eher wohl nicht. Wenn ich an die getrennten Aufnahmen von ECM und Amiga vom Keith Jarrett Konzert in Köln 1975 denke …

 

Ha, ich frage jetzt nicht, welche Pressung die bessere ist. Helma, danke und viel Erfolg mit deinem Buch „A People’s Music: Jazz in East Germany 1945-1990.“

 

 
 

Video-Wallpapers? Ja, Videotapeten. Im Prinzip ist es ein politisches Projekt und es geht darum, Erwartungshaltungen (Konditionierungen) zu zerstören, die die konventionelle Dramaturgie der Mainstreamfilme im Fernsehen mit sich gebracht hat: Der Zuschauer (Konsument) hatte sich daran gewöhnt, still zu sitzen und ein bestimmten Mustern folgendes Verhalten von Menschen zu betrachten. „Ich bin an einer Arbeit interessiert, die nicht notwendig dieser Beziehung bedarf, sondern eine mehr statische, bildgebundene Arbeit ist, die man betrachten kann und von der man sich abwenden kann wie von einem Gemälde. Es bleibt stehen und man selbst bewegt sich.“ So beschrieb Brian Eno den Ansatz seiner Videoarbeiten. In der Juli-August-Ausgabe der Jazzthetik 1988 analysiert Peter Dietz diese Arbeit in einem klugen Essay mit dem Titel „Die Eno-tapes“. „Wenn ich mich recht entsinne“, schreibt Dietz, „war es Terry Riley, der seine minimalistischen Kompositionen mit den Ereignissen an einem bewölkten Himmel verglich.“ Der Mikrokosmos wird zum Makrokosmos. Dies sei auch das Prinzip von Enos Videokunst. Das Gesamtereignis solle wie ein optisch-akustisches Mantra wirken, bei dem man nach Belieben hinschauen oder auch mal zwischendurch ein Telefonat führen, einen Artikel lesen oder ein Essen zubereiten könne. Peter Dietz teilt Enos Videoarbeiten in vier Phasen ein, und stellt schließlich fest, dass der Bildschirm für Enos Konzept nicht das geeignete Medium ist, dass die Grundidee jedoch am besten bei den Manhatten-Tapes, Mistaken Memories of Mediaevel Manhatten, funktioniert. Probieren Sie es aus. Ich fand die Tapes mit ihrer Hintergrundmusik, über die Dietz schreibt, sie wolle die Fiktion eines Stillstands von Zeit suggerieren, durchaus interessant: es gibt hier viel Himmel zu sehen und verschiedene Sequenzen, Blicke auf Manhatten in der Zeit 1980/81, jeweils mit Standkamera betrachtet. Für einen öffentlichen Raum, einen Flughafen oder eine U-Bahn-Station vielleicht, stelle ich mir die Manhatten-Tapes als Dauer-Videotapete ziemlich cool vor. Für eine Party, die sich auf mehrere Räume verteilt, eignen sie sich sicherlich auch. Eine meiner Schulfreundinnen hatte einen Technikfreak als Bruder, der schonmal die Versorgung mit Videoclips übernahm, was dazu führte, dass immer ein Teil der Partygäste schweigend vor dem Bildschirm herumstand. Enos Manhatten-Tapes hätten wahrscheinlich zu mehr Bewegung und Gesprächen geführt. Für mein Wohnzimmer bevorzuge ich ein ruhiges, aber dennoch inspierendes Bild, das nie langweilig wird, zum Beispiel eine riesige Schwarzweißfotografie, die wahrscheinlich ebenfalls aus der Zeit der frühen Achtziger stammt: Der Blick auf einen Teil von Manhatten, als säße die Kamera auf einem sehr hohen Gebäude gegenüber dem Flat-Iron Building. Dieses Foto, das den Himmel nicht zeigt, sehe ich seit vielen Jahren jeden Tag. Es verändert sich mit dem Einfall des Lichts, ich entdecke in den Straßenzügen, den Schatten winziger Menschen und den Wassertanks auf den Dächern immer wieder neue Details und wenn ich die Häuser betrachte und die beleuchteten Fenster, weiß ich immer noch nicht, ob das Bild an einem frühen Morgen aufgenommen wurde oder bei Einbruch der Nacht.

2019 29 Juli

VC-118A

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Man könnte Musik danach charakterisieren, bei welchen Gelegenheiten man sie hört oder vielleicht doch eher: am besten wahrnehmen kann. In den Ghettoblaster an einem Sommerabend am Strand würde ich etwas anderes einlegen als was ich bei einer Radtour auf dem ipod anklicke oder was ich während eines Abendessens mit Freunden, deren Musikgeschmack ich nicht kenne, auflegen würde. Die Musik von Multicast Dynamics entfaltet sich in der Stille, im Schatten, in der Bewegungslosigkeit eines Raumes, den sie von Innen heraus sanft aufbricht und weitet. Die tags sind ambient, electronic, experimental, techno und Netherlands, denn der Kopf, der hinter dem Bandnamen steckt, ist Samuel van Dijk alias Mohlao aka VC-118A und er hat in den vergangenen vier Jahren sechs Alben herausgebracht. Die Musik ist Schicht für Schicht aufgebaut, es sind die leisen Töne, es ist die innere Dynamik (Dramatik), die Track für Track ihren eigenen Raum entfaltet, rätselhaft, kosmisch, spirituell. Man kann sich in diese Musik fallen lassen, sich ihr anvertrauen, denn sie fordert nichts, man kann sich ihr auch wieder entziehen und sie im Hintergrund laufen lassen, die Zeit vergessen, und wenn dann das Geräusch zu hören ist, das der Tonabnehmer von sich gibt, wenn er die Schallplatte durchlaufen hat und es keinen Mechanismus gibt, die Drehscheibe zu stoppen, werde ich plötzlich unsicher, ob ich eine CD oder eine Schallplatte aufgelegt habe, bis nach Minuten eine weitere Tonspur einsetzt und es noch drei weitere Tracks gibt auf dem Album Outer Envelopes. Es ist eine Musik, die ich immer und überall hören kann, selbst wenn ich nicht weiß, ob ich überhaupt Musik hören möchte.

2019 27 Juli

The tour (heat) goes on

von | Kategorie: Blog | | 1 Comment

 


 
 

Beim luziden und vitalen Manatreffen in Stuttgart hatte er von einer Sternstunde erzählt: in einem reizvollen Bergörtchen in den französischen Alpen wurde eines schönen, sonnigen Sonntagmorgens etwas aus der H-Moll Messe in der dortigen Kirche vorgetragen, von einer Gruppe „Meditierer vom Berg“, in Begleitung ihres Gurus. Der Dirigent war ein begnadeter Chorleiter (ebenso wie dessen Bruder ein ebensolcher Bandleader war, der als Sänger und Organist eine holländische Gruppe einst in die höchsten Höhen der Popstar-Sphären führte, unter Mithilfe eines virtuos ackernden Gitarrenmannes) und so sang der Chor letztendlich frei und ohne Notenblatt. Die erzkatholische und guru-skeptische Gemeinde dankte es mit spontanem Applaus. Der Ort hiess Beaufort, die heutige Etappe sollte hindurchführen, das Wetter machte dem den Garaus. Schade, er hatte sich darauf gefreut. Freude gab es dennoch über den grossartigen Auf-Tritt des Emanuel Buchmann, der ähnliche Körperdaten hat, was ihn für eigene Touren wiederum beflügeln wird, auf denen er gerne immer auch mal eine Fotopause einlegt, für Stadtarchitektonisches beispielsweise. War sie nicht spannend gewesen, die diesjährige Rundfahrt? Dem ARD sei Dank (and France TV as well) für tolle Bilder, Gespräche, Sequenzen und das Timing.

2019 27 Juli

Summerly Side Effects

von | Kategorie: Blog | | 4 Comments

Sometimes it occurs to me that side effects steal the show of the main event. That happened yesterday in Ostende in the James Ensor museum. I bought a book in the museum shop. Probably someone had it before in his hand, because there was a flyer inside, showing the cultural program of the museum for July 2019. A strange name caught my eye: Myrrdin De Cauter. He was described as an excentrical genius on the guitar. I watched him on YouTube and must agree, he is outrageous on the strings. My favorite piece is „Vigdis“ on CD Rosa De Papel.

Today I strolled through different bookstores in Brussels. At the last Manameeting some of us were discussing the death of the cities. Richard Sennett, who does not stop urging to build more human cities, would have loved the place, I visited today. The bookstore „cook & book“ has a very multi communicative concept: outside playgrounds, cinema, café, inside several bookdepartments with restaurant corners. Anyways, I discovered a book of a belgium philosopher and environment engineer: Edwin Zaccai – „Deux degrés“. On the first page I read a quote from a song of the Australian band: Midnight Oil. They adored The Go Betweens. Zaccai chose some lines of the song „Beds are burning“ on DUST AND DIESEL.

 

How can we dance when our earth is turning, how do we sleep while our beds are burning …

Last week, during a family gathering, I saw a white book laying on a  table: Ben Lerner – The Hatred of Poetry. I borrowed it and enjoyed reading it very much.

 
 

 
 

Ben Lerner made me laugh quite often. He is a funny, intelligent writer. How he explains, why Platon hated poetry and many others … he tells hilarious, absurd stories about how poetry was invented and explains, why there can’t be poetry on a dentist chair … and why some poets write for themselves and others for all of the readers.

I liked especially the final sentence of that fine book:

 

All I ask the haters – and I, too, am one – is that they strive to perfect their contempt, even consider bringing it to bear on poems, where it will be deepened, not dispelled, and where, by creating a place for possibility and present absences (like unheard melodies), it might come to resemble love.

2019 27 Juli

In the words of Tyran Grillo

von | Kategorie: Blog | | Comments off

Ach, wäre ich doch dabei gewesen,

in einem Plattenladen,

als „Safe Journey“  zum ersten Mal herauskam.

Wenn das, was ich jetzt fühle, ein Anhaltspunkt ist,

kann ich mir die Tiefe seiner Wirkung nur vorstellen.

Wundersam bis zum n-ten Grad.

Jahrzehntelang waren sie aus der Mode geraten, nun sind sie schon seit längerer Zeit wieder zu haben: Glasflaschen mit einem Zapfen aus weißem Porzellan und rotem Dichtungsring, die sich mit einer Drahtfeder (Hebelprinzip) öffnen und beliebig oft wieder verschließen lassen. Der Bügelverschluss wurde im Jahr 1875 erfunden, er wirkt solide und es haftet ihm etwas Kultiges an. Zu einer Zeit, als es noch nicht so üblich (und notwendig) wie heute war, Wasser oder ein Erfrischungsgetränk bei sich zu haben, nahm mein Vater jeden Tag eine 0,5 Liter Flasche Matetee zur Arbeit mit. Die Flasche war leicht geriffelt, das Glas hatte einen feinen Grünton und es war die einzige Flasche mit Bügelverschluss in unserem Haushalt. Ich habe nie mitbekommen, wie dieser Tee zubereitet wurde und ob er in warmem oder kaltem Zustand in die Flasche gelangte. Mein Vater trug jeden Tag einen Anzug, ein Hemd und Lederschuhe (selbst im Urlaub) und der Matetee in der Aktentasche schien gar nicht in dieses Bild zu passen. Ein Nacheifern der Atmosphäre von Julio Cortázars Roman „Rayuela. Himmel und Hölle“, in dem der Matetee das Standardgetränk ist, war es sicherlich nicht. Interessanter als den Matetee fand ich die Flasche, die auf mich den Eindruck machte, dass sie sehr alt war und noch jahrzehntelang in Gebrauch sein würde. Ich stellte mir vor, dass ich die Flasche irgendwann übernehmen und vielleicht selbst Tag für Tag mit einem Getränk befüllen würde. Doch als es dann irgendwann soweit war und wir die Wohnung ausräumten, fand ich die Flasche nicht mehr. Inzwischen bin ich jedoch auf den Geschmack von Matetee gekommen. Als Eistee ist er mein Sommergetränk. Stark zubereitet, mit zwei Packungen Eiswürfeln schockgekühlt, abgeschmeckt mit etwas Rohrzucker und Zitronensaft und aufbewahrt in einer Glaskaraffe mit weißem Plastikdeckel, die ich bei einem Aufenthalt an der Ostsee gekauft hatte, weil sie mich an etwas erinnerte. Ich besuchte eine Freundin, die ein Semester lang einen Sprachkurs in einem kleinen Ort in Frankreich machte, und als wir mit der Gruppe zum Mittagessen in ein Restaurant gingen und ich mich darüber wunderte, dass alle Weißwein tranken, kam der Kellner zu unserem Tisch und stellte, ohne dass wir darum gebeten hatten, eine Karaffe mit frischem Wasser hin. Und schon war er, wie der klassische Sartre´sche Kaffeehauskellner, wieder verschwunden.


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