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Category: Musik vor 2011

2011 5 Nov.

Gary Thomas: Found On Sordid Streets

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Was ist das Gegenteil von Musik? – Anti-Musik? Stille? Lärm? 

Wahrscheinlich gibt es kein Entkommen, denn seit John Cage ein paar Minuten Stille zu einem Musikstück vertonte und zudem regressive Reminiszenzen an früheste, pränatale Sound-Prägungen uns ein Lebelang begleiten, bilden der Hörsinn, die Sehnsucht und das Verlangen nach Heimat eine Verbindung, der ebensowenig beizukommen ist wie etwa dem ödipalen Dreieck in bürgerlichen Kleinfamilien.

Immer, wenn unsereins das romantisch Sentimentale; das allzu gefühlig Fragile; das bemüht Avantgardistische in der Musik nervt, dann greift er gerne mal auf Nüchternes, Bodenständiges und Griffiges zurück – aber keine Sorge: es gibt noch Alternativen zur spirituellen Bombastik eines John McLaughlin.

Gary Thomas, von dem überliefert ist, dass er es bei Miles Davis nicht allzu lange aushielt, („tired of always playing funky licks“), bietet einen Ausweg, der nachhaltig befriedet. Die Musik dieses unterschätzten Saxophonisten und Flötisten bewegt sich in Bereichen, die durch intelligente Virtuosität; vibrierende Kinetik und konstruktive Coolness bestimmt sind – mit einem subversiven, leicht zornigen und sperrigen Tonfall.

Geerdete Hochspannung erwartet einen auf diesem erstmals 1997 erschienenen Album. Es weht hier auch ein wenig der Geist von Weather Report – wie ein frischer Wind von „Gibraltar“ her. George Colligan ist es, der auf seiner Hammond-Orgel zawinuleske Linien zaubert. Und die CD bekommt man nicht auf dem Black Market, sondern ganz legal vom kleinen, feinen Winter&Winter Label.


 
Gary Thomas - Found On Sordid streets
 

(a review, some years old, now something to fresh up memory) E.S.T. were surely a great band that knew how to keep „suspense“ high. Nevertheless, with albums like „Tuesday Wonderland“ they approached a degree of perfection that was impressive, but at the same time implied a problem: the music could become a formula, a well-done melange of modern piano jazz, raw rock energies and classical undertones. They had reached a point, where you could have said: „Well, I have a notion what their next album would sound like!“ You couldn’t be more wrong. „Leucocyte“ grew out of a marathon-session-time in an Australian studio. It is an album that takes every possible risk: it is definitely their most radical piece of music: wild, enigmatic – and, most of all, unpredictable! I was stunned when I heared it for the first time, and I was even more stunned and blown away when I had listened twice! This will be a masterpiece in jazz history (if you give the term „jazz“ a wide reaching definition including big spaces, zones of emptiness and psychedelic wonder!). The pieces nearly float into one another, with muscular grooves, discomforting zones of danger, and, sounds strange to say, a nearly otherworldly beauty!

e.s.t. Leucocyte (Esbjorn Svensson Trio)

A comment came quickly:

„Excellent review“, Peter Anderson wrote,  „we´re all different and thanks to this explicit description I know that unlike the reviewer I´ll hate it.“

(dedicated to Gregs´ soundspeaker system: when played here in the neverlands of Leinfelden, the music of Miles will jump out of the boxes and escape into the woods – and there will be no point of return)

 

VORSPIEL MIT FAHRRADTOUR

As an avid jazz fan (who listened to Miles Smiles just this afternoon during a bike ride over to Seneca Park), I am getting gooseflesh on my forearms as I think of listening to this. My computer speakers suck so I’m not sure I’m going to give it its first listen here and now but the box set will find its way into my life on the 20th.  Give Kind of Blue and On The Corner a listen back-to-back then quietly ponder that they were born of the same singular soul. It leaves you with a giddy fascination about the depth and range the human mind and heart can encapsulate. Many artists attempt to re-invent themselves with a paradigm shift in their work and end up embarrassing themselves. Miles would make such a shift and make you believe he’d been there all along. Even should I decide to not listen to this on my pitiful little computer speakers, I will offer a very sincere thank you for this heads up regarding the forthcoming Miles Bootleg Series.“ (an american friend)

I

Das ist das Faszinierende am Miles Davis Quintet in der zweiten Hälfte der 60er Jahre. Davis, Shorter und Co. waren nicht daran interessiert, eine Erfolgs- und Virtuositätsformel endlos auszureizen, und liessen die Musik stets auf eine äusserste Grenze zusteuern.

II

„These impending transitions are part of why Live in Europe 1967 is essential: You get to hear exactly how these virtuosos were behaving just before the big change occurred. They were still operating in an old mode, small-group acoustic jazz, but they were interrogating it relentlessly, seeing how far they could stretch its conventions without ditching them altogether. Before they could break into the larger world of pop, they had to reach jazz nirvana, and that’s what they attain on Live in Europe 1967. The aesthetic here is less easily definable than those heard on Kind of Blue and Bitches Brew, but it’s no less significant. At its heart, jazz thrives on bold, sensitive interaction in the moment, and Live in Europe 1967 represents the pinnacle of that practice.“ (Source: Pitchfork)

 

Miles Davis Quintet-Live in Europe 1967-the Bo

 

NACHSPIEL MIT NOSTALGIKERN

Jan Garbarek, einer meiner Lieblingssaxofonisten der 70er Jahre, hat sich nun lange schon im „Jazz Nirvana“ eingerichtet. Da kommen immer noch herrliche, lichte  Momente zum Vorschein, vieles läuft allerdings auch unter „sweet nothing“, und „in Schönheit gestorben“. Anders gesagt: wer den Hunger verliert und das Suchen einstellt, spiegelt sich nurmehr in den gelungenen Klängen des eigenen Lebens. Chronischen Nostalgikern mag das genügen.

It was made right in the middle of the punk thing when everyone was trying to get more aggressive, and Brian Eno went away (…). If I had to just listen to one song for the rest of my life it would be ‚1/1‘. It’s not just a mellow thing, I’ve listened to it in the morning and it’s beautiful, I’ve listened to it last thing at night. I’ve listened to it as a stimulant and a calming thing, it does something very physical, very chemical to me. I’m always fascinated by how he made that track. Did he sit there and play it live for 17 minutes? Smoked some dope? I’ve always meant to ask him, I’m always bumping into him and I always forget. I see him having coffee in a café near me and we always have a nice little chat. He’s a lovely chap. I never let onto him how much of a fan I am because that would be weird and a bit distasteful. If I ran up to him saying ‚how did you do that track?!‘ he’d probably start backing off slowly

In meiner Kindheit gab es eine Radiosendung, die nannte sich „Herr Sanders öffnet seinen Schallplattenschrank“. Der Musikgeschmack des Herrn Sanders sagte mir aber nicht so zu, und deshalb war ich, obwohl es für mich ungeheuer spannend war zu erfahren, ob nicht doch der eine oder andere Schatz gehoben werden könnte, nur für kurze Zeit sein Hörer.

Die ZEIT erinnerte an Herrn Sanders und schrieb im Juni 2005: „In Köln zum Beispiel, wo Heinrich Böll gerade Wo warst du, Adam? schrieb, leitete damals der in Breslau geborene Dirigent Franz Marszalek nicht nur das dortige Rundfunkorchester, sondern präsentierte auch eine Sendung, die den drolligen Titel Herr Sanders öffnet seinen Schallplattenschrank trug. Dieser Herr Sanders pflegte sein Publikum sehr geduldig auf das Abo Blau im Stadttheater vorzubereiten, wo es in der Pause Pikkolöchen von Deinhard gab. Und vorher und nachher Carmen.“

Seit Ende der fünfziger Jahren träume ich von einer Sendung, die den Namen trägt „Gregor öffnet seinen Plattenschrank“. Im Unterschied zu Sanders sollte es in dieser Sendung keine musikalischen Grenzen geben und damit eben zu wirklichen Überraschungen kommen, Schätze sollten gehoben werden, an Vergessenes erinnert, Neues präsentiert werden. Ja, und nun kommt es auf manafonistas.de zu einer „Trockenübung“. Es soll in lockerer Folge unter dem Titel „Gregor öffnet seinen Plattenschrank“ an Musiktitel erinnert werden, die es lohnt, einmal wieder herauszukramen und aufzulegen.

Allerdings hat Michael mit seiner hier veröffentlichten „My 50 All Time Favourite Albums“ mein Konzept für die erste Folge von „Gregor öffnet seinen Plattenschrank“ vollkommen durcheinander gebracht, denn nun kam mir die Idee, mit der Vorstellung von fünf meiner „100 All Time Favourite Titel“ zu beginnen (allerdings ganz ohne Platzierungsvorstellung). Mit der Vorstellung der nun folgenden Titel ist dann auch die Tiefe und Weite meines Plattenschranks abgesteckt:

1. 1973 im Herbst, erstes Semester meines Studiums in Bielefeld, ein Besuch in der Altstädter Nicolaikirche: plötzlich rauschen vollkommen fremde Orgelklänge von der Empore herunter. Nach dem Gottesdienst steige ich zum Organisten hinauf, ich muss unbedingt wissen, was für eine Musik da eben gespielt wurde. Es war französiche Orgelmusik, genauer, Musik von Olivier Messiaen. Diese Musik fesselt mich seitdem. Für heute wähle ich aus dem „Livre Du Saint Sacrement“ von Olivier Messiaen (1908-1992) das Stück: „La Resurrection Du Christ“ mit A. Rößler an der Orgel des Passauer Doms. Rößler spielte die Uraufführung des letzten großen Orgelzyklus, der Meister selbst konnte damals seine Komposition nicht mehr spielen.

2. „John Surman: Road to Saint Ives“ erschien 1990 bei ECM. John Surman spielte diese Platte solo ein (soprano, baritone saxophone, bass clarinet, keyboards, percussion). Auf dieser Platte befindet sich ein unglaubliches Stück, ein Musikstück, für mich ungeheuer mitreißend und tiefgründig: „Tintagel“! „Tintagel“, einer Ortschaft inmitten eines zerklüfteten Küstenabschnitts der Grafschaft Cornwall, wird hier ein musikalisches Denkmal gesetzt.

3. 1969 erschien das großartige Album „Miles Davis: In A Silent Way“ Das Titelstück „In A Silent Way“ begeistert mich besonders wegen der Spannung, die sich in diesem Stück aufbaut und die sich erst auflöst, wenn Tony Williams am Schlagzeug so richtig loslegt.

4. Smokey Robinson & The Miracles veröffentlichten im Juli 1970 „The Tears of a Clown“, am 12.9.1970 kletterten Sie mit ihrer U.K.version auf Platz 1 der britischen Hitparade. In Deutschland nahm man von dieser wunderbaren Platte kaum Notiz, aber der Musikbox-Aufsteller in der Milchbar meines Heimatortes hatte ein Einsehen und stellte die Platte ein. Ich weiß nicht, wie oft ich diese Platte gedrückt habe, bis ich sie mir endlich für 4,75 DM gekauft habe. Heute hat sie einen unverrückbaren Ehrenplatz in meiner eigenen Jukebox.

5. Bei OWL Records erschien 1984 eine der wohl besten Platten des Pianisten Paul Bley. Produzent dieses famosen Werkes war Jean-Jacques Pussiau. Ein Werk aus der Stille kommend, sehr intensiv, ungeheuer konzentriert, auf das Wesentliche reduziert. Titel der Schallplatte „Tears“. Und, da es ja hier um Titel gehen soll: Das Titelstück „Tears“ stellt tatsächlich das Zentrum der Platte dar.

Another Green World

1) Brian Eno: Another Green World

2) Talk Talk: Laughing Stock

3) Talking Heads: More Songs About Buildings and Food

4) Joni Mitchell: Hejiira

5) Miles Davis: In A Silent Way

6) Robert Wyatt: Rock Bottom

7) Brian Eno: On Land

8) Keith Jarrett: The Survivors´Suite

9) The Kinks: Best of…

10) Joni Mitchell: Blue

11) Neil Young: After The Goldrush

12) Gustav Mahler: Sechste Symphonie

13) Young Marble Giants: Colossal Youth

14) Leonard Cohen: Songs of Love and Hate

15)  Ralph Towner: Solstice

16) Scott Walker: The Drift

17) Weather Report: Mysterious Traveller

18) Supersilent: 5

19) Wire: Chairs Missing

20) Ambrose Field / John Potter: Being Dufay

21) Brian Eno and David Byrne: My Life In The Bush of Ghosts

22) The Go-Betweens: Spring Hill Fair

23) Jan Garbarek: Dansere

24) The Beatles: The Beatles (White Album)

25) Television: Marquee Moon

26) Jon Hassell/Brian Eno: Possible Musics

27) Laurie Anderson: Big Science

28) The Books: Lost And Safe

29) Svalastog: Woodwork

30) David Sylvian: Manafon

31) Steve Tibbetts: The Fall Of Us All

32) Miles Davis: On The Corner

33) Serge Gainsbourg: L´histore de Melody Nelson

34) David Bowie: Low

35) Can: Ege Bamyasi

36) Marion Brown: Geechee Reccollections

37) Robert Wyatt: Cuckooland

38) Jacques Brel: Brel (his last one, with clouds on the cover)

39) Oregon: Distant Hills

40) The Flaming Lips: Yoshimi Battles The Pink Robots

41) Joanna Newsom: Ys

42) Bill Callahan: I Wish We Were An Eagle

43) John Coltrane: Transition

44) Brian Eno: Taking Tiger Mountain (By Strategy)

45) J.J. Cale: Naturally

46) Van Morrison: Astral Weeks

47) Neu: Neu! (with red letters)

48) Gavin Bryars: The Sinking of the Titanic

49) The Necks: Drive-By

50) Portishead: Third

You always forget a record. Two, maybe more.  But this is not the point. Some people say: hey, man, how come you skip KIND OF BLUE? Or A LOVE SUPREME. Bullshit. You do not make a „common sense“ list. On a desert island (the famous one) you are quite alone. You don´t have to make an exercise in cultural correctness. In this case, KIND OF BLUE is simply No. 51 (in my world). And, with all due respect,  Jimi Hendrix simply doesn´t exist as part of this desert island collection. Although he´s great, no doubt about it. And Kraftwerk, good joke – what do you want with  „Autobahn“ or „Trans Europa Express“ on a tropical island? Escapism has found its destination:) P.S. Just for fun: somebody asked me about U2; well, if I want to be bored to death, I would choose Bono. Wilco´s  A GHOST IS BORN, by contrast, would be No. 56.

“Laughing Stock is an incredibly intuitive and bare recording – some songs feel like vapour trails. To me, every sound on the album is about death, like the songs are about to die, like a band of Beckett characters. But at the same time the album is so emotional. ‘After The Flood’ is like crying. After July 22 (the day of the 2011 attacks on Oslo), Laughing Stock was one of two records I wanted to listen to.”
Jenny Hval

I interviewed Mark Hollis after the release of „Laughing Stock“. I came from Germany (raining all the way, Laughing Stock in the cassette recorder). I travelled by car, and when I came to the streets of Hammersmith, the big company of Talk Talk had put the cover on top of their building. The monumental cover turned around itself, so everybody could watch. But, well not many would buy it at the time … Meeting Mark Hollis was special (a small appartment near an underground station called Angel). To me he still seemed exhausted from the long production and the night work, and the fight for the most detailed sounds. We talked about inspirational sources for the album, and his eyes started to glow in a way when he actually dived into the worlds of the piece „In A Sentimental Mood“ (the version played by Ellington and Coltrane), Ornette Coleman´s „Free Jazz“, and the collaboration of Miles Davis and Gil Evans on „Porgy and Bess“. Still today, it is one of my favourite albums of all time! I never stopped playing it on air from time to time. Rather limited reviewers called it „suicidal music“. My goodness: it is dark, yes, bleak, yes, but  in a very enlightening way! You haven´t ever heared this album? Dear reader – really?! Some errors can easily be corrected! Here´s  something interesting to read about it (source: „thequietus.com“). 

https://thequietus.com/articles/06963-talk-talk-laughing-stock

https://www.youtube.com/watch?v=_VP_QGgYtRs

P.S.: Years later I met Mark Hollis in Hamburg. By the time his brilliant solo album „Mark Hollis“ was released. He remembered our first meeting in London, was quite relaxed and told me about his family life. I was surprised he was a football fan, too. His team is Tottenham Hotspurs. So we did some small talk about football. He knew Borussia Dortmund quite well. That was fun: talking with this serious guy who definitely sees music as a deadly serious thing about everyday life. Then we turned to the album. And death was all around again.

 

2011 26 Aug.

The Move: Curly (1968) im Beatclub

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„Those were days at school, what fantastic records were coming out this week!! Wow, as good if not better than last weeks and the week before ~ imaginative use of instruments and arrangements, all jammed packed into 2 minutes 30 secs and sometimes even 3 minutes. Thank goodness for … Northsea pirates …“

All you need now:

a big reservoir for tears and laughter

a glass of your favourite red wine

a memory box

a sense of nostalgia  

a similar flow of excitement (still crazy after…?)

https://www.youtube.com/watch?v=o3TeAjJZeKo

Zugabe:

https://www.youtube.com/watch?v=iirNwgdZbjM

 
 

 

„Die Energie hängt vom Klang ab, und der Klang hängt von der Energie ab. Regt sich die Energie, wird ein Klang hervorgebracht; wird ein Klang hörbar, vibriert die Energie. Vibriert die Energie, werden Einflüsse wirksam, und die Dinge wandeln sich.So ist es möglich, Wind und Wolken zu lenken, Frost und Hagel hervorzubringen, den Phönix zum Singen zu bringen, Bären tanzen zu lassen und Freundschaft mit spirituellen Lichtwesen zu schliessen.“

Wenn wir zweifeln, weil wir nicht E-Piano spielen können wie Craig Taborn; Schlagzeug wie Nate Smith; Saxophon wie Chris Potter oder Gitarre wie Adam Rogers – dann können wir mithilfe einer Sammlung alter taoistischer Texte aus dem Buch Die Drei Schätze Des Dao, dem obiger Auszug entstammt, spielend leicht zu unserer Mitte zurückfinden. Denn dieser Text deutet an: ein Jeder kann Klänge erzeugen; ein Jeder kann vibrieren, musizieren und Musik geniessen.

Nicht erst seit Miles Davis, der „den Jazz von der Athletik des Bebop befreite“ (R.Williams), sondern schon im alten China und wahrscheinlich sogar früher, wußte man: die Heilkraft des Sounds ist allgegenwärtig. Entscheidend ist ein ursprüngliches Verhältnis zum Klang, das jedem Menschen mitgegeben wurde: als (unbewußte) Erinnerung an die pränatale Glückseligkeit im Klangraum der Fruchtblase.

Vielleicht muß deshalb auch Buchautor Jonathan Franzen bei seiner schriftstellerischen Arbeit stets eine CD hören, auf der nichts zu hören ist als ein warmes Hintergrundrauschen („a warm, pink-coloured soundcloud“) – und Musiker wie Neil Young und Daniel Lanois produzierten LA NOISE, das klingt wie eine Reminiszenz an dieses vorgeburtliche Nirvana.

Manchmal gefällt mir aber auch Musik, wie sie auf ULTRAHANG zu hören ist, gespielt von Chris Potter´s Underground – obwohl sie nicht im Geringsten klingt wie eine pinkfarbene Soundblase. Vielmehr aufpeitscht als relaxt und überdosiert genossen schnell anstrengt. Es zeigt sich aber, dass Liebe zu Handwerk und gediegenem Funk-Werk bisweilen Spass machen.

Man bekommt hier griffigen Rock-Jazz mit Free-Funk Elementen zu hören: groovend, kinetisch, erdig und sehr spielfreudig. Zudem angereichert durch Reich´sche Minimalismen mit dem Hang zu repetitiven, stakkatoartigen Melodielinien, die teilweise an Nik Bärtsch´s Ronin oder an das Claudia Quintet mit dem Schlagzeuger John Hollenbeck erinnern.  

Underground ist allemal mehr als obsoleter Fusion-Stumpfsinn, wie wir ihn von unsäglichen Formationen der McLaughlins (das Ungeheuer von Laughness) und hölzernen Holdsworths kennen. Alles in allem eine ästhetische Rehabilitation der Bebop-Athletik. A Bitches Brew.


pink-cloud I 
Chris Potter´s Underground: „Viva Las Vilnius“ (YouTube)

2011 5 Aug.

How To Kill A Memory

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The Marmalade – „Reflections Of My Life“

 

SWAPDELTA Inc. entwickelt eine Oldie-Zerstörungsmaschine. Wir alle kennen Songs, die wir lieben oder liebten, aus unseren jungen Jahren. Die Oldie-Zerstörungsmaschine  hilft, sich von einzelnen Episoden zu trennen, generell loszulassen. Sie kennen das Lied mit den Zeilen THIS WILL BE THE LAST TIME … (mit der Oldie-Zerstörungsmaschine wird es tatsächlich das letzte Mal sein). Sie speichern das jeweilige Lied ein (zum Beispiel obiges, der Höhepunkt von The Marmalade) – und mittels einer bestimmten Software hören Sie, wie das Lied immer mehr an Kontur verliert und letztlich in sich zusammenbricht, mit einem seufzenden Geräusch. Sir erleben hautnah die Zerstörung eines Lieblingssongs, die so lange dauert wie der Song selbst. Immer wieder schnappen Sie einzelne Fragmente auf, und dann – Ende Gelände. Warum sollten Sie so blöd sein, fragen Sie. Die Destruktion des Songs geht erstmal durchaus fantasievoll vonstatten, nicht umsonst kostet das Teil 430 Euro. Richard Brautigan hat mal eine Geschichte darüber geschrieben, wie er sein Radio in Brand setzte und die Lieder sich dann in Rauch auflösten. Aber wir leben in einer anderen Zeit, und wir stecken uns auch nicht, wie der Hippie-Poet, einen Gewehrlauf in den Mund. Wir fangen noch einmal an. Wir lassen nur etwas Gepäck zurück. Irgendwann müssen wir ja mal damit anfangen. Sie sind also gar nicht blöd, wenn Sie sich die Maschine von SWAPDELTA Inc. zulegen. Die Trauerarbeit dauert nur so lange, bis der Song zerstört ist. Danach sagt Ihnen das Lied nichts mehr, nie wieder. Sie haben sich ein Stück Gegenwart zurück erobert. You´re welcome!


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