Manafonistas

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Archives: April 2020

Seit ich vor etwa zwei Jahren ein Album mit dem Titel Schwermut und Traurigkeit sind zu schätzende Gefühle (im schwedischen Original Svårmod och vemod är värdesinnen) der Band The End anfragte, finde ich in unregelmäßigen Abständen immer wieder mal Musik vom Londoner Label RareNoiseRecords in meinem E-Mailfach. Aufgefallen war mir das 2008 von Giacomo Bruzzo und Eraldo Bernocchi gegründete Label vermutlich durch David Torns Zusammenarbeit mit der Schweizer Band Sonar. Für deren Album hatten sie Torn als Produzent angefragt; am Ende entstand nicht nur das kraftvolle gemeinsame Debüt Vortex, sondern zuletzt gleich noch ein weiteres (Doppel-)Album namens Tranceportation, von denen im vergangenen Herbst bislang nur Volume 1 erschien und den hypnotisch groovigen Progressive-Rock unverändert gelungen fortführt.

Hinter dem internationalen Quintett The End stecken die beiden nordischen Bariton- und Tenorsaxofon-Stars Mats Gustafsson und Kjetil Møster. Beide setzen wie Sonar gerne mal Elektronik ein, um ihren Sound zu verfremden und vor allem zu radikalisieren. Die weiteren Mitglieder sind der amerikanische Schlagzeuger Greg Saunier, bekannt etwa von Deerhoof und Xiu Xiu, der norwegische Krachmacher-Gitarrist Anders Hana und als jüngstes Mitglied und einzige Frau im Bunde, die 1983 in Äthiopien geborene Schwedin Sofia Jernberg (ebenfalls in Gustafssons Fire! Orchestra und im genreignoranten Quartett „The New Songs“), die ihre Stimme als Instrument einbringt, um gegen den streckenweise noisigen Heavy-Rock anzukämpfen. Als Interpretin der (von Männern geschriebenen und nicht so durchweg überzeugenden) Texte bietet sie dem schwelenden Klangrausch ein waches Gegenüber. In der Mitte der CD stehen zwei epische Viertelstundenstücke, von denen speziell das gemeinsam komponierte Translated Slaughter weitaus weniger martialisch auftritt, als es der Titel vermuten lässt. Jernberg klagt, kreischt und krakeelt, bekommt aber auch den Raum, den Text mal sanft und sensibel vorzutragen, während die düster enervierenden Instrumente um sie herumtanzen wie Hexen in der Walpurgisnacht. Erst zum Ende hin explodiert das vorwiegend angespannte Stück auch mal ins Rockige. Stark ist hier Hanas Gitarrensound-Vielfalt. Reizvoller wird es bei The End immer dann, wenn sich die Musik ins Freie, Aufgeputschte entladen darf. Da erinnerte manche Passage (natürlich) auch mal an Møsters und Gustafssons andere Bands Møster! und The Thing (inklusive dem tollen Album mit Neneh Cherry von 2012, zu dem dieses hier fast wie eine Fortsetzung anmutet).

Stilistisch zwischen diesen beiden Bands liegt Red Kite, eine Art „Supergroup“ diverser bekannter Namen der norwegischen Jazz/Rock/Prog/Psychedelic-Szene, die jeder für sich beim Label Rune Grammofon auf etlichen Alben vertreten war. Auch wenn ich ihre starke eigene Version von Alice Coltranes Ptah, The El Daoud mag, bin ich bin mit der gesamten CD nicht so rückhaltlos warm geworden, doch der Nordische-Musik-Kollege Stefan Vinaricky umso mehr. Er schrieb, im Verlauf des Albums zeige sich, „dass die Eigenkompositionen nicht weniger dicht, komplex und eindringlich, kurz gesagt hervorragend gelungen“ seien. Wer Musik mit „Dampfhammer – Fender-Rhodes und vor allem Stromgitarren-Soli inklusive“ möge, dürfte hier seine Freude haben. „Der tief aus dem Hard-Rock stammenden Rhythmusgruppe gelingt es dabei, den Flow stets aufrecht zu erhalten, so dass das das Dargebotene zwar heftig, aber nie zu anstrengend wird. Die dazwischen eingestreuten ruhigeren Titel folgen einem nicht weniger dichten Flow und erzeugen eine wohltuende atmosphärische Weite. Ein wunderbares, ein großartiges Album.“

 
 


 
 

Wenn man RareNoiseRecords nun allerdings aufgrund der Alben von Sonar, Red Kite und The End sowie aufgrund ihres gewählten Namens als Lärm-Label abgehakt hat, tut man ihnen sehr Unrecht. Laut Eigenaussage ist „die Mission des Labels, zeitgenössische Trends in progressiver Musik aufzuspüren und diesen eine Plattform zu geben“, mit der sie „unabhängig von Genre und ohne jede Voreingenommenheit, in Beziehung zur Geschichte der Artform gebracht werden. Das Label soll eine Inspiration sein für alle, die gefesselt sind von spannenden, gewagten und progressiven Sounds.“ So findet man im Katalog der letzten ein, zwei Jahre (frühere Alben sind mir allesamt unbekannt) nämlich eine ganze Menge anderer Projekte, darunter auch von Musikern, die sich bereits vor 40 bis 50 Jahren einen Namen gemacht haben, wie Saxofonist Dave Liebman, der mit den nur etwas jüngeren Perkussion-Kollegen Adam Rudolph und Hamid Drake ein sympathisch verspieltes Konzertalbum mitgeschnitten hat. Chi wurde angeregt von John Zorn, der in New York im Club „The Stone“ regelmäßig improvisierende Musiker aus aller Welt zusammenführt. Hier bringen Rudolph und Drake eine Vielzahl spannender Schlaginstrumente auf die Bühne, teils wurde auch mit elektronischen Mitteln verfremdet. Natürlich ist das trotz einer über weite Strecken reduzierten, gar skelettierten Form schon eher Free-Jazz, aber durch die vielfältigen und komplexen Rhythmuselemente, darunter aus afrikanischen Kulturen stammende Instrumente, gewinnt das Ganze einen sehr dynamischen Zug, der auch Liebmans Spiel ins eher Rhythmische treibt. Bekanntlich war Liebman als ganz junger Musiker auf Miles Davis’ stark rhythmusbetontem Album On The Corner vertreten, bevor er unter anderem in den frühen ECM-Jahren eigene kulturübergreifende Gruppen mit Congas, Bongos und Tablas (u.a. mit Collin Walcott) leitete. Da ist es also nicht ganz abwegig, wenn man in Chi eine Fortführung der Ideen von Codona erkennt. Ohne Frage wäre es spannend zu hören, wie die gleiche Besetzung in einer (von Manfred Eicher produzierten?) Studioaufnahme klänge.

Und noch eine andere von ECM wohlbekannte Meisterin ihres (perkussiven) Fachs, die wie Liebman als junge Musikerin etwa zwei Jahre lang bei Miles Davis spielte (viele, viele Jahre später allerdings), reüssierte im vergangenen Jahr bei RareNoise: Marilyn Mazur versammelte für eines ihrer vielen „All-Star“-Projekte zehn tolle Musikerinnen wie Lotte Anker, Lisbeth Diers und Hildegunn Øiseth der nordeuropäischen Improvisation. Über das „groovende World Jazz-“Album Shamania schrieb hier der Kollege Tim Jonathan Kleinecke.

Mit mehreren CDs ist der italienische Bassist, Gitarrist und Klangbastler Lorenzo Feliciati bereits bei RareNoise im Katalog: Zuletzt erschien im Oktober das hinreißende Duoalbum Antikythera mit seinem Landsmann Michele Rabbia und einer Handvoll Gästen. Uli äußerte bereits seine Begeisterung für diese wunderbar unvorhersehbaren und detailreichen Soundscapes, bei denen oftmals rein akustisch erzeugte und elektronisch verfremdete Klänge nicht voneinander zu unterscheiden sind – es sei denn, da taucht plötzlich Andy Sheppards magisches Saxofon oder das warme (teils präparierte) Klavierspiel von Rita Marcotulli auf. Wieder einmal spannend ist auch Trompeter Cuong Vu, der zwei Stücke bereichert. Bereits im Vorjahr erschien das treibendere Album Twinscapes 2 mit Colin Edwin (ehemals Porcupine Tree), der ebenfalls Bass spielt und „Rhythm Design“ programmierte. Wie der Albumtitel verrät, hatten die beiden bereits zuvor gemeinsam eine CD veröffentlicht, damals gastierte Nils Petter Molvær, hier wurde Schlagzeuger Roberto Gualdi vollwertiges Bandmitglied, und zusammen entwarfen die Drei A Modern Approach To The Dancefloor, wie die Platte im Untertitel unglücklicherweise heißt. Wirklich tanzbar sind die zehn Stücke nur bedingt, eher schon könnte man vielleicht an eine flotte bis latent kraut- und progrockige Lounge-Fusion oder dergleichen denken, dabei gibt’s einige Momente, die an die Achtziger erinnern, vielleicht vage an die Band Material bzw. Bill Laswell, bei zwei Bassisten nicht ganz überraschend. Die CD ist zwar jetzt keine spektakuläre Entdeckung und nicht so eindrucksvoll wie Antikythera (siehe hierzu auch dies), aber ich finde, da sind immer wieder gut gespielte Grooves, E-Gitarren und andere schöne Ideen zu finden, etwa wenn recht überraschend Chorgesang auftaucht.

Molvær gastierte unlängst noch auf einer anderen RareNoise-Platte, noch eine mit einem verweisreichen Titel: Hyperuranion. Chat Noir wurden 2001 als akustisches Jazztrio gegründet, doch mit ihrem siebten Album haben sie quasi nichts mehr mit Pianotriojazz gemein. Zunehmend wurden elektronische Elemente eingearbeitet, Keyboards spielen eine tragende Rolle, und mittlerweile zählt Gitarrist Daniel Calvi, der auch Synthesizer ins Klangbild der Band integriert, zum festen Personal. Die Gruppe pflegt einen spür- und hörbar gemeinschaftlichen Produktionsprozess, und mit ihrer Klangästhetik scheint sie mir bei einer zeitgemäßen Version von dem angekommen, was man in den 1990ern „Future-Jazz“ nannte, bald darauf auch „NuJazz“ (siehe Wesseltoft, Aarset und, klar, Molvær – Electronica, Techno, Ambient im Jazz), aber auch hier dachte ich wieder an Bill Laswell. Oder an Toshinori Kondo, der mit Laswell und Bernocchi in den Neunzigern ein für mich damals ohrenöffnendes Album namens Charged herausbrachte. So ist es also gerade mal konsequent, wenn Molvær auf Hyperuranion einige Stücke mit seinem markanten Sound veredelt. Solche Gastauftritte in progressiven Bands (Slim Marvel, Food, Dhafer Youssef) und Kollaborationen (Sly & Robbie, Trilok Gurtu, Moritz von Oswald) pflegt der Trompeter ja seit jeher gerne und regelmäßig, und oft sind die so toll wie hier auf dieser CD. Ein wenig dachte ich übrigens auch an The Comet Is Coming, die in diesem Blog im letzten Jahr ja öfters erwähnt wurden.

 
 


 
 

Auch über Eraldo Bernocchi hatten wir vor mehr als einem Jahr bereits ein wenig kommuniziert, und auch hier empfahl Uli dessen Album Like a Fire That Consumes All Before It. Mit Hilfe von Gitarren, „treated guitars“ und Elektronik gestaltet der Italiener ein knapp 75-minütiges Ambient-Epos, das eigentlich als Filmmusik für einen Dokumentarfilm über den amerikanischen Maler und Zeichner Cy Twombly entstand. Ich fand auch hier viel Schönes, muss aber auch zugeben, dass mir in Bernocchis warmem Klangbad doch irgendwie etwas die Kanten fehlen und ich endlich mal den Film – er trägt den Titel Cy Dear – sehen möchte, denn in meinen Ohren passt diese elegisch schwebende Stimmungsmusik, die in vielen Momenten an Harold Budd oder Michael Brook erinnert, nicht so wirklich zu den Bilden von Cy Twombly.

Vergleichbar ruhig und minimalistisch, aber noch näher am Genre der „klassischen Musik“ ist Francesco Guerris Album Su Mimmi Non Si Spara!, das mich ebenfalls weniger begeistern konnte als Uli, auf dessen eindrucksvolle Würdigung daher hier noch einmal verwiesen sein soll. Noch ratloser ließ mich indes das Quintett Sean Noonan’s Pavees Dance mit dem Album Tin Man’s Hat. RareNoise selbst schreiben, es gäbe hier Prog-Rock und Avantgarde-Klassik in Kombination mit afrikanischen Volkstraditionen sowie „ruckartige Infusionen von Psychedelien und Lagerfeuergeschichten“ (ich vermute, dass diese amüsante Formulierung in der Pressemitteilung in der Info-Mail durch ein automatisches Übersetzungsprogramm entstand) zu hören. Das klingt ohne Frage interessant, aber ich konnte die Musik nicht wirklich anhören.

Deshalb zum Abschluss und zur Schließung des Kreises noch der Verweis auf mein bisheriges Lieblingsalbum beim Label RareNoise. Bei Nordische Musik habe ich es bereits in den höchsten Tönen gelobt, es erschien Ende 2018 als Katalognummer 100 zum zehnten Geburtstags des Labels. Der Begriff „Supergroup“ oder „All-Star-Band“ wird ja oftmals allzu leichtfertig für Gruppen genutzt, die weder „super“ noch „Stars“ sind. Das ist beim Quintett Anguish anders: Hans Joachim Irmler von der Band Faust, Will Brooks und Mike Mare von der Hip-Hop-Gruppe Dälek aus Newark, New Jersey, dazu die beiden Schweden Mats Gustafsson und Anders Werliin, die nicht nur von Liebhabern Nordischer Musik seit vielen Jahren mit ihren zahlreichen Bands zwischen Rock und Jazz (FIRE! / Fire! Orchestra, The Thing, Wildbirds & Peacedrums usw.) geschätzt werden. Als Anguish verbanden diese Fünf nun eben diese verschiedenen Einflüsse zu einem energetischen, mitreißenden Strom aus Ideen und Intensität: Rauer Hip-Hop mit elektronisch verfremdeten Gitarren trifft auf Gustafssons variables Tenorsaxofon trifft auf den rollenden Synth-Krautrock der Faust-Schule trifft auf schwebende Industrial-Sounds und Noise-Rock. Und doch bleiben die neun Stücke des Albums stets eingängig, selbst in den feinen experimentellen Kanten fast Pop Art. An drei Tagen im Sommer 2018 wurde diese Scheibe in Irmlers Faust-Studio im schwäbischen Scheer an der Donau eingespielt und erinnerte mich in ihrer Power und der Kreuzung aus gegenwärtigem elektrischem Jazz und elektronisch durchsetztem Rock auch an David Bowies letztes Album mit der Band von Saxofonist Donny McCaslin, das immerhin ebenfalls von Hip Hop beeinflusst war. Vergleichbares muss man lange suchen; allenfalls das kollaborative Projekt „13 & God“ zwischen den US-Hip-Hoppern Themselves und der süddeutschen Band The Notwist kam mir in den Sinn, wenngleich das freilich am Ende anders klingt.

 
 

 

2020 18 Apr.

letter from homeoffice

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X für U

Hans hörte gerne Jazz, sammelte auch jede Menge Platten. Allerdings nur die mit ansprechendem Cover, die stellte er in seinen Schrein. Er konnte unerbittlich in der Wertung werden, richtig böse, wenn man ihm ein X für ein U vormachen wollte – wobei das Erste für Exzellenz stand und das Letztere für Unsinn. Einmal traute ich mich, es war zu Beginn der Neunziger, Sympathie für Prefab Sprout zu zeigen und er rümpfte gleich die Nase: „Ja, hör du man Prefab Sprout!“ (in other words: lass ihn doch im Mainstreamtümpel baden, derweil unsereins mit Sonic Youth seine proletarische Herkunft feiert). Später wagte ich auch ein Bekenntnis zu Steely Dan, die er auch nicht mochte. Für unsereins jedoch: real lifers, seit dem Maschinenhaus in Mopedtagen (zu Bremen auf den Höfen) und Royal Scam im Fürstentum Monaco. Dass Hans Charakterzüge eines narzisstischen Psychopathen hatte, dämmerte mir später erst. Interessante Typen, zumal schwer im Trend, denn daraus lassen sich die guten Serien drehen: Der Killer war ein Plattensammler, beispielsweise.

 

Batikhemden, Kriegstraumata

Weisser Stoff, mit Wachs behandelt und mit Fäden abgebunden, in verschiedene Farbbäder getaucht, zum Abschluss imprägniert mit Kochsalz. Dann die Überraschung, was dabei herauskommt: Sommerfreude, Schmetterlinge, Hippiefreiheit. Eine Wohltat in den späten Wiederaufbaujahren nach dem Zweiten Weltkrieg, der noch immer diesen obskuren Schatten warf. Grossartig ist die jetzt neu verfilmte Fassung von Der Überläufer (ARD) aus der Feder des Schriftstellers Siegfried Lenz (wir „hatten“ ihn in der Schule, dass er so gut ist, war mir nicht klar). Nicht nur der flow zeichnet eine gute Serie aus, sondern auch der Umstand, dass man sich mittendrin wähnt im Geschehen, als sei man selbst dabei. Und am Ende der Etappe packt einen dann die Sehnsucht, an diese Orte zurückzukehren, den Akteuren nochmals zu begegnen. Alles ist so dicht und empathisch erzählt, dass eine abendlich portionierte Dreiviertelstunde in der Mediathek vollkommen ausreicht, um emotional auch mitzukommen. Viel Eros ist dabei. Findet Orpheus seine Eurydike vielleicht zu einem herzergreifend guten Schluss?

 

 
 

Seit vielen Jahren ist dies mal wieder eine vorproduzierte Ausgabe der Klanghorizonte (18. April, 1.05 bis 6.00 Uhr). Man wird sie eine Woche lang in der Mediathek-App des DLF nachhören können. Weil alles so kurzfristig war, habe ich die Themenstunde zu Jon Balke auf ein anderes Mal verschoben. Stattdessen, und nicht unpassend zur Zeit, begibt sich die „Nahaufnahme“ in der Mitte der Radionacht auf die Spuren der beiden Alben von und mit Sebastian Rochford, die zum einen sehr viel mit der Mohave Wüste, und zum andern mit einer Kirche im Norden Londons zu tun haben: welche Räume öffnen sich, wenn sich auf einmal so unendlich viele verschliessen, und das eigene Leben so viel fragiler wirkt wie in jenem verzuckerten Song von Sting?! Auf den Zeitreisen zum Ende der Nacht geht es dann volles Rohr in die Siebziger und Achtziger Jahre, mit Jan Garbarek, Buffy Sainte Marie, Bo Hansson, McCoy Tyner (ich spiele mein absolutes Lieblingsstück aus seiner Feder), Arthur Russell, sowie Musica Esporadica. Anbei auf dem Foto die Alben der ersten zwei Stunden, und eine BluRay, die sich einfach in dieses Bild hinein gemogelt hat, ein kleiner Lieblingsfilm aus dem alten Amerika. „Greg Mottola’s The Daytrippers“ is an under-seen, micro-budgeted American indie whose action takes place, in significant part, inside a dumpy wood-paneled station wagon.“

 

 
 

Tief unten macht sich elektronische Widerborstigkeit bemerkbar, melden sich Samples, lassen Streicher Federn fernab eines Hollywoodhimmels, fetzt ein Bläsertrio zum wohlfeilen Funk. So schleiche ich mich in (und verwandle) lang gefallene Worte von Konrad Heidkamp zu einer meiner drei Lieblingsalben von Bill Frisell, Unspeakable. Irgendwie passt das alles nicht, schreibt er, und macht sich doch ganz großartig. Und der Produzent und kühne Mitspieler dieser Aufnahme aus den frühen Jahren des Jahrhunderts ist nun auch von Corona erledigt worden, der wunderbare Hal Willner. Was hat er alles für Projekte angezettelt, rasch fallen Nino Rota, Kurt Weill und Thelonious Monk ein. Und Mingus auch. Die Besetzungslisten all dieser Genresprenger lasen sich „all-star“-mässig – der Name des „producers“ war das Gütesiegel. Bei Unspeakable steht er an Turntables und den Samples, verleiht den Stücken genau das, was der Titel deklariert, zudem jede Menge allerfeinst abgedrehter Dejavues!

 

 

… Mats Hummels über die Zeit nach der Krise: „In Dortmund gehe ich immer ins gleiche Café. Da gehe ich dann sofort hin. Ich glaube, ich gehe bei Wiedereröffnung rein, frühstücke, bleibe über Mittag da, Nachmittags Kaffee und Kuchen, und ich gehe erst wieder, wenn die mich rauswerfen – keine Sekunde früher.“

 

2020 16 Apr.

Slow Blues in G#

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„Ich bin eine Nuance.“

(Nietzsche)

 

Wir hatten uns nach langer Winterpause an unserer Tischtennisplatte im Park verabredet. Ein rotweisses Absperrband und aufgestellte Gitterzäune verriegelten den Zugang. Tischtennis spielen hält in Coronazeiten allen Abstandsregeln stand. Als die Sicherheitspatrouille an uns vorbeiging, sagte er: „Komm, lass gehen.“ „Wohin?“ „Zu mir.“ “ Willst du etwa Gitarre für mich spielen?“ (Sie dachte an die Stelle in Minima Moralia, wo Adorno das süße Mädchen aus Schnitzler’s „Reigen“ beschreibt: – geh, willst nicht Klavier spielen … – , wie es „archaische Frigidität bekundet“ und wo er die Angst des weiblichen Tiers! vor der Begattung erwähnt.)

Standhaft und jenseits der „Wollust ward dem Wurm gegeben“, folgte sie ihm amüsiert auf sein Zimmer. Er nahm gezielt die Gitarre von der Wand, fragte kurz, weisst du was ein G chord ist und fing an zu spielen. Er sang auch dazu. Sie schnappte einzelne Wörter auf, wie „that’s all right“ und „when your biscuit roller gone“.“ Wie heißt der Song?“ „Das ist ein Blues von Sam Chatmon, einem Gitarristen aus dem Mississippi Delta.“ Er spielte noch ein Stück, murmelte, I love his grip on the F chord.

„Klingt schön“, sagte sie, „wie Winchestergunmusic.“ „Weisst du, Musik ist Zerstreuung, ist Ablenkung für diejenigen, die fälschlich glauben, man lebe mit dem Tod (J. Offenbach). Bob Dylan hat sich mit Sam Chatmon’s Blues zerstreut, Grateful Dead haben ihn gern gecovered. Irgendwie fühle auch ich mich dem Chatmon Clan zugehörig. Es ist so, als ob Sam täglich mit mir an der Gitarre übt.“

Sie wollte sich an ihn lehnen. Die Gitarre versperrte ihr den Zugang, so wie das rotweisse Band im Park. Sie stand auf und ging bis zur Tür. Dort drehte sie sich um, hob kurz die rechte Hand und sagte: „Stay tuned.“

 

2020 16 Apr.

Das Schwarz von Keiji Haino

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Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Fans von Metal oft sehr liebenswerte gemütliche Menschen sind. Aber Metal ist nicht gemütlich. Es mag seine Rituale und Formeln haben, aber alle Zeiten wieder bricht etwas Neues durch. Das Schwarz von Keiji Haino zum Beispiel. Oder das, was geschah, als Scott Walker auf Sunn O))) traf. Oder damals, die eine Platte von Black Sabbath, zu der John Darnielle ein ganzes Buch schrieb. Nun rückt uns das Unheimliche in anderer Form auf den vergänglichen Leib, und überraschend schnell entwickeln sich ways of life rund um Covid 19 herum. Natürlich auch ways of dying. Es kann jeden von uns erwischen, auch die Jüngeren. Tröstlich ist wenig.

Einige von uns erinnern sich, es gab hier mal parallele Leseabenteuer. Jetzt könnte es wieder passieren. Wenn sich zwei Leser auf ein Buch einigen, entsteht sofort eine Parallelwelt. Die gleichen Bilder und Worte setzen ganz andere Vorstellungen in Gang. Jetzt hat Matthes & Seitz ein Buch von Eugene Thacker veröffentlicht, das schon ein paar Jahre auf dem Rücken hat, aber nun gewiss eine neue kleine Leserschar antreffen wird. „Im Staub des Planeten. Horror der Philosophie“. Die Fratze des Aussterbens der Menschheit erscheint am Horizont. Genug irrsinnige Präsidenten gibt es schon. Wie lässt sich vor diesen realen Katastrophen, die ganze Selbst- und Weltverständnisse bröckeln lassen, die eigene Wahrnehmung neu sortieren?

Eugene Thacker lässt sich treiben durch diverse Horrorwelten, sein Verstand bleibt messerscharf, sein Plädoyer für eine neue Mystik tollkühn. Literatur, Filme, Comics und Musik rücken in den Fokus, welche  die Verstehbarkeit an Grenzen treiben. Im Klappentext heisst das so: „Für ihn ist Philosophie keine akademische Logikübung, stattdessen integriert er Okkultismus, Dämonologie und Mystik, und zeigt nebenbei, dass Horror viel mehr ist als prickelndes Gruseln und Kunstblut.“ Aber das, sehr verehrte Damen und Herren, ist Ihnen ja wohl mittlerweile auch klar! Sind Sie bereit? Es könnte alles beginnen, in dem Sie erst einmal die beiden letzten Platten von Sunn O))) auflegen. Wieso kann diese Musik, die so urzeitlich, schroff und erratisch daherkommt, so erhebend und erhaben wirken?!

 

Liebe Gabi,

 

danke, dass ich deine Mail auf dem Blog veröffentlichen darf. In Absprache sind alle bis auf deinen Namen geändert, und ob deine Favoritin mit den Buckelwalen das liest, keine Ahnung. Schmunzeln würde sie bestimmt. Nein, die Aufzeichnungen behalte bitte als „akustische Postkarte“ bei dir, es reicht mir, wie lebendig sich das alles gerade in der Erinnerung anfühlt. Den „alten Meister“ kannst du Samstag in den Klanghorizonten hören, ich spiele mein vierzehn minütiges Lieblingsstück des Album, „Aus weiter Ferne“ – das passt doch, auch zu dem letzten Satz deiner Zeilen.

Also, du fragst nach Lieblingsalben dieser Tage. Nun, tatsächlich mag ich Roedelius „achtes“ Selbstportrait sehr. Auf Wunsch von Gunther Buskies, dem Chef von bureau-b, ging Roedelius an die Aufgabe, vorzugsweise mit dem „vintage“-Instrumentarium aus Forst, eine Art Zeitreise zu seinem jüngeren Ich anzutreten. Und das ist ihm rundum geglückt. Folgende Maschinen und Gerätschaften sind im Einsatz: Farfisa Fip345, Fender Rhodes Mark II, Roland CR78, Korg MS20, Boss RE-20, Echolette Aolis State Panorama Mixer. Was hier im Studio entstand, zusammen mit Wolf Rod Bock (Aufnahme) und Onnen Bock (Produktion), ist eine sehr hochwertige Aufnahme, und der Klassesound unterscheidet es von den alten Scheiben: was damals einen besonderen Reiz ausübte (und immer noch ausübt), wurde also nicht platt imitiert. Für mich hört sich das wie eine Sammlung von Essenzen an. Das Kindliche und Verträumte, das Skurrile und Weltenferne, und auch Dunkles, das sich immer wieder an die Ränder von Roedelius‘ Träumereien einschleusen kann. Und während ich diese Zeilen schreibe, läuft Wahre Liebe auf dem Kopfhörer. Das Album heisst wirklich so. Da hätte ich vielleicht was anderes vorgeschlagen. Haha.

Gestern und vorgestern war meine Lieblingsplatte die in Kürze erscheinende Arbeit von Lucinda Willliams. Good Souls Better Angels. Wie ich dich in Erinnerung habe, ist das sicher etwas, das dir gefallen könnte: rohe, ungeschliffene Energien, und dann die Power in der Stimme, selbst da, wo sie bricht. Mit ihrem Mann und Produzenten Tom ist sie erst kürzlich nach Nashville umgezogen, und sicher nicht aus Nostalgiegründen. Ich las ein langes Interview mit ihr in der Mai-Ausgabe von Uncut. Beeindruckend. Aber jetzt ist auch sie in dieser neuen befremdlichen Welt gelandet. 

Kontemplatives Leben kann ich gut. Ich versuche mich fit zu halten. Jeden Tag einmal über den Berg. Aussenwelt, Innenwelt, schön im Wechsel. In den letzten Tagen bin ich in folgenden Filme versunken, bei mir daheim auf grosser Leinwand: Steamboat Bill, Jr. ein grossartiger Buster Keaton. Die schöne Querulantin. Von Jacques Rivette. Einsame Klasse. The Man Between. Von Carol Reed. Nachkriegsberlin, kurz vor dem Mauerbau. Alles Zeitreisen. Was reale Reisen betrifft, würde ich ich gerne ratzfatz auf Sylt auftauchen und einen Tag lang an der Küste wandern. Von Kampen bis Hörnum. Und zurück. Die Inselpolizei bekäme meinen Unabkömmlichkeitsausweis vorgezeigt. Ich bin keine Schmuggelware. Ich muss einfach ans Meer gelangen können. Irgendwie und „sowiesoso“! Fisch, Aszendent Waage. Und da bin ich auf einmal, schaue mich um, gespenstische Leere. Ein Gefühl, wie zwischen „Lost“ und „The Leftovers“.

 

Herzlich, Michael

2020 15 Apr.

Kleine Mail wie aus fernen Zeiten

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Lieber Michael!

 

Ich habe nun endlich Zeit gefunden, meine Aufzeichnungen durchzugehen, aus den Tagen der Selbsterfahrungsgruppe im Weserbergland. In Erinnerungen bin ich oft dorthin zurück gekehrt, aber nur in der Art, dass ich Musik auflegte, die wir damals gespielt haben. Die Beziehung mit Heike war schon auf dem absteigenden Ast, aber es gab noch schöne Momente, und dieser letzte gemeinsame Urlaub hatte einiges davon zu bieten. Gutes altes Hippie-Feeling. (Heike ist gerade mitten in einem neuen Honeymoon, und ich fahre auf Hatha-Yoga ab, so ändern sich die Zeiten.) Ist ja noch gar nicht sooo lange her. Die Gelage mit Wein und Haschisch, nachts, während aus den Bäumen „Sowiesoso“ von Cluster lief. Deine Lagerfeuergeschichten haben mich genauso wegdriften lassen. Einmal spieltest du dazu eine der ersten Selbstportrait-Alben von Roedelius und erzähltest davon, wie diese vollkommen unperfekte Musik mit all ihren Einfachheiten oft tieferen Zauber entfachen kann als etwas irrsinnig Virtuoses. Du erzähltest, wie Musiker wie Eno oder Roedelius gerne beschädigte Kassettenrekorder, Tonbandgeräte, Instrumente benutzten.

Ich habe einiges mitgeschnitten, und das lief gestern Nacht in meiner Dachstube in Osnabrück. Gesichter wurden lebendig, als ich die Stimmen hörte, die Nachtgeräusche, und im Hintergrund diese „Selbstportraits“ des alten Österreichers. Karins Stimme ist einmal zu hören, und sie schwärmt da von der berühmten Platte mit dem Buckelwalen. Karin und Bernd, eines dieser scheinbar ewigen Paare, die über die Jahrzehnte beieinander geblieben sind. Ich stellte sie mir als Girl vor, und wie ich damals aussah, und ich  hätte gerne ein Zelt mit ihr geteilt und ihren Körper erkundet. Das mit der Lust hört nie auf, oder? Aber Karin sprang ihr Heterosein aus jedem Knopfloch, also steckte ich ihr zum Abschied nicht mal meine Mobilnummer zu. Vielleicht liest sie ja euren Blog. Egal, ich spinne nur etwas. Soll ich dir drei Stunden Klänge und Stimmen senden? Wie ist das neue Album von Roedelius? Was ist gerade deine Lieblingssscheibe? Hey, und das war ein ganz tolles „Seminar“! Pass gut auf dich auf, und vielleicht kommst du ja mal in Osnabrück vorbei? Seit diesem Virusirrsinn kommen mir schon Dinge, die nur Wochen, Monate zurück liegen, wie ein vergangenes Leben vor.

 

Herzlich, Gabi!

2020 14 Apr.

Produced by Eno

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The first-ever reissue of the classic 1981 debut album from this much revered Ghanaian band. Vibrantly produced by British sound explorer Brian Eno in Accra, Ghana.

Highlife meets afro-funk. Spirited and horn driven.

In 1981, London based E.G. Records released the debut album from a young Ghanaian group called Edikanfo. The eight-piece band was the last group to be managed by Faisal Helwani, a charismatic impresario who was based at the popular Napoleon Club in Osu, a suburb in Ghana’s teeming capital Accra. Edikanfo quickly rose to international notoriety following the release of “The Pace Setters” because of the infectious, forward-looking highlife meets afro-funk synthesis the band committed to tape. But the album also caught an additional wind of publicity due to its producer, the already legendary British musician and sound conceptualist Brian Eno. During that time, Eno was researching and openly propagating West African musics. He often mentioned his love of Fela Kuti and called his own rhythm driven experiments the search for a “vision of a psychedelic Africa.” He had recently been collaborating with The Talking Heads on their Avant-funk masterpiece “Remain in Light” and with The Talking Heads front man David Byrne on “My Life in the Bush of Ghosts,” an album which foretold the sort of cross-pollination and global music interconnectivity that today we take for granted. Eno and Edikanfo’s work together at Studio One in Accra (Ghana) was yet another inspired morphing of soundworlds and processes and a significant touchstone for both artists.

But just when the sky seemed the limit for Edikanfo, the coup d’état in Ghana on the last day of 1981, tragically put the brakes on the band’s quickly developing fortunes. For years after that, the country endured enforced curfews at night, which of course ultimately gutted the live music scene in Accra and elsewhere. Because of this and other financial setbacks, the band ceased activity and its members spread out in exile, all over the world. It clearly seemed as though the story of Edikanfo, one of Ghana’s greatest bands of that era, had come to a premature end.

Now, almost four decades later, Edikanfo has returned. And with its surviving members gearing up to reissue and tour their classic 1981 album, “The Pace Setters,” the band is once again excitedly pointed towards the future.

(this is only posted for two days)


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