„Ich bin eine Nuance.“
(Nietzsche)
Wir hatten uns nach langer Winterpause an unserer Tischtennisplatte im Park verabredet. Ein rotweisses Absperrband und aufgestellte Gitterzäune verriegelten den Zugang. Tischtennis spielen hält in Coronazeiten allen Abstandsregeln stand. Als die Sicherheitspatrouille an uns vorbeiging, sagte er: „Komm, lass gehen.“ „Wohin?“ „Zu mir.“ “ Willst du etwa Gitarre für mich spielen?“ (Sie dachte an die Stelle in Minima Moralia, wo Adorno das süße Mädchen aus Schnitzler’s „Reigen“ beschreibt: – geh, willst nicht Klavier spielen … – , wie es „archaische Frigidität bekundet“ und wo er die Angst des weiblichen Tiers! vor der Begattung erwähnt.)
Standhaft und jenseits der „Wollust ward dem Wurm gegeben“, folgte sie ihm amüsiert auf sein Zimmer. Er nahm gezielt die Gitarre von der Wand, fragte kurz, weisst du was ein G chord ist und fing an zu spielen. Er sang auch dazu. Sie schnappte einzelne Wörter auf, wie „that’s all right“ und „when your biscuit roller gone“.“ Wie heißt der Song?“ „Das ist ein Blues von Sam Chatmon, einem Gitarristen aus dem Mississippi Delta.“ Er spielte noch ein Stück, murmelte, I love his grip on the F chord.
„Klingt schön“, sagte sie, „wie Winchestergunmusic.“ „Weisst du, Musik ist Zerstreuung, ist Ablenkung für diejenigen, die fälschlich glauben, man lebe mit dem Tod (J. Offenbach). Bob Dylan hat sich mit Sam Chatmon’s Blues zerstreut, Grateful Dead haben ihn gern gecovered. Irgendwie fühle auch ich mich dem Chatmon Clan zugehörig. Es ist so, als ob Sam täglich mit mir an der Gitarre übt.“
Sie wollte sich an ihn lehnen. Die Gitarre versperrte ihr den Zugang, so wie das rotweisse Band im Park. Sie stand auf und ging bis zur Tür. Dort drehte sie sich um, hob kurz die rechte Hand und sagte: „Stay tuned.“