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Archives: Eberhard Weber

So lautet der Titel einer Eberhard Weber-Komposition: für einen Musiker, dessen Cover oft feinsinnige Naive Malerei schmückt, eine eher seltsame Szenerie. Oft denke ich daran, wenn ich zum Car Wash fahre, und gestern hatte ich ein himmlisches Klangerlebnis in der neuen „Waschstrasse“ meines Vertrauens. Auto für Auto wird man durchgewinkt, und erlebt dann, während man es sich im Wagen gemütlich macht, wie die ganzen Rollen und Sprüher und Besen und Schläuche das Auto einseifen, überrollen,auf Glanz polieren und mit heftigen Druckwinden trocknen. Als ich noch in der Wartekolonne stand, weil, nun ja, wegen der Saharawinde, die auf alle Autos im Niederrhein niedergingen, der Andrang gross war (jedes Auto sah aus, als wäre es durch eine hitzestarrende, staubige  Geisterstadt im wilden Westen gerast – fehlten nur noch Einschusslöcher), legte ich meine derzeitig favorisierte CD in den Player, ein,  die ersten vier Stücke von „Evening Star“ von Fripp & Eno, ein Album, das im Dezember 1975 erschien (seufz!).

 

    1. Wind on Water“ – 5:30
    2. „Evening Star“ – 7:48
    3. „Evensong“ – 2:53
    4. „Wind on Wind“ – 2:56

 

Kaum hatte Stück Zwei begonnen (einer meiner Top 5 Ambient Oldies), begann der herrliche Höllenlärm der Rollen und Düsen, und ob Sie es glauben oder nicht, den Spass nahm ich wahr als brillianten Live Remix: wie das Geplatter und Gedröhne mich von allen Seiten umschloss, umfing, umgarnte, war sehr, sehr lustvoll, ich legte mich zurück, und die minimalistischen Harmonien von Fripp und Eno wurden nie komplett begraben in diesem wilden Noise, sie liessen ihre immense Schönheit noch mehr leuchten. Ein traumhafter „My Bloody Valentine“- Effekt – „all diese Juxtapositionen!“ Wenn man mich fragte nach meinen five favourite ways to die in peace, solch ein Tod in der Autowaschanlage hätte seinen Platz sicher. Aber nur unter ebendiesen klanglichen Bedingungen. Das Stück von Eberhard Weber befindet sich übrigens auf seinem Album „Later That Evening“. Paul McCandless ist dabei, und Brian Whistler liebt das Teil. Ich auch (in der Erinnerung zumindest, es wird Zeit, das Album aus dem Jahre 1982 wieder mal zu hören – was für eine Besetzung! Ich lebte damals in Furth i.W. und war noch sieben Jahre  von meiner ersten Radiosendung entfernt – und das waren gleich zwei auf einmal, am gleichen Tag, direkt hintereinander, mit komplett anderem Skript und O-Tönen, zwei Portraits von Steve Tibbetts, im NDR, im DLF, ich erinnere mich noch, dass in einer der beiden das Wort „Geräuschsammler“ im Titel vorkam, im November 89.)

 

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Eberhard Weber bass
Paul McCandless soprano saxophone, oboe, English horn, bass clarinet
Bill Frisell guitar
Lyle Mays piano
Michael DiPasqua drums, percussion
Recorded March 1982 at Tonstudio Bauer, Ludwigsburg
Engineer: Martin Wieland
Produced by Manfred Eicher

 


Also, dein Soloalbum „Orchestra“ (1989) ist ja kein reines Bassalbum, zuweilen tauchen auch andere Instrumente auf. Aber der Hauptdarsteller ist hier, mehr als auf deinen früheren Werken, dein spezieller Elektrobass, mit seiner unverkennbaren Klangsprache. Der „Weber-Sound“ sozusagen.

 

– Dazu fällt mir eine Merkwürdigkeit ein. Als ich vor längerer Zeit mal meine Platten diagonal durchhörte, war ich zunächst entsetzt, dass mein Klang jedesmal anders war: manchmal ganz hinten, mono und klein, dann schwingend mit einem phasing-Effekt, dann wieder stereo und orchestral. Schliesslich habe ich mich aber doch darüber gefreut, weil ich eben doch nicht von diesem Instrument abhänge. Sicher, es ist mein Markenzeichen, aber sein Klang hat viele Facetten; ich bleibe ich, wenn ich ein entsprechendes Instrument spiele. Leute, die sagen, dass sie mich aus Hunderten raushören, sind immer ganz erstaunt wenn ich ihnen mitteile, das ich auf meiner ersten Platte „The Colours of Chloe“ fast ausschliesslich den grossen Kontrabass spiele. Mittlerweilen habe ich meinen Bass zu meinem Werkzeug gemacht, habe damit Spielweisen entdeckt, die man nur mit diesem Instrument machen kann.

 
 

 

(Was da gerade zu lesen war, ist eine Passage aus meinem ersten Interview mit Eberhard Weber im Spätsommer 1989, wir unterhielten uns im Essener Folkwang-Museum, vor einem der Seerosenbilder von Claude Monet – lang ist‘s her. Jahre später, 1993, erschien sein zweites, reines Solobassalbum namens „Pendulum“, da trafen wir uns wieder, diesmal in München. Kate Bush schrieb Eberhard Weber im Sommer 2014 eine E-Mail, in der sie, im Hinblick auf ihr Bühnen-Comeback, anmerkte: „Did I tell you that we played your stunning Pendulum CD in the venue before each and every show as it‘s my favourite album!“. Ein Zitat aus seinem Buch „Résumé – eine deutsche Jazz-Geschichte“. Am kommenden Freitag erscheint Webers Solo-Konzert „Once Upon A Time“, live aufgenommen in Avignon anno 1994. Die beiden Alben „Résumé“ (2013) und „Encore“ (2015), in denen er ausgewählte Bass-Soli aus Konzerten mit der Jan Garbarek Group in einen besonderen „flow“ verwandelt, vervollständigen die Liste primär solistischer Basswerke. Irgendwie hat mich seine Musik ein Leben lang begleitet. Zu allererst erlebte ich ihn, als er gerade frisch in das Dave Pike Set eingestiegen war, im Dortmunder Domicil, recht früh in den Siebziger Jahren, an seiner Seite Volker Kriegel. Wenn ich mal den Soundtrack meines Lebens notieren wollte, würde „Yellow Fields“ ein eigenes Kapitel bekommen, so wie „The Following Morning“, auch so ein Wunderwerk, bei Pat Metheny. Aber da sind wir nun tief in den Siebziger Jahren gelandet.)

 

 

 
 
 
Den Lesern dieses Blogs muss man nicht erklären, wer Eberhard Weber ist. Résumé ist seine tatsächlich von ihm selbst geschriebene Autobiografie, parallel mit seinem Album Encore veröffentlicht.

Da erzählt jemand, was ihm aus dem vielen Jahren seiner Karriere in Erinnerung geblieben ist — Begegnungen mit Kollegen, Reiseerinnerungen, Flugplatzabenteuer, sein Instrument, die Arbeit mit Manfred Eicher, der Einsatz von Verstärkern und Elektronik im Jazz, der Konzert- und Tourneebetrieb, die (teils deftigen) Unterschiede zwischen dem deutschen und dem amerikanischen Jazzbusiness, die Existenz als „Telefonbassist“, wie er sich einmal einen LSD-Trip mit Wolfgang Dauner geteilt hat. Und noch vieles mehr, was in eine Autobiografie gehört. Das alles ist ein bisschen unsystematisch, ein bisschen sprunghaft, manchmal heiter, manchmal mit Widerhaken versehen (das ist dann besonders interessant), nie langweilig. Résumé liest sich, als würdest du mit Weber beim Glas Wein zusammensitzen.

Dass das, was das Publikum wahrzunehmen glaubt, nicht immer mit dem übereinstimmt, was die Musiker auf der Bühne empfinden, wenn sie es spielen, ist eine Erkenntnis, die vielleicht manchen überraschen wird, ebenso, dass die Musik auf der Bühne anders klingt als im Saal. Als Hörer macht man sich das selten klar. Eine andere interessante Erkenntnis Webers ist, dass gerade in den 60er Jahren die Grenzen zwischen Jazz und Schlager fließend sein konnten, die Musiker das aber nie gestört hat (anders als oftmals die Kritiker). Nicht allen wird gefallen, was Weber über den Free Jazz schreibt. Er weist nicht nur auf das Dilemma hin, dass, wenn alles erlaubt ist, kaum noch Variationsmöglichkeiten existieren und das Ganze dann ziemlich einförmig wird, sondern er beschreibt auch, dass es zwei Free-Jazz-Fraktionen gab, nämlich eine „Hardcore“- und eine „Happening“-Fraktion. Erstere nahm ihr Wirken todernst, letztere nicht. Deswegen konnten sich beide gegenseitig nicht ausstehen. Mittendrin finden sich einige nette Anekdoten über den „Jazzpapst“ Joachim-Ernst Berendt, dessen Verdienste als Gründer und damaliger Leiter der SWF-Jazzredaktion zwar unbestritten sind, der sich aber gelegentlich, wie Weber hier an einem Beispiel schildert, in Widersprüche mit seinen eigenen Forderungen verwickelte — etwa, indem er Musikern vorschrieb, wie sie „free“ zu spielen hatten. (Der geschätzte Werner Burkhardt hat Berendt mal eine „rührende Humorlosigkeit“ bescheinigt. Das findet sich hier bestätigt.)

Weber geizt nicht mit Meinung. Immer schimmert dabei ein stilles Augenzwinkern durch den Text hindurch. Selbst dann, wenn er über seinen Schlaganfall spricht. Auch hier nimmt man ganz beiläufig Erkenntnisse mit, auf die man sonst nur kommen kann, wenn man direkt mit dem Thema konfrontiert ist — etwa, dass der Schlag nicht nur körperliche Auswirkungen hat, sondern auch die emotionale Wahrnehmungsweise des Gehirns verändert. Seinen Humor hat Weber trotzdem nicht verloren: „Ich kann nicht Bass spielen. Aber ich weiß, wie’s geht!“

Ein sympathisches Buch.
 

Eberhard Weber:
Résumé – Eine deutsche Jazz-Geschichte
sagas.edition, Stuttgart 2015, ISBN 978-3-944660-04-2
 

Eine Nachbemerkung sei noch gestattet: Ich weiß nicht, weshalb gerade die Verleger von Musikbüchern immer wieder zu glauben scheinen, sie müssten die Regeln der Typografie neu erfinden. Dieses Buch ist eigentlich schön aufgemacht, sogar mit Lesebändchen. Um so mehr irritiert mich die verwendete Schrift, eine serifen- und gesichtslose Type, die an Formulare vom Finanzamt erinnert und das Lesen von Seite zu Seite anstrengender macht. Liebe Buchgestalter, ihr wisst es doch: Ein Buch stellt andere typografische Anforderungen als, sagen wir, ein ECM-Booklet. Selbst wenn ihr die Garamond nicht mehr sehen mögt, es gibt viele Möglichkeiten. If in doubt, set in Caslon. Funktioniert immer. Oder von mir aus sogar in Times New Roman — besser als dies hier wäre selbst das. Danke fürs Zuhören.


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