Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

You are currently browsing the blog archives for the tag ‘Don Cherry’.

Archives: Don Cherry

2023 27 Jan

listening limitzzz /1: Don Cherry

| Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Tags: , Comments off

About Don Cherry’s  short-wave radio listening practice

 

„… He did that well before the days of Walkmans, iPods, or listening to music on phones. Don had large headphones that could pick up short-wave radio signals from around the world. Since the dial couldn’t indicate where a particular signal was coming from, he could be listening to something from Ghana or Indonesia or New Jersey. He didn’t care where it was coming from, he just wanted to hear music that interested him.

It seemed like Don would just listen all day long. Quite often he came into rehearsal and taught us a melody that he just heard on the shortwave. … he had an incredible capacity to hear music in whatever shape it took.“

 

(Karl Berger, The Music Mind Experience. Wolke 2022)

2021 27 Nov

Incontro con Don Cherry

| Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Tags:  2 Comments

Neben den beiden wunderbaren Livealben der Organic Music Society erschien Anfang dieses Jahres fast ganz unbemerkt Om Shanti Om, ein sehr intimes Album von Don Cherry aus dem Jahre 1976. Es wurde in den Studios des italienischen Rundfunks RAI für den Broadcast Incontro con Don Cherry als Soundtrack aufgenommen und wurde nun erstmalig als Album veröffentlicht. Eine freundliche Einführung auf italienisch leitet den Film ein und schon beginnen Don Cherry, Nana Vasconcelos, Gian Piero Pramaggiore und Moki Cherry sich einzustimmen. Das Studio ist mit den bunten Stoffcollagen von Moki Cherry ausstaffiert und die Musiker sitzen dazwischen in einer natürlichen Selbstverständlichkeit fast wie zu Hause und spielen sich mit einer wunderbaren Leichtigkeit durch indische, tibetanische, brasilianische und afrikanisch inspirierte Improvisationen, überspringen kulturelle Grenzen, als ob es sie nie gegeben hätte, schaffen etwas wie eine ganz selbstverständliche akustische Weltmusik mit fast kindlich spielerischer Neugier. Manchmal kommen sie schon in ihrer Intimität und Komplexität ganz nah an die Klangwelt der Codona-Alben heran und der Hörer bekommt eine leise Ahnung wieviel Vertrautheit und gemeinsame Spielerfahrung dennoch erforderlich sein werden bis dieser Meilenstein entstehen konnte. Eine entspannte Natürlichkeit ist Om Shanti Om eigen, eine humorvolle Präsenz in Studio, die schließlich im letzten Stück in Gastauftritten seiner Kinder Neneh und Eagle Eye kulminiert, die sich fast wie beiläufig in das Klanggefüge einklinken. Obwohl die Kamera mitläuft bleibt eine sehr stille, private Atmosphäre tragend und lebt von den kleinen Pausen und Wechseln, in denen spürbar wird, wie konzentriert die Musiker in der Musik präsent sind. Eine leise Reminiszenz an den so unbefangen scheinenden Klangmagier Don Cherry, dessen intensive und organische Improvisationen hier geborgen hypnotische Kräfte entfalten. Om Shanti.

 
 

„This is actually not my music. It‘s a combination of different experiences, different cultures and different composers that evolve the music we‘re playing together …“

 

Schon sehr früh hörte sich Maxwell Sterling durch die Plattensammlung seiner Eltern (nicht unbedingt nur ein Klischee, sondern oft inspirierende Realität vieler jüngerer Musiker) und entdeckt dabei seinen Zugang zum Jazz. In seiner Jugend begann er als Bassist, erst E-Bass, dann Kontrabass und schließlich auch Exkursionen auf dem legendären Octabass, der mit seiner tiefsten Saite Abstiege bis 16 Hz unter die Hörgrenzen des Normalsterblichen ermöglicht. Als Komponist machte er bereits früh von sich zu hören und zog bald nach LA, um dort Filmmusik zu entwickeln. Als Metavision seines Schaffens für Hollywood debütierte er 2016 mit Hollywood Medieval, einem höchst bemerkenswerten, vielschichtigen und musikalisch originellen Album.

Im Auftrag von Nottingham Contemporary komponierte er Musik, die zu einer Ausstellung von Moki Cherry, Penny Slinger und einer Sammlung statischer Musikinstrumente den klanglichen Kontrast liefern sollte und schuf dabei etwas ganz Neues. Eine Art meditativer, psychedelischer und unaufdringlich vor sich hin pulsierender Jazz, der leise zitiert, in Laced auch ein paar Don Cherry-Samples subtil verarbeitet, daneben ein Harpsichord und vogelähnliche Klänge, die über leisen Drones schweben. Ganz langsam und hochkomplex ohne sich damit auch nur einen einzigen Augenblick aufzudrängen und sogartig hypnotische Tiefen ganz beiläufig zu entfalten. Dabei entfaltet jedes der über 10 Minuten langen Stücke eine ganz eigene Trance in den geisterhaften Vexierspielchen aus Hörerfahrungsversatzstücken. So beginnt With Rumour mit an die Endlosschleifen alter Brian Eno-Alben, am ehesten an Discreet Music erinnernde Loops, in die sich ganz nebenbei kleine Geräusche und ein altes Piano einschleichen und jegliche Zeit vergessen machen. Eine verhallte Bassklarinette unduliert in der Nebelhaftigkeit dieses ungemein faszinierenden Postjazz. Dann eröffnet ein leises Klavier (ein bisschen an Michael Nyman’s Decay Music erinnernd) Loud-Speaker, zu dem sich bald ein noch leiserer Subbass und das murmelnde Ziehen von gequälten Streichinstrumenten unirdischen Ursprungs gesellen, die halluzinatorische Möbiusschleifen in hochdimensionalen Räumen verwinden ohne jemals dabei aufdringlich zu werden. Sogar das Bodenlose verliert seine räumliche Orientierung und wird fast unbemerkt ein Teil des psycholytischen Ambientes. Of Truth beginnt mit grummelnden synthethischen Klängen, zu denen sich wie zufällig dazu improvisiert akustische Klangfragmente einfinden, die den Fluß des surrealen Erlebens noch einmal verlangsamen und in dunklere, aber warme Gefilde führen. Selbst bislang ungehörte Klangformen hören sich hier ganz natürlich an, verschachteln sich und entziehen sich fast unbemerkt einer geordneten Musikwahrnehmung, ohne aber der der wohligen Verlorenheit in dieser fein versponnenen Komplexität den Boden zu nehmen. Und nicht zuletzt scheint dieses außerordentliche Album ein Eigenleben zu entwickeln, sich hintergründig zu verändern und bei jedem Hören wieder in neuen Variationen zu präsentieren. Es infiltriert meinen Geist mit den wenigen Klangtupfern, die erforderlich sind, um die große Stille erfahrbar zu machen, gleichzeitig musikalisch zwischen allen Genres sich bewegend. Bislang das bemerkenswerteste Album dieses Jahres, das zudem seit langem endlich wieder einmal eine mandalaartige Handarbeit Moki Cherry’s auf dem Cover ziert.

 
 

 

 

 

Call me. Right foot starts, left foot follows. I walk and I walk. Genau genommen fahre ich. Auf der Autobahn nach Süden. Die Sonne brennt, halt richtig Sommer. Und aus den Lautsprechern kommt der relaxte, funkige Sound von Home Boy/Sister Out. Nach über 30 Jahren endlich wieder zu bekommen und das auch noch mit einigen feinen Extratracks. Paris 1985, Schmelzpunkt verschiedenster Kulturen und einer, der als der Weltmusiker schlechthin das schon immer alles zusammengeführt hat. Jazzig, funkig, voller Zitate und doch ganz eigenwillig. Vielleicht das im Unkonventionellen gefälligste Album von Don Cherry, in dem er clever Störungen des Jazz, Rhythmen von Afrika bis New York, Funk und ein bisschen Rap zusammenführt und dies mit der ihm eigenen sensiblen, sehr liebevollen Haltung und einem entspannten Spass am Spielen mit seinen Mitmusikern umsetzt. Und der ganz nebenbei mit Songs wie Treat your lady right der #MeToo-Debatte um Jahrzehnte voraus war. Wunderbare Musik für den Sommer, die Hitze flimmert auf der Straße vor mir, eine kleine Fata Morgana und auf einmal sitzt Don Cherry neben mir auf dem Beifahrersitz, fingert an seiner Pocket trumpet, die einst Boris Vian gehörte, herum, zwinkert mir zu und steigt ganz losgelöst in den ethnofuturistischen Groove ein.

I’m feeling good the way I should … für mich definitiv der Reissue des Monats!

 
 

 
 

2014 17 Feb

Nordwärts Don

| Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Tags: , , Comments off

Zwei Ästhetiken, dieselbe Epoche … Beide geben an, wie auf neue Welt(en) ausgegriffen wurde.

Heute bis zum Gehtnichtmehr zu bunter Alltagsmaskerade popularisiert … Naná Vasconcelos kann man auf der ersten Hülle erkennen: Organic Music Society, in Stockholm und in Kopenhagen aufgenommen.
 
 
 

 
 
 
Live in Stockholm: Band mit Bernt Rosengren und Tommy Koverhult am Tenorsaxophon , Torbjörn Hultcrantz am Bass, Leif Wennerstrom am Schlagzeug und Maffy Falay aus der Türkei an der Trompete. Aufnahme von 1971 in The Dome, ein Kunst-Pavillon außerhalb des Moderna Museet in Stockholm.
 
 
 

 

Don Cherry liess sich auf die unterschiedlichsten Kontexte ein und hatte die Gabe, nichtdominierend einzugreifen und das anhaltende Lied des Moments zu singen. In diesem VIDEO kann man sehen wie Don Cherry Monk-Essentielles zelebrert – genauso wie Billy Higgins, der hier am Schlagzeug sitzt. Herbie (Hancock) und der ursolide Ron Carter lassen sich auf das Spiel ein. Cherry trifft einen Nerv, was man an der Reaktion des Publikums in New Orleans merken kann.
 
 
 

 
 
 
Bemsha Swing!? Wie kommt man zu solch einem Song? Monk nahm ihn 1952 zum ersten mal auf.
 

„Berger paints a picture of Cherry as one who functioned on a level completely beyond most other musicians; he carried a pocket-sized transistor radio with him wherever he went, listening to music from the world over, practicing tunes from Turkish folk music to the Beatles constantly and incorporating them into his suites. Often, Cherry would show up to concerts and rehearsals playing his wood flutes and with a slew of newly-found songs committed to memory, leading the affably game ensemble through an hour-long suite, the themes of which may or may not have been known beforehand.“ (Clifford Allan) 

 

Wann habe ich seinen Trompetensound zum ersten Mal gehört? Es war wohl früh in den Siebzigern, ein Bekannter, der schon länger vom Virus des freien Jazz befallen war, brachte mir die Langspielplatte COMPLETE COMMUNION vorbei, und der so geschliffene wie glasdünn geblasene Ton nahm mich gefangen, heute höre ich noch, nur aus der Erinnerung (die mich jetzt auch austricksen könnte), wie perfekt Karl Bergers Vibraphon mit Cherrys Glasperlenspiel harmonierte. Those were the times.

 

Mu, Part 1 & 2, entstanden an einem Augusttag des Jahres 1969 in Paris, und EL CORAZON im Februar 1982 im Tonstudio, Bauer, in Ludwigshafen. damals enstanden auch hier, und nicht nur in Oslo, legendäre Produktionen des Labels ECM. Ein Jahr, bevor das Münchner Label gegründet wurde, erlebte der amerikansiche Jazz in Paris, in den politischen und kulturellen Kraftfeldern und Erschütterungen rund um den Mai 68, eine weitere Blütezeit – diesmal war es nicht zuletzt der Free Jazz, der Musiker der amerikanischen Ost- und Westküste nach Europa lockte, wo sich ökonomisch schlicht mehr Möglichkeiten boten, wo die Menschen für diese aufregenden Sounds äusserst zugänglich waren, und wo neue Festivals und Labels wie Pilze aus dem Boden schossen. So veröffentlichte das Pariser Label Byg Actuel zwischen 1969 und 1972 etliche wagemutige Produktionen, die das Art Ensemble of Chicago und andere jungen Wilde des Neuen Jazz zu Gehör brachten – zu den Wegbereitern dieser vielgestaltigen, keine Kompromisse eingehenden Musik zählten auch Don Cherry und Ed Blackwell. Letzterer zählte zu den Drummern, die sich nicht mit der Pflege der alten Traditionen zufrieden gaben. Beide hatten schon Geschichte geschrieben im Ornette Coleman Quartet, hatten ihren Anteil an der epochalen Produktion „Free Jazz“, Don Cherry brillierte in den Sechziger Jahren auch mit Soloarbeiten für das Label Blue Note wie SYMPHONY FOR IMPROVISERS oder COMPLETE COMMUNION.

 

Als ich ihn ein Jahr vor seinem Tod für ein Portrait im Deutschlandfunk traf, galt DONA NOSTRA für viele schon als Vermächtnis. Er wirkte auf mich, als wäre ihm die grösste Kraft abhanden gekommen. Doch da waren etliche wundervolle Momente auf dieser letzten ECM-Produktion, Kreise schlossen sich, alte Freunde aus Schweden und der Türkei waren mit von der Partie. Peter Rüedi hat darüber bestimmt geschrieben in seinen 1527 (oder wieviel sind es?) Kolumnen.

 

Cherry war ein Weltreisender, der jene exotischen Orte zwischen dem fernen Asien und den arabischen Ländern tatsächlich erkundete, statt, wie die Tabu-Träumer und Spezialisten der Exotica-Musik (mit ihrem Martini-tauglichen Easy Listenung und wohl dosierten „Unheimlichkeiten“) nur von ihnen zu träumen. In Schweden fand Don Cherry damals für viele Jahre eine neue Heimat. Amajelo, aus dem Album Mu, Part 1 … Don Cherry spielt auf beiden Arbeiten Trompete, diverse Flöten, Klavier, und er singt … (Cherry/Blackwell: Amajelo, aus MU, Part 1.) Cherry und Blackwell verliessen sich bei der Produktion von Mu auf ihre Erfahrungen als Improvisationskünstler, gingen ohne vorgefasste Konzepte ins Studio. Dem Schlagzeuger war die musikalische DNA seiner alten Heimatstadt New Orleans in Fleisch und Blut übergegangen, da war ein Kulturen übergreifendes Denken ohnehin Programm: die afrikanische und afrokubanische Polyrhythmik hatte er genauso verinnerlicht wie Rhythm n Blues, Swing und Bop. Das waren nur die Ausgangsmaterialien. Blackwell und Cherry erforschten eine Klangsprache, die dem Blues ein paar arabische Zwischentöne beibrachte – indische und afrikanische Schwingungen kamen zusätzlich ins Spiel. So skelettiert die einzelnen Stücke erscheinen: genau diese Kargheit solllte ihre Langlebigkeit sichern. Vor einem Jahr wurde das zweiteilige Werk MU zusammen mit dem Live-Album ORIENT als Doppel-CD neu veröffentlicht. Auch diese Live-Dokumente aus den jahren 1971 und 72 von Cherrys Trios u.a. mit dem südafrikanischen Bassisten Johnny Dyani und dem türkischen Trommler Okay Temiz, belegen, wie sehr Cherry dem Jazz neues Grundstoffe und Essenzen aus diversen Kulturräumen zuführen wollte … (Cherry/ Blackwell: Sun of the East, Terrestial Beings, The myticism of my sound, aus MU, Part 1&2)

 

Seine Frau Moki entwarf die buntesten Kleider und Kostüme, und manches davon mag an die indianischen Wurzeln seines Stammbaumes erinnern. Knallbunt und psychedelisch auch die Cover etlicher Alben, die auf kleinen skandinavischen Labels entstanden, ein Traumwerk hiess ETERNAL NOW, und gerne hörte ich es zusammen mit A SAUCERFUL OF SECRETS von Pink Floyd. Und wie schreibt Manafonista Henning so beiläufig: „Don Cherry hatte eine erstaunliche Fähigkeit, ein ganzes Klanguniversum in eine wunderbar einprägsame Melodie zu bringen, es darin zu ankern, und es darin singen zu lassen. So, dass es einen als Zuhörer lang, lang begleitet. Mich bis heute, ja.“

 

MU war energetisch, fragmentiert, reichhaltig, unbekümmert vorgetragen, eine spannende Momentaufnahme, aufnahmetechnisch leider nur mässig brilliant. Cherry richtete sich in jener Zeit mit seiner Tamboura spielenden Frau Moki und seinen Kindern in Schweden ein, studierte in einem Museum für Musikethnologie diverse, dem Jazz fremde Instrumente, u.a. die afrikanische Harfe, die doussn gouni – und in einer Tradition, die an Louis Armstrong anknüpfte, liesse er seinem unaffektierten Gesang bei Konzerten freien Lauf: diese Gesänge waren schlicht eine Erweiterung des kreativen Selbstausdrucks, aber klar, dass Jazzpuristen in solchen Experimenten einen Ausverkauf des guten Geschmacks sahen, und den radikalen Klangforscher, der einst wichtige Rollen innehatte an der Seite von Albert Ayler oder Ornette Coleman, vom spirituell angehauchten Zeitgeist der Hippie-Ära vereinnahmt sahen.

 

Ich stand unter einem Zauber, als ich 1973, 1974, Jahre verrutschen im Rückblick, das Päckchen von „jazz by post“ öffnete, und WITCHI-TAI-TO vom Jan Garbarek-Bobo Stenson Quartett auflegte. Zum ersten Mal prägte der norwegische Bläser da seinen Sound. Damals war das unendlich aufregend, man kann es sich heute, bei diesen allzulang konfektionierten Kantilenen, kaum noch vorstellen . Und die ganze zweite Seite nahm eine Komposition von Don Cherry ein, „Desireless“. Auch Jan Garbarek konnte die Töne scharfschneiden, er hatte einiges von dem schlaksigen Mann aus dem amerikanischen Mittelwesten gelernt.

 

Don Cherry wurde in Skandinavien zu einem Katalysator, der etwa Jan Garbarek und andere nordische Jazzmusiker inspirierte, sich in der eigenen Folklore umzuhören, und auch dort die Quellen eines eigenständigen Jazz ausfindig zu machen. so war es fast naheliegend, dass der Produzent Manfred Eicher, der die Aufnahmen von MU bestimmt kannte, Don Cherry zu etlichen Aufnahmen des ECM-Labels einlud. Vor allem sind da die drei Platten zu nennen, die, unter dem Namen CODONA, in den späten 70ern und frühen 80ern erschienen: bahnbrechende Werke, in denen indische Sitarklänge, südamerikanische Berimbaos, und Don Cherrys billige pakistanische Taschentrompete und vieles mehr ganz neue Spannungsfelder erzeugte: Colin Walcott, Don Cherry, und Nana Vasconcelos hiessen die Beteiligten.

 
 
 

 
 
 

In einem kleinen, wie ein behaglichen Wohnzimmer aussehenden, Plattenladen, in dem (in München) der beste Jazz der Welt gehortet wurde, erstand ich CODONA 2, das (bei ECM eher selten) farbenfrohe Cover mochte ich auf Anhieb, und ich hatte gleich die Klänge der ersten Codona-Platte im Ohr, Colin Walcotts Sitar und die luftigen Linien der Taschentrompete, mit dabei eines meiner allerliebsten Stücke, „Malinye“, ähnlch hinreissend wie auf CODONA 3 jene Komposition, die auf einem japanischen Lied basierte, „Goshakabuchi“, aber was machte er daraus, mit diesem schleichenden Orgelton!? Rasch war ich in die Sprachlosigkeit entlassen. Alle drei Platten Meilensteine.

 

Und so machte auch, nach gut 12 Jahren, das Duo Cherry-Blackwell wieder eine Aufnahme: EL CORAZON. Im Februar 1982, in Ludwigshafen, Cherry spielte neben seiner „pocket trumpet“ die Melodika, ein Kinderinstrument, das bislang allein in Jamaika durch die Werke von Augustus Pablo Furore machte, die Doussn Gouni, und eine alte Orgel. Ed Blackwell spielte Schlagzeug, Holztrommel und eine Kuhglocke. Das Album beginnt mit drei Komposituonen von Don Cherry, Mutron, Solidarity, und Arabian Nightingale, dazwischen erklingt eine kurze Bearbeitung seines lieblingsstückes von Thelonious Monk, Bemaha Swing. Die Verbundenheiten zum Jazz vergangener Jahre blieben also (mitunter hauchdünn) bestehen, auch wenn die Höhen- und Breitengrade diese neuen jazzspezifischen Landkarten sich jeder klaren Ortung widersetzten. (Cherry/Blackwell: Mutron / Bemsha Swing / Solidarity / Arabian Nightingale, aus EL CORAZON (LP)) Ein eben auch tontechnisch brilliantes Tondokument. Der Trompeter mit den indianischen Wurzeln hatte mit so vielen „independant labels“ zu tun, dass er sich in den frühen und mittleren jahren seiner Karriere oft genug mit bescheidenen Soundverhältnissen zufrieden geben musste. Hier, auf den ECM-Platten, wurde sein Sound bis in die kleinsten Verästelungen aufgezeichnet. Am Schluss dieser Stunde hören Sie, aus EL Corazon, ein bemerkenswertes Trompetensolo von Don Cherry, seinen dialog mit dem nachhall des eigenen Instruments: Voice of the Silence. Und auf dieser Schallplatte war auch Ed Blackwells Drumkit im Stereofeld zentimetergenau ausfindig zumachen, dem Toningenieur Martin Wieland ist da ein geradezu hyperrealistisches Dokument gelungen. Und dass in solch unbegrenzten Ideenfeldern auch dramaturgische Konturen sichtbar blieben, dafür sorgte schon der Produzent Manfred Eicher.

 

Und so blieb, seit der Jugendzeit, ein Hunger da, Cherrys verschlungene Wege zu kreuzen. Zu schade, dass ich ihn nie live sah. Einmal in Bergeinöden bei Arnschwang, nahe der tschechischen Grenze, in einem abglegenen Haus, legte ich EL CORAZON auf, ganz laut, öffnete alle Fenster zum Hang, ging herunter ins Tal, und hörte dem Trommler und dem Trompeter aus der Ferne zu, als wären es zwei Freunde, die zu Besuch kamen und ich konnte mir gut vorstellen, wie sie schon mal für den späten Abend aufspielten, für das Unerhörte, das ihnen besonders gerne aus dem Nichts zuflog.

 

Bruno Rub wies in seinem Text zum Album zurecht daraufhin, dass dieses Duo eben nicht mit der Tradition des Free Jazz brach, sondern dessen grundlegende Ideen konsequent weiter entwickelte. An die Stelle der Improvisationen über Akkordprogressionen trat ein assoziativer Umgang mit dem thematischen Material, der ganz neue Möglichkeiten beriethielt, aber auch jede menge Grundlagenwissen einforderte, um nicht in geschmäcklerische Exotismen abzugleiten. Don Cherry und Ed Blackwell realisierten auf ihren Duo-Alben Reduktionen: die sparsamen, ökonomischen Klanggesten liessen vielleicht nur eine „kontrollierte Exstase“ zu, doch widerstanden die Zwei rigoros den Versuchungen, efekthascherisch mit der immensen Vielfalt anderer Kulturen umzugehen, auch so blieb der Musik über Jahrzehnte ihre alte Frische erhalten. Es gibt auch für das Ungeschliffene, das Rohe, das Raue, eine vollendete Form, und diese beiden Ausnahmekünstler kamen dieser fast paradox anmutenden Verbindung von Unfertigkeit und Perfektion oft sehr nah. (Cherry/Blackwell: Makondi & Voice of the Silence, aus EL CORAZON, LP)

Arild Andersen: „Don Cherry is one of my biggest influences…He came to my house with his family and we played several times in Oslo …. with Garbarek And Christensen. His approach to music and his personality had a big impact on me.“

„You were part of his ETERNAL RHYTHM album.“

Arild Andersen: „That was my first trip outside Norway to play with musicians of that standard. It was a great experienced and Don was very helpful and nice to me. Albert Mangelsdorf who was in the band also took care of me .I was the youngest and the least experienced one in that „Star“ band in Berlin 1968.“

 

Vergilbende Papierphotos aus den 80ern: Don Cherry’s NU
 
 
 

 
 
 
Live auf dem Northsea Jazzfestival 1986 in Den Haag – Konzert auf dem Dach des Kongresszentrums.

Collin Walcott verunglückte 1984 tödlich auf der Autobahn bei Magdeburg während einer DDR-Tour. Cherry und Vasconcelos setzten in NU ihren Weg fort.

Soweit ich mich erinnern kann, spielte Mark Helias in Den Haag mit. Dazu müsste ich tiefer in meinem vordigitalen Photoarchiv graben. Leider ist auf Internet kein Line-up mehr zu finden. Bei den Programmübersichten wird man vom Namen gleich auf Spotify gelenkt oder ins Nichts, wenn’s auf Spotify nichts dazu gibt. Anhören kann man heutzutage eben viel. Frage ist, was wie gehört wird und was wie hängenbleibt.

Das letzte Konzert spielte NU 1994 in Viersen in der Besetzung mit Carlos Ward, Mark Helias und Hamid Drake. Es gibt einen Ausschnitt davon auf Video. Da spielt Don Cherry sogar noch seine charakteristische Taschentrompete. Es ist eine verblassende Stimme. Im Oktober 1995 verschied der ansteckende Beweger in Malaga.

In den Jahren vorher zog Don Cherry mit Peter Apfelbaums buntem, ebenfalls ansteckendem Hieroglyphics Ensemble (in grossen und kleineren Besetzungen) herum (siehe die Videos von Leverkusen 1990 und Stuttgart 1991).
 
 

VIDEO Leverkusen 1990

VIDEO Stuttgart 1991

VIDEO Viersen 1994

 
 
1993 kam’s noch einmal zu einem skandinavischen Treff, festgelegt auf ECM: Dona Nostra. Unser Don – mit Saxophonist Lennart Åberg, Pianist Bobo Stenson, Bassist Anders Jormin und den Schlagzeugern Anders Kjellberg und Ökay Temiz.
 
 
 

 
 
 
Es scheint eine Riesenmenge unveröffentlichter Aufnahmen mit Don Cherry zu geben, die auf eine sinnige Erschliessung warten!


Manafonistas | Impressum | Kontakt | Datenschutz