Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

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2015 25 Sep.

Die Schterndrln blinken

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Die Besprechung der ersten ins Schwäbische übersetzten Cover-Versionen von Tom-Waits-Songs, auch vorgetragen von Patrick von Blume aus Ravensburg/Oberschwaben, kam daher wie eine Cover-Version des Marketing-Spruchs fürs Ländle: statt „Mir könnet älles außer Schwäbisch“ „Mir könnet älles außer Tom Waits.“ Der gab sich gelassen und erteilte prompt das copyright; wahrscheinlich ist er des Schwäbischen nicht mächtig, oder das Album „Mit Herz und Fauschd“ gefiel ihm wirklich – z.B. die Kaltblütigkeit, mit der Patrick von Blume die 16 Silben „Die Kerle send beim VfB em Gottlieb-Daimler-Stadion“ in einer Liedzeile unterbringt, für die Tom Waits nur 9 Silben vorgesehen hat.

Ansonsten ist es wie mit allen Coversongs: ist was Eigenes dabei? Wird was Neues darin entdeckt? Oder ist es nur eine Anpassung an den kollektiven Musik-und Muzak-Geschmack? Tom Waits gehört wahrscheinlich mit zu den meistgecoverten Musikern, und die qualitative Bandbreite ist entsprechend groß, zumal in besonderer Weise die Gefahr besteht, vom Interpreten zum Imitator zu werden. Die zweite Falle lauert in der Einfachheit der Waits-Kompositionen: gelingt es nicht, etwas Kreatives hinzu zu fügen, dann können sie auch quälend langweilig sein.

Eine Möglichkeit, was Eigenes zu den Originalsongs beizutragen, ist die Übersetzung der Texte. Auch das kann schief gehen (besonders wenn Waits-Klischees verdoppelt werden); aber es gibt doch eine Reihe intelligenter und witziger und damit geglückter Versuche in mehreren Sprachen: italienisch, schwedisch, norwegisch, holländisch, spanisch, polnisch, russisch, hebräisch – dazu demnächst mehr. Heute ein paar TW-Cover-Versionen in österreichisch und kölsch.

DIE Kölner Waits-Cover-Band um den Sänger Gerd Köster (der auch alle Lieder übersetzt hat) entlieh sich den Waits-Titel „The piano has been drinking“ als Bandnamen und sang das Lied auf Kölsch: „Dat Klavier, dat hät jesoffe“. Es gibt 2 CDs, eine mit Studio- und ein paar Live-Aufnahmen, die andere vollständig live, beide randvoll mit Waits-Titeln. Die Band swingt ausgesprochen locker, und Kösters Stimmlage ist so weit von der des Meisters entfernt, dass man es nicht unangenehm als Nachmachen empfindet, auch wenn man sich vorstellen kann, wie Köster vor dem Plattenspieler seinen Waits gelernt hat. Den Kölschen Dialekt, bekannt für seine gute Singbarkeit, zu verstehen, ist eine Herausforderung; ein paar Liedtitel (deren Original zu erraten den Waits-Fans keine Schwierigkeiten machen dürfte):

Wärm Bier & köhl Wiever, Weihnachtskaat vunnem Flittche vum Eijelstein, Do kanns nix dofür wenn do dräums, Kei Minsch, Anfürsich es et Blues …

Die Weihnachtsgrüße, diesmal von aner Hur aus Floridsdorf, finden sich auch auf der CD „Ambros singt Waits“ – eine der ersten ausschließlich mit Waits-Songs. Das Österreichisch versteht man problemlos – vielleicht ist das ein Beleg dafür, dass mainstreamartig produziert wurde. Wolfgang Ambros singt brav, die Begleitmusiker sind langweilig; Waits-Stimmung bleibt aus.

Langgezogenes, geslidetes, richtig fieses Österreichisch kann man bei einer Band hören, die sich auch nach einem Titel von Waits („Rain Dogs“) benannte: „Wia d Hund im Regn“.

Die 4 Musiker stellen die These auf, Tom Waits habe seine Lieder in Wien geschrieben und später ins Englische übersetzt … wie dem auch sei: Wia d Hund im Regn sind zugleich am eigenständigsten von den vorgestellten Musikern und Waits am nächsten. Die angekündigte CD ist wohl nie erschienen; bei Myspace findet man aber einige Titel. Leider kann ich keine Textbeispiele anfügen – ich verstehe die Sprache nicht; außerdem bräuchte man an der Computertastatur ein Modulationsrad. Doch, jetzt habe ich was verstanden: „Die Schterndrln blinken“.

Irgendwann hot s sai missa; ond jetzt hot s halt no Platz ghet uff dera CD „Mit Herz und Fauschd“ zur Promoschion von r neia „Vorabendserie“ em Erschta: HUCK. Der isch Privatdetektiv in Bad Cannschtatt ond soll a bissle gscheitert aussäha, ganz was Neis fir an Privatdetektiv, ond do solls in Ermangelong von m au bloß oinigermaßa gscheita Drehbuach halt Tom Waits richta. Was drbei rauskomma isch? D Fernsähr auslassa om die Zeit, ond d cd-bleier auf die Titl 2 (Hechschde Zeit) und 10 (Gräpfruht Mond) programmiera. Älles andre isch zom drvohlaufa. Aber des lange iiiii in Zeiiiiit, des hot äbbes, do klengt r audentisch, dr Patrik von Blume aus Ravensburg, Oberschwoba.

Gesundheitlich kann einen ja immer wieder was Neues erwischen, man mag gar nicht in den Pschyrembel mit seinen morbiden Bildern schauen. Diesmal bestätigte sich, dass kein Alkohol auch keine Lösung ist, d.h., ich sah auch ohne Getränke am Computerbildschirm oder im Fernsehen alles doppelt. Beim Tatort ist das nicht weiter schlimm; aus dem Mord wird halt ein Doppelmord, und da sind wir anderes gewohnt. Richtig lästig ist es bei Fußballübertragungen, wenn sich plötzlich 44 Spieler und 8 Schiedsrichter und 2 Bälle auf dem Platz bzw. dem Bildschirm tummeln.

Das Schreiben mit 20 Fingern mit verdoppelten Tasten macht die Arbeit am Computer fast unmöglich. In Krisenzeiten tendiere ich zu Rückzug, um mich auf das Lebensnotwendige zu konzentrieren. Inzwischen geht’s mit dem Sehen besser, durch Augentraining und Schonung (ins Grüne schauen); auch die Stimmung ist bereits gestiegen. Also gibt’s demnächst wieder Beiträge von mir.
 
 
PS 1. Vielleicht einen (oder zwei) zur Überwindung des Monotheismus? Zwei x Gott, zwei x Papst, „Two Bourbon two Scotch two Beer“ (John Lee Hooker).

PS 2. Gerade lese ich in der Zeitung: Papst Franziskus und Papst Benedikt planen einen gemeinsamen Single-Urlaub.

PS 3. Was für Päpste und Fussbälle gilt, gilt auch für Buchprojekte: zwei sind besser als eines, denn wird das eine gestorben, dann ist immer noch das andere da.

PS 4. Was antwortete doch Jürgen von Manger zu seinem Fahrlehrer, als der ihn fragte, was bei zwei nachts entgegenkommenden Lichtern zu tun sei: „Dat sinn zwei Motorräder, da fahr ich am besten zwischen dorch, woll?“

PS 5. Es passt nicht ganz zur Jahreszeit, aber umso besser zum Thema, und stammt sinngemäß aus der wirklich witzigen Psychoanalytikerkomödie „Was ist mit Bob?“:
 
 
Frühlingsgedicht eines Schizophrenen
 
Es blühen die Tulpen,
es blühet der Lauch.
Ich bin glücklich –
und ich bin es auch.

„Das Hip Hip Hip Geklapper der Schreibmaschine könnte auch eine Musik-Kassette sein. Die Töne des Herzens wachsen aus diesen Büchern dunkel und tief. Die Schwingungen der Zeit reißen an den Nervenenden. Jedes Wort ein Laut. Jeder Laut ein Schrei. Und ein großes Lachen.“ (Heidi und Peter, in: Geniale Dilletanten, Merve Verlag, 1982, S.127)

 

Die Diskussion um das Manafonistas-Buchprojekt geht weiter.

 
siehe: Room 105, 3.Juni 2015, Kommentare

2015 29 Mai

Singend am Tatort

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Mixtape (A- & B-Side)
 

Berufliche Sozialisation und Gesang
 
Heute: Tatort-Kommissare
 
 

Und wieder ist ein wichtiges Stück populärer Alltagskultur gelistet worden. Diese Liste geht auf eine Wette zurück, ob es mehr als 20 Tatort-Kommissare gibt, die singen – egal, wo; egal, wie gut; es muss nur eine gewisse Öffentlichkeit bestehen. Also allein in der Badewanne gilt nicht. Ich habe die Wette knapp gewonnen; 22 singende Ermittler konnten ermittelt werden (ohne Anspruch auf Vollzähligkeit). Damit scheint diese Berufsgruppe besonders musikalisch zu sein. Warum nur?
 
 

  1. Tatort-Titel / Westfalia Big Band
  2. Hoam / Michael Fitz / Carlo Menzinger, München
  3.  As time goes by / Andreas Hoppe / Mario Kopper, Ludwigshafen
  4. Von der Ehe / Maria Furtwängler / Charlotte Lindholm, Hannover
  5. Kann denn Liebe Sünde sein / Manfred Krug & Charles Brauer / Paul Stoever    & Peter Brockmöller, Hamburg
  6. Mit der letzten Straßenbahn / Ulrich Tukur / Felix Murot, Wiesbaden
  7. Ein Halleluja / Jan Josef Liefers / Karl-Friedrich Börne, Münster
  8. Psalm 139 / Eva Mattes / Klara Blum, Konstanz
  9. Alles rot / Anna Loos & Silly / Lissy Pütz, Köln
  10. Super, super BVB / Dietmar Bär & Borussia-Dortmund-Fans / Freddy Schenk, Köln
  11. Unten am Ufer / Miroslav Nemec / Ivo Batic, München
  12. Berlin, Alexanderplatz / Götz George / Horst Schimanski, Duisburg
  13. Mein Hund heißt Hofrat / Fritz Eckhardt / Viktor Marek, Wien
  14. Jetzt zünd‘t ma Kerzen o / Gustl Bayrhammer / Melchior Veigl, München
  15. Irgendwas ist immer / Andrea Sawatzki / Charlotte Sänger, Frankfurt a.M.
  16. Indeterminacy (John Cage) / Joachim Krol / Frank Steier, Frankfurt a.M.
  17. Wir sind uns fremd, doch gibt es nichts, was uns trennt / Martin Wuttke / Andreas Keppler, Leipzig
  18. With a little help from my friends / Axel Prahl / Frank Thiel, Münster
  19. Kentucky Avenue / Richy Müller / Thorsten Lannert, Stuttgart
  20. Brief an unsere Kinder / Bernd-Michael Lade & Maria Simon / Kain (Vorname unbekannt), Dresden & Olga Lenski, Frankfurt/Oder (Polizeiruf 110)
  21. Bis einer geht / Nora Tschirner & Prag / Kira Dorn, Weimar
  22. Es muss was Wunderbares sein, von mir geliebt zu werden / Adele Neuhauser & Harald Krassnitzer / Bibi Fellner & Felix Eisner, Wien
  23. Trinklied / Meret Becker / Nina Rubin, Berlin
  24. Tatort (live) / Klaus Doldingers Passport

 

 

singen gelegentlich: 3, 7, 19

singen am Theater oder im Film: 8, 12, 16, 17, 23

waren Teil regionaler Subkulturen: 13, 14, 20

können nicht singen, tun es aber trotzdem: 4, 8, 10, 15, 22

geben regelmäßig Konzerte, z.T. mit Band: 2, 5, 6, 9, 11, 15, 18, 20, 21, 23

2015 25 Mai

Tramway (B-Side)

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Lieder, Gedichte und Geschichten über, aus und um Straßenbahnen
 
 
Aus der Mixtape-Kiste
 
Tracks:
 
15 Straßenbahnlinie 3 – Hildegard Knef
16 Tram – Igor Letov
17 Olgaeck – Füenf
 
 
„Dicht wie Löcher eines Siebes stehn
Fenster beieinander, drängend fassen
Häuser sich so dicht an, dass die Straßen
Grau geschwollen wie Gewürgte stehn.

Ineinander dicht hineingehakt
Sitzen in den Trams die zwei Fassaden
Leute, ihre nahen Blicke baden
Ineinander, ohne Scheu befragt.“

 
Alfred Wolfenstein (1883-1945), Städter (1914)
 
 

Karl Marx on a tram

 

Er stieg jeden Morgen an der gleichen Haltestelle zu, eigentlich unscheinbar, mit Brille und Aktentasche, insgesamt beige wirkend. Vielleicht hätte ich ihn nie bemerkt, wenn nicht manchmal, nämlich dann, wenn sie verschlafen hatte, auch Claudia J. aus der 8b an dieser Station eingestiegen wäre. Das kam selten genug vor, und noch viel seltener setzte sie sich auf den Platz neben mir, den ich mit Schultasche, Hausaufgaben und Turnbeutel für sie freigehalten hatte. Wir begannen dann mit unserer Unterhaltung, die in der Regel aus einem Hallo hin und einem Hallo her bestand, was für das wochenlange Sitzfreihalten zwar etwas wenig an verbaler Kommunikation darstellte, aber ich war auch nonverbal glücklich an diesen Tagen. Für den beigen Stammfahrgast hatte ich dann keine Zeit; aber an all den claudialosen Tagen erhielt er meine Aufmerksamkeit und auch Hochachtung; beim Einsteigen begrüßte er nämlich die Umsitzenden jeden Morgen freundlich mit den gleichen Worten: „So, müssa mr wiedr!“ (mehr mit Ausrufe- als mit Fragezeichen). Spätnachmittags bei der Heimfahrt sah ich ihn nur, wenn ich Sportunterricht hatte. Das war am Donnerstag, aber ich bin sicher, dass er an den anderen Wochentagen beim Einsteigen das gleiche sagte: „So, hemmr s wiedr!“

Das war meine Einführung in die Philosophie von Karl Marx (und Ernst Bloch); nie fand ich etwas in ihr so leicht zu verstehen wie die Theorie vom Reich der Notwendigkeit und dem Reich der Freiheit. In beiden lebt der Mensch, muss es auch, meistens jedenfalls.

 
Tracks:
 
18 Liebe kleine Schaffnerin – Manfred Krug
19 Passo a prenderti col tram – Fabrizio Emigli
20 Man on a tram – Bedroom Philosopher
21 Gablenberg – Füenf

Musik zu Meer und Inseln, Möwen und Raben, Wind und Wetter:
 

  1. Jeanne Lee & Mal Waldron – The seagulls of Kristiansund
  2. Portico Quartett – Kneedeep in the North Sea
  3. Boris Grebenshikov & Robert Wyatt – Stella maris
  4. Dauner, Mariano, Saluzzi – Plum Island
  5. The Tumbled Sea – Doves
  6. Einstürzende Neubauten &  Meret Becker – Stella maris
  7. Micah P. Hinson – Seems almost impossible
  8. The Pets – Sunshine shining
  9. Robert Wyatt – Sea Song
  10. Christophe – Corbeau blanc
  11. Orchestre National de Barbès – Mediterranée
  12. La Mer Trio – And then I knew it was wind (Toru Takemitsu)
  13. Mogens Christensen – El mar, las rosas y el sueno perdido
  14. Sylter Shanty-Chor – Sonne über Sylt
  15. Sergio Cammariere – Dalla pace del mare lontano

 

  1. Jeanne Lee war und bleibt eine der großartigsten Jazz-Sängerinnen; der Text über die Möwen stammt von ihr, die Musik von Mal Waldron.
  2. Knietief in der Nordsee: bei aktuell 10° Wassertemperatur nur in Gummistiefeln zu empfehlen. Es sei denn, man möchte Mitglied im Sylter Eisbadeverein werden.
  3. Boris Grebenshikov ist ein russischer Poet, Ikonensammler, Musiker und Radiomoderator.
  4. Vermutlich dachten Wolfgang Dauner & Co bei dieser schönen Musik nicht daran, dass  nicht Sylt, sondern Plum Islands als Urlaubsinsel für Hannibal Lecter vorgesehen war.
  5. Gregory T. Janetka: „Music to write to“.
  6. Meret Becker hätte ich als Ersatz für die Streifenjunkos gern zu einem Konzert am Strande Samoas übers Meer heranschweben sehen.
  7. Für alle jugendlichen Schlafsackstrandtouristinnen und Nordseemondnacktbadende – und für Sigmund Freud!
  8. Der Sonnenschein scheint nicht, oder doch, immer wieder ein paar Minuten – deshalb steht etwas energischeres Sunshine shining music making an.
  9. Relativ neue Aufnahme des Klassikers (2011).
  10. Als Schauspieler in dem Kurzfilm „Juke box“ überzeugt Christophe in der Rolle eines gealterten alkoholkranken Musikers auf der Suche nach den ultimativen Klängen; als Musiker gibt er bis jetzt weiter große Konzerte.
  11. Manchmal stellt sich an der Nordsee eine untreue Sehnsucht nach dem Mittelmeer ein…
  12. Zum Teil stehen die Grünen Riesen am Bahnhof Westerland falsch im Wind – sie sind ja keine Bäume, haben auch keine Wurzeln – und müssten so eigentlich umfallen oder weggeweht werden; aber manche der Köpfe sind ja auch falschrum, was soll‘s?
  13. Mogens Christensen (* 1955), Kompositionen von Blockflöte bis Computer.
  14. Die Sonne scheint immer noch nicht; vielleicht hilft dieses musikalische Kleinod; sehr rührt die Seemannsherzen  auch „Alle Freunde sind an Bord“.
  15. Mein Tip, wenn es um Glücksgefühle geht. Und ums Wetter. Die Aussichten fürs Wochenende sind gut.

„Barner 16 ist ein inklusives Netzwerk professioneller Kulturproduktionen von Künstlern mit und ohne Handicaps“ in Hamburg. Es gibt dort eine Theatergruppe, eine Rockband, Studios für Kurzfilme und Musikvideos, eine Druckerei und verschiedene Ateliers. Im Internet-Projekt „Barner 16 erklärt die Welt“ entstehen seit drei Jahren Videoclips, in denen es darum geht, für große Begriffe kurze Worte zu finden. Dabei ist das Setting immer gleich: ein alter Sessel, eine leuchtende Stehlampe, schnell wechselnde Teilnehmer, für alle das gleiche Stichwort; zum Beispiel Arbeit, Fastfood, Kunst, Sex, Formel 1.

Sich ergänzend geben die geäußerten Definitionen zusammen mit Mimik und Gestik ein recht differenziertes Bild des jeweiligen Begriffes. Manchmal ist bereits eine einzige Antwort so tief gehend, dass man meint, es könne gar keine treffendere Erklärung geben. Manchmal ist aber auch jemand von einem Begriff so überrascht, dass die Worte ausbleiben. Das kennt man selbst von Gesprächen mit Freunden oder Kollegen. Was  aber oft ganz geleugnet wird, ist der unsichere Boden des Halbwissens, auf dem wir uns alle bewegen – sogar in unseren Seminaren, Unterrichtsstunden oder Vorträgen. So können uns die findigen barner Anworten auf charmante Weise mal wieder an das alte „Ich weiß, dass ich nichts weiß!“ erinnern. Von wem war das doch gleich?

Für Musikfreunde eine kleine Auswahl an Welterklärungen: Musik, Disco, Bass, Elvis, Michael Jackson.

2015 28 Apr.

Beyond Fussball

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Was sind schon die Sorgen eines Dortmund-Fans oder eines Hannover 96-Anhängers, um mal 2 Beispiele zu nennen, gegenüber meinen? Zwar hatte ich aus zweifellos politisch korrekten Gründen meine jahrzehntelange in-guten-wie-in-schlechten-Tagen-Beziehung zum VfB Stuttgart anfangs der Saison beendet und mein Leben um ein weiteres Ex bereichert – aber dass dies solche Folgen (monatelang auf einem Abstiegsplatz) haben würde, hätte ich nicht gedacht.

Natürlich liegt der Niedergang nicht allein an meinem Liebesentzug – das wäre vermessen… Die Protagonisten haben auch schlecht gekickt, das Management verscherbelt regelmäßig alle Talente aus der Vereinsjugend, und die Mitglieder haben – selber schuld! – einen Präsidenten gewählt, der von Fußball keine Ahnung hat, sondern einzig (ich wiederhole: einzig!) von der wahnhaften Idee besessen ist, aus dem VfB  eine MARKE zu machen. Also geballtes (kleiner Hinweis auf das nette Wortspiel…) Unvermögen?

Ja, aber mit psychodynamisch interessantem Hintergrund; die Diagnose lautet: Massive Selbstwertproblematik und latente Suizidalität als Ausdruck einer kollektiven Depression zur Abwehr massiver Schuldgefühle. Wie kann so etwas einen ganzen Verein befallen? Ganz einfach: indem man ihn samt seinen Fans mit Dummheit und Stumpfheit zumüllt, es nimmermüde durch den Stadionlautsprecher brüllt, auf jeden rotweißen Schal stickt oder den Mannschaftsbus damit verunziert: „furchtlosundtreu“.

Die Schreibweise ist übrigens eine Visualisierung des MARKEN-Zeichens, ansonsten nur ein Bdwrtbrgr (Günter Öttinger) Königs-Gschwätz, von den Schlachtfeldern  der europäischen Kriege aufs Fussballfeld transportiert, von rechtsradikalen Ultras schon lange in die Gesänge inkludiert (garnicht so einfach – denn was reimt sich auf 1893? Nichts außer 1893 natürlich, weshalb der neu retortisierte VfB-Hit diese geistreiche Zeile gefühlte 1893 mal wiederholt, dazwischen ein Hoch auf den wrtmbrgschn König und die Erinnerung an 2 (!) VfB-Helden (Ohlicher und Schlienz), und das ganze mit Chance auf einen Spitzenplatz auf der Liste der peinlichsten Gangstaraps. Jetzt, in den letzten Kriegs- nein Abstiegswirren, gibt das Oberkommando Durchhalteparolen aus: „mirschaffendas.“

Damit dürfen mir Schwbn uns generell über das Schffn im Text freuen – rein historisch gesehen ist es ein Sprung von der Monarchie ins Bürgertum. Mirschaffendas ist typisches Honoratiorenschwäbisch, mirschaffetdes würde der einfache Rekrut sagen – aber der sagt eh nix mehr und verbringt die Samstagnachmittage lieber mit seinem Kärcher als vor der Sportschau. Schluss mit Ruhe aufm Balkon, ich werde wohl wieder ins Stadion gehen. Aber zu den „Stuttgarter Kickers“: furchtbaruntreu.

 

Soundtrack:

1. VfB, I steh zu dir: Mit schwäbischen Primärtugenden zur Meisterschaft.
2. VfB – Tradition und Ehre verpflichtet; Rappen für die Monarchie.
3. heimatundliebe: Worthülsenmarketing
4. Stuttgart Deine Seele, Hymne der blauen Stuttgarter Kickers

 

Aus der Mixtape-Kiste

 

„Verträumte Polizisten watscheln bei Laternen.
Zerbrochene Bettler meckern, wenn sie Leute ahnen.

An manchen Ecken stottern starke Straßenbahnen,
Und sanfte Autodroschken fallen zu den Sternen.“

Alfred Lichtenstein (1889-1914), Die Stadt (1913)

 

In Stuttgart heißt die Straßenbahn Schtrambe, die meisten Linien jedenfalls. Die Linie 10 heißt Zacke; das ist eine Zahnradbahn. In der Innenstadt sieht man keine Straßenbahnen, denn sie wurden in den 70er-Jahren unter die Erde verlegt. Das mögen die Stuttgarter; auch zu Fuß muss man in die Tiefe, wenn man ins Theater oder in die Staatsgalerie will. Es hat mit Verkehrsplanung (Benztown) und Grundstücksspekulation (Bahnhof) zu tun, dass es mehr Stäffele (Treppen) nach unten als nach oben gibt. Sucht man eine unterirdische Straßenbahnhaltestelle, muss man nach einem blau-weißen Schild mit einem U Ausschau halten.

Denn die halbe U-Bahn heißt Stadtbahn. Nicht zu verwechseln mit den Haltestellen mit grünweißen S-Schildern, zu denen die S-Bahn fährt. Wenn sie fährt. Oft steht sie irgendwo auf freiem Feld oder mit besonderem Kick für claustrophobische Insassen in einem der vielen Tunnels. Die Schtrambe ist aber zuverlässig. Bloß sehen tut man auch in ihren Tunnelstrecken nichts von der Stadt – zum mechanisierten Flanieren ist sie nicht geeignet.

 
 
01 Obere Ziegelei – Füenf
02 Green Streetcar – Igor Bril
03 Ich sah dich in der Straßenbahn – Heinz Erhardt
04 Neugereut – Füenf
05 Tram Love – Chikinki
06 Mit der letzten Straßenbahn – Ilse Werner
 

„Der Potsdamer Platz in ewigem Gebrüll
Vergletschert alle hallenden Lawinen
Der Straßentrakte: Trams auf Eisenschienen,
Automobile und den Menschenmüll.“

Paul Boldt (1886-1921), Auf der Terrasse des Café Josty (1912)

 

Das Flanieren zu Fuß unterscheidet sich wesentlich vom Flanieren per Tram (oder Bus) im Anteil des freien Willens an der Auswahl des Weges. Zu Fuß unterwegs kann an jeder Kreuzung, an jeder Abzweigung neu entschieden werden, ob und wohin es weitergeht, abhängig nur noch von der Ausstrahlung des nächsten Blockes, vom Sog neuer Straßen. Das Flanieren mit der Tram beginnt mit längst gefallenen Entscheidungen anderer, nämlich derer, die für die Haltestellennamen verantwortlich sind.

Es lohnt sich, ihnen gegenüber misstrauisch zu sein. An der Stuttgarter Haltestelle „Ruhbank“ ist es alles andere als ruhig; es handelt sich um eine riesige Straßenkreuzung, und die wohl bekannteste Straßenbahnhaltestelle der Welt liegt an einem Friedhof: „Desire“ in New Orleans.

 
 
07 A streetcar named desire – Cincinnati Pops Orchestra
08 Travel by bus or streetcar
09 Streetcar – Chie Sato Roden
10 Streetcar – Sound Effects Library
 
 

Eine gewisse Freiheit beim Flanieren per Tram bietet der Streckenplan, farbiges Spinnengewebe mit den Schnittpunkten der Linien und der Möglichkeit weiterer Reiseplanung. Es müssen keine schnellen Entscheidungen fallen; umgekehrt passt der Liedtitel auch: „Männer sind wie Straßenbahnen – alle 10 Minuten kommt ein neuer.“

 
 
11 Men are like streetcars – Susannah McCorkle
12 To Teleutaio Tram – Giorgou Strati
13 Vogelsang – Füenf
14 Take the A-Tram – Transglobal Underground
 

„Maria Mutter der Straßenbahn
Im Filzhut
Wankende Weichenstellerin
Der Weichteile
Gschamig
Die Pause bröselt
Napfkuchen
Dröhnt
Lebkuchen hei er lebet“

Klabund (1890-1928), Die gefiederte Welt (1919)

 
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