Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2015 3 Mrz

Schtroassaboah (A-Seite)

von: Wolfram Gekeler Filed under: Blog | TB | 2 Comments

Aus der Mixtape-Kiste

 

„Verträumte Polizisten watscheln bei Laternen.
Zerbrochene Bettler meckern, wenn sie Leute ahnen.

An manchen Ecken stottern starke Straßenbahnen,
Und sanfte Autodroschken fallen zu den Sternen.“

Alfred Lichtenstein (1889-1914), Die Stadt (1913)

 

In Stuttgart heißt die Straßenbahn Schtrambe, die meisten Linien jedenfalls. Die Linie 10 heißt Zacke; das ist eine Zahnradbahn. In der Innenstadt sieht man keine Straßenbahnen, denn sie wurden in den 70er-Jahren unter die Erde verlegt. Das mögen die Stuttgarter; auch zu Fuß muss man in die Tiefe, wenn man ins Theater oder in die Staatsgalerie will. Es hat mit Verkehrsplanung (Benztown) und Grundstücksspekulation (Bahnhof) zu tun, dass es mehr Stäffele (Treppen) nach unten als nach oben gibt. Sucht man eine unterirdische Straßenbahnhaltestelle, muss man nach einem blau-weißen Schild mit einem U Ausschau halten.

Denn die halbe U-Bahn heißt Stadtbahn. Nicht zu verwechseln mit den Haltestellen mit grünweißen S-Schildern, zu denen die S-Bahn fährt. Wenn sie fährt. Oft steht sie irgendwo auf freiem Feld oder mit besonderem Kick für claustrophobische Insassen in einem der vielen Tunnels. Die Schtrambe ist aber zuverlässig. Bloß sehen tut man auch in ihren Tunnelstrecken nichts von der Stadt – zum mechanisierten Flanieren ist sie nicht geeignet.

 
 
01 Obere Ziegelei – Füenf
02 Green Streetcar – Igor Bril
03 Ich sah dich in der Straßenbahn – Heinz Erhardt
04 Neugereut – Füenf
05 Tram Love – Chikinki
06 Mit der letzten Straßenbahn – Ilse Werner
 

„Der Potsdamer Platz in ewigem Gebrüll
Vergletschert alle hallenden Lawinen
Der Straßentrakte: Trams auf Eisenschienen,
Automobile und den Menschenmüll.“

Paul Boldt (1886-1921), Auf der Terrasse des Café Josty (1912)

 

Das Flanieren zu Fuß unterscheidet sich wesentlich vom Flanieren per Tram (oder Bus) im Anteil des freien Willens an der Auswahl des Weges. Zu Fuß unterwegs kann an jeder Kreuzung, an jeder Abzweigung neu entschieden werden, ob und wohin es weitergeht, abhängig nur noch von der Ausstrahlung des nächsten Blockes, vom Sog neuer Straßen. Das Flanieren mit der Tram beginnt mit längst gefallenen Entscheidungen anderer, nämlich derer, die für die Haltestellennamen verantwortlich sind.

Es lohnt sich, ihnen gegenüber misstrauisch zu sein. An der Stuttgarter Haltestelle „Ruhbank“ ist es alles andere als ruhig; es handelt sich um eine riesige Straßenkreuzung, und die wohl bekannteste Straßenbahnhaltestelle der Welt liegt an einem Friedhof: „Desire“ in New Orleans.

 
 
07 A streetcar named desire – Cincinnati Pops Orchestra
08 Travel by bus or streetcar
09 Streetcar – Chie Sato Roden
10 Streetcar – Sound Effects Library
 
 

Eine gewisse Freiheit beim Flanieren per Tram bietet der Streckenplan, farbiges Spinnengewebe mit den Schnittpunkten der Linien und der Möglichkeit weiterer Reiseplanung. Es müssen keine schnellen Entscheidungen fallen; umgekehrt passt der Liedtitel auch: „Männer sind wie Straßenbahnen – alle 10 Minuten kommt ein neuer.“

 
 
11 Men are like streetcars – Susannah McCorkle
12 To Teleutaio Tram – Giorgou Strati
13 Vogelsang – Füenf
14 Take the A-Tram – Transglobal Underground
 

„Maria Mutter der Straßenbahn
Im Filzhut
Wankende Weichenstellerin
Der Weichteile
Gschamig
Die Pause bröselt
Napfkuchen
Dröhnt
Lebkuchen hei er lebet“

Klabund (1890-1928), Die gefiederte Welt (1919)

 
B-Seite folgt

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2 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    Ich hätte nicht gedacht, dass ich mal Lust bekäme, mit der Tram in Stuttgart zu „flanieren“, und fast wäre es passiert, zur Zeit des nächsten Klassentreffens am Rande Stuttgarts, am 16. Mai. Aber da ruft ja Sylt!!! „Es kann nur einen geben.“

  2. Lajla Nizinski:

    Das ist ja cool, Wolfram, dass du Klabund bringst. Man sollte BB im Nachhinein wegen Urheberrechtsverletzung anklagen :)


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