Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

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2024 28 Apr

Der schmale Grat

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Und beim  ganzen Literaturrezensieren bemerke ich, auf welch schmalem Grat ich mich bewege mit meinem Verlangen nach dem Mobilisieren von Gefühlen, dem Wunsch in einen flow zu geraten, der die Lesezeit mühelos verfliessen lässt – wie schnell schrammt man da aber knapp an der Schmonzette vorbei und gerät ins Fahrwasser der Titanic, und was mit dieser passierte ist ja bekannt. Trotzdem suche ich danach – auch bei Filmen, und werde eher fündig bei lateinamerikanischen oder nahöstlichen Schreibern und Regisseuren, zu letzteren habe ich mich hier ja schon reichlich geäussert, die schaffen es etwas atmosphärisch auszulösen, zu verdichten und wachzuhalten. Nicht nur mindfucking …

Aber die Grenze zum Kitsch ist rasch überschritten, oft merkt man’s noch nicht mal bzw erst dann wenn man beginnt sich nicht mehr so recht wohlzufühlen beim Lesen oder sentimental wird.

 

Stärkerer Wind erhob sich …die Rosse Poseidons liefen daher, Stiere wohl auch, dem Bläulichgelockten gehörig, die mit Brüllen anrennend die Hörner senkten.

Zwischen dem Felsengeröll des jenseitigen Strandes jedoch hüpften die Wellen empor als springende Ziegen. Eine heilig entstellte Welt schloss den Berückten ein … und sein Herz träumte zarte Fabeln.

 

Ich zitiere aus dem Gedächtnis, um nicht das ganze Haus nach Herrn Gustav Aschenbach absuchen zu müssen, der sich immer zu verkrümeln pflegt, wenn ich ihn zitieren will – auf ewig wandelnd als Toter auch noch durch Venedigs umfangende Strassen und sorgsam verbergend sich vor dem Blicke der südlichen Sonne, und doch der Eidechse gleich sich sehnend nach dörrender Hitze gelagert auf glühendem Stein und hinträumend der Tage Fluss und ewigen Wechsel geniessend … (Ha! Ich kann’s auch! Wusste ich noch gar nicht, ist aber gar nicht so schwer! Versuchts mal! Wär’ne nette  Abwechslung hier auf Manafonistas).

Das kann man jetzt pathetisch schimpfen, aber dann wäre auch Homer pathetisch, in dessen Versmaß sich der Dichter hier einschwingt – aber hier versteht einer mit Worten zu malen und Bilder entstehen zu lassen – eine Fähigkeit die man heutzutage immer seltener findet. Oder ich hab bloss zuwenig Geduld zum Suchen.

Einen Roman habe ich mir neulich gegriffen (nicht greifend aus eigenem Triebe doch viel mehr vom Gotte gelenkt), eigentlich wegen des Titels: Das etruskische Lächeln. Und die Abbildung erinnernd an den Kouros von Tenea aus der Münchner Glyptothek – eine Statue aus der archaischen Epoche Griechenlands, an Grabmalen aufgestellt und diese bewachend.

Es gilt als das erste Lächeln in der bildenden Kunst und viele Kunsthistoriker haben sich damit beschäftigt warum in dieser Zeit die Bildwerke zu lächeln begannen. Es gibt auch banausige Zeitgenossen die das Lächeln als grenzdebil bezeichnen aber mir gefällt der Bursche, ein Lächeln das sich nicht um den Tod schert und ihn überdauert und transzendiert. Ich griff nach dem Buch und siehe da … sofort war ich drin. Den gleichnamigen Film – sehr frei nach dem Roman – kann man natürlich vergessen, ich hoffe der Dichter hat den Regisseur erfolgreich verklagt und gewonnen.

 
 

 
 

Ein betagter Süditaliener, ehemaliger Widerstandskämpfer, seines Zeichens Landwirt und um Machotum nicht nur neigend sondern darin voll erblüht sieht sich gezwungen zu seinem Sohn nach Mailand zu ziehen um seine Krebserkrankung dort behandeln zu lassen.

Und seinen neu geborenen Enkel kennenzulernen, in den er sich zusehends verliebt (ob das bei einem Mädchen auch so funktioniert hätte? Die Sucht der Italo-Machos nach dem figlio mio), während bei Sohn und Schwiegertochter so manche Reibungsfläche entsteht. Er lernt – krankheitsbedingt geschwächt und zur genitalen Sexualität nicht mehr fähig – die Macht einer körperlichen und leidenschaftlichen Liebe kennen, sowohl zu einer älteren Frau als auch zu dem Kind, das er jede Nacht stundenlang in den Armen hält.

Wenn man an der Mann-Frau-Spaltung festhalten will, könnte man sagen, er wird in diesen Nächten zur Mutter und er geniesst es als letzte und vielleicht stärkste und erschütterndste Erfahrung eines absoluten Gefühls. Sein letzter Wunsch ist es vom Enkel erkannt zu werden und das Wort „Nonno“ von ihm zu hören. Und die beiden schaffen das, wobei der Dichter noch verschmitzt die Anmerkung plaziert, dass der Einjährige vielleicht einfach nur ein zweifaches italienisches Nein beim Anblick des Opas äussern wollte – dieser Sidekick bricht angenehm ein vielleicht am Ende sich doch einschleichen wollendes Pathos.

Leider sind vom Autor bisher nur zwei Romane auf deutsch erschienen, nächste Woche wird hoffentlich Der Gesang der Sirenen bei mir eintrudeln. Was die wohl zu singen haben?  So künde, Sirene, mir, die einsam wandelt auf nördlichem Pfade vom südlichen Leben und seiner immer währenden Freude …

 

2024 27 Apr

Der Schatten des Objekts

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Replik zu: Das andere Mädchen

 

Nachdem mir Anja dankenswerterweise das Buch (deutsch, weil mit dem Französisch haperts) mitgebracht hat, musste ich … mich zunächst mal überwinden. Über vierzig Jahre in einem Beruf, in dem man täglich Geschichten von Menschen über noch mehr Menschen erzählt bekommt, prädestinieren nicht gerade zur abendlichen Einverleibung zu noch mehr Geschichten von und über Menschen. Da brauchts eher etwas Menschenleere oder die wohltuende Distanziertheit und Steuerbarkeit eines Fernsehgeräts, das nicht beleidigt ist, wenn man es ausknipst.

Irgendwann ist die kritische Masse eben erreicht. Viele Kollegen meiner Zunft geben an, sich abends ausgesaugt zu fühlen, ich fühle mich eher wie eine genudelte Gans – zuviel Abfüllung mit Fremdschicksalen, zuwenig Raum für Eigenes. Belletristik hat von daher eine recht geringe Chance, von mir genossen zu werden und mein Sympathie-Radar endet bei Böll, Mann, Frisch und danach fällt mir recht wenig ein, was mich noch zu fesseln verstanden hätte. Dann lieber Sachbücher.

Nun ist die Themenwahl von Ernaux eine durchaus attraktive und auch in meinem Fachgebiet oft anzutreffende: Leerräume in Familien, Delegationen und Funktionalisierungen, Rollenzuweisungen und Überlebensschuld, wer muss gehen, damit jemand kommen darf und was ist das alles überhaupt für eine grausame Mathematik, die Leben gegen Leben aufrechnet und wer hat uns dergleichen implantiert?

Der umstrittene Therapeut Bert Hellinger – Friede seiner Asche – pflegte seine Seminarteilnehmer ihre Familien mithilfe anderer Teilnehmer topisch in den Raum stellen zu lassen und entdeckte dabei oft Leerräume, die auf das gesamte Familiensystem einzuwirken schienen, meistens nicht zum Guten. Einer Freundin, die auch durch eine Leere überrascht wurde, riet er, ihren Vater zu fragen, was er verheimlicht hatte und in der Tat fand sich ein ausserehelich gezeugter und verschwiegener Bruder, der sich sehr freute, seine Schwester endlich kennenzulernen.

Leerstellen sind scheinbar höchst kraftvolle und dynamische Wesenheiten, die in unser Befinden eingreifen und wenn man sich selbst in eine derart aufgestellte Gruppe hineinstellen lässt, beginnen tatsächlich Kräfte an einem zu zerren, die man „ichfremd“ erlebt. Das machte das Buch für mich schon mal interessant. Der Mensch mit seinem horror vacui kommt von Leerstellen nicht los, hier sitzt ja auch die Wurzel von Süchten. Und Leere kaschiert auch oft die Anwesenheit von etwas ganz Anderem und wenn ein Patient berichtet, ihm falle heute nichts ein, kann man sich auf eine sehr bewegte Stunde gefasst machen.

Die von Anja beschriebene kraftvolle Sprache konnte ich zunächst nicht entdecken – klar, Übersetzung – ich fand sie kurz, knapp, Situationen und Sachverhalte beschreibend, stakkatoartig, fast wie aus einem imaginären Gewehr abgeschossen, Telegrammstil, ein Warten meinerseits darauf, dass es besser wird. Aber wie besser?

Ich möchte hineingezogen werden in ein Buch, nicht nebenher laufen oder beobachten. Dann nach exakt 54 Seiten, also ziemlich mittig – ein Kipphänomen – Gefühle, Sätze die wirken, Ahnbarkeit von Zorn und Verzweiflung, Sätze – fast für die Ewigkeit, Anja hat ein paar davon zitiert. Ein direktes Ansprechen der verschwundenen und ausgelöschten Schwester und der Versuch, irgendeine Beziehung zu ihr zu formen, zur ewigen Einseitigkeit verurteilt, denn sie antwortet nicht. Das Lesen wird qualvoll, hier versucht sich jemand an einer unlösbaren Aufgabe, jemand Verschwundenen zu entdecken, weil er ihm sein Dasein verdankt. Und wie kann man Schuld empfinden, wenn man sie bereits reichlich verbüsst hat durch lebenslängliches Ersatz-Sein für einen viel Besseren und Liebenswerteren?

Die Psychotherapie würde die Lösung anbieten: Abgrenzung vom gesamten System und Entdecken der eigenen Identität – das heisst auch Verzicht auf nichterfüllte Liebeswünsche an die Eltern – das ist verdammte Knochenarbeit und schaffen viele nicht – vielleicht ist es auch gar nicht zu schaffen. Vielleicht ist der Brief an die Schwester der falsche Kampfschauplatz und das wirklich traumatisierende Geschehen ist die Zuneigungsleere der Eltern zur Tochter, die nicht ihren Normen entspricht.

Dann operiert man nicht am, sondern neben dem Krankheitsgeschehen. Wie die Autorin ist auch das Buch halb tot und halb lebendig, halb sich selbst originär erspürend und halb durch den Schatten einer Toten definiert und begrenzt. Ein gespaltenes Buch. Insgesamt ein interessantes, sprödes und intellektuelles Werk, das teilweise von Verbitterung zeugt und mich emotional aber nicht wirklich erreicht. Wenn ich es mit einem einzigen Wort beschreiben müsste wäre es: Hart.Mit einem Satz: Ein kristallin erstarrter Zorn und eine kristalline Traurigkeit, an deren Spitzen man sich ritzt und die nicht ins Fliessen kommen kann und mich nicht erreicht. Ich kann über das Buch nachdenken, spüren tue ich dabei nichts.

 

 

 
 

… und zu Burgern …

 
 

 

 
 

Wenn die Conny mit dem Peter (D, 1958) von Werner Jacobs

 

Der Titel (dem Ohrwurm aus dem „Weissen Rössl“ entlehnt – „Wenn der Toni mit der Vroni …“) klingt schon so nett anzüglich und verspricht pikante Dinge, die dann aber doch nicht stattfinden. Wer dabei unzüchtige Gedanken entwickelt, der wird in dieser Zeit schlecht bedient: Sexualität findet hier nicht statt – in den Filmen dieser Jahre generell nicht und Hildegard Knefs blanker Busen – in respektvoller Entfernung abgelichtet – war der grosse Skandal dieser Jahre (Die Sünderin, 1951).

 
 

 
 

Die Schüler eines Internats (Milieu: deutsches Bildungsbürgertum mit outgesourcten Kindern) proben nicht den Aufstand, aber haben durchaus eigene Interessen, die mit denen der Erwachsenenwelt natürlich kollidieren: Sie gründen eine Band und spielen Rock und Boogie Woogie. Wenn ein Lehrer in die Nähe kommt, wird rasch wieder Mozart intoniert – Schein-Anpassung statt offener Revolte und auch kein Kampf um einen Minimalkonsens wie beispielsweise den eigenen Gusto ausleben zu dürfen, Interessenverwirklichung nur im Untergrund.

Dabei hatten wir ja immerhin schon 1958 und die Kultur und Musik des Feindes – d h der amerikanischen Besatzer – war bereits fest etabliert in der sich bildenden Jugendkultur (auch die gab’s vorher noch nicht) und die Plattenindustrie hatte sich bereits ihre Claims zum Schürfen abgesteckt – Polydor und Electrola produzierten damals ihre kleinen Scheibchen a 5 Mäuse für den zum Dauerbetrieb verurteilten Zehnplattenwechsler.

Trotzdem gab es noch den Nachhall der „entarteten Kunst“. Vulgo sprach man damals abfällig von „Negermusik“, eine schwierige Stimmungsgemengelage für die Kinder von Marx und Coca Cola im Stellungskrieg der Generationen.

Natürlich besteht die Band ausschließlich aus Jungs, Conny darf singen und ein bisschen Klavierspielen, die restlichen Mädels sind hübsch und in gesellschaftlich erlaubtem Masse verführerisch. Die Jugend ist gehorsam gegenüber den normsetzenden Autoritäten, soweit können wir hier beruhigt sein. Jeder Rapper würde hier vor Lachen mitten im freeze zusammenbrechen.

 
 

 
 

Der substream „Trumpf im Ärmel“ ist noch nicht überholt und greift hier erneut, diesmal in der Umkehrung „Mächtiger spielt Underdog, um zu sehen wie sein Laden läuft“. Ein Versteck- und Entlarvungsmotiv in einer Zeit, in der sich die jüngere Generation vor die Frage gestellt sah, wie viele Nazis in dieser Zeit noch unbehelligt unter ihren Tarnkappen lebten und eine neue Karriere starteten; wie die eigenen Eltern wohl zum Faschismus standen und ähnliches. Eine grosse Ungewissheit über die politische und menschliche Integrität des anderen – zumindest für die, die sich nicht in die Verdrängung verdrückten und einfach zur Tagesordnung übergingen.

Keine Epoche hat im Kino mehr Verwechslungskomödien mit anschliessenden Entlarvungsszenarien produziert als die Nachkriegszeit. Der nette Kellner ist in Wirklichkeit der Hotelbesitzer, das Zimmermädel die Nichte des Direktors, die Erntehelferin in Wirklichkeit die Gutsbesitzerin, die Gräfin eine Hoteldiebin und vice versa. Bist Du der, der Du zu sein vorgibst, wer bist Du wirklich? Warst Du Täter, Opfer, Mitläufer oder chronischer Nichtwisser und wie kann ich Dich entlarven? Viele drängende Fragen – ins Unbewusste zurückgeprügelt, weil Funktionieren angesagt war. Und Scham und Schuld schwer erträgliche Affekte sind.

Im lustigen Internat kommt nun der Besitzer als Hausmeister in die Einrichtung, findet Gefallen an den adretten und höflichen jungen Leuten trotz der schrägen Musik, bekommt von Conny ein Küsschen, ruft das intolerante Lehrerkollektiv zur Ordnung und am Ende gibt es Absolution von allen für alles – in einer Katharsis von grandioser Harmonie und Versöhnung zwischen den Generationen und eine wohltuende Spannungslösung beim Publikum. Der nette Understater als Vaterfigur im Besitz aller Machtmittel, die er aber nicht nützt, obwohl er es könnte.

Statt dessen werden Konflikte nivelliert und die ganze Gemengelage mit Vanillesoße begossen – so hätten sie’s gerne gehabt, die Alten – keine Aufarbeitung, keine Bestrafung, Vanillesoße drüber, die alles unter sich begräbt und eine neue starke Führerfigur mit den Potenzen, im späteren Konfliktfall wieder draufhauen zu können. Der Greis vom Rhein befriedigte diese Bedürfnisse offenbar nicht – höchstens das nach Vanillesoße. Am Tag, als man anfing die Mauer zu bauen, spielte er Boccia in Italien, ballerte die Kugeln ins Nirgendwo und sah keinen Grund, nach Berlin zu kommen. Aber immerhin schon Italien und nicht der schöne Westerwald …

Conny und Peter, natürlich ineinander verknallt, leiten den nächsten substream dieser Zeit ein: In der Schlussszene enteilen sie in den Wald – nicht um zu tun, was Pärchen dort eben so tun – sondern sie singen den Hit dieser Zeit: Ich möcht mit Dir träumen, vom silbernen Meer.

Das leitet eine neue Phase im Film- und Schlagergenre ein: Es wird nicht mehr nur die schöne Heimat gefeiert (angesichts der real zerstörten Umwelt ein kompensatorisches Muss zur Selbststabilisierung), sondern das Volk steckte einen Tentakel aus in Richtung Ausland aka Feindesland, man begab sich noch nicht dorthin, aber man begann davon zu träumen, das war noch kein Verrat an der deutschen Heimat, noch kein Fremdgehen, aber ein vorsichtiges Herantasten: Träume mit mir von der Südsee, von Hawaii, Cowboyromantik, Mexiko, Paris, in dem man nur von der Liebe träumt – eine Generation besoff sich an Träumen und schönen Bildern.

Ein paar Jahre später wagte man es wirklich und reiste mit der Isetta oder dem Käfer über den Brenner ans blaue Meer oder zumindest an den Gardasee. Jeder körperlichen Hinbewegung muss eine geistige vorangehen, sonst klappt’s nicht, also dauerte es wieder ein paar Jahre. Deutschland lernte also wieder laufen, halt noch nicht weit. In Italien warteten neue Mythen, mit denen man erneut die Realität vergewaltigen konnte: Idyllische Städtchen am blauen Meer, Dauersonne. Eselchen, die Körbe mit Orangen trugen, geführt von schwarzhaarigen Mädchen in bunten Röckchen, Gondolieri mit gestreiften Pullis, Mandolinenzirpen und anderes Osolemio, auch als Deko für die Wohnung neben der Schrankwand aus deutscher Eiche. Frische Luft, zumindest das.

 
 

 
 

Dieser Bewegung folgend verlagerten sich die Filmschauplätze zunehmend in südliche Gefilde mit reichlich Wasser, was wiederum die Bikini-Industrie erfreute, kein weiblicher Mensch trug noch die langweiligen Einteiler.

Was fehlt noch in dieser Schmonzette?

Ganz klar – Frauen.

Neben hübschen Mädchen gab es nur noch die Knallcharge „ältliche Lehrerin“ (ältlich hiess in dieser Zeit etwa um die vierzig) und entsprechend unangenehm sich verhaltend. Das Frauenbild dieser Zeiten war entsprechend dreigespalten: hübsche junge Mädels, nette Muttis und Omis und weniger attraktive oder nervige berufstätige Damen. Den Wunsch der Frauen, in Beruf und Familie etwas mehr mitzubestimmen, griffen die Printmedien begeistert auf und kreierten eine neue Archetypologie von Weiblichkeit mit üblen Zerrbildern (Seht, was aus Euch geworden ist … oder zu werden droht wenn ihr Eure Plätze verlasst!).

 
 

 
 

 
 

Soweit so schlecht …

Es sollte noch 20 Jahre dauern, bis im Pilotfilm der Reihe „Zur Hölle mit den Paukern“ (1978) der Schüler Pepe Nietnagel im Unterricht die Lehrer offen wegen ihrer braunen Gesinnung angriff, der Name Hitlers erstmalig auch im Trivialfilm ausgesprochen wurde, die Schülerstreiche einen sadistisch-rächenden Charakter bekamen und einer der zackigsten Lehrer in die Psychiatrie eingewiesen werden musste.

Ein Fortschritt in Sachen Frauenbild war noch nicht zu verzeichnen – süße Mädels und eine asexuelle, gespinnerte Lehrerin – gespielt von der unvermeidlichen Ruth Stephan, die auf die Rolle des weiblichen Buffos im Nachkriegskino abonniert war.

 
 

 
 

Im gleichen Jahr startete die Fernsehserie Holocaust in den USA und ein Jahr später in Deutschland und damit war das Geschehen der jüngsten Vergangenheit aus dem kollektiven Unbewussten ins Bewusstsein aufgestiegen und konnte versprachlicht werden. Der Begriff wurde durch diesen Film eingeführt und war vorher noch nicht bekannt – der lange Weg eines tiefliegenden Eiterherdes zur Entleerung, aber bis heute nicht zur Heilung.

 

 

Schülerrevolutionen im Film sind ein beliebtes Genre, bereits 1944 machte die „Feuerzangenbowle“ im deutschen Kino mit Heinz Rühmann (nach der wohlweislichen Trennung von seiner jüdischen Frau) Furore. Die 1917 gegründete Filmgesellschaft UFA produzierte während der Kriegszeit Propagandafilme und anderweitige Machwerke, die sich weniger mit aktueller Realität beschäftigten, sondern vielmehr damit diese zu verleugnen und mit gefilmten Idyllen kompensatorisch auf das traumatisierte Volk einzuwirken; die Feuerzangenbowle ist nur ein Export von mehreren dieser Traumfabrik.

1944 hatte Deutschland mit der Schwächung der Ostfront und der Eröffnung der Westfront zwei schwere Niederlagen erlitten, nach der Invasion der Alliierten in der Normandie liess sich eigentlich nicht mehr verleugnen, dass der Krieg verloren war. Trotzdem bestanden noch Erwartung an den Endsieg und Hitlers Wunderraketen V1 und V2, die sich als Rohrkrepierer erwiesen.

Dieser Film – ein Reigen um tapsige bis pfiffige Schüler und schrullig-liebenswerte Lehrer – setzte hier ein Gegengewicht. Im Gewebe eines Filmes finden wir immer Unterströmungen, ich nenne sie substreams, die subliminale Botschaften transportieren, wenn man sie zu lesen weiss.

Ein solcher beliebter Basis- Substream ist das Heraufbeschwören und Feiern eines Mythos – hier der der alten gutbürgerlichen Burschenherrlichkeit mit deutscher Sangeslust, Wipfelrauschen und jugendlicher Unbeschwertheit jenseits von Pflicht und Verantwortung im Alt-Heidelberg-Dekor.

Der Film zeigt die zeitliche und topische Regression eines erwachsenen Mannes in diese Adoleszentenwelt mit ihrer spezifischen Kleinbürgerromantik und ihren Vergnügungen, eine entspannende und anheimelnde Szenerie, in der immer alles im Rahmen bleibt – kleine Revöltchen gegen verzopfte Lehrer mit Minimalgrenzüberschreitungen.

Der Figuren-Substream dieser Zeit liefert das zugehörige Männerbild – junge wie alte Männer sind hier bis weit in die Nachkriegszeit hinein neben den aufrechten Helden Clowns, Lausbuben, Hanswurste, schusselige Alte und anderweitige Knallchargen, die vergessen lassen sollten, wozu Männer in Kriegszeiten imstande waren – Frauen natürlich auch, wenn man sie nur an die entsprechenden Ämter und Positionen heranliess und nicht an den Herd zurückscheuchte. Seht doch, wie harmlos und lustig wir sind, ihr könnt uns unmöglich zutrauen, dass wir gemordet haben – wir sind noch nicht mal sexy, nicht mal das … oder kann sich jemand Heinz Rühmann, Heinz Erhardt, Gunther Philipp oder Peter Alexander im Bett vorstellen, ohne dass es abtörnend wirkt? Ich schaff’s noch nicht mal bei Freddy Quinn und der sah doch wirklich wenigstens noch gut aus.

 

 

Der handlungsvorantreibende substream ist das Motiv des „Trumpfs im Ärmel“: Hans Pfeiffer mit 3 „f“ trägt den Trumpf seiner wohlbestallten Erwachsenenexistenz und bereits etablierten Karriere bis zum Ende des Films mit sich herum, der Zuschauer ist eingeweiht und fiebert als Besserwissender – eine wohltuende Position in einer Zeit der existenziellen Ungewissheit – dem Ende entgegen, in dem Pfeiffer seinen Einkommensteuerbescheid auf das Katheder klatscht und die Lehrerschaft aus allen Wolken fällt. Und Angst bekommt, der Eindringling könnte etwa ein Buch über sie schreiben – oder „einen onanständigen Felm“ drehen.

Das ist der Triumph des von Autoritäten gebeutelten Bürgers über die Mächtigen, ausgeübt von einem, der sich als noch mächtiger erweist oder dem das – andernfalls – egal sein kann, weil er nicht im Herrschaftsbereich der Autoritäten angesiedelt ist, sondern in einem ganz anderen sicheren Kontext agiert. Pfeiffers Geheimwaffe ist hier kein Rohrkrepierer, sie zündet wie erwartet und der phallische Männertriumph kommt noch als Zuschlag obendrauf: Er darf die Tochter des Direktors ehelichen, die ihre bisherige individuelle Identität sofort aufgibt und dem Papa gleich mitteilt dass „wir Schriftsteller werden wollen“. Sieg auf der ganzen Linie und ein bemerkenswerter Zurückpfiff für die Frauen in einer Zeit, in der sie gerade lernten, in einer weitgehend männerfreien Alltagswelt allein zu überleben und auch noch die Kinder durch die Notzeit hindurchzufüttern. Und es ist die Angst der Mächtigen vor Aufdeckung ihrer Mickrigkeit.

Das alles dürfen wir identifikatorisch mitgeniessen.

Oft lohnt es sich auch, einen Film als Negativ eines Fotos zu betrachten, das heisst: das Augenmerk zu legen auf das Nicht-Gesehene, Nicht-Gesagte, Nicht-Stattfindende, das Verdrängte und Verleugnete, die Umkehrung von Hell und Dunkel. Was wird verschwiegen?

Die Feuerzangenbowle spielt in einer Schule aber es gibt keine Kinder; die Schülerinnen und Schüler sind erwachsene Männer und Frauen, die Indexrollen wurden mit bewährten Schauspielern besetzt – das gibt dem Film zunächst eine Anmutung von Maskenball und mag äusseren Umständen geschuldet sein – nach dem Zusammenbruch des Schulwesens 1944 wurden die Jungen und Mädchen zu „kriegswichtigen“ Arbeiten eingesetzt beziehungsweise die Hitlerjugend in den Volkssturm integriert, da mag es an Statisten gemangelt haben.

Kinder erfüllten die Aufgaben von Erwachsenen in der Realwelt, Erwachsene in der Traumwelt spielten Schule. Das war es, was mir bei diesem Film immer die Schuhe auszog: Die Auslöschung von Kindern und Kindseindürfen, das verkrampfte Kindlichsein der Schauspieler, die gespielte Naivität und Unschuld, die kleinen Schülergemeinheiten, die durch die Besetzung mit Erwachsenen beklemmend wirkten. Für Kindheit war kein Platz in dieser Zeit, Kinder wurden rasch in den entsprechenden Verbänden sozialisiert, funktionalisiert und programmiert und agierten von da ab ziemlich ferngesteuert, um zu Kriegsende in ein gewaltiges Loch zu fallen, als sie ihre Ideale entthront sahen, weil alles auf reset geschaltet wurde. Das sind für mich die Konnotationen zur Feuerzangenbowle – ein unheimliches und beklemmendes Schmonzettchen-Biedermanns Welt, in der die Lunte schon ziemlich weit heruntergebrannt ist.

Dazu passend am Ende noch der Appell von Hans Pfeiffer – nun wieder im Status von relativem Erwachsensein:

Kommando zurück, alles war nur ein Traum, ein Spiel der Phantasie, gibt’s eigentlich eh alles nicht – also bescheidet Euch, es gibt nicht mehr. Aber behaltet Eure Traumwelten, Ihr werdet sie noch brauchen. Und der Regen, er regnet jeglichen Tag.

 

 

Und das Interessante dabei ist, dass dieses Filmstrickmuster noch bis in die Siebzigerjahre beibehalten wurde – demnächst in diesem Theater.

 

 

Dieser Film will es uns glauben machen …

Amadeus (USA, 1984) von Miloš Forman

frei nach einem Theaterstück von Peter Shaffer (1979)

Etliche Oscars und Golden Globes

 

Primo:

Was man von diesem Film nicht verlangen darf, ist historische Genauigkeit. Das darf man aber auch nicht von älteren Produktionen zum Thema Mozart verlangen, in denen man uns eine stark idealisiert-sterile Version des Komponisten aus dem Dullijöh-Wien des 18. Jahrhunderts ins Grosshirn implantieren wollte wie etwa bei „Wen die Götter lieben“ von 1942. Der hat gereicht – etwas für schwärmerische Teenies jeglichen Alters und der verdiente Hans Holt eignet sich natürlich prima für dergleichen Weaner Schmäh mit Zuckerln und Nockerln und Busserln, daneben die ebenso verdiente Winnie Markus als sein geplagtes „Stanzerl“. Hat er jetzt so auch wieder nicht verdient, manche Leute sind eben mit ihren Feinden besser dran als mit ihren Freunden. Darauf ein Venusbrüsterl!

 

 

Forman ging es weder um ein Biopic noch um realistische Figurenzeichnung, sondern eher um eine zunächst flotte Nummernrevue, die dann unversehens in Tragische kippt.

Secundo:

Wie bereits das Filmcover verrät, geht es nicht um die Darstellung des Lebens von Mozart, sondern um ein Psychodrama, eine innere Bühne und Schattenwelt, in der die individuellen Dämonen ihr Menuett tanzen, die Welt der Introjekte, wie wir Trüffelschweine von Freuds Gnaden sagen würden. Der Regisseur schafft es, einen spannenden Krimi um den Komponisten und seinen chronischen Widersacher zu modellieren, das Ganze im psychologischen Spannungsbogen Genialität-Mittelmässigkeit aufgespannt, und das Pandämonium der Gefühle zu zeigen, die einen zum ewigen Durchschnitt Verurteilten umtreiben, wenn er auf sein Ich-Ideal trifft und ihm nicht aus dem Wege gehen kann. Diese Rahmenhandlung bietet hinreichend Halt für ein ansonsten brodelndes Gebräu.

Wir sehen Mozart also nicht als reale Person, sondern vielfach gebrochen, verfärbt (das auch im Wortsinne) und entwertet durch das Auge des neidischen und missgünstigen Hofkomponisten Salieri, der ihm im realen Leben gar nicht mal so sehr feindselig gegenüberstand. Realiter hatte jeder von beiden das, was der andere auch gern gehabt hätte – Mozart das Genie und die Gunst der Damenwelt, Salieri seine feste Anstellung bei Hofe und sein gutbürgerliches Auskommen; man liess sich am Leben und bei Cosí fan tutte arbeitete man sogar gemeinsam am Libretto.

In diesem Film ist es anders – hinter den Konventionen, Brokatvorhängen, Schabracken und Paravents brodelt es vor Intrigen und Ränkespielen und Salieri leidet so sehr unter seiner Mittelmässigkeit und seinem schwer gebeutelten Narzissmus (und letztlich an der Schuld, den Tod seines Ideals verursacht zu haben), dass er versucht, sich die Kehle durchzuschneiden, in einer Heilanstalt landet und im Rückblick einem Priester – und damit uns – die Geschichte seines Widersachers – eines wie er sagte „obszönen Clowns, den Gott zu seinem Gefäss erwählt hatte“ – zu erzählen. Der Blick auf Mozart ist also stets subjektiv durch den Neider koloriert.

 

 

Die geschickte Sympathielenkung des Regisseurs verhindert jedoch die Demontage des Idols und beraubt Mozart nicht des Wohlwollens des Publikums – so wie man ihm auch die Sympathie in der Realität nicht versagte, obwohl er ausgesprochen unanständige Briefe an sein Bäsle geschrieben hat – allerdings ein Klacks gegen das, was uns heute auf Instagram entgegenschwappt. Und mit der ehelichen Treue nahm er’s ja auch nicht so genau, ging wohl sogar mit der eigenen Schwägerin fremd – noch dümmer kann man’s gar nicht anfangen, by the way, das kriegt doch jede Ehefrau sofort raus.

Er wirkt unter dem Mikroskop des Nichtwohlwollenden zwar wirklich wie ein herumkaspernder ADHS-Geschlagener (seine Frau gibt dazu das weibliche Tussipendant); seltsam bunt eingefärbte Perücken erzeugen eine Assoziation an die Punkszene – ein junger Rebell im 18. Jahrhundert, dabei aber auch lausbubenhaft sympathisch und merkwürdig deplaciert innmitten des altbackenen Rokoko-Dekors. Tom Hulce stellt diese Dichotomie meisterhaft dar in einer bilderreiche Reise eines chronisch Unbekümmerten – ein Bisschen Parzifal, ein bisschen Simplicissimus – aber niemals wirklich Gebrochenen bis hin zu seinem frühen Verglühen.

Salieri schafft es nicht, Mozart dem Publikum zu vermiesepetern, man merkt, dass er ihn im Grunde auch mag – Forman hat dergleichen sowieso nicht vor und es gelingt ihm, die Szenen gut auszubalancieren – in einer davon stellt Mozart Salieri vor dem Kaiser bloss, indem er einen von Salieri komponierten kleinen und etwas drögen Marsch spontan am Hammerklavier umwandelt und wir erleben so die Entstehung der Arie des Figaro an Cherubino „Nun vergiss leises Flehn“, einer der Top Ten, falls es damals schon eine Hitparade gegeben hätte. Der Kaiser ist entzückt, wir auch und Salieri tut uns leid. Eine menage à trois – zum Rivalisieren gehört meist auch ein Dritter, um dessen Gunst rivalisiert wird, manche schaffen’s aber auch zu zweit, da geht’s dann mehr um Selbsterhöhung als um Gunstgewinnung, da bleibt man innerhalb der narzisstischen Pathologie  und kommt nicht bis zu Ödipus – fallls man da je hinwollte.

 

 

Damit wäre die Leinwand für das Drama aufgespannt – das komplexe Geschehen einer lebenslang drückenden und dräuenden Vaterimago auf einen Sohn, dem wenig Luft gelassen wird eigene Ziele zu entwickeln und des Lebens Freuden zu geniessen – was er trotzdem redlich versuchte.

Salieri hadert mit Gottvater, der ihm Mozart zugesellt hatte, um ihm täglich seine Mittelmässigkeit vor Augen zu führen – das ganze anmutend wie eine Art Geschwistereifersucht, die letztlich das Verschwinden des Rivalen wünscht und er grollt dem Landesvater, der den begabten Clown offensichtlich bevorzugt, ein zurückgesetzter Bruder par excellence (der reale Salieri hatte wirklich einen sehr begabten älteren Bruder – auch nicht leicht für einen strebsamen Jungen).

Mozarts Leben wird überschattet vom ehrgeizigen und ihn zu höchster Leistung pushenden, delegierenden (und vielleicht insgeheim doch neidischen Vater, aber bleiben wir im Reiche der Fiktion) und später dem unzufriedenen und drohenden Patriarchen, der wohl lebenslang seine Pranke nicht von ihm abzog und ihm seine Heirat mit einer einfachen Bürgerstochter und seinen aufwendigen und ausschweifenden Lebensstil schwer verübelte.

Bedrohliche und strafende Väterlichkeit musikalisch düster und treffend darzustellen, war Mozarts Spezialität – den Auftritt des strafenden Comturs unter düsterster Musik in Don Giovanni, den mörderischen und eifersüchtigen Bassa Selim, Graf Almaviva, der alle mit dem Tode bestrafen wollte, die lediglich das gleiche wollten, wie er selbst (nämlich möglichst viele Frauen ins Heu kriegen, aber es gibt eben das Jus primae noctis für den Souverän, das muss ausgeübt werden und quod licet jovi …), Idomeneo, der bereit war seinen Sohn als Opfergabe für den eingeschnappten Gottvater Neptun zu töten – Vaterfiguren verlangen viel und strafen drakonisch und den Don Giovanni holt unter Zuhilfenahme des Comturs letztlich auch noch der Teufel wegen seiner Vielweiberei.

Auf diesem Parkett kannte sich Mozart gut aus. Er beteiligte sich an der Herstellung der Libretti und fand die richtige musikalische Tönung für grollende Patriarchen, die es zu besänftigen galt. Ein Lebensthema und hier auch sein Tod. In der Realität besuchte Mozart der „schwarze Gast“ und forderte ein Requiem als Auftragsarbeit für seinen Herrn, dessen Namen er nicht nennen durfte – eine wohl real stattgefundene und unheimliche Inszenierung, die beim kränkelnden Mozart ihre Wirkung nicht verfehlte. Dahinter steckte ein wohlhabender Adliger, der um Mozarts Erkrankung wusste und hoffte nach seinem Tod die Komposition als die eigene ausgeben zu können.

Hier im Film zieht natürlich Salieri die Strippen, der ihn als schwarzer Gast besucht – im Kostüm von Leopold Mozart, getragen auf dem letzten Maskenfest vor seinem Tod. Mozart solle mit dem Requiem bald beginnen – so lautet der mit hohler Stimme erteilte Auftrag – er habe nur noch wenig Zeit. Ein Charon, der ankündigt dass die Segel bereits gesetzt wären. Mozart versteht sehr wohl wohin die Fahrt gehen soll.

Ein bisschen Geschichtsklitterung eben.

Der über die unheimliche Begegnung zutiefst erschrockene Mozart beginnt das Requiem zu schreiben, Salieri hilft ihm dabei, in der Hoffnung das Manuskript klauen und ebenfalls das Werk später als sein eigenes ausgeben zu können. Trotz aller bösen Vorhaben scheint Salieri plötzlich angerührt vom Kampf des Sterbenden, der dem Tod sein letztes Werk abringen muss, der Film wechselt vom Fortissimo ins Adagio; es entsteht in diesen Szenen eine seltsam schwebende Nähe zwischen beiden, ein neuer Klang, ein Berühren, eine Ahnung davon, was zwischen ihnen hätte möglich sein können. Ein Verbundensein im primordialen Raum der Musik.

Der Plan, den väterlichen Schatten auf Mozarts Leben virulent werden zu lassen und ihn in seinem Lebenswillen zu schwächen, bis er sozusagen einen Voodoo-Tod erleidet – bei diesem stirbt man ohne weitere Gründe aufgrund des „Fluchs“, also der blossen Vorhersage, ein psychogener Tod – heissts zumindest, realiter sind dabei wohl irgendwelche raffiniert applizierten Gifte im Spiel, die Naturvölker sind ja auch nicht blöd – gelingt, allerdings findet die dazukommende Constanze das Skript und nimmt es in Verwahrung.  Bingo!

Danach geht sich Salieri selbst an die Gurgel.

Das Ganze immer wieder mit humorigen und ironischen Brechungen konstruiert und ohne die liebenswerten Figuren über die Maßen zu verzerren oder ins Lächerliche zu ziehen – und am Ende findet sich der Zuschauer im Sessel wieder beim Meditieren über das eigene Ich-Ideal und dessen Ansprüche und ob es eine derart bewundernde Hassliebe überhaupt gibt und wie sie sich wohl  anfühlt. Somit ist der Film auch eine Studie über die Klebkräfte von Hassbindungen (Liebe endet oft genug zu früh – Hass in singulärer und kollektiver Form selten und wenn dann zu spät, wer’s nicht glaubt, schaue kurz in die Tageszeitung ) und zum Schluss sei Giordano Bruno zitiert: „Ist’s auch nicht Wahrheit, ist’s doch schön erfunden.“

Und in der Ferne hört man Tom Hulce ein letztes Mal wiehern.

 

                                                                                    ~ Fin ~

 

 

 

 

Jud Süss (1940) von Veit Harlan ist ein antisemitischer Propagandafilm übelster Sorte und ein sogenannter Vorbehaltsfilm – er kann nicht käuflich erworben und darf nicht öffentlich vorgeführt werden, man musste früher ins Filmmuseum nach Berlin reisen und ihn sich dort anschauen. Mittlerweile sind die Vorschriften gelockert worden – er darf zu Lehrzwecken unter „wissenschaftlicher Leitung mit Expertise“ gezeigt werden; aber natürlich grassieren auch Raubkopien im Netz.

Das Ganze ist verständlich, aber andererseits verwunderlich, da ähnlich schlimme und offen hetzerische Machwerke insbesondere in Form von Belletristik fröhlich bei Amazon feilgeboten werden (Hans Heyck, Kuni Treml-Eggert und andere) und auch noch positive Rezensionen bekommen. Kümmert kein Schwein bzw macht sich niemand die Mühe nachzuforschen und einen Index zu erstellen; es wäre recht einfach, da ja die entsprechenden „Dichter“ heute noch bekannt und googlebar sind. Die Neofaschisten sind gut versorgt hierzulande.

Beim Kellerausräumen bei einem Verwandten fand ich einst reichlich Naziliteratur – teilweise mit Originalwidmungen von Rudolf Heß, den Mythos des 20. Jahrhunderts von Rosenberg, ebenfalls mit Originalunterschrift und dergleichen mehr, weiss der Teufel wo er die herhatte, er hatte seinerzeit keinerlei Drähte „nach oben“; er war als einfacher Soldat seinerzeit bei der 6. Armee im Kessel von Stalingrad und wurde als einer der letzten wegen einer schweren Lungenentzündung nach Hause geflogen, das schützte ihn vor der russischen Endlösung. Danach sprach er nie wieder über den Krieg, aber als 1960 die ersten Jungs mit langen Haaren auftauchten, wurde wieder der Adolf als wirksames Gegenmittel gegen derlei Auswüchse angerufen wie ein Säulenheiliger.

Die Bücher hätte ich sicher gut bei Ebay losgekriegt, sie ruhen jetzt wohlverwahrt und neonazisicher im Museum der Gedenkstätte des KZ Buchenwald in Weimar – dafür hab ich jetzt dort lebenslänglich freien Eintritt, falls ich das wollte – hört sich auch gruselig an – freier Eintritt ins KZ. Aber mir reicht der Besuch des KZs Dachau – da mussten wir als 14-jährige Mädels mit der Lehrerin hin … völlig unvorbereitet. Ich kasperte noch beim Herumstreifen auf dem Gelände mit der Freundin – wir verfügten beide noch über eine gut funktionierende Abwehr und fanden sogar hier noch etwas zu giggeln –  in einer offensichtlichen Verweigerung zu realisieren, wo wir waren und wo wir freiwillig niemals hingegangen wären und was uns offensichtlich völlig überforderte – trat durch eine Tür, wollte noch den Witz zu Ende erzählen und kippte fast um – ich stand direkt vor den Verbrennungsöfen, daneben das bekannte lebensgrosse Foto eines Skeletts, das soeben aus dem Ofen geholt wird. Das ging in die ungeschützten Eingeweide. Der Rest des Nachmittags ist im Dunkel der Verdrängung verschwunden.

Auf dem Heimweg wurde einigen Schülerinnen im Bus übel, mir auch – es gab Vorwürfe von der Lehrerin weil „wir uns am Obststand vor dem KZ so überfressen“ hätten. Was stimmte, aber sicher auch seinen Hintergrund hatte – offenbar glaubten wir, uns für das Kommende stärken zu müssen. Die Dame war Olympiasiegerin von 1938, der von Leni Riefenstahl gefilmten Olympiade und selbst alles andere als eine damalige Regimekritikerin. Weiss der Teufel, was sie geritten hat, mit uns dort hinzugehen, sie war immer darauf bedacht uns „hart und widerstandsfähig“ zu machen; im Schullandheim gabs Morgenappelle und erstmal einen ergiebigen Waldlauf vor dem Frühstück. Da gehörte ein KZ-Besuch wohl zum Programm.

 

 

 

 

Dreissig Jahre später hatte ich junge Mädchen gleichen Alters in der Praxis, die den schulisch organisierten Besuch von Schindlers Liste schlecht verkraftet hatten – offensichtlich wegen einer weniger gut funktionierenden Verdrängung und Alpträumen mit Panikattacken.

Vorvorgestern, also passend zum Karfreitag Jud Süss erstmalig gesehen, etwas unter Extrasystolen gelitten hinterher, keine Übelkeit, wenigstens das. Somatische Symptome bedeuten, dass die rationale schützende Abwehr oder andere reifere Bewältigungsmechanismen wie Versprachlichung unterlaufen werden und der Körper die Erregungsabfuhr übernimmt, wie man das von Kindern kennt.

Was soll man sagen? Vor einiger Zeit stellte ich mir die Frage, ob man einen schlecht gemachten, aber gut gemeinten Film schlecht finden darf. Hier geht’s umgekehrt: Übelste antisemitische Propaganda – gekonnt gemacht für die damalige Zeit, so wie ein Maschinengewehr technisch gut gemacht sein kann für einen mörderischen Zweck. Eine solide Leistung von den Schauspielern und Mitläufern Ferdinand Marian als Joseph Süss Oppenheimer und Heinrich George als geldverschlingender Herzog Alexander von Württemberg, der sich Herrn Oppenheimer als Finanzberater hielt und nicht schlecht damit fuhr.

Die Vorlage war der gleichnamige Roman von Lion Feuchtwanger, der sich wiederum an der historischen Figur des Joseph Oppenheimer orientierte. Von beiden Vorlagen weicht der Film propagandabedingt sehr stark ab.

 

 

 

 

Würde er heute noch funktionieren – abgesehen vom schlechten Ton? Ja – auf zweierlei Art, je nachdem wie man gepolt ist: Gegenüber den tumben deutschen Betonköpfen im Film und dem verfressenen Herzog Alexander erschien mir Oppenheimer in seiner mephistophelischen Gerissenheit und Schleimerei fast sympathisch – mit Sicherheit die intelligenteste Figur in diesem Film, auch zumindest die am ehesten männliche Erotik ausstrahlende – da haben wohl Regisseur Veit Harlan und sein Protege Goebbels (Jud Süss war dessen Lieblingsfilm, neben Kolberg) ein Eigentor geschossen. Bei entsprechend anders gepoltem Publikum werden die antisemitischen Vorurteile natürlich bestens bedient, wobei dieses Publikum sich dergleichen alte Schinken sicher nicht ansehen würde, selbst wenn’s auf ihrer Linie läge.

Die schwer erträgliche Frauenfigur (Kristina Söderbaum, Gattin des Regisseurs und seinerzeit als „Deutschlands schönste Wasserleiche“ zu zweifelhaften Ehren gekommen) macht diesem Titel wieder alle Ehre und der Zuschauer ist relativ erleichtert, als sie endlich in den Wellen verschwunden ist und nicht länger die deutsche hirnamputierte Gefühlstussi gibt. Bei Rosenberg – ich hab die Schwarte ja dann doch gelesen – hiess es, der Mann übernehme in der Familie „die Architektonik“, die Frau „die Lyrik“. Vielen Dank!

Wie gesagt – der Film funktioniert heute etwas andersherum – gottlob bzw erzeugt in seiner Übertragungswirkung einige Verwirrung: Man findet den sympathisch, den man nicht sympathisch finden darf , weil es ja ein Verbrecher ist, aber entdeckt dann, dass man ihn ja sympathisch finden darf, weil er ja nur unter dem Naziregime zum Verbrecher gemacht wurde … der Verstand fasst es, das Gefühl tappt etwas im Nebel des Widerstreitenden herum. Darum ist wohl auch der Israel-Palästina-Konflikt so schwer gefühlsmäßig zu verarbeiten, wobei der ja mit dem Judentum gar nichts mehr zu tun hat – was aber immer noch als Konnotation mitschwingt und die politischen Haltungen und rationale Entscheidungen mit beeinflusst – falls in der Politik überhaupt etwas rational sein kann. Es gibt keinen unbelasteten Neuanfang und Geschichte ist zyklisch.

 

 

 

 

Wer sich für nähere Hintergründe interessiert: Es gibt einen Jud-Süss-Making-of-Film:  Jud Süß – Film ohne Gewissen, über das Leben des Schauspielers Ferdinand Marian, der zusehends unter den Druck und Einfluss von Goebbels geriet, der um die jüdische Abstammung von Marians Frau wusste und ihn damit erpresste. Marian fürchtete mit dieser Kotzbrockenrolle alle Sympathien seines Publikums zu verspielen, beugte sich aber dem Druck des Reichspropagandaministers, ähnlich wie Gustaf Gründgens und Heinz Rühmann, der sich von seiner jüdischen Frau scheiden liess um weiterspielen zu können.

 

 

 

 

Ich habe es mir angetan anlässlich des Verfassens eines Buches über deutsche Nachkriegsfilme (einige meiner ersten Posts hier handeln davon), mir die wissenschaftlich kommentierte Ausgabe von  Mein Kampf zu bestellen – mein Briefträger spricht heute noch nicht mit mir, nicht wegen des Inhalts, sondern wegen des Gewichts: 2 Schwarten à 30 x 20 x 10 cm approximativ. Das Durchpflügen hat sich gelohnt – ich entdeckte Neues am Führer – nämlich einen ausgeprägten Autismus, er schien wie in einer Blase zu leben und zu schreiben, Menschen und Begegnungen spielen in den Tagebuchaufzeichnungen über seine Wiener und Münchner Jahre keinerlei Rolle (ausgenommen das Gedankengut herausragender und einschlägiger politischer Persönlichkeiten), war mir vorher nicht so aufgefallen. Nicht unbedingt neu, aber es ist ein Unterschied, ob man nur weiss oder auch spürt. Die Welt durch Hitlers Augen gesehen … wie hinter Milchglas, durch das gelegentlich markige Worte von Gesinnungsbrüdern hindurchdringen und ansonsten Kreisen als der eigene Satellit um das eigene Selbst. Innenansichten – die zeitraubende Lektüre reut mich nicht.

Der von mir ansonsten sehr geliebte Wissenschaftsjournalist Volker Elis Pilgrim – der in den 70ern sehr mit dem Feminismus sympathisierte, in einer Talkshow mit Strickzeug sass und jedem Mann empfahl, sich probehalber einmal anal penetrieren zu lassen, um Frauen besser verstehen zu können – schrieb kurz vor seinem Tod drei Bücher à 400 Seiten, in denen er in Band 1 nachweist, dass Hitler und Eva Braun überhaupt kein Sexleben gepflegt haben, sondern dass – Beobachtungen zufolge – Hitler durch Filme mit Folterungen und sadistischen Handlungen bis zum Höhepunkt erregt wurde, also nicht als Borderline-Patient oder narzisstisch Persönlichkeitsgestörter einzuordnen wäre, sondern als hochgradig sadistisch-psychopathische Serienkillerpersönlichkeit. Ich glaub’s – aber ich fürchte, heutzutage interessiert das keinen mehr. Durch den dritten Band, in welchem Pilgrim seine Serienkillertheorie nochmal akribisch nachweist, muss ich mich noch hindurcharbeiten, aber die Frage ist, ob man zum Beweis dieser These 1200 Seiten aufwenden muss – die Serienkillerei hat Hitler ja schon längst selbst unter Beweis gestellt.

Karfreitagsgedanken …

 

 
 

Das letzte Wiedersehen mit Buñuel erlebte ich beim Film Midnight in Paris von Woody Allen. Der Protagonist Gil gerät in das Paris der 20er Jahre, trifft Cocteau, Dalí, und andere Kunstgrössen und Existenzialisten, darunter auch Buñuel, der gerade wieder nach einer Filmidee sucht. Irgendjemand schlägt ihm vor, einen Film über eine Abendgesellschaft zu drehen, die am Ende den Raum nicht mehr verlassen kann. Buñuel schüttelt den Kopf und findet die Idee offensichtlich dämlich, auch nach längerem Grübeln scheint er nicht anderen Sinnes zu werden.

Dem Cineasten fällt an dieser Stelle ein grosses Grinsen ins Gesicht, ist dies doch genau die Handlung eines von Buñuels bizarrsten – man könnte auch sagen surrealsten Filme Der Würgeengel.

Il Angel Exterminador erinnert auch an den Engel mit dem Flammenschwert, der den Eingang des Paradieses bewacht –  womit wir wieder bei Grenzen wären. Insofern ist dieser Film eine vorgezogene Summary seines bisherigen Werkes: Buñuel beschäftigte sich immer mit Menschen und Menschenpopulationen und ihren äusseren, ideologisch-gesellschaftlichen, meistens aber den inneren selbstgezogenen Grenzen, aus denen sie nicht herausfinden und deren Opfer sie schliesslich werden.

Auch sein erster Film Las Hurdes – Land ohne Brot, eine Doku, zeigt das Leben eines hungernden Bergvolkes in Spanien und evoziert Gedanken über die Gründe, die die ausgezehrten Menschen hindern, dieses Land zu verlassen. By the way sind die Hurdes jetzt ein Parco Naturale mit reichlich touristischen Angeboten, heutzutage würde man es als „entzückend bukolisch“ benamsen. Tempi passati.

Nazarin und Viridiana ersticken in ihrem bigotten Katholizismus und werden Opfer derer, für die diese Werte nicht existieren und die Gutherzigkeit dieser reinen Seelen für sich zu nutzen verstehen. Tristana ist Gefangene ihres Mannes und ihres eigenen Rachemodus, Belle de Jour versteht Grenzen nur im Geheimen zu überschreiten. Die Bourgeoisie erstickt in ihren Klassenschranken, Konventionen und Ritualen (von Bunuel in einer neckischen Umkehrung vorgeführt als in Der diskrete Charme der Bourgeoisie die feine Gesellschaft auf Kloschüsseln zu Tisch sass und zum Essen aufs Klo ging, weil’s eben gerade comme il faut war – die Szene wurde ikonisch), und der Protagonist des Obskuren Objekts der Begierde zappelt im Netz seiner  eigenhändig gespaltenen Frauenbilder. Niemand entkommt seiner Haut, seinen Obsessionen, seinem Glauben und anderem festsitzendem Wahnsinn, es bietet sich also an, dergleichen einmal in einem Film zu operationalisieren.

Eine noble Abendgesellschaft – die Familie Nobile, jaja, das auch noch – der Upper Class trifft sich zu einem prätentiösen Abendessen, der Dresscode ist hochgepusht. Das Personal bereitet vor, scheint aber unter einem rätselhaften Druck zu stehen das Haus möglichst bald verlassen zu wollen, jeder hat etwas Eiliges vor und nach dem Servieren sind alle verschwunden; das Abendessen vollzieht sich in üppigem Dekor unter schichtspezifischem small talk, darunter menschelt es jetzt schon zutiefst. Nach dem Essen kippt die Szenerie – ein unerklärlicher Zwang scheint die Gäste zu hindern, den Speisesaal zu verlassen. Sie unterdrücken zunächst erfolgreich ihr Unbehagen, finden rationale Erklärungen für die Situation, nächtigen auf dem Fussboden, ohne sich einzugestehen, dass etwas Beunruhigendes im Busch ist.

Am folgenden Tage greift die Verleugnung zusehends nicht mehr. Krägen werden geöffnet, Krawatten abgelegt, Kleider aufgehakt, der Diskurs entgleitet und mit den Krawatten und Korsetts fallen auch die Konventionen und Contenancen. Es kommt zu Aggressionen und Grenzüberschreitungen, zunehmend zu Verzweiflung, Wasser und Nahrungsmittel gehen zu Ende, ein Gast stirbt und wir finden uns unversehens in Sartres Huis Clos wieder. Eine Sammlung edler Vasen dient zum Verrichten der Notdurft und schon bald existiert nichts mehr, was die upper class noch von denen unterscheidet, von denen sie sich  immer  gerne distanzieren würden.

 
 

      

 
 

Draussen versammeln sich Menschen, um zu helfen, können aber ebenfalls das Haus nicht betreten. Erst als es den Eingeschlossenen nach einigen Tagen gelingt, die gleiche Situation wie bei der Abendgesellschaft wiederherzustellen, öffnet sich das Tor zur Hölle wieder. Am nächsten Tag versammeln sich alle bei einem Dankgottesdienst, aber hinterher zeigen sich wiederum erste Schwierigkeiten die Kirche zu verlassen.

Buñuel hat sich lebenslang gegen eine Deutung seiner surrealen Symbole gewehrt, ein Vogel Strauss im Schlafzimmer sei eben ein Strauss im Schlafzimmer (Die Milchstrasse) – ein zugegebenermaßen skurriles Bild, aber nichts an dem weiter herumzudeuteln wäre. Offenbar hat sich niemand an dieses Dictum gehalten – die Interpretationen und Seminararbeiten blühten.

Nun wäre es sehr wohlfeil, das ganze Werk mit allen subtilen surrealistischen Einsprengseln im Ordner Buñuelsche Gesellschaftskritik abzulegen, auch das mental aufgeploppte Fenster „Kirchenkritik“ greift nicht – obwohl eine Horde Schafe am Schluss die Kirche stürmt und dann vermutlich auch nicht mehr aus dieser herausfinden oder auf den Topos des unschuldigen Opfers zur Befreiung der in ihren Sünden Eingeschlossenen hinzuweisen – hier ist für findige Interpretatoren nochmal eine Menge zu holen, whatever.

Filme von Bunuel sollten nicht interpretiert, sondern in ihrem Fliessen betrachtet werden – hier in ihrem Spiel mit der Dialektik von Grenzen: Das Ziehen einer so unsichtbaren wie irrealen Aussengrenze führt zwangsläufig zum Fallen der inneren Grenzen, die die Eingeschlossenen sonst voreinander und ihren wechselseitigen Aggressionen schützen und deren Aufhebung zunehmend ins Neandertal führt und man kann weiterphantasieren, ob sie sich nach längerer Zeit vielleicht gegenseitig verspeist hätten – bei einem Flugzeugabsturz 1972 in den Anden haben die Überlebenden zu diesem letzten Mittel gegriffen – der Film dazu kam relativ spät (Die Schneegesellschaft, 2023), bei anderen Katastrophen geht das schneller, es gab auch zwei Oscarnominierungen dafür, ansonsten schien er nicht viel Interesse zu wecken.

Von der Kriegsgeneration wurde auch immer dieses Grenzphänomen zitiert, wenn man als Mädchen auf dem Nachhauseweg zu späterer Stunde unangenehme Erlebnisse hatte: „Beim Adolf hätt’s das nicht gegeben!“ Klar – da tobte sich die Aggression an den Grenzen aus und innen rückte man zusammen – zumindest die, die glaubten, zu den Guten zu gehören, auch hier entstanden neue Grenzziehungen.

Die Umkehrung des sicheren Drinnens und des gefährlichen Draussens in das Gegenteil ist hier ebenfalls eine reizvolle Denkfigur; gefährlich ist das worin wir uns sicher fühlen. Und wenn etwas ausgeschlossen wird, kommt etwas anderes herein – in der Physik nennt man das eine semipermeable Membran. Und wenn ein Mensch eingeschlossen wird, kommt aus ihm etwas anderes heraus, von dem man gar nicht wusste, dass es drin war – offenbar sind Grenzen in ständiger Verlagerung und höchst dynamische Gebilde, etwa wie bei einem Labyrinth, in dem Durchgänge plötzlich gesperrt werden können und dafür andere geöffnet – auf dem Oktoberfest gibt’s dergleichen und treibt ängstliche Menschen in Heulanfälle – ich weiss wovon ich spreche.

Im Gegensatz zum Film Die Wand nach dem Roman von Marlen Haushofer, ein Film der als „Zustandsbild einer Depression“ interpretiert und gefeiert wurde, mit einer durchgehend sauertöpfischen Hauptdarstellerin – so deutsch, tiefernst, brav, ohne jegliche pfiffige Idee und Distanzierung heruntergekurbelt, dass man das Kino dann wirklich im Zustand depressiver Sauertöpfigkeit verliess und sich wünschte, man wäre ins Paris des Existenzialismus versetzt, am besten ins Café de Flore, wo alle hocken die etwas zu erzählen haben und Bunuel immer über noch über dem oben gegebenen Ratschlag brütet. Irgendwo muss es doch eine Zeitmaschine geben, in Dreisartresnamen …

 

 
 

Fellinis Stadt der Frauen von Frederico Fellini (Frankreich / Italien 1980)

 

Niemand anderer als Sartre führte in Das Sein und das Nichts auch die Definition der Aufgabe und Rolle des Blicks ein: Der Blick kann den anderen zum Objekt machen, das betrachtet wird, er kann den Betrachter zum Objekt machen, der betrachtet wird oder sich selbst betrachtet. Somit ist der Blick ein mächtiges, weil formendes, definierendes und in hohem Masse bestimmendes Agens in der gesamten Phänomenologie.

Im narrativen Kino des 20. Jahrhunderts – so die Filmtheoretikerin Laura Mulvey – ist der Blick überwiegend ein Male Gaze, ein omnipräsenter männlicher Blick, der Frauen als sexuell begehrenswerte Objekte einem männlichen heterosexuellen Publikum zu eben diesem Genuss präpariert und vorführt. Die gleichzeitig mitguckenden Frauen waren seinerzeit in einer Form sozialisiert, dass sie diese Sichtweise mit übernahmen, in sexueller, kultureller und ästhetischer Hinsicht und identifikatorisch schön fanden, was die Männer schön fanden und sich auch bezüglich der eigenen Erscheinung daran orientierten. Davon leben ganze Industrien.

 
 

 
 

Fellini – generell eine verspielte Natur – spielt in  Stadt der Frauen  furios mit diesem Genre und seinen Klischees, dem Bild des Mannes als solchem und seinen Ängsten, seinem Narzissmus und den sich daraus ergebenden Skurrilitäten.

Snaporaz, ein nicht mehr ganz junger Herr (Marcello Mastroianni, wer sonst, ohne den gehts ja nicht) wird auf einer Bahnfahrt von einer üppigen Dame (Fellinis Kragenweite) – die Kamera tastet sie ab wie ein männlicher Blick – aus dem Zug und über eine Wiese gelockt wie von Charon über den Styx oder von der Hexe ins Lebkuchenhaus.

Der Spiess wird umgedreht – die Dame fotografiert ihn und fordert ihn auf die Augen zu schliessen – eine symbolische Inbesitznahme des Mannes und Umkehrung des Betrachtens ins Betrachtetwerden. Von da an ist er nicht mehr aktiv Handelnder, er muss die Dinge geschehen lassen und es geschehen eine Menge davon.

Statt ein Abenteuer zu erleben wird S. zu einer Villa gelockt, in dem offenbar ein Feministinnenkongress vom Feinsten stattfindet. Die Frauen machen Yoga, halten flammende Vorträge gegen Machismus, spielen satirisches Theater und fahren mit MGs bewaffnet durch die Gegend, vermutlich um ihr Unternehmen zu schützen, vielleicht auch noch Schlimmeres. Die Stimmung kippt ins Paranoide.

 
 

 
 

Die Aktivität der Feministinnen in diesem Haus ähnelt der Aktivität jeder lebendigen Bewegung in der Realität: Spaltungen, Bildung von sich befehdenden Untergruppen, unterschiedliche Strömungen und Schwerpunkte, Anführerinnen, die die Bewegung diversifizieren oder schwächen – all in one hier unter einem Dach in buntem Reigen.

Snaporaz versucht zunächst mit Charme in diesem Pandämonium klarzukommen, scheitert natürlich und wird zusehends verängstigter, irgendwann fürchtet er geradezu um sein Leben. Er findet seine Rettungsinsel schliesslich in der belagerten Villa von Dr. Cazzone, einem Edelmacho mit einem Haus voll von Fetischen, die das Männerherz erfreuen, aber auch ständig umschlichen von den patrouillierenden Frauen. Die letzte Bastion eines Kotzbrockens.

Aber die Frauen sind nicht nur wegen ihrer Überzahl, geballten wütenden Power und ihrer Waffen gefährlich, der Film zitiert auch andere Bildgebungen wie etwa in Form der püppchenhaften Verlobten Cazzones den Mythos der verschlingenden Vagina (sie kann mit derselben einen Sog ausüben und kleinere Gegenstände hineinziehen), ein machtvolles Organ, bei dem sich Mann jahrtausendelang nie ganz sicher war, ob im Inneren nicht doch ein Fallbeil wartet –  und was mit der Büchse der Pandora wirklich gemeint war, haben wir mittlerweile auch verstanden.

Wenn hier im Dorf irgendwo ein Mädchen zur Welt kommt, steht vor der Gartentür ein Storch und darunter steht Bixnmacherei (Büchsenmacherei), wenn nicht überhaupt ein paar leere Konservendosen gut sichtbar aufgehängt werden. By the way – wenn ein Sohn geboren wurde wird ein Weisertwecken gebacken – ein möglichst langes Stangenweissbrot (1 m Brot pro Pfund Geburtsgewicht) und an die Hauswand gelehnt mit Umzug, Blasmusik und allerlei Festivitäten. Phallisch-Nahrhaftes contra Blechmüll ohne Festivitäten. Ich sage nichts weiter.

 
 

        

 
 

Fellini war auch begeisterter Jungianer – im Keller des Hexenhauses – also unten, wo’s in der Regel heiss wird – wartet die Heizerin, eine monströse unbefriedigte Frau, die Snaporaz bei ihren Annäherungsversuchen fast erdrückt – die begierige phallische Frau. Damit wäre die Archetypologie weiblicher Schrecknisse komplett.

Aber Fellini zeigt nicht nur den Male Gaze, sondern auch den Female Gaze – die durch Frauen vorgenommenen Verzerrungen des Männerbildes – wiederum im Spiegel des männlichen Blicks – beispielsweise, wenn von einer Theatergruppe im Hexenhaus eine Szene geprobt wird, in der eine Frau mit Frankensteinmaske eine andere Frau a tergo bespringt, während diese am Herd im Topf rührt. Das penetrierende und unterdrückende männliche Monster aus der weiblichen Perspektive, hier vom Mann gesehen – damit auch ein Blick des Mannes auf die Feministinnen und ihre eigenen Zerrbilder und deren Blick auf den Mann.

Ein raffiniertes Vexierspiel mit vielfältigen Brechungen, man wähnt sich zuzeiten im Spiegelsaal von Versailles (oder in Schloss Herrenchiemsee im Land der Bixn und überlangen Baguettes), in welchem Spiegel Spiegel spiegeln, bis nichts mehr zuzuordnen ist und die Realität sich in Bildern auflöst.

 
 

 
 

Snaporaz gerät als nächstes vor ein Frauengericht und wird zu seiner Verwunderung freigesprochen, vermutlich kommen die Frauen zu dem Schluss, dass dieses Würstchen ohnehin nicht mehr viel Unheil anrichten kann, insbesondere nicht nach dieser Reise.

Zum Ende hin wird es vollends surreal – symbolistisch: Snaporaz durchbricht eine rotsamtenes, einer Vulva ähnelndes Tor, landet auf einer Rutschbahn die ins Dunkel führt und rettet sich in einen Ballonkorb, der Fesselballon hat die Form einer riesenhaften, knappst bekleideten Frau mit Brautschleier, die die Seile hält als würde sie Strippen ziehen: Der Mythos der heiligen Hure und ihrer Anziehungskraft auf entsprechend gepolte südosteuropäische und  aussereuropäische Männlichkeit. Diese Ballonfigur ähnelt Donatella, seiner hilfreichen Begleiterin durch Dantes Inferno. Die reale Donatella greift aber alsbald zum Gewehr und schiesst auf ihren eigenen Mythos, von dem sie offensichtlich genug hat, bis er platzt – e basta così – damit der Schmarrn endlich ein Ende hat.

Nach diesem pompe funèbre eines gebeutelten Machos erwacht Snaporaz wieder im Zugabteil, die üppige Dame lächelt ihn wieder vielsagend an, zwei zusteigende kichernde Studentinnen, eine davon Donatella, werfen ihm Blicke zu. Seine Brille, die ihm im Hexenhaus zerbrach, erweist sich immer noch als zerbrochen – Traum- und Realitätsebene sind damit als gleichberechtigt konfiguriert – das Unbewusste kennt weder Zeit noch Unterscheidung zwischen Dreidimensionalem und Fantasmagorischem, beides ist lebensbestimmend.

 
 

 
 

Was ist das Besondere an diesem Film? Er ist weder feministisch noch feiert oder geisselt er den Machismus, er ist keine blutleere Satire und der Regisseur geht milde mit seinen Darstellern um, ebenso wie das Frauengericht mit dem Eindringling. Die tragende Gefühlsspur des Filmes ist die überschäumende Lebensfreude und letztlich Gutartigkeit der Frauen in allen Formen der Schönheit und Hässlichkeit, mit Körpern die nicht perfekt, aber anziehend sind. Die vom Regisseur (seine leicht masochistische Komponente ist allenthalben zu spüren, dominante Frauen erschrecken Fellini durchaus nicht, ich darf an Amarcord und die Zigarettenverkäuferin erinnern) niemals blossgestellt, entlarvt oder intellektuell definiert und damit entfremdet werden, sondern in ihrer einfachen Menschlichkeit gezeigt. Man kann sich im Rachemodus in die jeweiligen Zerrbilder des anderen Geschlechts verbeissen – und die eigenen dabei natürlich unangetastet lassen – man kann sich aber auch in einer Position der Augenhöhe und Wertschätzung darüber austauschen, und seinen Spass dabei haben, insbesondere bei Fellini’schen Darstellungsweisen. Humor versteht so manches zu transzendieren. Italienische Frauenverbände haben sich wütend von diesem Film distanziert, aber es kommt auch bei Frauen manchmal vor, dass sie den Schuss nicht gehört haben.

 

 
 

Es gibt tatsächlich das Genre der Mindfucking-Filme, die sich gerade im Sci-Fi-Genre explosionsartig vermehren. Der Zuschauer muss eine Menge Konzentration aufwenden, um sich orientieren zu können, auf welcher zeitlichen oder räumlichen Ebene das Filmgeschehen gerade abrollt und hat auf jeden Fall sehr viel corticale Arbeit. In einen Flow zu kommen oder gar etwas zu geniessen ist schwierig bis unmöglich – und by the way: Ich mag diese Gespinste überhaupt nicht.

Begonnen hatte es 1999 noch relativ charmant mit der Matrix: ein Film, der sich der schon in der Antike aufgeworfenen Frage über die Authentizität unserer wahrgenommenen Realität widmet. Woher wissen wir, dass wir nicht nur träumen und alles uns Umgebende nur ein Spuk ist? Ein durchaus anspruchsvoller neuer Ansatz für Sci-Fi und seine bekannten Techno-Orgien, die inzwischen ausgereizt waren, sich hier aber gottlob in Grenzen hielten (dafür gabs eher Martial-Arts-Kampfszenen, in denen die Kämpfer die Schwerkraft aufzuheben verstanden wie die Ninjas) zugunsten der Faszination von Überwindung der Zeit- und Raumgrenzen.

Also: Woher wissen wir, dass wir nicht verkabelt in einer Nährlösung unter Dauerchemiebeschuss vor uns hinträumen – vielleicht noch gleichgeschaltet mit unseren Nachbarn den gleichen Traum träumen und mit ihnen im Traum interagieren? Fragen – so alt wie der Homo sapiens oder höchstens ein bisschen jünger.

Oder ob es vielleicht dem neuen Leonardo (nicht da Vinci sondern DiCaprio) gelungen ist, einen vorher in seinem Traumlabor designten Traum in unser Unbewusstes einzuschleusen und selbst drin mitzuspielen – in Inception von Christopher Nolan wohlerprobt dargeboten.

 
 

 
 

Leo DiCaprio klagte später darüber, dass selbst die Schauspieler bei den Dreharbeiten die Orientierung verloren und nicht mehr wussten, in wessen Gehirn sie da gerade mit wem zu welchem Zwecke herumturnten; der Zuschauer wusste es meistens auch nicht, sondern schaltete auf „flow“ und genoss die effects und den neuartigen Ansatz dieses Genres. Oder verliess das Kino mit Kopfschmerzen.

Das in Inception vorgeführte „dream-creating“ liess sich natürlich von Regierungen und Konzernen prächtig für ihre Zwecke einsetzen. Da entstanden spannende Machwerke wie Timeline, Source Code, Looper und vieles mehr. Hirngymnastik sozusagen, für manche lustvoll.

Oder in Blade Runner (1986) – eine Frühgeburt des Genres und dieser Zeit voraus – das ständige Rätselraten, ob man es nun mit einem Menschen oder einem künstlich gezüchteten Replikanten zu tun hat, dem darüber hinaus künstliche Erinnerungen eingepflanzt wurden, so dass er selbst nicht weiss, ob er ein Mensch ist oder ein funktionalisiertes Menschenwerk, am Schluss wusste keiner mehr irgendwas und bis heute wird im Netz diskutiert, ob Harrison Ford nicht doch ein Replikant war und wie das zu beweisen wäre. Nämlich durch ein papierenes Origami-Eichhorn in einem Traum, also alles gar nicht so einfach. Die Sache kam also an. Wie gesagt – nix für mich – ich liebe es nicht, ständig von neuen Raum- und Zeitebenen überrannt zu werden, mir fällt dabei immer nur der gallebittere Witz ein, dass es auch Vorteile bringe, an Demenz zu erkranken: Man ist jeden Tag woanders und lernt neue Leute kennen.

Nun ist das Designing des Unbewussten und des Gefühlslebens nichts Neues und wird in Werbung und politischer Berichterstattung und dem Arbeiten mit versteckten Botschaften und subliminaler Wahrnehmung angewendet, seit es Medien gibt. In Inception wird es noch einmal auf den Punkt gebracht, worauf wir zusteuern könnten, die prophetische Funktion des Kinos, die ich wiederum sehr schätze – spätestens seit dem Tage als ich nach Hause kam, die brennenden Twin Towers auf dem Bildschirm sah und mich wunderte, warum mein Mann schon mittags Independence Day guckte.

Von da ab nahmen die Aliens wieder Züge des politischen Feindes an, nur waren’s diesmal nicht die Russen, sondern die IS und die 3. und 4. Welt und ihr Hunger die sich auf die westliche Zivilisation stürzten.

So wie in Inception die Gehirne als Schauplatz ständig wechselten, sind es in den Zeitreisefilmen die Zeitebenen mit ihren logischen Verwerfungen und Hyperloops, über die sich der Zuschauer den Kopf zerbrechen muss, anstatt Liebesszenen zu geniessen und sich zu freuen, wenn sich zwei endlich kriegen, bei denen man schon vorher wusste, dass sie sich kriegen.

Also: Es kommt jemand aus der Zukunft zurück in die Gegenwart, die ja für ihn dann eigentlich Vergangenheit ist, um etwas hinzubiegen, das ihm in der Zukunft das Überleben möglich macht oder seine Befindlichkeiten anderweitig verbessert, beispielsweise jemanden in der Gegenwart, die aber für ihn Vergangenheit ist, aus dem Weg zu räumen, damit selbiger ihn nicht in der ferneren Zukunft im Futurum 2 um die Ecke bringt, wo er sich dann ja auch wieder hinbegeben muss. Life-Designing sozusagen – vor eine schwierige Situation gestellt geht man kurz in das Plusquamperfekt und geht dem an die Gurgel, der einem gerade in der Gegenwart Schwierigkeiten bereitet. Das hat was!

Das setzt dem dream-designing noch einiges drauf und die Terminator-Tetralogie oder -quintologie war ja auch durchaus unterhaltsam.

Gestern abend dann voller guten Willens Predestination (2014) herbei gestreamt, das die ganze Sache noch toppte: Eine auf Zeitreisen spezialisierte Firma schickt Agenten in die Vergangenheit, um in der Gegenwart geplante Verbrechen zu verhindern, zumindest habe ich es so verstanden – und dann schon sehr bald nicht mehr durchgeblickt. Designing des gesellschaftlichen Zusammenlebens und sehr praktisch anmutend – ein bisschen die Vergangenheit aufräumen und schon läufts – steckt da nicht ein urmenschlicher Wunsch dahinter? Wer möchte nicht den Weltkrieg aus der Geschichte tilgen?

Eine relativ schonende Form des Selbstmordes wäre es dann, einfach zu verhindern, dass sich die eigenen Eltern in der Vergangenheit gar nicht kennengelernt hätten – oder wenn doch, ein Kondom benutzt hätten und man sich selbst sodann zurück in der Gegenwart in Nichts auflösen könnte beziehungsweise schon als Nichts in diese zurückkäme. Auf diese Weise könnte man ganz legal auch unerwünschte Partner oder andere unangenehme Zeitgenossen eliminieren. Aber das führt jetzt zu Gedankenabschweifungen … wann ist gleich nochmal Putin gezeugt worden?

Wie kann man sich nun vergewissern, ob man sich in der Traumwelt oder der dreidimensionalen Realität befindet? Dazu hat Nolan den Kreisel erfunden beziehungsweise einen McGuffin in Form eines Metallkreisels als Indikator zur Orientierung über den eigenen Standort: In unserer dreidimensional fixierten und gravitationsgebeutelten Welt tut dieser, was ein Kreisel nun mal tut, nämlich kreiseln und irgendwann damit aufhören. In einer immateriellen virtuellen Realität dreht er sich in extenso weiter oder fliegt durchs Fenster davon oder … oder …

Am Ende von Inception lässt der Leo wieder den Kreisel kreiseln, gemeinerweise wird aber rechtzeitig abgeblendet, so dass wir nie erfahren, ob Leo nun in der irdischen Realität seine in einer anderen Realität ermordeten Kinder wieder in die Arme schliesst oder wiederum nur davon träumt. Nachdem er sich vom Kreisel abwendet und ihn allein weitertrudeln lässt, signalisiert er auch, dass es ihm schlicht egal ist – er bleibt in der für ihn attraktivsten Realität. So geht’s auch. Jeder Junkie würde ihm da beipflichten.

Somit trat der Sci-Fi in eine neue und bisher letzte Phase ein.

Nachdem zuerst die paranoide Angst vor dem politischen Gegner in der Zeit des kalten Krieges das Genre der Invasionsfilme prägte und es in den aufgelockerteren Zeiten der Sechziger und Siebzigerjahre bis in die frühen Achtziger zum Kuschelkurs mit den Aliens kam (E.T., Alf, die Kleinen aus Close Encounter und andere nette Nachbarn) geht es nun anders weiter.

 
 

 
 

 
 

Bis die selben dann in den Neunzigern wieder oral-aggressiv aus Gründen der Ressourcenverknappung auf den Heimatplaneten sich auf die Menschheit stürzten (das Jahrzehnt in dem wir langsam begriffen dass uns auch in der 1. und 2. Welt der Saft ausgehen könnte) herrscht nun die Phase der völligen Grenzüberschreitung und Orientierungslosigkeit, indem der Mensch nicht mehr weiss, wo und wann und nicht mal wer er überhaupt ist und ob der jeweils andere nicht nur ein Gespinst des eigenen Gehirns ist. Ein unerschöpflicher Fundus für anstrengende Verwicklungs-Plots, in denen nun alles möglich scheint. Das mag wie Freiheit anmuten – ich definiere mir meine Welt selbst und bewege mich darin. Das Unbehagen der Protagonisten und ihr Suchen nach Halt und Orientierung drückt aber das tiefe Bedürfnis des Menschen aus nach einer für alle verbindlichen und teilbaren Realität, die Vereinsamung verhindert – auch hier wieder der Sci-Fi als Spiegel kollektiver Bedürfnisse in einer Anything-goes-Welt in der jeder in sein eigenes virtuelles Reich versinkt.

Diesem Bedürfnis gerecht werden die gängigen Formen von social media, die die Illusion und die Scheinsicherheit erzeugen mit allen zu jeder Zeit verbunden zu sein; ein haltendes Netz – bei dem man aber andererseits genausowenig sicher sein kann, ob man nicht mit einem Bot, einer KI, einem Love-Scammer oder einem Algorithmus kommuniziert oder gar mit dem bayrischen Ministerpräsidenten. Und auch nicht, ob der irgendwo sitzende fleischliche Like- oder Klick-Freund sich im Bedarfsfall wirklich als Freund erweisen wird wenn man ihn dreidimensional braucht.

So bleibt zumindest die Illusion permanenter Verbundenheit in einem immer unübersichtlicher werdenden Kosmos, in dem langsam alle Grenzen verschwimmen.
Noch dreht sich Leo’s Kreisel … ob er umkippt?

 
 


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