Manafonistas

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2025 6 Jan.

Kann man so leben? – Verwüstete Menschen

von: Ursula Mayr Filed under: Blog | TB | 10 Comments

 
 

Die Skulpturen und Installationen der Künstlerin Ursula Dietze beschäftigen sich ausnahmslos mit dem Menschen – mit dem Menschen, der einen Prozess durchlaufen hat, der ihn geformt, entstellt, verstümmelt oder verfremdet hat. Es sind Menschen in Zuständen, denen sie nicht entkommen können, in Momentaufnahmen eingefroren und dem beobachtenden Auge preisgegeben. Manche Figuren weisen nur noch Elemente des Organischen auf, drohen sich in eine Maschine zu verwandeln, erinnern an Freuds „Prothesengott“. Oder versucht hier der erstarrte Stahl Mensch zu werden, ähnlich wie sich Michelangelos „Sklaven“ dem Gestein zu entwinden suchen, um einen Körper zu bekommen? Eine Frau hält eine Dornenkrone auf dem Schoss … eine Piéta? Wo ist der Leichnam? Um sie herum Gedenksteine – Söhne, die der Krieg verschlungen hat?

 
 

 

 

 
 

Menschen, die ihr Gesicht verloren haben … oder es nicht zeigen wollen? Sie wirken unheimlich … wir können sie nicht einschätzen, sehen sie uns überhaupt? Oder sieht man besonders gut, wenn man seine Sehkraft verloren hat? Kunst wird auch geformt durch den Prozess zwischen Objekt und Betrachter, diesem strömen Informationen zu, die der Künstler in den Prozess hat einfliessen lassen, geronnene Gedanken und Gefühle des Kunstschaffenden, die vom Betrachter wieder decodiert werden müssen.

Frau Dietze arbeitet mit unterschiedlich formbaren Materialien – Metall, Erde, Ton, Wachs … die miteinander in Interaktion treten und ein Ganzes ergeben, so wie das Harte und das Weiche das Leben formt und durchdringt. Erstarrte Gesichter blicken ins Nirgendwo, umgeben von Worten, die aus ihren Zusammenhängen gerissen worden sind, die Verständigung ist zusammengebrochen.

 
 

 
 

 
 

„Wenn mancher Mann wüsste, was mancher Mann wär“ – dazu müsste er ihn aber anblicken, ansonsten fragmentieren sich die Sätze und verlieren sich. Eine rudimentäre Gestalt hinter einer Kombination von Zielscheibe und Fadenkreuz, die ihn gleichzeitig schützt, ihn aber als Ziel ausweist – eine doppeldeutige Botschaft. Wer sich zu sehr schützt, entlarvt seine Verletzlichkeit. Alles in allem … verwüstete Menschen …

Die Künstlerin ist Ärztin, Psychiaterin; von Verformungen und Entstellungen weiss sie etwas zu erzählen; die Psychiatrie weiss viele Antworten auf Vieles. In ihrer Kunst stellt Frau Dietze die Fragen, die auftauchen, wenn die Wissenschaft alle Antworten gegeben hat. Vor allem: Wie kann man so leben?

 

This entry was posted on Montag, 6. Januar 2025 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. You can leave a response here. Pinging is currently not allowed.

10 Comments

  1. Jochen:

    Wer seine Verletzlichkeit zeigen kann, muss sich nicht schützen. Menschen streben natürlicherweise nach Verbindung. So verliert man seinen defensiven Opfer-Status. Die abgebildeten Figuren sind entmenschlicht, weil sie nicht miteinander kommunizieren (können), sich nicht zugewandt sind.

    Allgemein betrachtet: Kunstobjekte haben ihre eigene Würde – jenseits ihrer Deutung. Das Schöne an der Kunst ist die Differenz bzw Spannung zwischen Objekt und Interpretation.

  2. Ursula Mayr:

    In manchen Szenerien würde ich mich aber hüten, Verletzlichkeit zu zeigen.

    Das neue Unwort unter Jugendlichen heisst „Pussy“.

  3. Jochen:

    Ernst Jüngers „Unter Stahlgewittern“ (hier stürmt es gerade) – nee, da muss man weg.

    Gilt auch für narzisstische Psychopathen. Bloß weg – und Schotten dicht!

    Oder etwas lapidarer: Desinteresse bekunden.

  4. Jörg R.:

    Na, wenn’s der Chef ist?

    Die meisten Chefärzte sind hochnarzisstisch.

  5. Jochen:

    Kündigen. Oder zumindest deutlich zeigen, dass man sich distanziert. Narzissten können einem regelrecht das Leben verpesten. Wie rief Diogenes einst aus der Tonne? „Geh mir aus der Sonne!“

  6. Ursula Mayr:

    Nix kündigen! Wenn Du noch 2 Jahre Chirurgie für Deinen Facharzt brauchst und in absehbarer Zeit und Entfernung dergleichen nicht in Sicht ist … da kündigste wohlweislich nicht.

  7. Jochen:

    Verstehe. Klar, da muss man durch. Hals und Beinbruch! Trotzdem sei mir die Bemerkung erlaubt, dass ich es erschreckend finde, welch toxische Wirkung von Narzissten ausgehen kann.

    Aber gut, war jetzt nicht das Thema deines Beitrags, Uschi – it’s a different topic.

  8. Nanna:

    zum Beitrag über Ursula Dietze vom 5.6.2025

    Sind es einfach nur Darstellungen entstellter, verstümmelter, fremder Menschen, mit denen Ursula Dietze dich konfrontiert?
    Was geht dich das an? Mit einem Schulterzucken wendest du dich ab?
    NEIN! Sieh hin! Blick durch das Fenster!
    Siehst du nicht seine erhobenen Hände und seinen flehenden Blick? Hörst du nicht sein Rufen?
    Erkennst du nicht seine Not?
    Der Bettler, der Versehrte, der Krüppel streckt seine Hand nach dir aus!
    2016 gestaltete Ursula Dietze die Skulpturengruppe „Mit Maria“ zum Thema ‚Magnifikat und Luther‘. Umgeben vom Chor singt Maria den Lobgesang zu Ehren Gottes. Die Dornenkrone auf ihrem Schoß ist das Symbol für das Leiden von Jesus.
    Zum Anlass der Konfirmation haben sich die Gäste aufgehübscht und herausgeputzt.
    Mit nichtssagendem, leerem Geschwätz sitzen sie an der Festtafel.
    2013 nimmt Ursula Dietze am Symposium „Erweiterte Sicht“ teil.
    Anonyme Mitmenschen erhalten ein Gesicht, wenn ihre Lebensgeschichte erzählt wird.
    Frage dich:
    Wer ist ‚Der Mensch dahinter‘, der zur Zielscheibe von Bosheit, Spott und Verachtung wird?
    Wer darf ihn zum Sündenbock machen?
    Verwüstete Menschen?
    Wer hat sie dazu gemacht? Was war die Ursache? Wer hat Schuld? Wer hat seine Macht missbraucht?
    Du, als der Betrachter, wirst von Ursula Dietze aufgerüttelt:
    In ihrer großen Ausstellung in Garding im September 2024 schrieb Ursula Dietze in das Gesicht einer Figur „Seht mit wie großen Buchstaben ich euch schreibe“.
    Mit ihren Skulpturen und Installationen erschüttert Ursula Dietze uns, legt den Finger in die Wunde, erinnert uns, hinterfragt, macht sichtbar.
    Ich beziehe mich hier auf die von Ursula Mayr vorgestellten Skulpturen.
    Aber in Ursula Dietzes großem Werk findet sich auch das Helle, das Leichte, das Philosophische.

  9. Ursula Mayr:

    Liebe Nanna,

    danke für den langen Kommentar.
    Ich kenne Ursula Dietze schon sehr lange, wir waren früher Kollegen hier im Chiemgau und haben viel zusammen gesprochen,über das Gewordensein unserer gemeinsamen Klienten und später auch über unsere eigenen frühen Verwüstungen – ich sehe an dem Wort
    nichts Negatives, das ist eben eine
    Seite des Lebens mit der wir auch
    beruflich stärker konfrontiert waren
    und die wir mitteilen möchten, wir
    haben dazu in den Weihnachtsferien
    lange telefoniert. Verwüstungen
    darzustellen ist ihr ein Anliegen –
    wie sie zustandekommen lässt sich in der bildenden Kunst schlecht
    darstellen, das ist Sache der
    Schreiberlinge, darum bemühe ich mich und sie hat etliches von mir mit grossem Wohlwollen gelesen – auch da ging es um Verwüstungen, aber auch um ihre Heilung. Meine Manafonistas – Rezension hat sie gefreut und sie hat sich keineswegs einseitig dargestellt gefühlt.

  10. Jörg R.:

    Was soll das hier für eine schwarze Pädagogik sein?

    Es ist das gute Recht eines Kunstbetrachtenden zu beschreiben, was er sieht und dabei empfindet, das wird bei jedem etwas anders ausfallen – Kunst ist auch ein dynamischer Prozess zwischen Künstler und Konsumenten und ich finde es völlig deplaciert und anmassend, hier als Oberlehrer aufzutreten, den Rezensenten zu tadeln, er habe etwas nicht gesehen, als ginge es um eine Mathematikaufgabe und zu unterstellen, man würde sich schulterzuckend abwenden.

    Kinderpsychiater, darum handelt es sich wohl bei den beiden Ursulas, werden in hohem Masse mit Verwüstungen konfrontiert und haben natürlich eine berufsbedingt entsprechend akzentuierte Wahrnehmung. Dass sie nicht hinterfragen und sich nicht um die Ursachen kümmern, ist von daher nicht anzunehmen, sonst hätten Sie einen anderen Beruf ergriffen. Aber an ihrem Post ist gut zu erkennen, wie schnell man in Fehlinterpretationen geraten kann und wie schnell man etwas auf den anderen projiziert.

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