Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

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  1. Father John Misty: Pure Comedy (2017)
  2. The Mountain Goats: Goths
  3. Gas: Narkopop
  4. Ryuichi Sakamoto: async
  5. Darren Hayman: Thankful Villages, Vol. 2

 

  1. Steve Tibbetts: Life of (2018)
  2. Brian Eno: Music for Installations
  3. Marianne Faithfull: Negative Capability
  4. Jon Hopkins: Singularity
  5. Nils Frahm: All Melody

 

  1. Underworld: Drift Series (Box Set) (2019)
  2. Arve Henriksen: The Timeless Nowhere (Vinyl Box)
  3. Joe Lovano: Trio Tapestry
  4. Oren Ambarchi: Simian Angel
  5. Lankum: The Lifelong Day

 

  1. Tunng: …presents Dead Club (2020)
  2. The Flaming Lips: American Head
  3. Jon Hassell: Seeing Through Sound
  4. Einstürzende Neubauten: Alles in allem
  5. Die Wilde Jagd: Haut

 

 

  1. Floating Points w/ Pharoah Sanders: Promises (2021)
  2. Lambchop: Showtunes
  3. Jon Hopkins: Music for Psychedelic Therapy
  4. Portico Quartet: Terrain
  5. Nik Bärtsch: Entendre 
  6. The Mountain Goats: Dark In Here

 

  1. Lambchop: The Bible (2022)
  2. Alabaster dePlume: Gold
  3. Father John Misty: Chloe and the next 20th Century
  4. Avishai Cohen: Naked Truth
  5. Toechter: Zephyr

2022 14 Juli

Aus den frühen Jahren des Mediums

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Wäre nur ein Filmteam vor Ort gewesen. Am 19. Dezember 1950. Um all die Gespräche einzufangen. Den Morgen. Das Danach. Late Night Talks. Duke Ellington hatte im Laufe seines Lebens einige ideale Spielpartner, die kamen und gingen. Billy Strayhorn war der kongenialste. Und an diesem kalten Tag im Spätherbst betraten sie alle das Studio: Billy, Russell, Paul, Johnny, Jimmy, Nelson, Andrew, Harold, Ray, William, Quentin, Lawrence, Tyree, Mercer, Sonny, Wendell – und Yvonne. Das alte Drei-Minuten-Format wurde ad acta gelegt, um den neuen Zeitlosigkeiten zu huldigen. Showtunes-time! Drei der vier Kompositionen waren bestens bekannt, „Mood Indigo“, „Sophisticated Lady“, und „Solitude“. Hinzu gesellte sich „The Tatooed Bride“. Das Album fiel mir erstmals in den Achtziger Jahren in die Hände, später eine CD-Fassung. Egal, wie plakativ der Titel, wie schön-schrullig das Cover, es blieb immer meine Lieblingsplatte des Duke. Lapidar gesagt: pure Klangmalerei, Big Band-Musik „Ambient-style“ – die vier Stücke besassen Schwebungen einer zwischen zwei Linden aufrgespannten Hängematte, und waren von der Art, dass ihre expressiven Momente einen schon mal in hohem Bogen aus der Matte heben konnten. Heute hörte ich das Album zum ersten Mal in der Version von „Analogue Productions“ (2021) – Mastering und Pressung vom Feinsten. Doch so leuchtend, glänzend, schimmernd hatte ich das Album nie zuvor gehört – reines Satin, „blue velvet“. Immer noch geht und schwingt  mir dieses eine Saxofonsolo von Paul Gonzalves nach. Pures Driften, entfesselt, die Taktstriche reine Illusion. Ein berühmter Satz zu der LP: „Mono goes cinemascope, hard to believe.“ In meinem Plattenregal kommt das Teil in die bestmögliche Nachbarschaft, neben die Impulse-Platte „Duke Ellington & John Coltrane“, neben „Get Up With It“ vom Miles Davis (wegen der Dreissig-Minuten Huldigung an Mr. Ellington, betitelt „He Loved Him Madly“), neben „Showtunes“ von Lambchop – und „L‘Amour“ von Lewis. Wenn man die Schallplatten intuitiv ordnet, kommt manches, vorübergehend, abhanden. Das zinnoberrote Gatefold-Cover von „Masterpieces“ macht das Verlegen unmöglich.

 

Ein älterer Text, auch ein Echo auf „Was die Väter wollten“. Es hat mit der alten Zeit zu tun, dem Beginn der Sechziger Jahre, mit jener Art von Fenstern in eine andere Welt, welche das TV eröffnete, mit Serienträumen und Wildwest – und mit Caterina Valente

 

Zu bestimmten Zeiten musste man ins Bett, da gab es kaum Ausnahmen. Auch Fernsehzeiten waren streng begrenzt. 77 Sunset Strip, keine Chance. An dem Abend, von dem ich kurz erzähle, war ich womöglich schon in der Schule, und Tag für Tag notierte ich die Zeit im Aufgabenheft. 1962. 1962. 1962. Die einzige Ewigkeit findet in der Kindheit statt.  Ich glaube, es war das Jahr 1962, und einer der ersten Abende, an dem meine Eltern mich allein und das Licht im Flur brennen liessen. Vielleicht war ich aber auch erst fünf und konnte noch keine Jahreszahlen schreiben. Auf jeden Fall wusste ich, wo der Anschaltknopf des Schwarzweissfernsehers war. Ich war noch gar nicht müde und folgte dem Lichtschein im Korridor, betrat das dunkle Wohnzimmer und ging langsam zu der Mattscheibe.

Als das Bild ansprang, war ich voller Abenteuerlust, und mitten in einem Film, in dem es wenig zu lachen gab. Eine Mischung aus einem Gangster- und Gespensterfilm. An was erinnere ich mich? Es gab einen unsichtbaren Mörder, der Menschen mit dem Auto in den Tod beförderte. An die genaue Story kann ich mich natürlich nicht erinnern, aber eine Szene hat sich mir besonders eingeprägt. Ein Mann (das Opfer) steigt in ein Auto ein, aber seltsamerweise auf den Beifahrersitz (vielleicht wurde er auch vorher bewusstlos geschlagen und so ins Auto befördert). Ich habe diese Szene also doch nur bruchstückhaft in Erinnerung, auf jeden Fall sah man dann, wie der Unsichtbare den Motor anliess und losfuhr. Man sah, wie er die Gangschaltung bediente, und ins Eisen stieg. Eine halbe Stunde schaute ich dem Treiben vielleicht zu, länger traute ich mich nicht, weil es ein grosses Theater gegeben hätte, wenn ich von meinen Eltern beim heimlichen Fernsehschauen erwischt worden wäre. Mein Vater beherzigte das Prügeln, mit ihm war zwar oft gut Kirschen essen, aber zuweilen brach etwas Hartes aus ihm heraus.

Ich hatte allerdings noch ein grösseres Problem, denn ich hatte plötzlich Furcht, in der Wohnung im Weissdornweg könne mir der Unsichtbare auflauern und mich töten. Es war auch totenstill in der Wohnung, als ich den Fernseher ausgeschaltet hatte, und das Licht im Flur hatte auf einmal etwas Fahles, als würden von dem matten Lichtschein mehr Dinge verborgen als enthüllt. Eine Heidenangst hatte ich, obwohl ich damals das Wort noch gar nicht kannte, und von geistig tumben Religionslehrern, die einen beim Sprechen ständig ins Gesicht sabberten (fliegende Spucke), obendrein den katholischen Katechismus eingetrichtert bekam wie andere Kinder Lebertran. Das war nicht lustig, ich war leicht von unsichtbaren Welten zu irritieren.

Ganz schlimm waren da – rückblickend – einige Nonnen auf Norderney, Relikte aus Finsterdeutschland, die mir – 1962 – während eines sechswöchigen Aufenthalts – öfter die Hose runterzogen, meinen Po traktierten, und sich daran, trotz gespielter Strenge, sichtlich erfeuten. Aber das konnte ich natürlich nicht durchschauen, damals, als Strafe wurde man noch auf Haferschleim mit Salz gesetzt, und durfte am Wochenende nicht raus ans Meer. Als ich nun in einem Jahr, in welchem ich wahrscheinlich schon Jahreszahlen schreiben konnte, im Bett lag, wurde mir bewusst, dass der Unsichtbare es unter meinem Bett sehr bequem haben könnte, und ich hielt die Luft an, bis mir leicht schwindelig wurde. Dann stocherte ich wie wild mit einer Hand unterm Bett herum, im Schwarzen, stiess aber auf keinen körperähnlichen oder gallertartigen Widerstand.

Die Angst verschwand nicht. Mir war klar, dass hier nicht der Unsichtbare aus dem Film sein Unwesen treiben könnte, wohl aber ein anderer Geist, und ich überlegte, wie ich einen möglichen Eindringling vertreiben könnte. In dem Film war wie hier in Dortmund-Hombruch tiefe Nacht, und alle Opfer waren allein. Aber immer, wenn das Grauen nahte, kündete es sich an durch unheimliche Klänge, schrille Töne, vielleicht waren es die beliebten Horrorsounds einer Theremin. Das Böse schien stets von gnadenlos finsteren Melodien oder aus dem Nichts auftauchenden Schreckenstönen begleitet zu werden, und so schien es mir hilfreich, im Radio nach heiterer Musik zu suchen, nach Schlagern oder Kinderliedern, solchen Kinderliedern, die wirklich lustig waren, und wo niemand tot vom Pferd fiel.

Bangen Herzens schlich ich wieder ins Wohnzimmer und drückte auf die Ein-Taste des Loewe-Opta-Radios. Es dauerte, bis das grüne Auge leuchtete, und es schien mir etwas finster dreinzublicken. Ich drehte am Sendersucher, bis ich ein Lied von Caterina Valente hörte (die Stimme erkannte ich sofort, weil meine Mutter sie gerne hörte und manchmal ein paar Zeilen mitsang). Ich weiss heute nicht mehr, welches Lied es war, aber es war voller Lebensfreude und Überschwang. Ich stellte das Lied ganz laut, und sofort verschwand meine Angst. Mir war auch egal, was passieren würde, wenn meine Eltern heimkämen, weil ich dann ja endgültig gerettet war und schon jetzt sich alle Angst in Luft und Klang aufgelöst hatte. Man durfte nur nicht klein beigeben und musste die Musik richtig laut ertönen lassen, damit die Schallwellen in die hintersten Winkel vordringen konnten.

Ich blieb vor dem Radio hocken, und war ziemlich stolz auf meine Geistervertreibung. Plötzlich hörte ich, wie das Haustürschloss sich drehte (wir wohnten im ersten Stock eines Sechs-Familien-Hauses). Ich kam gar nicht dazu, irgendetwas zu erklären. Die erste Ohrfeige erwischte meine recht Wange mit voller Wucht, aus meinem Vater war wieder etwas ausgebrochen. Der zweite Schlag traf mich in der anderen Gesichtshälfte, und neben dem Schmerz fingen meine Ohren an zu summen. Die Musik wurde sofort ausgestellt, ich lief in mein Zimmer und verschwamd unter meiner Decke. Mir kamen damals erste Zweifel, dass mein Vater in Russland nur auf Hasen geschossen hatte.

Erst die Tränen, dann die Wut, dann die Erschöpfung, irgendwann schlief ich ein, und es war gewiss eine dieser Nächte, in denen ich in einer weiten Prairie in ein gefährliches Abenteuer geriet, und immer, wenn es Spitz auf Knopf stand, rief ich Okko, meinen Traumgefährten: zusammen besiegten wir alle Feinde, und es gab in all den Jahrem, in denen ich diese Serienträume hatte, keinen einzigen, der kein Happy End hatte. Ich weiss nicht, was Okko mit dem Unsichtbaren angestellt hätte, aber er hätte sicher kurzen Prozess gemacht und ihn in die ewigen Jagdgründe befördert. Und mein Radiotrick hätte ihm gut gefallen. Oft spielten sich diese Träume in amerikanischen Landschaften ab, ich las gerne Westerngeschichten, und Robert Fuller aus der Serie „Am Fuss der blauen Berge“ war mein erster Fernseh-Hero. Das war alles vor der Zeit, als ich zum ersten Mal die Kinks und Beatles hörte.

 

 

 


Okko verschwand nach circa zwei Jahren aus meinen Träumen, aber ein Haus weiter wohnte mein Blutsbruder Matthias S. Sein Vater hatte die wunderschönste Spielzeugeisenbahnwelt gebaut, die ich je in meiner Kindheit zu sehen bekam. Mit Matthias zusammen sah ich mein erstes Fussballspiel im Stadion Rote Erde, es ging 2:2 aus, und Uwe Seeler schoss, glaube ich, mindestens ein Tor für die Hamburger. Das hört sich nach behüteter Kindheit an, aber das Grauen schuf sich immer neue winzige Räume; man musste allerdings die Augen weit aufreissen, oder den Blick langsam seitwärts wandern lassen, um sie überhaupt zu erkennen. Ein paar Jahre später las ich alle Kurzgeschichten von Sir Arthur Conan Doyle, in einer Reihe handlicher Heyne-Taschenbücher, und die Titel der einzelnen Geschichten fanden sich in den Rauchwolken von Sherlock Holmes‘ Pfeife.

 

Und die Antwort von Uschi las sich damals so:  Aha, Musik zum Geistervertreiben, da mussma erstmal drauf kommen, eine frühe Prägung? In Ermangelung eines Fernsehers überhaupt oder eines Radios im Schlafzimmer – immerhin bin ich Jahrgang 1948 – stand mir das nicht zur Verfügung, aber ich wähnte – warum auch immer, bei der Religionslehrerin gabs nur Kopfnüsse  – den lieben Gott auf meiner Seite, ansonsten bin ich Weltmeisterin im passiven Durchhalten und wähnte auch die Zeit auf meiner Seite bzw deren Vergehen. Bloss wenn man Karsamstagnacht auf den Osterhasen wartete, dann zog sich das schon etwas hin….!   Leider brach bei den Vätern immmer viel durch, gottseidank hatte ich in der Kinderzeit keinen, aber was meine Freundinnen da so erlebten, da war kein Vater das beste.  Robert Fuller war natürlich eine Schau – aufm Fernseher der Freundin, aber am besten sah schon Bronco Lane aus oder Little Joe, danach High Chapparal uind dann der BEAT CLUB – da hab ich jetzt eine ganze Serie von Folgen erworben, frisch digitalisiert, und wollte auch immer die gleiche Frisur wie Uschi Nerke, mit dem glatten Pony, – ging aber nicht!!!!!!!!!!!!!! ! Locken!!!! Aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaarrghhhhhhh!!!!!!!!!!

 

 
 

Der Ton der Besprechung ist heiter, die Sache etwas ernster. Es ist erhebend, auf den Spuren eines alten Kinostreifens, oder auch mit den „Graugänsen über Toronto“, diverse Seitenwege der Erinnerung zu erkunden, und geschriebene Wörter nachschwingen zu lassen. Das Lesen verlangsamt sich automatisch, wie damals, als ich noch viel mehr Gedichte las, magische, von Jürgen Becker. Das Ende der Landschaftsmalerei. Zum Beispiel.

Uschi und ich haben eine lang zurückreichende Filmvergangenheit. In Gerbrunn, im siebten Stock, 1979 oder so, führte ich einen wilden Tanz auf, zuckte mit irrem Blick Richtung Fenster, und die versammelten Psychologiestudentinnen sollten aus meiner Pantomime den Film erraten: Der Stadtneurotiker, von Woody Allen.

Hätte U. mir das nicht neulich erzählt, ich hätte es vergessen. Ich schlage gerade eine andere Brücke zwischen dem Ende der Siebziger, und dem Jahr 2022, und höre Kraftwerks Hommage an die Computerwelt auf gelben Vinyl. Die Maschinen tanzen. Nummer 5 lebt noch. Eine subkutane, melancholische Schwingung.

Vorhin dem kleine Vorstadtmarkt hatte der Käsehändler mit fabelhafter Expertise einen Tipp für mich: „Michael, probiere mal den Bergkäse mit Trüffeln. So aromatisch, man schmeckt die Trüffeln gar nicht.“  Ich sagte: „Man schmeckt sie nicht, man zahlt sie nur.“ Und lachte. Aber ja, später dann, dieser Bergkäse, eine Offenbarung!

 

Back on Boogie Street after not so funny seven days with Covid. 1982 again. My favourite time travel zone in 2022. One of the strangest years. Sex, drugs, and rock‘n‘roll, sure, if you forget about drugs (except my uninhibited addiction to Julio Cortazar‘s „Rayuela“, deapest reading experience ever), replace, better, equal, the s-word by love, and have a wider view of what has been rocking & rolling my ears. And what a year in music! I had my sympathies for Bruce Springsteen‘s „Nebraska“, and Kate Bush‘s „The Dreaming“, but i didn‘t fall in love with them. And Michael Jackson‘s „Thriller“, no way. „Avalon“, nope. These are my six shining stars. Last year, XTC‘s double album got a fantastic remastering, and is now, as an audiophile vinyl treasure, more than ever, one of the best sounding rock albums of the 80‘s. The music gorgeous anyways, with – sic! – drummer Terry Chambers delivering his masterpiece. Terrific work of a band with senses working overtime. I listened to it yesterday. Loud. It is an album to be heard loud. Mark Smotroff’s song of praise in comment 1. And legendary Kevin Rowlands claims his most famous work should have sounded slightly different, and so, for the 40th anniversary, it will happen, „the director‘s edition“ – marketing strategy? Come on, Eileen! And well, nearly everything is said and written on this blog about my numbers one and two. Wild things run fast, yes, but not in Mr. Eno‘s wilderness. And „Big Science“: a work of avant-garde wonder that is entirely unlike anything else released in the vocal world of 1982. Mr. Tibbetts and Mr. Gabriel are constantly changing their places. By the way, on number 7: Donald Fagen‘s The Nightfly. 

 

 

 


1) Brian Eno: On Land

2) Laurie Anderson: Big Science
3) XTC: English Settlement
4) Kevin Rowlands & Dexy‘s Midnight Runners: Too Rye Aye
5) Peter Gabriel: Security
6) Steve Tibbetts: Northern Song

 

Ich weiss noch, das Raunen, 1977, das durch den Melody Maker ging, als „Marquee Moon“ erschien. Die Jungs auf dem Cover sahen alle ausgemergelt aus und blass, und die Songs landeten schliesslich in dem kleinen Würzburger Plattenladen, wo ich auch David Bowies „Low“ gekauft hatte. Ich nahm das Teil sofort mit, zog die Vorhänge zu, machte mir einen Tee (damals bestellten wir die Oolongs und Darjeelings bei einem Teeversand aus Bremen, warum auch immer), und die Musik verrichtete ihre Arbeit. Ein kleiner Studioraum in NYC, eine kleine Studentenbude im Frankenland. Jeder Song filettiert, rohes Material, das ins Singen kommt. Die Zeit der alten Erhabenheiten ist vorbei, und später sagt der Mann mit der schneidenden Stimme, er habe in jener Zeit viel Coltrane gehört.

 

 

 


Zeitsprung 1977 – 2022. ich sitze bei „Mr. 45rpm Audiophile“ aka Michael Ludwigs  im Musikzimmer (eine wirklich spannende Begegnung, auch mit den Hunden Karl und Friedrich), und  höre die gelegentlich für rund 1000 Euro auf Discogs erhältliche Ausgabe von John Coltranes „My Favourite Things“, von der Londoner Electric Record Company. Wenn die einen Klassiker rausbringen, in einem extrem aufwändigen, nur Röhren und analog ablaufenden Prozess, ist das Objekt der Begierde (roundabout 400 Euro) meist in Minuten ausverkauft. 300 Exemplare sind das Limit. Der Vinylhimmel hat zuweilen seinen Preis. 

„Acoustic Sounds“ hat unlängst eine herausragende (und weitaus preisgünstigere) Ausgabe dieser kommerziell erfolgreichsten Platte Coltranes rausgebracht, mit einer Stereo- und einer Monofassung. Letztere kommt schon nah mal ganz nah an den Himmel heran. Und die Musik läuft an diesem draussen so grauen Machmittag bei mir (s. Foto) – Joes Garage, Neils Toast, das Quartett des Jazzmeisters, und eben Marquee Moon.

Nackter ekstatischer Rock, die Parallele zum modalen Coltrane liegt in den singenden Gitarrenlinien, die beiden Gitarreros scheinen nicht die Notenblätter, sondern Telepathie zu proben. Nichts lässt einen vom Haken. Nicht nur das lange Titelstück von Marquee Moon vergeht im Rausch.

 

The title track of Television’s 1977 debut LP has everything: the grandeur of the finest freewheeling 70s rock, the needling intensity of punk and the eerie tension of an Edgar Allen Poe short story, marked by strange encounters and elemental surges (“the lightning struck itself”). Despite the efforts of generations of critics to unpick it, Marquee Moon remains brilliantly inscrutable – a mystery inside an enigma wrapped in a stinging guitar solo.

(Sam Richards). 

 

Ein Meilenstein, eine der Platten, bei denen sich viele daran erinnern, wann genau sie sie das erste Mal gehört haben. Und warum fühlte und fühlt man sich hinterher (wenn der letzte Ton verklungen ist) so verdammt lebendig – „good vibrations“ gehen doch eher anders! Oder!? Liebe Leser, besorgen sie sich „Marquee Moon“ als nächste kleine Nachtmusik. Es ist wie beim Inszenieren von „joyful surrender activities“, wie beim Hören von Neil Youngs „Toast“, oder beim Versinken in „24 Frames“: das Licht muss man selber anzünden! In Joes Garage übrigens auch. Der letzte macht das dann auch wieder aus.

2022 11 Juli

Eine kleine Nachtmeditation

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Als ich Weihnachten, im Jahr 1 nach dem Ende der Beatles, das Gatefold-Cover von „Blue“ aufklappte, waren dort (in meiner Erinnerung zumindest) alle lyrics zu lesen. Und wie ich sie las! Und anders als später im Leben, als 30 Jahre Radio und Klanghorizonte das eher selten erlaubten, gab es Langspielplatten, die über Wochen den Plattenspieler blockierten. Mir fällt Chick Coreas „Return To Forever“ ein. Teenager, addicted. Die überragende Qualität der Studioproduktion von „Blue“ befördert das Gefühl, ohne Wenn und Aber einen einzigen Raum zu teilen: die Stimme, der Zuhörer, die Gitarre, das Piano, das Kerzenlicht, die geschlossenen Augen – und sowieso der Wind aus Afrika. The wind is in from Africa, last night I couldn‘t sleep. Sowas von egal, ob es eine Chromdioxydkassette ist, feinstes Vinyl, dezent verrauschte Mittelwelle: im Innersten berührt zu werden, ist keine Frage der ultimativen Version, oder einer Superanlage. Es ist wie bei der Einnahme psychedelischer Substanzen: Set und Setting müssen stimmen, kein Zauber ohne die uneingeschränkte Öffnung der Empfangsorgane, all diese kleinen Rituale, sich einzustimmen. In den nicht mehr so jungen wilden Jahren, hat es das eine und andere Album dann doch geschafft, nächtlicher wie täglicher Begleiter zu sein, round and round and round, 2019 zum Beispiel, Steve Tibbetts, „Life Of“. Manche erleben diese Cd des Mannes aus Minneapolis so, dass sich die einzelnen Stücke doch verdammt ähnlich seien, bis die Wahrnehmung (wenn sie nicht zu früh aufgeben) in eine ganz andere Richtung kippt, und aus der ersten Enttäuschung erstmal eine Verblüffung, und dann ein konstanter „state of wonder“ wird. Natürlich, wie bei Joni Mitchells „Blue“ hätte ich „Life Of“ zu gerne auch als Vinyl, „dead quiet“, 45 Umdrehungen pro Minute. Wenn ich allein hundert Platten mit auf die berühmte Insel dieses Fragespiels nehmen dürfte, diese zwei wären dabei. Singulärer insulärer Traumstoff. What game shall we play today? Wenn du jetzt, zwischen Scotch und Candlelight, von einem freundlichen Geist Zettel und Bleistift gereicht bekämst, fünfzehn Minuten, und eine Extraminute, um den Anflug einer Panik zu vertreiben: auf welche zehn Musikalben für die kleine „Inselewigkeit“ fällt deine Wahl? Die Zeit läuft. Und auf keinen Fall diese zehn Schallplatten in den Kommentare aufführen, es wäre zu privat, ein Bekenntnis, reiner Seelenstriptease.

 

45 RPM Audiophile

 

Künstler sind bekanntlich nicht immer die besten Kritiker ihrer eigenen Werke. In San Francsico in der Mission Street stand im Jahr 2000 ein Studio, keine Ahnung, ob es heute noch existiert. Das Viertel befand sich in einem schlechten Zustand und wartete auf die überfällige Renovierung. Die Hintertür des Toast bot einen Blick auf verfallene Gebäude; außer einem Donut-Laden an der Ecke waren die einzigen Nachbarn Ratten und die Hausbesetzer. Im Inneren des Toast herrschte eine undefinierbare Stimmung. Unser Protagonist hatte Probleme in seiner langjährigen Beziehung. Anstatt wie üblich mit einer Handvoll fertiger Songs zu den Sessions zu kommen (so erfuhr ich es von Michael Bonner), verbrachte er offenbar einen Großteil seiner Zeit damit, auf dem Studioboden des „Toast“ zu sitzen und auf gelbe Blöcke zu kritzeln, während die Band fernsah und sich damit abmühte, das Fehlen von grundlegenden Küchengeräten zu verstehen. „Wir hatte einige großartige Momente im Studio, die Musik war gefühlvoll war, sie war aber nicht glücklich oder ausgeglichen. Irgendwann gab ich auf und verwarf das Album. Ich war nicht glücklich damit, oder vielleicht war ich auch nur allgemein unglücklich. Ich weiß es nicht. Es war ein sehr trostloses Album, sehr traurig und unbeantwortet.“ So der Meister. Wie gesagt, manchmal täuscht sich ein Künstler in der Bewertung eigener Arbeiten. Von der emotionalen Fallhöhe und Momenten einer zu roh und heftig erscheinenden Privatheit, setzte sich ein Bild, eine Perspektive fest. Irgendwas muss den Blickwinkel verschoben haben, gut so. Über zwanzig Jahre später erscheint heute nun „Toast“. Man besorge es sich auf Vinyl, weil er bekanntermassen sehr viel Sorgfalt auf Produktion und Fertigung legt. Den Rest besorgen Neil Young & Crazy Horse selber.

 

2022 5 Juli

„Drive My Car“

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„Ryusuke Hamaguchi’s beautifully wrapped quiet work of art that hits you when you least expect it. It’s a slow-burning arthouse vehicle about grief and love that unfolds over a three-hour run time.“ (Marriska Fernandez)


Der Film basiert auf einer Kurzgeschichte von Haruki Murakami und bewegt sich sehr, sehr langsam. Ausser auf den Autofahrten, die zumindest bewegte Bilder zulassen, in der nahezu traumatischen Erstarrrung unseres Protagonisten. Oder ist er doch lebendig, ein stiller Beobachter? Der Filmtitel lässt an die Beatles denken, aber „Come on, baby, drive my car“ scheint, euhporietechnisch, eine Welt entfernt.

Wer nach dem ersten 15 Minuten nicht eingeschlafen ist, hat gute Chancen, etwas Wunderbares zu erleben. Da ist etwas an der Rhythmik der ruhigen Bilder, das in Stille, Sätze, Klänge hineinzieht. Die Handlung, seltsam, traurig, und spärlich genug, lassen wir mal aussen vor.

Nur so viel: des öfteren werden wir von den Geschichten heimgesucht, die sich die  Frau unseres geschlagenen Helden nach dem Sex ausdachte. Der Film beginnt mit einer dieser Geschichten, in einem dunklen Schlafzimmer, während draußen die blaue Dämmerung herrscht. Die Beleuchtung ist so schön, dass mich der Film sofort in seinen Bann gezogen hat.

„Drive My Car“ ist ein Film, der trotz aller Melancholie ein großes körperliches und visuelles Vergnügen bereiten kann. In den Augenblicken, in denen die Stille nahegeht, können en passant Tränen aufsteigen. Die Figuren sprechen nur, wenn sie etwas zu sagen haben: Es gibt kaum Smalltalk. Es gibt viel Schweigen, was manchen Filmemachern Angst macht. Das ist zum Teil eine japanische Eigenart. Gesten und negativer Raum haben großes Gewicht.

Nach drei Stunden hatte ich Lust, mir den Film noch einmal anzusehen: so gut ist er. Und auf amazon prime kann man ihn sich leihen für den Preis eines grossen Cappuccinos. Original mit deutschen Untertiteln, gerne! Deal? Als vorherige Einstimmung empfehle ich völlige Versenkung in deine Lieblingsambientplatte von Brian Eno, etwas sehr Asketisches aus Japan, oder eine Runde ZaZen für Mitteleuropäer. Etwas, das jedes Tempo aus der Wahrnehmung rausnimmt. Dann geht‘s los.

2022 4 Juli

Demnächst in diesem Kino

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Wer erinnert sich an Harry Kümel? Ein Regisseur, der 1971 vor der komplett deprimierenden Küste von Ostende diesen modernen Filmklassiker schuf, der dem Sub-Genre des lesbischen Vampirfilms eine feministische Note verlieh? Auch ohne die kameratechnischen Errungenschaften, die dazu beitrugen, „The Shining“ zu einem anerkannten Meisterwerk werden zu lassen, zeichnet sich „Daughters Of Darkness“ durch eine kühne Bereicherung der Vampirmythologie aus. Wir spüren den Betriebsgeheimnissen dieses grandiosen „b-movies“ nach.

 

Premiere mit essayistischer Einführung: 1. Oktober, „Electric Cave“, Aachen, 12 Gäste werden erwartet zu dem Themenabend „Erotic Cinema“. Ein Interview mit Peter Strickland ist angefragt.

18.00 Uhr: Almodovars „Fessle mich“
21.00 Uhr: Stricklands „The Duke Of Burgundy“
23.30 Uhr: Kümels „Daughters Of Darkness“

(AUSVERKAUFT)


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