Manafonistas

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2024 31 Mrz

Swift with Frith

von: Jochen Siemer Filed under: Blog | TB | Tags: , , | 3 Comments

 

Als es noch kein Internet gab, tigerte ich oft am öden Sonntag, nach arbeitsreicher Woche meist völlig ausgelaugt, zu irgendeiner Tankstelle oder Bahnhofsbuchhandlung, um verstohlen in den Hifi-Magazinen die Neuveröffentlichungen und Plattenkritiken rauszupicken. In einer dieser Journale wurde unterteilt in die Bewertungskriterien „Musik“ und „Klangqualität“ der jeweiligen Aufnahme, also in gewisser Weise die altbekannte Zweigestalt aus Inhalt und Form. Gestern beim Hören von Candid des Quintetts Sunny Five dachte ich, es wäre gut, ein weiteres Kriterium hinzuzufügen: inwieweit man angestachelt wird, selbst Musik zu machen, also dem Drang zu folgen, das Rezipierte nachzuahmen. Ahmung war immer ein entscheidender Faktor, schon zu Zeiten von Ten Years After wollte ich Alvin Lee nicht nur hören, sondern es selber sein. Auch die Beatles, das war im Grunde genommen ich. Ein Wunsch wurde nun wahr: das zwei, die mehr sind als nur Gitarristen, nämlich auch Berserker auf ihrem Instrument, Klangmagier und Alchemisten, in der Tradition eines Fred Frith oder Derek Bailey, einmal zusammenspielen würden. Von David Torn und Marc Ducret ist die Rede, zu bestaunen auf Tim Bernes aktueller Neuveröffentlichung. Zu den bereits Genannten gesellen sich dann noch Bassist Devin Hoff und Drummer Ches Smith. Zu hören ist ein furioses Happening, bei dem im Kopf ein Film abläuft. So viele Assoziationen: mal dachte ich, die Möbelpacker kommen. Wohin der Schrank? Dort in die Ecke. Rumms! Eine Tür schlagt zu. Dann eine Fabrikhalle, Machinen, Räderwerk greift ineinander. Bleche fliegen durch die Luft. Da fliegt mir doch da Blech weg. Spliff! Und immer elektronisches Hintergrundgezirbel, zauberhafte Mutationen. Der erdenschwere Bass bringt reichlich Wucht zuweilen, Bill Laswells Massaker kommt in den Sinn. Dann wieder ist es plötzlich still, typisch Berne, diese dynamische Spannbreite. Da lässt der Torn mal kurz die Oud raushängen, dann übernimmt das Saxofon Ducrets E-Gitarre wie im Staffellauf. Das Ganze ist irgendwo zwischen Jazz, experimenteller Musik und Heavy Metal angesiedelt, teilweise rockiger als Rock. Heroisch wurde dies bereits genannt, ja irgendwie steckt Nietzsche drin, der Drang zur Überschreitung. Ich höre gerne Taylor Swift, doch immer wieder auch Fred Frith.

 

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3 Comments

  1. Ursula Mayr:

    Hab mal reingehört – hat etwas von Jahrmarkt und ein bisschen was Hypnotisches …

  2. Jochen:

    Das Kreischen in der Achterbahn vielleicht, die Plötzlichkeit im Gruselkabinett und mit dem Autoscooter immer auf die Zwölf – zwischendurch dann in der Pause Zuckerwatte.

    Ja, hypnotisch auf alle Fälle …

  3. Alex:

    Es kommt mir so vor, als hätte ich diesen Gedanken auch schon einmal gehabt. Diese Art von ekstatischer, wilder, grenzenloser Musik möchte man in der Tat gerne selber spielen, auch wenn man noch nie ein Instrument in der Hand gehalten hat wie ich. Die kreative, explorative Spielfreude der Musiker überträgt sich auf den Zuhörer. Mir scheint sogar, dass die Musik zu spielen sicher noch mehr Spaß machen würde, als sie nur zu hören. Die rein akustische Rezeption kann über die lange Strecke mitunter auch etwas anstrengend sein. Wobei die Ruhepausen, wenn die Energie völlig rausgenommen, der Atem angehalten wird, für den Hörer auch Oasen der Besinnung darstellen, wo er sich von der eventuellen Überforderung durch die orgiastischen Amplituden etwas erholen kann. Ich meine jetzt insbesondere das letzte Stück, das passenderweise Floored heißt und über 35 Minuten geht. Ich habe es gerade einmal per Ohrhörer bis kurz vorm Ende durchgehört. Die Musik erinnert mich auch stark an den Free Jazz der Siebziger, ich komme ja aus Moers, daher ist mir das nicht ganz so fremd. Danke für den Hinweis!

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