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Das letzte Wiedersehen mit Buñuel erlebte ich beim Film Midnight in Paris von Woody Allen. Der Protagonist Gil gerät in das Paris der 20er Jahre, trifft Cocteau, Dalí, und andere Kunstgrössen und Existenzialisten, darunter auch Buñuel, der gerade wieder nach einer Filmidee sucht. Irgendjemand schlägt ihm vor, einen Film über eine Abendgesellschaft zu drehen, die am Ende den Raum nicht mehr verlassen kann. Buñuel schüttelt den Kopf und findet die Idee offensichtlich dämlich, auch nach längerem Grübeln scheint er nicht anderen Sinnes zu werden.

Dem Cineasten fällt an dieser Stelle ein grosses Grinsen ins Gesicht, ist dies doch genau die Handlung eines von Buñuels bizarrsten – man könnte auch sagen surrealsten Filme Der Würgeengel.

Il Angel Exterminador erinnert auch an den Engel mit dem Flammenschwert, der den Eingang des Paradieses bewacht –  womit wir wieder bei Grenzen wären. Insofern ist dieser Film eine vorgezogene Summary seines bisherigen Werkes: Buñuel beschäftigte sich immer mit Menschen und Menschenpopulationen und ihren äusseren, ideologisch-gesellschaftlichen, meistens aber den inneren selbstgezogenen Grenzen, aus denen sie nicht herausfinden und deren Opfer sie schliesslich werden.

Auch sein erster Film Las Hurdes – Land ohne Brot, eine Doku, zeigt das Leben eines hungernden Bergvolkes in Spanien und evoziert Gedanken über die Gründe, die die ausgezehrten Menschen hindern, dieses Land zu verlassen. By the way sind die Hurdes jetzt ein Parco Naturale mit reichlich touristischen Angeboten, heutzutage würde man es als „entzückend bukolisch“ benamsen. Tempi passati.

Nazarin und Viridiana ersticken in ihrem bigotten Katholizismus und werden Opfer derer, für die diese Werte nicht existieren und die Gutherzigkeit dieser reinen Seelen für sich zu nutzen verstehen. Tristana ist Gefangene ihres Mannes und ihres eigenen Rachemodus, Belle de Jour versteht Grenzen nur im Geheimen zu überschreiten. Die Bourgeoisie erstickt in ihren Klassenschranken, Konventionen und Ritualen (von Bunuel in einer neckischen Umkehrung vorgeführt als in Der diskrete Charme der Bourgeoisie die feine Gesellschaft auf Kloschüsseln zu Tisch sass und zum Essen aufs Klo ging, weil’s eben gerade comme il faut war – die Szene wurde ikonisch), und der Protagonist des Obskuren Objekts der Begierde zappelt im Netz seiner  eigenhändig gespaltenen Frauenbilder. Niemand entkommt seiner Haut, seinen Obsessionen, seinem Glauben und anderem festsitzendem Wahnsinn, es bietet sich also an, dergleichen einmal in einem Film zu operationalisieren.

Eine noble Abendgesellschaft – die Familie Nobile, jaja, das auch noch – der Upper Class trifft sich zu einem prätentiösen Abendessen, der Dresscode ist hochgepusht. Das Personal bereitet vor, scheint aber unter einem rätselhaften Druck zu stehen das Haus möglichst bald verlassen zu wollen, jeder hat etwas Eiliges vor und nach dem Servieren sind alle verschwunden; das Abendessen vollzieht sich in üppigem Dekor unter schichtspezifischem small talk, darunter menschelt es jetzt schon zutiefst. Nach dem Essen kippt die Szenerie – ein unerklärlicher Zwang scheint die Gäste zu hindern, den Speisesaal zu verlassen. Sie unterdrücken zunächst erfolgreich ihr Unbehagen, finden rationale Erklärungen für die Situation, nächtigen auf dem Fussboden, ohne sich einzugestehen, dass etwas Beunruhigendes im Busch ist.

Am folgenden Tage greift die Verleugnung zusehends nicht mehr. Krägen werden geöffnet, Krawatten abgelegt, Kleider aufgehakt, der Diskurs entgleitet und mit den Krawatten und Korsetts fallen auch die Konventionen und Contenancen. Es kommt zu Aggressionen und Grenzüberschreitungen, zunehmend zu Verzweiflung, Wasser und Nahrungsmittel gehen zu Ende, ein Gast stirbt und wir finden uns unversehens in Sartres Huis Clos wieder. Eine Sammlung edler Vasen dient zum Verrichten der Notdurft und schon bald existiert nichts mehr, was die upper class noch von denen unterscheidet, von denen sie sich  immer  gerne distanzieren würden.

 
 

      

 
 

Draussen versammeln sich Menschen, um zu helfen, können aber ebenfalls das Haus nicht betreten. Erst als es den Eingeschlossenen nach einigen Tagen gelingt, die gleiche Situation wie bei der Abendgesellschaft wiederherzustellen, öffnet sich das Tor zur Hölle wieder. Am nächsten Tag versammeln sich alle bei einem Dankgottesdienst, aber hinterher zeigen sich wiederum erste Schwierigkeiten die Kirche zu verlassen.

Buñuel hat sich lebenslang gegen eine Deutung seiner surrealen Symbole gewehrt, ein Vogel Strauss im Schlafzimmer sei eben ein Strauss im Schlafzimmer (Die Milchstrasse) – ein zugegebenermaßen skurriles Bild, aber nichts an dem weiter herumzudeuteln wäre. Offenbar hat sich niemand an dieses Dictum gehalten – die Interpretationen und Seminararbeiten blühten.

Nun wäre es sehr wohlfeil, das ganze Werk mit allen subtilen surrealistischen Einsprengseln im Ordner Buñuelsche Gesellschaftskritik abzulegen, auch das mental aufgeploppte Fenster „Kirchenkritik“ greift nicht – obwohl eine Horde Schafe am Schluss die Kirche stürmt und dann vermutlich auch nicht mehr aus dieser herausfinden oder auf den Topos des unschuldigen Opfers zur Befreiung der in ihren Sünden Eingeschlossenen hinzuweisen – hier ist für findige Interpretatoren nochmal eine Menge zu holen, whatever.

Filme von Bunuel sollten nicht interpretiert, sondern in ihrem Fliessen betrachtet werden – hier in ihrem Spiel mit der Dialektik von Grenzen: Das Ziehen einer so unsichtbaren wie irrealen Aussengrenze führt zwangsläufig zum Fallen der inneren Grenzen, die die Eingeschlossenen sonst voreinander und ihren wechselseitigen Aggressionen schützen und deren Aufhebung zunehmend ins Neandertal führt und man kann weiterphantasieren, ob sie sich nach längerer Zeit vielleicht gegenseitig verspeist hätten – bei einem Flugzeugabsturz 1972 in den Anden haben die Überlebenden zu diesem letzten Mittel gegriffen – der Film dazu kam relativ spät (Die Schneegesellschaft, 2023), bei anderen Katastrophen geht das schneller, es gab auch zwei Oscarnominierungen dafür, ansonsten schien er nicht viel Interesse zu wecken.

Von der Kriegsgeneration wurde auch immer dieses Grenzphänomen zitiert, wenn man als Mädchen auf dem Nachhauseweg zu späterer Stunde unangenehme Erlebnisse hatte: „Beim Adolf hätt’s das nicht gegeben!“ Klar – da tobte sich die Aggression an den Grenzen aus und innen rückte man zusammen – zumindest die, die glaubten, zu den Guten zu gehören, auch hier entstanden neue Grenzziehungen.

Die Umkehrung des sicheren Drinnens und des gefährlichen Draussens in das Gegenteil ist hier ebenfalls eine reizvolle Denkfigur; gefährlich ist das worin wir uns sicher fühlen. Und wenn etwas ausgeschlossen wird, kommt etwas anderes herein – in der Physik nennt man das eine semipermeable Membran. Und wenn ein Mensch eingeschlossen wird, kommt aus ihm etwas anderes heraus, von dem man gar nicht wusste, dass es drin war – offenbar sind Grenzen in ständiger Verlagerung und höchst dynamische Gebilde, etwa wie bei einem Labyrinth, in dem Durchgänge plötzlich gesperrt werden können und dafür andere geöffnet – auf dem Oktoberfest gibt’s dergleichen und treibt ängstliche Menschen in Heulanfälle – ich weiss wovon ich spreche.

Im Gegensatz zum Film Die Wand nach dem Roman von Marlen Haushofer, ein Film der als „Zustandsbild einer Depression“ interpretiert und gefeiert wurde, mit einer durchgehend sauertöpfischen Hauptdarstellerin – so deutsch, tiefernst, brav, ohne jegliche pfiffige Idee und Distanzierung heruntergekurbelt, dass man das Kino dann wirklich im Zustand depressiver Sauertöpfigkeit verliess und sich wünschte, man wäre ins Paris des Existenzialismus versetzt, am besten ins Café de Flore, wo alle hocken die etwas zu erzählen haben und Bunuel immer über noch über dem oben gegebenen Ratschlag brütet. Irgendwo muss es doch eine Zeitmaschine geben, in Dreisartresnamen …

 

This entry was posted on Dienstag, 26. März 2024 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. You can leave a response here. Pinging is currently not allowed.

4 Comments

  1. Jörg R.:

    Huuaahhhh … !

  2. Ursula Mayr:

    Treffender kann mans nicht sagen …

  3. Anonymous:

    Ich habe Buñuel immer für einen grossen Surrealisten gehalten, den Würgeengel für einen seiner grössten Filme. Hätte nie gedacht, dass ich nochmal davon höre … :))

  4. Ursula Mayr:

    Freut mich unter Gleichgesinnten zu sein, da schlummern noch viele vergessene Schätze, die ich gern in der Erinnerung halten möchte. Die Bourgoisie- und Kirchenkritik ist freilich schon etwas überholt – aber wie er sie umgesetzt hat …

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