Manafonistas

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Archives: Oktober 2022

2022 19 Okt.

Wolfert Brederode: Ruins And Remains

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It made me very happy to be was asked if I would like to / was able to be present at another ECM production at the Sendesaal in Bremen to record video and take photos, as I had not expected to hear from ECM again at that time. Apparently, that was because my documentary at Sendesaal during the recordings of Erkki-Sven Tüür’s chamber music album, Lost Prayers, – one that I had mostly talked about with the composer himself a while before the recording date was scheduled – had been received well.

I wasn’t present during the first day of recording (even though I would have liked to, as I always do when I am filming album recordings), and when I came in for the second day, they seemed to have recorded everything they had planned for the album already. Fortunately, though, the recordings continued for another two days, and so they started working in a more open way, encouraged by Manfred Eicher to improvise more freely, play some free improvisations, and to move further away from the scores. 

In the end, when I received the finished album and went through my footage, I noticed that, to my surprise, most of the selected tracks were from the second and third recording days. Of course that was really helpful for me to sync the finished music with my video footage. It would have been very tedious to edit a nice documentary about an album recording if the album had been compiled only from music from the day I was not present to document.

I have been present during a few album recordings with Manfred Eicher, and, even though they were all very different from each other, they were all very inspired sessions — and also very inspiring to me, even though I am not able to play any instrument myself (unless one considers the camera an instrument, as I tend to do). What was very different this time around, though, was that Manfred Eicher was present right next to the musicians all the time, while his assistant was doing all the organising work in the background and was up there with the engineer, Stefano Amerio – whom I was very pleased to meet, finally, after I have spent some time in studios with some of the other regular ECM engineers, Jan Erik Kongshaug, Martin Wieland, Gérard de Haro, and even the great Audun Strype, who unfortunately did not record as many albums f0r ECM, even though I feel it would have been terrific if he did. 

 
 

 
 

Wolfert also told me that it had been the most relaxed and inspired recording he had experienced with Manfred Eicher to date, and he also said that this was due to the circumstances mentioned above. Manfred Eicher was in a good mood and I felt that he had a very positive influence on the musicians and their performance, even his rare critical remarks were conveyed and welcomed with a sense of humor.

As with my previous short documentaries for ECM, it was gratifying to be very free to shape the final clip as I saw most fit; and I wasn’t pressured into any creative decisions I was uncomfortable with. I would love to do more similar short documentaries about album productions, even if I wouldn’t get paid to do those. It’s just always very rewarding and a great, invaluable inspiration.

However, unfortunately –even though I feel I shot a bunch of genuinely accomplished photographs I was quite happy with– none of them were used for the album. These photographs bear further witness to how close Manfred Eicher’s collaboration with the musicians on this album actually was. A large number of musicians I have spoken to in recent years like to point out that, for them, Manfred Eicher is always an equal to one of the musicians playing on an album recording, like the „third man“ on a duo recording (remember that album, The Third Man, by Enrico Rava and Stefano Bollani – and its telling cover image?) or the fourth member of a trio etc. I would have loved to see those photos be part of the finished album. Regardless, Ruins and Remains is a great album, and I sincerely hope it will be recognised as such by many listeners interested in music that is truly unique, falling somewhere between jazz and chamber music.

Here’s the short documentary about the Ruins and Remains recording.

 

 

Was, ein Film über die „Troubles“, und dann lachen da alle auf dem Cover? Was ist das denn für ein Rührstück! Ist gar keins, es ist, ähem, tricky. Und durchaus auch anrührend. Die Kamerafahrten allein lohnen es, sich in dieses kleine Kino-Meisterstück fallen zu lassen. Der Schauplatz und die Atmosphäre: Nordirland zur Zeit der Unruhen („Troubles“). Man kann das düster und heftig einfangen, oder so, wie es Mr. Branagh angestellt hat, basierend auf seiner Kindheit vor Ort, mit mehr als einem Hauch Wehmut inmitten all des Schreckens. Ein leicht abgefederter Sozialrealismus ist hier am Werke, doch wird die stets drohende Gefahr nie verharmlost, noch eine Pralinenschachtel-Version der „Troubles“ vorgeführt, wie eine Kritikerin bemerkte. Und wenn immerzu geschrieben wird, dass der Film aus der Perspektive eines Kindes erzählt wird, ist dies de facto falsch. Es ist die von einem Erwachsenen erinnerte Version der eigenen Kindheit in Belfast. Es gibt bei Kindern oft, wenn sie nicht vom destruktiven Energien ihrer Elternteile infiziert werden, einen gesunden Eskapismus, wenn sie etwa in die Parallelwelten des Kinos und Theaters eintauchen, und hier geschieht das mal mit James Stewart, oder Raquel Welch, oder in einem alten Weihnachtsstück. Mal herrlicher Blödsinn, mal Einblicke in eine fremde Welt. Und bei aller Sentimentalität, die einsichtliche Gründe hat: gleich zu Anfang, als Krawalle wie aus dem Nichts ausbrechen, spiegeln sich in dem Gesicht des Kindes pures Unverständnis und Erschrecken angesichts des Tohuwabohus im eigenen Viertel. Das ist auch hart und schmerzhaft (da braucht es keine verblutenden Menschen in Grossaufnahme). Und im Chaos des Showdowns steht später steht dann sowieso alles, was man liebt, auf der Kippe. Peter Bradshaw schrieb im Guardian zwei sehr kluge Schlusssätze in seiner 5-Sterne-Besprechung: „Es ist nicht ganz richtig, wenn man sagt, dass der Alptraum dieses Films einen Hauch von Unschuld enthält, aber sicherlich einen Hauch von Normalität und sogar Banalität, der seinen eigenen surrealen Ton annimmt. Liebesbriefe an die Vergangenheit sind immer an eine Illusion gerichtet, und doch ist dies ein so verführerisches Stück Mythenbildung von Branagh.“ Die fantastischen Schauspieler, die Regie, die ersten zwei Minuten mit einem betörend inszenierten Zeitensprung, sowie die Songs von Van Morrison, besorgen den Rest. Ich vergebe vier Hüte.  Übrigens, wer Gefallen an dem Film findet, dem empfehle ich, in Reihenfolge, die Sean Duffy-Romane von Adrian McKinty. Crime novels placed in the times of the troubles. Der katholische Bulle, Die Sirenen von Belfast und die anderen. Alle hervorragend ins Deutsche übersetzt. Und was seine fulminante Ahnung von Musik betrifft, könnte Adrian McKinty (resp. sein alter ego Sean Duffy) ein Manafonist reinsten Wassers sein.

 

 

2022 17 Okt.

Ferne Parallele

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Wenn ich mir FOREVERANDEVERNOMORE anhöre, werde ich an David Sylvians Album Blemish aus dem Jahr 2003 erinnert, das in ähnlicher Weise mit winterlicher elektronischer Musik und schrägem Gesang Verwüstung heraufbeschwor, obwohl es in diesem Fall um die Auflösung einer Beziehung ging. Entscheidend ist, dass Sylvian seine rasante Laptop-Elektronik mit Derek Baileys zerbrochener, improvisierter Akustikgitarre kompensierte, was Blemish eine besondere Spannung verlieh. Was beide jedoch gemeinsam haben, ist ein ausgeprägter Sinn für Intimität, in Enos Fall ein familiärer – seine Nichte Cecily tritt als Sängerin auf, und die Handschrift seiner Enkelin ist im Video zum Song „We Let It In“ zu sehen. Es ist genau die Art von unkonventionellem Denken, die man von Eno erwartet: ein Album über etwas Großes und Beängstigendes, das mit und für die Menschen gemacht wurde, die einem am nächsten stehen.“

 

Tal Rosenberg

2022 17 Okt.

Kino zwischen Fenstern zum Hof

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Damals waren die auffindbaren Filmkritiken noch nicht inflationär. Und ich gewöhnte mir rasch an, das, was ich über Filme meiner Lieblinge fand, im Vorfeld des Sehend nicht Wort für Wort aufzusaugen, ich huschte nur über einzelne Zeilen der Filmkritiken, die mir in der SZ begegneten, oder am Aushang des City-Kinos. Da stand dann zu lesen, was vorher mit der Schere ausgeschnitten oder fotokopiert wurde. Peter Buchka über Wenders, unvergesslich. Doch niemand sollte mir die Stories aufbereiten. Nie wollte ich der Erfüllungsgehilfe der Wahrnehmung eines anderen werden. Und ich versuchte, Diskusionen über Filme zu vermeiden, deren Abspann gerade vorüber, und deren Bilder noch auf der Netzhaut brannten.

Jacques Rivette zum Beispiel. Als Teenager waren die Filme von Claude Chabrol und Francois Truffaut heisser Stoff für mich: Chabrol liess die Fassaden des Bürgertums bröckeln, und Truffaut irrte mit Jean Pierre Leaud durch endlose Wirrungen des Eros. Früh in der Studentenzeit wurde aber Jacques Rivette mein ganz persönlcher „Held“ unter den Regisseuren der Nouvelle Vague. Er improvisierte mit seinen Darstellern in einem Paris fernab des kämpferischen Zeitgeists. Liebe, Verschwörung und andere Rätsel wurden zwar selten gelöst, doch stets in eine besondere Aura getaucht: die wunderbaren Hauptdarstellerinnen von „Celine und Julie fahren Boot“ bewegten sich voller Anmut, gleichzeitig im Stolperschritt, durch ihre Stadt: Alltag als Improvisation mit kleinen Geheimnissen. Die Waffe der Rivette’schen Figuren war die Phantasie. John Surman und Barre Phillips spielen in einem anderen Werk (Merry-Go-Round) ihre Filmmusik vor der laufenden Kamera, statt sie später zu laufenden Bildern zu erfinden. Zu den Schlangenlinien des Surman’schen Saxofons huschten die Protagonisten anders durchs Bild, die Musik empfahl ein leicht verändertes Gehen, das mitunter einem Tanz nahe kam. Schon damals war immer von diesem opus magnum zu hören, dass kein Normalsterblicher je zu Gesicht bekommen hatte. „Out 1 – Noli me tangere“ ist 13 Stunden lang. Jede Menge sympathische Verrückte, freies Theater, ein Hauch von Balzac nach dem Mai 68, und eine liebevoll-verrückte Hommage an die „Stadt der Liebe“, selten war ein Blick auf den Alltag und seine kleinen Mysterien so reich an Verzweigungen, so nah an permanenter Träumerei! Julio Cortazar sah sich einst im Quartier Latin jeden Rivette-Film an, der in den Kinos anlief. Und wie fühlte es sich an, sich damals an der Seine rumzutreiben? Man höre dazu Robert Wyatts Lied „Old Europe“. Ich nehme an, meine Beziehung zu Rivettes Filmen hat sich leicht gewandelt, obowohl ich noch vor Jahren in den Bann der „schönen Querulantin“ geriet, die 4-Stunden-Version natürlich. Alle Erinnerungen sind positiv aufgeladen, wir hatten unsere Zeit. Nicht wahr!? Oder fahren Celine und Julie immer noch Boot, und ich bin ein wenig in Bulle Ogier verliebt?  Es sind die späten Siebziger Jahre in Würzburg, was und wann sonst, und ich lege eine schon ziemlich abgespielte Platte von Ralph Towner auf, „Diary“.

2022 16 Okt.

Die Prothesengöttin

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TITANE (Frankreich, Belgien, 2021), Julia Ducournau
 

Ein Film mit zweifellos hohem ZQS, bepreist mit der goldenen Palme in Cannes, aufgeführt und besichtigt auf dem Filmfestival in Mannheim (das ich, in Quarantäne verbannt, nicht besuchen konnte), von einer Freundin mit den Worten „Da bumst eine Frau mit ihrem Cadillac, das ist was für Dich!“ überreicht. Aha! Nun ja …

Es ist nie schlecht zu erfahren, wie man von anderen gesehen wird. Ich nehms als Kompliment für einen relativ tabulosen Menschen mit dem Hang zum Abgründigen.

Die Überreicherin ist dieselbe Dame, die auch den ZQF erfunden hat. Das ist der „Zuschauer-Quäl-Faktor“, also der prozentuale Anteil der Zuschauer, die in der ersten Viertelstunde des Filmes das Kino verlassen unter dem Gepolter umgeworfener Stühle, falls man die überhaupt umwerfen könnte, wenn man das gerne wollte. Manchmal will man das ja. Im Fall von „Titane“ wohl ZQF > 50.

Ein bizarrer Film einer französischen Newcomer-Regisseurin, bepreist und trotzdem Gefahr laufend, in die „Trash- und Splatter-Schublade“ sortiert zu werden. Es wäre jetzt ein Leichtes, diesen Film als geschickt verschlüsselte Missbrauchsgeschichte einer Frau aufzudröseln, wenn man darauf Gusto hätte. Aber langsam wird dergleichen platt und die Ubiquität von Missbrauchsthemen in den Medien ärgert mich schon lange, es vergeht kein Fernsehabend ohne Missbrauchsinzestkrimi auf mindestens drei Sendern. Besonders zwerchfellerschütternd wird es, wenn noch mit dem Slogan „Der Film bricht mit einem Tabu, über das niemand zu sprechen wagt …“.

Seit den 90ern leben ganze Verlage von Missbrauchsliteratur und Versandhäuser von der Herstellung von Spielmaterialien wie Püppchen mit Körperöffnungen zur Diagnostik für Psychotherapeuten; die Sache nahm damals schon inflationäre Ausmasse an. Und man tat sich schwer zu differenzieren zwischen Patientinnen, die Missbrauch erlebt hatten und denen die das nur glaubten. Und den Betroffenen tut es überhaupt nicht gut, wenn ihr Leiden unter „Sex and Crime“ vermarktet und nebst Popcorn konsumiert wird, weils halt auch so spannend und für entsprechend Gestrickte sogar stimulierend ist. Und ich frage mich oft, wie es mir als Überlebende der Titanic ergangen wäre, wenn ich mir den Schinken im Kino angeschaut hätte. Oder das Geiseldrama von Gladbeck, oder der Todesbus von Trudering – aber das ist jetzt eine andere Geschichte.

Um den Subtext eines Filmes zu erfassen, genügt es, das eigene Gefühlsleben zu beobachten, demnach zerfällt der Film in zwei Teile. Die junge Alexia trägt seit einer Autofahrt als Kind mit ihrem feindselig wirkenden Vater, der cholerisch einen Unfall verursachte, Titanplatten im Kopf. Diese verändern ihre Persönlichkeit, sie fühlt sich zu metallischen Objekten erotisch hingezogen, hat Sex auf und mit Autos, liebt Bondage, verdient ihren Lebensunterhalt mit Tabledance auf Auto-Shows und räkelt sich lustvoll auf Motorhauben, Fetischisierung der Technik, Fetischisierung des weiblichen Körpers. Das Ding, das sie fast getötet hätte, verschafft ihr nun sexuelle Erregung.

 

 

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Und sie ist Serienmörderin: jeder, der menschlich-erotische Gefühle in ihr wachruft, wird getötet, sie scheint sich auf lebendige Menschen nicht einlassen zu können. Sie tötet auch ihre Eltern.

Anatomisch nicht ganz nachvollziehbar (aber wir befinden uns hier ja mal wieder in einer magisch-phantasmischen Welt), wird sie auch von einem Auto schwanger. Sie ist auch metallisch-hart zu sich selbst, ein Abtreibungsversuch mit einer Haarnadel misslingt, aus ihrer Vagina fliesst Motoröl.

Prothesen scheinen Menschen zu kontaminieren – ein alter Mythos, den schon Freud 1930 in seinen Abhandlungen über den „Prothesengott“ beschrieben hat, zu dieser Zeit hatte er bereits eine siebenjährige schmerzhafte Erfahrung mit seiner Kieferprothese. Die Befürchtung, dass man nach Herztransplantation ein anderer Mensch würde, da ja das Herz der Sitz der Gefühle sei, habe ich auch von ganz fortschrittlichen Menschen gelegentlich gehört.

Prothesen vermögen unser Herz oder Gehirn zu stimulieren und Blinde wieder sehen zu lassen, das Fremde ist aber nicht immer einfach in das bekannte Körperbild zu integrieren – diese Gedanken treibt der Film konsequent auf die Spitze: die Beeinflussung der Seele durch Manipulation ist eine menschliche Urangst; viele haben Angst vor Psychopharmaka, nicht mehr „sie selbst zu sein“, die Auflösung der gewohnten Identität. Das Verlernen erlernter Fähigkeiten durch Prothesen ist Fakt – wer findet ohne sein Navi noch nach Hause? Wer weiss noch, wie man Wäsche kocht ohne Maschine? Auch das eine Entfremdung.

Alexia bemerkt, dass die Polizei nach ihr fahndet, sie schert sich die Haare ab und bricht sich selbst die Nase, um anders auszusehen, bandagiert sich Bauch und Brüste und nimmt die Identität eines Jungen an, der seit 10 Jahren vermisst ist. Ihr „Vater“- also der Vater des vermissten Jungen – den sie dann aufsucht, bemerkt die Täuschung zunächst nicht. Und hier kippt der Film, wird leise und anrührend. Der Vater, Vincent, fasst Zuneigung zu dem verstörten androgynen Wesen, ermöglicht ihr einen beruflichen Einstieg in seiner Feuerwehrtruppe und schützt sie vor ihren Machokollegen. Und durchschaut zunehmend ihre Tarnung, ohne dabei seine väterliche Zuneigung zurückzunehmen. Auch er braucht Prothesen, spritzt sich muskelaufbauende Substanzen.

 

 

 

 

Alexia verändert sich. Unter den entgeisterten Blicken der Kollegen beginnt sie auf einer Ladefläche zu tanzen (lasziv, weiblich und verführerisch) – ohne Auto, sie braucht kein stimulierendes Objekt mehr, kann autark den eigenen Körper geniessen.

Vincent erträgt die Situation nicht mehr, versucht sich in seinem Bett anzuzünden, löscht aber das Feuer wieder. Was ihn antreibt erfährt man nicht, er bleibt hier terra incognita, entzieht sich der generell alptraumhaften Logik dieses Filmes.

Bei Alexia setzen die Wehen ein, Maschinenöl fliesst aus den Brüsten, aus der aufreissenden Bauchdecke, sie stirbt bei der Geburt eines Wesens, von dem man nur den Rücken sieht, die durchschimmernden Rückenwirbel sind aus Metall. Vincent hat ihr bei der Entbindung geholfen, nabelt das Baby ab und hält es liebevoll im Arm. Damit kehrt der Film zurück in einem Gegenbild zur Anfangsszene, als Alexia als kleines Mädchen im Auto sitzt und von ihrem Vater angeschrien wird.

Somit bleibt der Eindruck eines kunstvoll verrätselten Filmes über die Entfremdung einer Frau von ihrem Körper und ihren ursprünglichen Empfindungen, die auch durch bedingungslose Liebe nicht mehr geheilt werden kann.

 

 

 

 

Die Regisseurin vermeidet geschickt die Festlegung auf ein bestimmtes Trauma und löst auch das bekannte Täter-Opfer-Pairing auf, indem sie Alexia selbst Täterin sein lässt – erst in der Umwandlung zum Jungen wird sie anrührend, bemitleidenswert und mädchenhaft. So eröffnen sich völlig neue Denk- und Fühlräume für den Zuschauer, wenn er nicht abgeschreckt nach einer Viertelstunde das Kino verlässt.

Das ist das grosse Plus des Filmes, das sollte man geniessen und weiterspinnen und begrübeln anstatt vorschnell mit Deutungen hereinzubrettern. Dann entdecken wir auch die gesellschaftliche Dimension dieses Filmes – wie verändern wir uns mit unserer übergriffigen Technik? Wie verändern sich unsere Beziehungen, und wie brutalisieren wir uns durch unsere intrusiven Medien?

Und der goldene Wedel aus Cannes scheint mir durchaus verdient.

2022 15 Okt.

Das letzte Konzert

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Bryan Ferry war so freundlich, mich einzuladen, den einleitenden Essay für das Programm der Konzerte zum 50-jährigen Bestehen von Roxy Music in Nordamerika und im Vereinigten Königreich beizusteuern. Also ging ich gestern Abend ins O2, um den letzten Termin der Tournee zu sehen und Zeuge dessen zu werden, was, wie ich annehme, ihr letzter gemeinsamer Auftritt gewesen sein könnte. Ich mag keine Arena-Shows, aber als sich der Sound erst einmal beruhigt hatte, konnte man genießen, was die vier Mitglieder, die 1972 auf dem Debütalbum mitspielten – Ferry, Andy Mackay, Paul Thompson und Phil Manzanera – und ihre sechs Hilfsmusiker und drei Backgroundsängerinnen leisteten. Und natürlich gab es da dieses komische, bittersüße Gefühl, das man bekommt, wenn man sieht, wie etwas, das man vor einem halben Jahrhundert zum ersten Mal in einem Keller mit ein paar Dutzend anderen Leuten gesehen hat, in seiner endgültigen Version zu weltbeherrschenden Ausmaßen heranwächst. In meinem Essay schrieb ich über die Unvermeidlichkeit des Prozesses, durch den das, was als Experiment begonnen hatte, zu einer Performance wurde, aber ein Hauch der ursprünglichen Aufregung und Ungewissheit der Kunstschule schaffte es, sogar die heutigen Produktionswerte und Ressourcen zu überleben, und die Beleuchtung und die Rückprojektionen – endlose Autobahnen für „Oh Yeah“, Warhol-Bilder für „Editions of You“ – machten es schön anzusehen. Die Show begann mit Erinnerungen an die etwas unbeholfenen frühen Stücke („Re-make/Re-model“, „Ladytron“) und endete mit Vollgas-Favoriten („Love Is the Drug“, „Virginia Plain“), aber dazwischen gab es eine lange Passage, in der sich das Tempo zu einem ruhigen Herzschlag verlangsamte, während üppige Texturen und romantische absteigende Muster die Oberhand gewannen. Eingeleitet durch das wortlose „Tara“, zog die Abfolge von „The Main Thing“, „My Only Love“, „To Turn You On“, „Dance Away“, „More Than This“ und „Avalon“ elegant in einer langen, kerzenbeleuchteten Ohnmacht vorbei. Kein schlechtes „Envoi“, wenn es das war.“ (Richard Williams, The Blue Moment, 14.10.22)

2022 15 Okt.

Wundertier

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From the first sound to the last, „Foreverandevernomore“ grabs me with horizons unknown and words (enigmatic, wondering, romantic, sorrowful, archaic) sparsely put in scene. What an album putting in perspective the end of times, disturbing and human, or should we say post-human? Fire is in its element here, from fireflies to flames and man-made hell. Not forgetting all things lost in the fire of our own lives (as far as we can remember). Sometimes, from a distance, everything (losses first, and hands still to hold) falls into place. No catchy songs, no singalongs, no fairytale searches of parallel worlds, no hooks, no future evergreens, oh, hold on, in their own peculiar way these songs which could be coined as modern day lamentations, a collection of future „everblues“ at least, striking quite a special, different note and corner in Brian Eno‘s song works. His singing has aged well, reaching out for the deeper spectrum. The voice has lost some of its playfulness. But so it goes: if some gates are closing, others open up. Every song is fuelled with a different voicing and mood: reflective, hymnal, on the verge of falling apart, persisting, sceptical. A different persona in every track. Isn‘t it wonderful, for example, that the singing one (at one, and only one time) is adressing „my love“?! The seeds of hope can perhaps be detected in the alien murmuring of the closing track. The album is haunting, uncanny, ethereal, anti-nostalgic, beautiful in a dark way, and strangely consolating (despite all its eeriness). To call the sounds of Eno and his inner circle (working here) „otherworldly“, would be a bit of a cliché. Maybe the boldness of it all lies in the collision of the intimate and the faraway, the yearning and the mourning. I think „Foreverandevernomore“ is (as Leah Kardos wrote to me), „a fantastic album, up there with his best work ever. Profoundly moving, and beautifully executed.“


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