Die gute alte Tante Filmkritik hatte einst eine erzieherische Pflicht. Es galt, Spreu und Weizen zu trennen, und dem Publikum zu erzählen, ob das jeweilige Zelluloid sehenswert ist, erbaulich, oder verpulverte Zeit. Die Seele hebend, oder abgrundtief verstörend. Nun, Überraschung, es gibt Filme, die sind abgrundtief verstörend, und können doch (auf etwas andere Art), „die Seele heben“ – abseits von Seelenbalsam, Streicheleinheit und Sonnenlicht. Mehr im Sinne von: wenn man in den Abgrund blickt, glotzt nicht immer der Abgrund zurück, Freund Friederich. Also hier die forsche Ermunterung, sich ggf. tollkühn auf eine Reise ans Ende der Nacht einzulassen, aber nur, wenn Ihnen der Sinn prinzipiell nicht nach Suizid steht. Erschütterung, Subdepressves, Alpträume, Schlaflosigkeit und anderes nicht so Nettes, das mag hier als Nebenwirkung aufgelistet sein, nach dem Erleben oder Erleiden des Films „Annihilation“ (Netflix!), „Auslöschung“. Dann aber wieder gibt es die harten Hündinnen und Hunde, die dieses Meisterstück staunend erleben. Mit den Schatten tanzen. Diese Seltsam-Faszinierten begegnen sich hinterher (wenn sie das alles haben etwas sacken lassen) und sprechen über Texturen, doppelte Böden, Traditionen des Unheimlichen, über George Romero, Filmmusik („Slowly lumbering its way toward us is a dissonant, bursting synth melody, bathed in an astringent of distortion and flutter that ultimately moans with blasts of decaying horror“) – und darüber, dass Kino bedeuten kann, dem Tod bei der Arbeit zuzusehen. Das wusste schon Jean Luc. Nun aber auf, auf – werfen Sie eine Münze, setzen sie den Film auf die Watchliste, oder sagen lapidar „Sonst geht‘s gut!“ Ein einfacher „Trick“: Sie können jederzeit aussteigen! Wie konnte ich dieses Opus magnum, dieses Stück zeitgenössische Kinogeschichte, nur verpassen vor Jahren!? Aber jetzt, bald dann, früher oder später, eine von guten alten Tanten und Onkels befreite Filmkritik! Vier Augen sehen mehr als zwei, und die Nacht hat tausend Augen!