Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2022 12 Mrz

Nachtwandern mit Jon

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | Tags: , , 6 Comments

Beim legendären Mana-Treffen auf Sylt hätte ich fast ein Strandkonzert von den Sheriffs of Nothingness eingekauft, aber dann kam es anders. Vom Morsumer Kliff hatte mir Lajla erzählt, bevor ich das erste Mal dorthin fuhr. Als ich in den letzten Jahren immer wieder zu der Insel reiste, liess mich der Gedanke nie los, einmal nach „Klein Afrika“ aufzubrechen, wie ein Teil dieser uralten Landschaft genannt wird, und nicht wegen der Hitze, die mir auf einem klassischen Sonntagspaziergang dort engegenschlug. The more frequently you return to it, the greater the rewards. The bass line suspending Hassell’s eastern melody for “Chemistry” will start to glow. The synthesized horn of “Delta Rain Dream” will transform into a meadow. The cycled trumpet sample of “Rising Thermal 14° 16′ N; 32° 28′ E” will hypnotize you.  Nein, nachts, mutterseelenallein, und so kam es dann – in dem Rucksack waren, unter anderem, eine Taschenlampe, ein nicht gerade leichter Lautsprecher von Sonos, der von meinem Ipad angesteuert werden konnte, und Sprudelwasser. Als erstes kramte ich die Taschenlampe heraus, und machte mich auf den Weg, den ich tagsüber im Schlaf fand, im Sternenlicht aber nur zaghaft betrat.

 

Nachts bekommen Rundwege eine andere Dimension – da ist ja niemand, und selbst ein harmloser zweiter Wandersmann würde einem erstmal, als Schatten, einen gehörigen Schrecken einjagen. Bei diesem Rundweg, der auf dem verlassenen Parkplatz begann, den viele von euch kennen, kramte ich als erstes die Taschenlampe heraus, denn das Licht der Sterne war viel zu fahl und meist von Wolkenschleiern verdeckt. Harmonic motion is limited and all attention is centered around the embellishment of a single melodic line. Hassell is playing lead on these songs, but his performances often blur seamlessly into the backing tracks. Es gibt eine nicht ganz ungefährliche Stelle auf diesem Weg (wenn man sich blöd anstellt), ein schmaler Steg, mit recht steilem Abhang zur Linken, den ich Schritt für Schritt in Angriff nahm, das künstliche Licht mein Beschützer, und schliesslich, nach einer halben Stunde etwa, setzte ich mich an eine höhlenartige Einbuchtung, stellte die Box nahe am Wattenmeer auf, und froh, einen windfesten dicken Mantel zu tragen, liess ich „Possible Musics“ laufen, von Jon Hassell und Brian Eno, von Anfang bis Ende, und wie die Zeit sich in der Folge verhielt, ob sie dahinflog oder stillstand, blieb ihr selbst überlassen, ich mischte mich in nichts ein, und liess mich von den Klängen einfangen (wie seit Jahrzehnten schon), von den Schlangenlinien der Trompete, den Trommeln von Nana Vasconcelos, und einmal, als ich es donnern hörte, schaute ich kurz zum Himmel, eine Täuschung der Sinne, so fein verwoben war der verhaltene Donner mit Brians elektronischen Schatten.

 

Es ist einer der wenigen Tricks, die ich gut beherrsche, und die – auch wenn sich das wenig logisch klingt – auf die Zeit zurückging, als ich in meiner Kindheit ein Buch voller Zauberkunststücke studierte: in touristisch hochfrequentierte Orte am besten nur in der Nachsaison reisen, und dann hinein ins Abgelegene, in die Unzeiten: wind on wind, wind on water. Je leerer eine Bühne ist, desto mehr bewegen sich die  Dinge, die gar nicht da sind, Areale von Traum und Wirklichkeit rücken nah aneinander. Hassell’s landscape is an invented one—an imagined culture, where high technology and mysticism are blended together. Nachdem „Possible Musics“ in meinem abgelegenen Erdwinkel verklungen war, liess ich, aus purer Sentimentalität, diesen Song von Bob Dylan laufen, in dem er um noch eine Tasse Kaffee bittet, bevor er aufbricht, zum nächsten Tal. Dann fing es tatsächlich noch an prasselnd zu regnen, und ich zauberte aus meinem kleinen Rucksack einen faltbaren blauen Regenschirm (dessen Farbe von der Nacht verschluckt wurde), und eine noch halbvolle Thermoskanne Kaffee. The north and the south of you, post-psychedelic, lush, sensuous, and otherworldly. Jon‘s experiment was to imagine a ‚coffee coloured‘ world. Eine Bö riss mir auf dem Rückweg den Regenschirm aus der Hand, und ich war gut beraten, ihn nicht im Dunkeln von Klein-Afrika zu suchen.

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6 Comments

  1. Chrissie:

    Je leerer die Bühne ist – genau!

    Das ist meine Methode der „negativen Filmanalyse“: Wovon erzählt der Film NICHT – natürlich aufs Thema bezogen. Gibt eine Blaupause des Films und erzählt etwas vom Kolorit der Zeit in der er gedreht wurde. Und der kollektiven Abwehrmechanismen gegen Zeitthemen. 1. Schritt – Film ohne Ton ansehen.

  2. Michael Engelbrecht:

    Sehr leer war die Bühne in Klein-Afrika, als mir der Wind den Regenschirm aus der Hand riss, und sehr gross: ich war gut beraten, ihn nicht zu suchen. Thema: get lost in the dark.

    Ich hatte ja verschiedene Methoden, mir es im Dunklen heimelig zu machen, das Unheimliche zu begrenzen: schon die gute alte Pfadfinderausrüstung flösst Urvertrauen ein:)

    Und auch sehe ich beim Hören so gut wie nie Bilder – da waren Nacht und Wattenmeer und Höhlenbucht die Bühne … und die Musik des „Meisters“ ideale Mélange aus Vertrautem und Exotischem, unerschöpflich.

    Und dieser ganze surreale Spass spielte sich zwischen 23.30 und 1.30 nachts ab, auf Sylt. So wird Urlaub wieder zu Abenteuerurlaub. Auch hier hilft der Trick mir leeren, entlegenen Räumen.

    Witzigerweise hörte ich Possible Musics das erste Mal in einer Badewanne in Gerbrunn, hier der Blogtext dazu, es ist 1980.

    „Nun sind meine Musikoffenbarungen in Badewannen Legende, ich erinnere an meine allerliebste, und hier schon mit viel Schaum ausgebreitete, Erzählung, wie einst mein alter Freund David Webster mir aus London die Schallplatten The Plateaux of Mirror von Harold Budd und Brian Eno und Possible Musics von Jon Hassell und Brian Eno per Päckchen in meine WG nach Würzburg schickte (ich konnte es nicht abwarten, und in Deutschland waren sie noch nicht herausgekommen), und ich den beiden Platten zu Kerzenschein Stunden lang in der Wanne lauschte, wieder und wieder aus dem Wasser sprang, um die Plattenseiten zu wechseln.

    Guter Stoff für tiefenpsychologische Randnotizen😅

  3. Chrissie:

    Sehr guter Stoff!!

  4. Michael Engelbrecht:

    GLITTER:BEAT hat vor Jahren gehaltvolle Remasters herausgebracht der frühen Jon Hassell Alben POSSIBLE MUSICS, und DREAM THEORY IN MALAY.

    Zusammen mit dem ebenfalls hervorragend remasterten VERNAL EQUINOX, dem ersten dieser drei Alben, eine ideale Einführung in das JON HASSEL WERKEVERZEICHNIS😅

  5. Olaf Westfeld:

    Wie ist denn FLASH OF THE SPIRIT (Hassel & Farafina)?

  6. Michael Engelbrecht:

    Gefällt mir heute besser noch als damals.

    Jon Hassell war selbst nicht so glücklich mit dieser Zusammenarbeit, warum, weiss ich nicht mehr. Künstler sind oft nicht die besten Kritiker ihrer eigenen Werke:)

    Ein faszinierendes Album in meinen Ohren, aber kein Schlüsselwerk, und immer noch so viel besser als anderes in diesem Feld.

    ****

    Und als Meditationsmusik beim Nachtwandern (bzw während einer Rast beim Nachtwandern) sind die genannten drei sicher sehr empfehlenswert. In dieser komplett wahren Reisegeschichte war der Regen kurz vor Schluss echt surreal, und mich durchströmten pure Glückshormone.


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