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Archives: Villagers

 

 

Was für ein faszinierendes 1000-Seiten-Erzählwerk dieser philosophische Psycho-Thriller namens  „Die Stunde zwischen Frau und Gitarre“ doch ist! Spannend bis zur letzten Seite. Voller Grenzerfahrungen. Unverfilmbar. Und herrlich anders. Clemens J. Setz hat nun den Büchner-Preis erhalten. Macht Sinn. Aber, falls Sie sich diesen tollkühnen Schmöker besorgen wollen, machen Sie das auf eigene Gefahr. Als Nebenwirkungen wurden bislang verzeichnet: Desorientierung, Panikattacken, Nachtwandeln, Realitätsverluste, luzide Träume, Euphorie, erhöhte Temperatur, Schlafstörungen. In bunter Vorzeit empfahl ich einem Freund „Das Kalkwerk“ von Thomas Bernhard, und er war nah dran, mir die Freundschaft zu kündigen. Wer sich an den Mammutroman des frischgebackenen Büchnerpreisträgers rantraut, dem seien zwei Langspielplatten als flankierende Massnahmen empfohlen: „Rock Bottom“ von Robert Wyatt, und „Fever Dreams“ von Villagers. Gute Freunde zum Drüberreden sowieso. Übrigens sagt Conor O‘Brien zu seinen „akustischen Fieberträumen“: “I had an urge to write something that was as generous to the listener as it was to myself. Sometimes the most delirious states can produce the most ecstatic, euphoric and escapist dreams.” 

 

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Gestern reihte sich in die Reihe meiner Serie „deep feelings in old-fashioned bathtubs“ ein äusserst spannendes Album ein, das die Geister teilen (verstören oder begeistern) wird, ganz abhängig von Hörgeschichte und Empfänglichkeit. „FEVER DREAMS“ von Villagers. Dass ich nicht allein da stehe mit meiner freudigen Erfahrung, wurde mir dann heute zwischen Erwachen und kleiner Bergwanderung klar („in the dutch mountains“), als ich in der Septemberausgabe der Zeitschrift „Mojo“ auf das „album of the month“ stiess. Genau, „FEVER DREAMS“.

Himmlische Melodien und „agnostic devotionals“ scheinen genug zu sein, um das Hirn des Musikkritikers Danny Eccleston zum Schmelzen zu bringen. Ein wenig umschreibe ich mal den Auftakt seiner langen Rezension. Die Akustikgitarre kommt übrigens oft vor, aber das ist schon fast alles, was es rechtfertigt, Conor O‘Brien  als „ein irisches Indie-Folk-Projekt aus Dublin“ einzusortieren. Seine Musik ist extrem vielfältig, die Songtexte stromern durch weite Panoramen. Kaum war die vierköpfige Band im Studio heissgelaufen, machte Irland die Pforten dicht, Corona zog durchs Land, und Conor zog sich anderthalb Jahre auf  seinen Dubliner Dachboden zurück.

Man kann der Musik tatsächlich etwas Fiebriges anhören. Es sei, schreibt Danny Boy, „eine der freiesten, lustigsten und psychedelischsten Villagers-Platten. Alles fühlt sich ein bisschen verzerrt an. Songs schlagen plötzlich in freudig unerwartete Richtungen aus. Ein Gitarrensolo erscheint aus dem Weltall.“ Und damit die Synchronizität perfekt wird, mit meinen jüngsten Badewannenmeditationen und dort verbrachten Stunden wahrer Empfindungen (frei nach Peter Handke), spürt Mojo Man noch klangverwandte Schwingungen auf zu Robert Wyatt, Alice Coltrane, und – okay, da reicht sein Blick weiter – zum Library Music Maestro Piero Umiliani. Chi è questo cronista di strani suoni? Von dem habe ich noch nie gehört.

Über den Braunbären auf dem Cover werden wir uns unterhalten müssen, denn ich habe  mal gleich ein Interview mit dem Mann von der Dubliner Dachbodengesellschaft (frei nach Peter Kreuder) angefragt. Und auch darüber, dass wahrscheinlich jeder zweite Rezensent (mindestens!) das Wort „psychedelisch“ verwenden wird. Eine Schublade, die so leichtfertig gezogen wird wie „spiritual jazz“. Andererseits, liest man Dannys Kritik in Ruhe, drängt sich das historisch mit LSD verbandelte Eigenschaftswort schon ein wenig auf. Und was um Himmels willen sind „agnostic devotionals“??!

 

„The First Day“ beginnt mit einer wackeligen Stimme und einem Klavier, das das Wummern und Flattern eines alten Grammophons nachahmt, und startet durch mit großen, fetzigen Drums wie Steve Drozds auf „The Soft Bulletin“ von The Flaming Lips – aber dann dreht sich alles um eine himmlische Melodie, getragen von glockenspielartigen Synthesizern, fröhlichen Bläsern und O’Briens Stimme, die „feels like snowflake, feels like sunshine“ singt, als hätte er beides noch nie gefühlt.


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