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Archives: The Notwist

 

 

Manchmal braucht es nur einen einzigen Ton, und schon ist man drin in der Erinnerung, in einem Moment aus längst vergangener Zeit. Man riecht, was man damals gerochen hat, spürt, was man damals gespürt hat, fühlt, was man damals gefühlt hat. Melancholie. Wehmut. Hoffnung? Mit dem ersten Tastenschlag von Keith Jarretts „The Melody At Night With You“ bin ich wieder da, in einem schwülen, verschwitzten Juniabend Anfang der Nullerjahre. Die Luft schmeckt salzig, über den Bildschirm flimmert Sebastian Schippers „Absolute Giganten“ auf Videokassette. Raus aus der Ära des deutschen Blödel- und Depressionskinos.  Ein Film über Freundschaft und Verlust, über das Ende der Kindheit auch. Da ist diese Szene, kurz vor Schluss: Frank Gierings Floyd erzählt während der stillen Fahrt im Ford Granada von der ersten Sache, an die er sich erinnern kann. Im Hintergrund läuft Sophias „Reprise / Cresdendo“, und auch das beginnt mit so einem alles entrückenden Tastenschlag. Ich fühlte mich in diesem Film zuhause, wie man sich nur in einem Film zuhause fühlen kann, der recht albern beginnt und dann nicht mehr vom Haken lässt. Und der mit dem anderen Frühwerk eines spannenden Regisseurs, „Y Tu Mama Tambien“, besonders eins gemeinsam hat: Musik, die einen Riss erhält. Schlüsseltöne. Impacts! (Eine gekürzte Fassung dieses Texts erschien vor zwei Jahren auf dem Blog, der Titel: „The breaking moment“.)

Rückblende 2016: 14 Hamburger Programmkinos zeigen einen Tag lang einen Film: „Absolute Giganten“ . Wäre ich in Hamburg aufgewachsen, hätte ich dort einige bekannte Gesichter gesehen. Die Lichtspieltheater (eines meiner zehn deutschen Lieblingswörter) waren rappelvoll, wen wundert’s. Nach so einem Film wäre man auch mit Wildfremden ins Gespräch gekommen. Und jetzt noch eine Ankündigung, bei der manche Insider des Blogs kurz zucken.

Rückblende 1975: In einer weiteren Folge dieser kleinen Reihe erinnere ich an Wim Wenders‘ „Falsche Bewegung“, das auf einem Drehbuch von einem gewissen Peter Handke basiert. (Ich ahne es, der Text wird mich 500 „follower“ kosten.) Der Film kam am 14. März 1975, meinem 20.  Geburtstag, ins Kino. Fürs Protokoll: Ich war schon immer der Meinung, dass Wenders einen der durchweg am wenigsten erotischen Blicke im Kino hat – ungeachtet der etwas gruseligen Erotisierung einer damals 14-jährigen Nastassja Kinski. Nun gut, wie wir heutzutage immer öfter zu sagen scheinen, es waren die 70er Jahre –  Fassbinders gesammelte Ödnis, Frau Trottas „bleierne Zeit“, etliche krachende Monster der Langeweile, hochgejubelt von leicht schwermütigen Filmkritikern – und doch für viele (von uns) ganz wunderbare Jahre.

Der Schattenriss einer gewundenen Straße dehnt und kringelt sich mit wolkenähnlicher Leichtigkeit um einen Schacht, der sich im Wohnzimmer zwischen den abgeschliffenen Dielen in einen antiken Tunnel öffnet. Süße Feuer flackern, feiner Funkenregen. Eine alte Strickleiter. Abstieg. Monatelange Wanderungen durch ein antikes Kloakensystem, halb im Dienst, halb auf der Flucht und selten fällt schwaches Licht herab. Der Blick nach oben, Schneewirbel und Sternenhimmel zwischen Abflussgittern. Manchmal Nordlichtschlieren. Schwindel. Ich friere und mir wird einfach nicht mehr warm.

Nach dem Helplessness Blues der Zusammenbruch. Jetzt ist das rettendende Ufer erreicht, ein Augustabend an einer einsamen Pazifikbucht. Sand zwischen den Zehen. Sternschnuppen regnen herab. Fledermäuse flattern, der Hund jagt einen kleinen Igel im Unterholz, der Ruf einer Eule zwischen dem Tosen des Ozeans. Ein kaltes Bier, ein frischgefangener Fisch über dem Feuer, ein Keks zum Nachtisch. Was ist Erinnerung, was ist Traum? Die Sterne sind veränderbar, der Himmel kann herabfallen. Die Eule landet auf meiner Schulter und flüstert in mein Ohr: Willkommen zurück.


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