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Archives: Stephan Thelen

Hier folgt das noch fehlende Album, das ebenfalls 2021 seinen Anfang nahm: Dem vielbeachteten Album World Dialogue mit Streichquartetten von 2020 folgt nun eine bemerkenswerte Fortführung als Zusammenarbeit mit Fabio Anile Music For Piano And Strings. Hier finden sich drei Stücke von Fabio Anile und vier aus der Feder von Stephan Thelen, die teilweise um ein Piano zum Quintett erweitert werden. Als Streichquartett spielt wieder das Al Pari Quartet, die schon auf World Dialogue gezeigt haben, dass sie interpretatorisch gut mit dem Kronos Quartet mithalten können. Von diesem ersten Album mit Quartetten ausgehend war Fabio Anile so begeistert, dass er Stephan Thelen einen Entwurf von dem etwas verspielteren Eleven Tails sendete und dieser gerade eine Auftragsarbeit für den Pianisten Ulrich Koella, das minimalistische Metric Modulation fertiggestellt hatte. In diesem inspirierenden Austausch entstand die Idee darauf aufbauend ein gemeinsames Album zu komponieren. Beide teilen die Liebe zu minimalistischen Strukturen, die sie auf der Basis der Präzision klassischer Musik und der nicht zu überhörenden Vitalität der Rockmusik mit polyrhythmischen Grooves erweitern. Schöne Beispiele hierfür sind Polymetric Counterpointvon Fabio Anile und Tunnel Drive von Stephan Thelen.

Während Stephan Thelen im Idealfall aus einer minimalen, singulären Idee ganz organisch etwas Hochkomplexes entwickelt, versucht Fabio Anile die Grenzen des „klassischen“ Minimalismus durch den Einsatz von Tonartwechseln und Melodien aufzubrechen, ohne dass die treibenden Rhythmusstrukturen dadurch ihre zentrale Funktion verlieren würden. So liefern diese beiden Protagonisten dieser Minimalisten der zweiten Generation ein elegantes, musikalisch weites Album, das fordernd und von cineastischer Qualität ist, gleich einer Nachtfahrt eines Film Noir-Werkes mit offenem Ausgang. Der Spannungsbogen zwischen den unterschiedlichen Wurzeln wird aber in keinem Stück deutlicher als in Thelens Ascension, das sich bei gleichen Basismuster bereits unter gleichem Namen in kongenial anderer Version auf Fractal Guitar 3 findet. Eine brennende Intensität, die durch feine polymetrische Patterns jagt und den Hörer erst atemlos mit dem letzten Ton entlässt.

 

 

 

 

Three Movements, das neue Album von Sonar mit David Torn und jetzt auch J. Peter Schwalm besteht aus drei langen Stücken, die in ihrer Komplexität und unvorhergesehenem Abwechslungsreichtum fortlaufend neue Horizonte erschließen. Bereits zu Beginn stolpert die Musik ganz beiläufig in einen treibenden Rhythmus und ergießt sich in gepflegter Atemlosigkeit von feinstens ausgewogenen Momenten über schräge Ostinati zu eruptiven Eskalationen, die wiederum in minimalistische oder bassgetragene Patterns übergehen, die sich über vermeintliche Entspannungsmomente mit sphärischen Elementen zu neuen Ausbrüchen steigern gleich einer hypnotisch-auswegslosen Verfolgungsjagd in einem bizarren Spiegelkabinett.

Ausgangspunkt waren dieses mal keine komponierten Stücke sondern Samples, Loops und Songfragmente, die David Torn zur Verfügung stellte und Stephan Thelen diese dann zu Ansätzen dieser fast symphonischen Suite zusammenstellte, mit den Musikern von Sonar einspielte und dann J. Peter Schwalm schickte, der elektronische Elemente und Schnipsel hinzufügte und so dazu beitrug, das der Hörer sich wie in einem Vexierbild niemals sicher sein kann, welches Element der enorm vielschichtigen Musik als nächstes für einen flüchtigen Moment die Führung übernehmen und den spannungsgeladenen Gitarrensound von David Torn konterkarieren wird. Dabei haben die langen fraktalen Schleifen eine gewisse Ähnlichkeit mit den komplexen Strukturen indischer Ragas, die bei komplizierter und ungerader Rhythmusstruktur improvisatorische Elemente in langen Bögen gegeneinander laufen lassen, um sich beim Schließen des Zyklus nach einem erlösenden Takt einem neuen abrupten Richtungswechsel zu unterziehen, der mit unglaublicher Präzision vertraute Horizonte zerlegt, um gleich selber einen weiteren anzudeuten. Schließlich entlässt das Third Movement den Hörer in die Weiten ambienthafter Sphären, leise und die außerordentliche Fülle hinterlässt ein tiefes Gefühl angenehmsten Erfülltseins, dass auch bei mehrfachem Hören garantiert abnutzungssicher ist. Ein Meilenstein, der ein Vorbote einer Musik der Zukunft sein könnte, womit sich der Kreis zu Transneptunian Planets auf einer höheren Ebene schließt.

„Der Weltraum, unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2022. Das sind die Abenteuer von J. Peter Schwalm und Stephan Thelen, die mit einer 4 Mann starken Besatzung unterwegs sind um fremde Galaxien zu erforschen, neues Leben und neue Zivilisationen. Weit von der Erde entfernt dringen sie jenseits des Neptun in fremde Räume vor, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat“.

 

Die Sonne ist nur noch ein kleiner heller Punkt im Firmament, die Temperatur nähert sich langsam dem absoluten Nullpunkt an und aus der kosmischen Finsternis nähern sich lichtlose Objekte, Planetoide, langsam den Protagonisten. Zwischen ihnen werden kleine Dateien mit Lichtgeschwindigkeit durch den Äther geschickt, Skizzen, Ideen, Entwürfe, die von dem jeweiligen Empfänger sorgsam gehört und derart bearbeitet wurden, dass daraus etwas entstand, was keiner von beiden je vorher gemacht hatte, was alle gewohnten Muster zerlegte. Dort in der Tiefe des transneptunischen Raumes entstand fern von allen irdischen Einflüssen etwas, das so noch nie zu hören war. Neue Botschaften von fernen Welten.

Mit an Bord waren Eivind Aarset, der Bassist Tim Harries und der Schlagzeuger Manuel Pasquinelli, die sowohl exorbitant ätherische wie rhythmisch treibende Elemente einbrachten. Den Einstieg macht ein Besuch bei Pluto, der erst vor einigen Jahren seinen Planetenstatus verlor und zum Planetoiden herabgestuft wurde. Hier stoßen treibende rhythmische Strukturen auf subtile atmosphärische Elemente, unberechenbar und horizonterweiternd. Mit MakeMake entfalten sich dystopische Eruptionen mit streckenweise fragwürdiger Rhythmusstruktur, die von völlig unvorhersehbaren Wendungen leben. Die nächsten drei Stücke schweben sich langsam entwickelnd zwischen untergründigen archaischen Fragmenten und ätherischem Cyberspace-Dub, teilweise von Eivind Aarsets einzigartiger Weise Gitarre zu spielen über alle Grenzen getragen. GongGong – ja die so fernen Planetoide habe oft obskure Namen  – oszilliert zwischen den Polen psychedelischer Klänge und Techno-Trance mit der unterschwelligen Aggressivität eines uralten Reptils, wohingegen die letzten beiden Stücke dann auf ihren exzentrischen Bahnen lichtferne Räume durchmessen, mal lautlos gleitend, filigran sich um die eigene Achse drehend, mal verhalten treibend und gewohnte Patterns sicher umschiffend, um sich letztendlich wie in der Schlussszene eines Science Fiction in unendlichen Weiten zu verlieren.

 

Im Jahr 2021 arbeitete Stephan Thelen parallel an vier Albumprojekten, die sich in intensiver Weise gegenseitig beeinflussten und bei sehr unterschiedlichen Konzepten und teilweise anderen Musikern aber sehr eigenständige und spannende Klangräume entstehen ließen. In Fractal Guitar 3 finden sich auf den Stücken alle Musiker, die auch auf Transneptunian Planets spielen wieder, zudem u.a. noch Markus Reuter, Jon Durant, Andi Pupato und Stefan Huth. Auf den verschiedenen Alben gibt es Stücke die den gleichen Ansatz haben, wie die polyrhythmische Struktur „5 gegen 7“ die nicht nur bei Morning Star, sondern auch bei Pluto und bei Fractal 5.7 auf dem dritten Album Fractal Sextet jeweils völlig andere Atmosphären entstehen lassen. Es finden sich recyclte Elemente des ersten Sonar-Albums Black Light wieder in Orbit 5.7 und Glitch, dann werden teilweise die komplexen Polyrhythmen in verschiedenen Tonhöhen und Geschwindigkeiten in atemberaubender Eskalation gegeneinander laufen lassen wie in Black On Electric Blue und als Pendant Slow Over Fast auf Fractal Sextet. Umklammert wird Fractal Guitar 3 von dem extremfaszinierenden Stück Through The Stargate, das von Eivind Aarset mitkomponiert wurde und am Anfang einen sehr treibenden Einstieg schafft und zum Schluß in einem sehr atmosphärischen Mix von J. Peter Schwalm, der die schwebenden Gitarrenklänge Aarsets in den Vordergrund hebt und so die tiefe musikalische Verbundenheit der beiden so unterschiedlichen Gitarristen in eine wunderbare Synthese bringt.

 
 


 
 

Fractal Sextet bringt mit dem Pianisten und Keyboarder Fabio Anile, dem Bassisten Colin Edwards und dem Schlagzeuger und Spezialisten für Polyrhythmen Yogev Gabay ein anderes Spektrum an Musikern auf den Plan, die zwischen minimalistischen Mustern, Prog und Kammerjazz eine atmosphärisch dichte Synthese finden und dabei fast Bandcharakter entwickeln, wenn nicht auch dieses wunderbare Album durch die pandemiebedingten Restriktionen vor allem durch den Austausch von Fragmenten und Dateien entstand. Hier kann man nur hoffen, dass die Musiker für eine Performance eines Tages live zusammenfinden. Doch das ist nicht das Ende dieser Geschichte, da noch ein weiteres Album fehlt …

 
 


 

Das Cello springt rau zwischen den Boxen hin und her, packt mächtig zu und die feinen Härchen stellen sich am ganzen Körper auf, der so genannte „Chill-Factor“ übernimmt. Bereits die ersten Takte von Circular Lines aus dem neuen Album von Stephan Thelen verströmen die Magie, wegen der ich ewig suchender Musikhörer geworden bin. Und diese Magie scheint fast unbegrenzt steigerungsfähig: eine hochkomplexe polyrhythmische Struktur, bei der jeweils ein Instrument in 3/8, eines in 4/8 und 5/8-Takten gegeneinander läuft und das verbliebene Instrument des Quartetts die Rhythmusstrukturen unterstützt oder elegante Melodielinien darüberlegt, entwickelt sich fulminant und doch unglaublich fokussiert. Eines der herausfordernsten Stücke, die sie je gespielt hätten, sagt David Harrington vom Kronos Quartett, die diese Herausforderung formvollendet und mit rauer Eleganz, fast wie ein Rocksong mit phänomenaler Intensität mehr als erfüllen. Treibend, nein eskalativ sicher eine der besten Darbietungen aus dem umfangreichen Repertoire dieses Ausnahmequartetts.

Zeitsprung: 2014 besucht Anil Prasad den Kopf von Sonar, Stephan Thelen, wo dieser ihm von seiner Vision erzählt, seine Stücke einmal vom Kronos Quartett spielen zu lassen. Prasad teilt diese Vision, fasziniert von den komplexen und nuancenreichen Strukturen der Sonar-Alben, und bringt David Harrington eine Demoaufnahme und Partitur von World Dialogue vorbei, der sich begeistert gleich bei Stephan Thelen meldet und, anstatt dieses Stück ins Repertoire aufzunehmen, Circular Lines für ihr Projekt 50 for the Future in Auftrag gibt. 2017 war es schließlich so weit und dieses faszinierende Stück wurde eingespielt und aufgenommen.

Doch das ist erst der Anfang eines vitalen und spannungsgeladenen Albums, denn das polnische Al Pari Quartett erlebte eine Aufführung von Circular Lines bei einem Konzert des Kronos Quartetts und begann, ebenfalls begeistert davon, es in eigenen Konzerten aufzuführen. Bald nahmen die Musikerinnen dieses Ensembles dann Kontakt zu Stephan Thelen auf und so kam es, dass sie die restlichen Stücke eines der beeindruckendsten Alben dieses Jahres einspielten. Chaconne tanzt über einen 11/4-Takt und bedient sich der von Thelen als „Twofold Covering“ bezeichneten Kompositionstechnik: die Melodielinie wird von einem tiefer tönenden Instrument eine Oktave tiefer und in halber Geschwindigkeit gespielt, was eine eigenwillige Bewegung erzeugt, die die Wahrnehmung der Musik radikal verändert. Auch das letzte Stück des Albums Silesia, einer Auftragsarbeit für das Al Pari Quartett, bedient sich dieser Technik, nur das es dadurch einen besonderen Reiz gewinnt, dass es traditionelle schlesische Melodiefragmente auf unfassbare Weise mit einem 13/4-Takt verwebt und dabei beides verfremdet und in wunderbarer Kraft über sich hinauswachsen lässt. Zwischen diesen beiden Stücken findet sich Word Dialogue mit einer additiven Rhythmusstruktur von einem 7/8 und einem 8/8-Takt, deren Variationen sich mit unglaublicher Leichtigkeit rückwärts durch den Quintenzirkel bewegen, um schließlich ganz beiläufig wieder am Ausgangspunkt anzukommen. Präzise und dynamisch bewegt sich das Al Pari Quartett mit größter Intensität und dunkler Leidenschaft durch diese schwierig zu spielenden Stücke und steht dem Kronos Quartett dabei um nichts nach. Hier findet eine Bewegung statt vom vertracktem experimentellem Art-Rock, wie er noch auf Tranceportation Vol 2 von Sonar mit David Torn, das im Mai erschienen ist und psychotrope ferne Welten erkundete, ausgelotet wird zu dem hochdifferenzierten Klangraum eines Streichquartetts. Eine Kammermusik der Zukunft, die vital mit heutigen Hörgewohnheiten spielt und in ihrer fast mathematischen Eleganz neue Zenite erahnen und die feinen Härchen auch noch eine ganze Weile nachdem die Musik längst verklungen ist stehen lässt.

 
 
 

     

 

 

Im vergangenen Jahr fand das Album Vortex von Sonar mit David Torn in den Jahresbestenlisten recht viel Resonanz und war sicherlich eines der bemerkenswertesten Alben von 2018 was die Konzeption, aber auch die Vitalität anging. 2019 haben nun zwei konzeptionell unterschiedliche, aber musikalisch höchst interessante Folgealben das Licht der Welt erblickt. Das Erste, Fractal Guitar vom Sonar-Kopf Stephan Thelen, der hier einige Side-Projekte mit Markus Reuter, David Torn und Henry Kaiser in bemerkenswert differenzierter und komplexer Weise umsetzt. Thelen schreibt in den Liner-Notes:

 

After a few years of playing without effects apart from reverb in Sonar, I felt the urge to compose and record some pieces in which effects were an integral part of the music. I especially wanted to use an effect I worked with before Sonar, which I call “Fractal Guitar” — a rhythmic delay with a very high feedback level that creates cascading delay patterns in odd time signatures such as 3/8, 5/8 or 7/8.

 

Daraus ergeben sich hochkomplexe Patterns, die von seinen Mitspielern – dabei auch Manuel Pasquinelli von Sonar – in fünf kongenialen Stücken treibend, tanzend und eine sogartige Tiefe entwickelnd entwickelt werden und selbst nach mehrmaligem Hören noch neue verschachtelte Räume und Klangnuancen offenbaren.

 
 
 


 
 
 

Im Gegensatz zu Vortex, bei dem die Beiträge David Torn’s eher spontan enstanden sind, wurden die aktuellen Stücke des Sonar-Albums speziell für Torn komponiert, wobei eigentlich mehr die Pattern und Strukturen entwickelt wurden um den Raum für eine improvisatorische Erkundung der minimalistischen, repititiven und rhythmisch komplexen Muster zu schaffen. Diese wurden dann in einer fünftägigen Marathonsession eingespielt, wobei so viel Energie und Material freigesetzt wurde, dass Sonar entschied, daraus zwie Veröffentlichungen zu machen, von denen Tranceportation Volume 1 mit vier Stücken jetzt erschienen ist. Dadurch, dass die Musik sich hier ganz sensibel und iterativ im intensiven aufeinander Hören entwickeln konnte sind die Stücke tranceartiger (was der Name bereits andeutet), ruhiger und hypnotischer. Stephan Thelen vergleicht die zugrunde liegenden Ideen gerne mit den Bildern M.C. Escher’s, die durch Wiederholungen und Verzerrungen, ungewöhnliche Kachelungen und Farbnuancen komplexe Vexierbilder ergaben, die oft erst ihre Substanz nach längerem Hinschauen offenbaren. Tranceportation ist wahrlich das akustische Pendant zu Escher’s Mosaiken in denen die tritonal gestimmten Gitarren und Bässe einen verschroben-versetzten Klangteppich erzeugen über dem Torn’s Gitarre ätherisch-zehrend schwebt und den Hörer erst in das lange und vielschichtige Labyrinth lockt, um ihm dann in der Falle akustischer Doppeldeutigkeiten zu partitionieren (Partitions), ihm eine scheinbare Pause in Red Sky (vielleicht eine kleine Anspielung auf Torn’s letztes Soloalbum Only Sky) gönnt und ihn dann im finalen Tunnel Drive in eine faszinierende Tiefe zu ziehen, bei der sich der Ausgang aus dieser Klangreise möglicherweise erst im kommenden Frühjahr, wo dann der zweite Teil der Sessions erscheinen soll, offenbaren könnte. Bis dahin könnte es passieren, dass der eine oder andere Hörer mit Tranceportation im Kreis herumdriftet, ohne diesen als solchen zu erkennen. Geht bei Escher-Bildern ja auch …

 


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