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2023 4 Jul

Stephan Thelen 2023

von: Uli Koch Filed under: Blog | TB | Tags: , , | 3 Comments

Hier folgt das noch fehlende Album, das ebenfalls 2021 seinen Anfang nahm: Dem vielbeachteten Album World Dialogue mit Streichquartetten von 2020 folgt nun eine bemerkenswerte Fortführung als Zusammenarbeit mit Fabio Anile Music For Piano And Strings. Hier finden sich drei Stücke von Fabio Anile und vier aus der Feder von Stephan Thelen, die teilweise um ein Piano zum Quintett erweitert werden. Als Streichquartett spielt wieder das Al Pari Quartet, die schon auf World Dialogue gezeigt haben, dass sie interpretatorisch gut mit dem Kronos Quartet mithalten können. Von diesem ersten Album mit Quartetten ausgehend war Fabio Anile so begeistert, dass er Stephan Thelen einen Entwurf von dem etwas verspielteren Eleven Tails sendete und dieser gerade eine Auftragsarbeit für den Pianisten Ulrich Koella, das minimalistische Metric Modulation fertiggestellt hatte. In diesem inspirierenden Austausch entstand die Idee darauf aufbauend ein gemeinsames Album zu komponieren. Beide teilen die Liebe zu minimalistischen Strukturen, die sie auf der Basis der Präzision klassischer Musik und der nicht zu überhörenden Vitalität der Rockmusik mit polyrhythmischen Grooves erweitern. Schöne Beispiele hierfür sind Polymetric Counterpointvon Fabio Anile und Tunnel Drive von Stephan Thelen.

Während Stephan Thelen im Idealfall aus einer minimalen, singulären Idee ganz organisch etwas Hochkomplexes entwickelt, versucht Fabio Anile die Grenzen des „klassischen“ Minimalismus durch den Einsatz von Tonartwechseln und Melodien aufzubrechen, ohne dass die treibenden Rhythmusstrukturen dadurch ihre zentrale Funktion verlieren würden. So liefern diese beiden Protagonisten dieser Minimalisten der zweiten Generation ein elegantes, musikalisch weites Album, das fordernd und von cineastischer Qualität ist, gleich einer Nachtfahrt eines Film Noir-Werkes mit offenem Ausgang. Der Spannungsbogen zwischen den unterschiedlichen Wurzeln wird aber in keinem Stück deutlicher als in Thelens Ascension, das sich bei gleichen Basismuster bereits unter gleichem Namen in kongenial anderer Version auf Fractal Guitar 3 findet. Eine brennende Intensität, die durch feine polymetrische Patterns jagt und den Hörer erst atemlos mit dem letzten Ton entlässt.

 

 

 

 

Three Movements, das neue Album von Sonar mit David Torn und jetzt auch J. Peter Schwalm besteht aus drei langen Stücken, die in ihrer Komplexität und unvorhergesehenem Abwechslungsreichtum fortlaufend neue Horizonte erschließen. Bereits zu Beginn stolpert die Musik ganz beiläufig in einen treibenden Rhythmus und ergießt sich in gepflegter Atemlosigkeit von feinstens ausgewogenen Momenten über schräge Ostinati zu eruptiven Eskalationen, die wiederum in minimalistische oder bassgetragene Patterns übergehen, die sich über vermeintliche Entspannungsmomente mit sphärischen Elementen zu neuen Ausbrüchen steigern gleich einer hypnotisch-auswegslosen Verfolgungsjagd in einem bizarren Spiegelkabinett.

Ausgangspunkt waren dieses mal keine komponierten Stücke sondern Samples, Loops und Songfragmente, die David Torn zur Verfügung stellte und Stephan Thelen diese dann zu Ansätzen dieser fast symphonischen Suite zusammenstellte, mit den Musikern von Sonar einspielte und dann J. Peter Schwalm schickte, der elektronische Elemente und Schnipsel hinzufügte und so dazu beitrug, das der Hörer sich wie in einem Vexierbild niemals sicher sein kann, welches Element der enorm vielschichtigen Musik als nächstes für einen flüchtigen Moment die Führung übernehmen und den spannungsgeladenen Gitarrensound von David Torn konterkarieren wird. Dabei haben die langen fraktalen Schleifen eine gewisse Ähnlichkeit mit den komplexen Strukturen indischer Ragas, die bei komplizierter und ungerader Rhythmusstruktur improvisatorische Elemente in langen Bögen gegeneinander laufen lassen, um sich beim Schließen des Zyklus nach einem erlösenden Takt einem neuen abrupten Richtungswechsel zu unterziehen, der mit unglaublicher Präzision vertraute Horizonte zerlegt, um gleich selber einen weiteren anzudeuten. Schließlich entlässt das Third Movement den Hörer in die Weiten ambienthafter Sphären, leise und die außerordentliche Fülle hinterlässt ein tiefes Gefühl angenehmsten Erfülltseins, dass auch bei mehrfachem Hören garantiert abnutzungssicher ist. Ein Meilenstein, der ein Vorbote einer Musik der Zukunft sein könnte, womit sich der Kreis zu Transneptunian Planets auf einer höheren Ebene schließt.

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3 Comments

  1. Uli Koch:

    Hier noch ein sehr schönes Interview aus All About Jazz …

  2. Jochen:

    Das vorangestellte Zitat in dem Interview erinnert an etwas, das Daniel Lanois in einem Gespräch mit Rick Beato sagte. Sinngemäss: wenn du spürst, etwas ist nicht gut, lass es sofort fallen – kitten, aufhübschen, ausbessern etc sei reine Zeitverschwendung.

  3. Uli Koch:

    Ja, das ist sicher ein hochintuitiver Prozess und das, was einen wirklich guten Musiker ausmacht, denn wenn etwas schon am Anfang nicht gut ist, retten selbst Oblique Strategies gar nichts mehr …


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