Das waren noch Zeiten, als, gerade mal 10 Minuten von meiner Haustür entfernt, die Platten, Bücher und CDs von Soul Jazz Records promoted wurden. Alle paar Wochen ging ich da vorbei, und kam mit neuem Stoff aus dem Hauptquartier des Labels von Stuart Baker nach Hause: die Roots Reggae-Fundgrube von Sir Coxsone Dodd schien unerschöpflich, aber es gesellten sich auch brilliante Kompilationen aus Brasilien, der New Yorker-Noise-Szene und anderen historischen Quellen hinzu. in letzten Jahren finden sich da auch viele brandaktuelle Produktionen aus der Dub-Step-Szene Britanniens, eine Musik, mit der ich allerdings nicht wirklich warm werde. Also kehrte ich immer wieder zu den „Perlen“ zurück: wilder, nie gehörter Jazz aus den 60er Jahren, herrlich ungezähmt, aber auch kubanische Ritualtrommeln und harsche Elektronik aus New Wave-Zeiten. SoulJazz Records ist bis heute eine Bereicherung für meine Sendungen im Deutschlandfunk geblieben. Vielleicht macht Sie dieses kleine Interview (das seinerzeit als „Corsogespräch“ über den Äther ging) neugierig, sich mal auf der Homepage von SJR umzuhören.
Woran arbeiten sie gerade in ihrem Büro in Soho?
„Wir arbeiten an einem Buch mit dem Titel „New York Noise“ – ein Buch über die New Yorker Musik- und Kunstszene der 80er Jahre, mit Bildern von vielen Protagonisten und mit Texten, etwa von David Byrne oder Cindy Sherman. Und da nähert sich die Deadline, heute muss der komplette Text in die Post gehen! Zudem beende ich gerade die Begleitexte für unsere zweite „Tropicalia-Compilation“, die brasilianische Musik in den Siebzigern!
In früheren Jahren zogen sie ja länger durch die USA, im mit der Musik im Blickfeld. Wieso waren sie so scharf auf Raritäten, unabhängig von ihrem komerziellen Wert?
„Ich war eigentlich besonders an schwarzer amerikanischer Tanzmusik interessiert. Ich weiss gar nicht so genau, woher diese Faszination rührte. Auf jeden Fall war es ein guter Weg, die USA zu erfahren, und nebenher eine Art musikalische Erziehung zu erhalten.“
Sie sagten einmal: man kann dieselbe Faszination für eine Jazzplatte aus den 50er Jahren empfinden wie für ein modernes Tanzalbum. Man muss es nur in der richtigen Weise präsentieren. Können Sie diesen Gedanken etwas ausführen?
„Es ist meine eigene Erfahrung, dass ich die Musik einer anderen Kultur und einer anderen Zeit genauso genießen kann, wie Musik aus dem heutigen England. Hermann Hesse kann für einen 16-jährigen englischen Jugendlichen genauso spannend sein wie ein brandneuer Roman. Es geht halt um die Weise, wie man eine Umgebung präsentiert, die sich außerhalb deiner eigenen, gewohnten Kultur befindet. Und das ist die Freude daran, eine Plattenfirma wie Soul Jazz Records zu haben.“
Soul Jazz Records ist berühmt geworden für all die immer noch sprudelnden Veröffentlichungen aus dem legendären Archiv des Studio One von Sir Coxsone Dodd. Können Sie etwas erzählen von ihrer Beziehung zu Coxsone, und zu ihren Kämpfen gegen die „englische Reggaepolizei“?
„(lacht) Ja, das ist wahr. Unsere Beziehung begann vor etwa 10 Jahren – wir sagten ihm, dass wir gerne mit ihm zusammenarbeiten würden, und sandten Coxsone eine Sammlung unserer Arbeiten. Er mochte es, daß wir kein reines Reggae-Label waren, sondern alle möglichen Genres von Musik im Programm führten. Nicht zuletzt Jazz und Soul – diese Musik liebte er sehr! Er gab erst mal sein Ja für ein Projekt. Ich traf ihn in New York, und das führte mit der Zeit zu einer Freundschaft – und zu Reisen nach Jamaika. Er gab uns auch grünes Licht für einen Film! Von da an haben sich die Dinge stetig weiterentwickelt. Und was die etwas sarkastische Bemerkung von der „Reggae Polizei“ betrifft – nun, die Wege, die Soul Jazz Records ging , waren in den frühen Jahren ziemlich gewöhnungsbedürftig für viele Leute. Uns ging es ja darum, Verbindungen aufzuzeigen zwischen Reggae, Soul- und Funkmusik! Und was jetzt ziemlich offensichtlich erscheint, löste vor gut zehn Jahren noch ziemlich viel Befremden aus. Und viele Leute, die mit ihrer Liebe zum Reggae aufgewachsen waren, hatten da eigene Empfindsamkeiten entwickelt. Und die richteten sich gegen unsere Vorgehensweisen. Da gab es einige Reibereien, und das war auch ein Generationenproblem!“
https://www.youtube.com/watch?v=2AEwK0Gyd4o
„Die Reggaemusik hat ja oft ein sehr verklärtes Sonnenschein-Image. Aber die Wahrheit war eine andere: Berühmte Sänger wurden ermordet; Armut machte sich breit, Wohlstand war kaum zu erlangen, wenn man keinen „dicken Vertrag“ von großen Labels aus England bekam. Wieso, denken Sie, strahlen diese alten Reggaeklänge heute noch für viel eine eigen Magie aus? Es ging ja um eine Musik, die oft mit alten defekten Maschinen erzeugt wurde….“
„Ich denke nicht, dass Reggae einfach nur eine Emotion verkörpert. Es hängt von der jeweiligen Zeit ab: „Ska“ war sehr turbulent und aufregend, spiegelt die Unabhängigkeit und die eigenen Wurzeln; in den 70ern wurde der Reggae nicht melancholischer, aber teilweise dunkler. Wieder spiegelte die Musik die Zeit, aber, wie bei aller Musik, die ich mag, kam hier stets etwas Rohe und Raues zum Vorschein, etwas Ungeschliffenes. Diese Reggae ist sehr roh, und das kommt bei den alten Aufnahmen sehr klar zum Ausdruck.“
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