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Archives: Reggae

 

1997

 

Ein später Nachmittag im Dezember. Nach einem Besuch in den Plattenläden der Zossener Straße muss ich zu Fuß zum Karstadt am Herrmannplatz gehen. Zwei Kilometer, der Wind weht mir den strömenden Regen entgegen, Winter in Berlin. Aus Sorge, dass die Cover trocken bleiben, falte ich den oberen Rand der dünnen Plastiktüte um und drücke die Platten fest an mich. So trage ich „Brand“ von Keith Hudson durch den Winterregen. Die Spuren jenes Tages, die Öffnung ist leicht gewellt, zwei Ecken eingeknickt, haben inzwischen Gesellschaft bekommen: die Rundung der Schallplatte zeichnet sich auf dem Cover ab, die Kanten sind abgescheuert, die weiße Hintergrundfarbe auf der Rückseite gelblich verfärbt. Die Musik verströmt für mich noch dieselbe Magie wie vor 23 Jahren. Leider habe ich nie wieder eine LP von Keith Hudson in einem Laden gesehen. Besonders gerne hätte ich das düstere Sinners auf Vinyl (auf „Brand“ immerhin in einer Dub Version enthalten). Keine Ahnung, was ich an dem Tag noch gekauft habe und ob das jemals so wichtig war, wie diese reduzierten und rhythmischen Klänge.

 
 

1999

 

Frühjahr. Mein Mitbewohner hat Besuch aus den USA, zwei Freizeit Techno DJs aus Kalamazoo, Michigan, die unbedingt bei Hardwax Technoplatten kaufen wollen. Am Abend hocken sie bei mir im Zimmer und hören lautstark ihre neuerworbenen Schätze: harte Beats im 4/4 Takt, immer auf die zwölf, eine dicht gedrängte, hektische Klangkulisse. Mir fehlen Raum und Weite, meine Gedanken verklumpen, das Sprachwirrwarr aus Deutsch und Englisch tut sein übriges, ich werde ruhiger und freue mich, als alle zum Ausgehen aufbrechen. Vor dem Aufräumen lege ich mein neues Album auf, „Forward the Bass“ von den Impact Allstars. Gitarre und Saxophon sind kaltes klares Wasser an einem heißen Tag, die weiträumige Produktion lässt Luft zum Atmen, der Bass beruhigt, angedeutete oder verfremdete Sounds erzeugen einen inneren Klangraum, manchmal scheinen sich rätselhafte Muster in den Songs zu verbergen – meine Welt kommt wieder in Fluß.

 

Das waren noch Zeiten, als,  gerade mal 10 Minuten von meiner Haustür entfernt, die Platten, Bücher und CDs von Soul Jazz Records promoted wurden. Alle paar Wochen ging ich da vorbei, und kam mit neuem Stoff aus dem Hauptquartier des Labels von Stuart Baker nach Hause: die Roots Reggae-Fundgrube von Sir Coxsone Dodd schien unerschöpflich, aber es gesellten sich auch brilliante Kompilationen aus Brasilien, der New Yorker-Noise-Szene und anderen historischen Quellen hinzu. in letzten Jahren finden sich da auch viele brandaktuelle Produktionen aus der Dub-Step-Szene Britanniens, eine Musik, mit der ich allerdings nicht wirklich warm werde. Also kehrte ich immer wieder zu den „Perlen“  zurück: wilder, nie gehörter Jazz aus den 60er Jahren, herrlich ungezähmt, aber auch kubanische Ritualtrommeln und  harsche Elektronik aus New Wave-Zeiten. SoulJazz Records ist bis heute eine Bereicherung für meine Sendungen im Deutschlandfunk geblieben. Vielleicht macht Sie dieses kleine Interview (das seinerzeit als „Corsogespräch“ über den Äther ging) neugierig,  sich mal auf der Homepage von SJR umzuhören.

Tropicalia - A Brazilian Revolution in Sound

Woran arbeiten sie gerade in ihrem Büro in Soho?

  „Wir arbeiten an einem Buch mit dem Titel „New York Noise“ – ein Buch über die New Yorker Musik- und Kunstszene der 80er Jahre, mit Bildern von vielen Protagonisten  und mit Texten, etwa  von David Byrne oder  Cindy Sherman.  Und da nähert sich die Deadline, heute muss der komplette Text in die Post gehen!  Zudem beende ich gerade die Begleitexte für unsere zweite  „Tropicalia-Compilation“, die brasilianische Musik in den Siebzigern!  

In früheren Jahren zogen sie ja länger durch die USA,   im mit der Musik im Blickfeld. Wieso waren sie so scharf auf Raritäten, unabhängig von ihrem komerziellen Wert?

 „Ich war eigentlich besonders an schwarzer amerikanischer Tanzmusik interessiert. Ich weiss gar nicht so genau, woher diese Faszination rührte. Auf jeden Fall war es ein guter Weg, die USA zu erfahren, und nebenher eine Art musikalische Erziehung zu erhalten.“ 

Sie sagten einmal: man kann dieselbe Faszination für eine Jazzplatte aus den 50er Jahren empfinden wie für ein modernes Tanzalbum. Man muss es nur in der richtigen Weise präsentieren. Können Sie diesen Gedanken etwas ausführen?

 „Es ist meine eigene Erfahrung, dass ich die Musik einer anderen Kultur und einer anderen Zeit genauso genießen kann, wie Musik aus dem heutigen England. Hermann Hesse kann für einen 16-jährigen englischen Jugendlichen  genauso spannend  sein wie ein brandneuer  Roman. Es geht halt   um die Weise, wie man eine Umgebung präsentiert, die sich außerhalb deiner eigenen,  gewohnten   Kultur befindet. Und das ist die Freude daran, eine Plattenfirma wie Soul Jazz Records zu haben.“ 

Soul Jazz Records ist berühmt geworden für all die immer  noch sprudelnden Veröffentlichungen aus dem legendären Archiv des Studio One  von Sir Coxsone Dodd. Können Sie etwas erzählen von ihrer Beziehung zu Coxsone, und zu ihren Kämpfen gegen die „englische Reggaepolizei“?

 „(lacht) Ja, das ist wahr. Unsere Beziehung  begann vor etwa 10 Jahren – wir sagten ihm, dass wir gerne mit ihm zusammenarbeiten würden,  und  sandten Coxsone eine Sammlung unserer Arbeiten. Er mochte es, daß wir kein reines Reggae-Label waren, sondern alle möglichen Genres von Musik im Programm führten. Nicht zuletzt  Jazz und Soul – diese Musik liebte er sehr!  Er gab erst mal sein Ja für ein Projekt. Ich traf ihn in New York, und  das führte mit der Zeit zu einer Freundschaft – und zu Reisen nach Jamaika. Er gab uns auch grünes Licht für einen Film!  Von da an haben sich die Dinge stetig  weiterentwickelt. Und was die etwas sarkastische Bemerkung von der  „Reggae Polizei“ betrifft –  nun, die Wege, die Soul Jazz Records ging , waren in den frühen Jahren ziemlich gewöhnungsbedürftig für viele Leute. Uns ging es ja darum, Verbindungen aufzuzeigen zwischen Reggae, Soul- und Funkmusik! Und was jetzt ziemlich offensichtlich erscheint, löste vor gut zehn Jahren noch ziemlich viel Befremden aus.  Und viele Leute, die mit ihrer Liebe zum Reggae aufgewachsen waren, hatten da eigene Empfindsamkeiten entwickelt.  Und die richteten sich gegen unsere Vorgehensweisen. Da gab es einige Reibereien, und das war auch ein Generationenproblem!“  

https://www.youtube.com/watch?v=2AEwK0Gyd4o

„Die Reggaemusik hat ja oft ein sehr verklärtes Sonnenschein-Image. Aber die Wahrheit war eine andere: Berühmte Sänger wurden ermordet; Armut machte sich breit, Wohlstand war kaum zu erlangen, wenn man  keinen „dicken Vertrag“ von großen Labels aus England bekam. Wieso, denken Sie, strahlen diese alten Reggaeklänge heute noch für viel eine eigen Magie aus?  Es ging ja um eine Musik, die oft mit alten defekten Maschinen erzeugt wurde….“ 

 „Ich denke nicht, dass Reggae einfach nur eine Emotion verkörpert. Es hängt von der jeweiligen Zeit ab: „Ska“ war sehr turbulent und aufregend, spiegelt die  Unabhängigkeit und die eigenen Wurzeln; in den 70ern wurde der Reggae nicht melancholischer, aber teilweise dunkler.  Wieder spiegelte die Musik die Zeit, aber, wie bei aller Musik, die ich mag, kam hier stets   etwas Rohe und Raues zum Vorschein, etwas Ungeschliffenes. Diese  Reggae ist sehr roh, und das kommt bei den alten Aufnahmen sehr klar zum Ausdruck.“

Studio One Classics

https://www.souljazzrecords.co.uk/index.php

 


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