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Archives: Janis Joplin

 

Liebe Uschigestern sassen wir (also du natürlich nicht) hier noch zu dritt am Frühstückstisch, und Annelie und ich stellten fest, wie wenig wir Romane in Briefform mögen, nicht mal reale Briefwechsel zwischen noch so geschätzten oder berühmten Personen. Manchmal verhindert die Form allein den Zugang. Aber so ab und zu einen Brief einstreuen, das hat was. Vieles aus unseren Würzburger Jahren liegt in warmen Nebel gehüllt, der manchmal aufklart, und sich dann wieder dem fragmentierten und fabulierenden Charme früher Kindheitserinnerungen nähert. Die folgende kurze Geschichte ist so wahr wie sie nur wahr sein kann, aber mit einigen Unschärfen behaftet, die ich durch den flow der Sprache auszugleichen versuche. Sie spielte sich ab, in der Zeit zwischen dem denkwürdigen ersten Statistikseminar bei Armin Rausche (the first time i ever saw your face (Roberta Flack-style, the only memory here on solid ground), und jener Fahrstuhlfahrt im I-Haus, als ich mich in meine zukünftige Verlobte verliebte. Ich tippe auf das zweite Semester Psychologie. Nun kommen zwei Personen ins Spiel, die ich überhaupt nicht gut unterbringen kann. Er war deutlich älter und wohl schon in der zweiten Hälfte des Psychologiestudiums angelangt. Jahrzehnte später hatte er eine Praxis in Dortmund (er kam, glaube ich, mich dunkel zu erinnern, wie ich aus dem Pott), und ich war überrascht, dass ich auf Anhieb seinen Namen auf dem Praxisschild am Alten Markt wiedererkannte. Nebenbei, ich erzähle hier mit Punkt und Komma, aber ohne Absätze, so dass nur die ganz Hartnäckigen das Verfolgen dieser Zeilen nicht aufgeben. Ich sah ihn später im Fernsehen, in der Lokalzeit von WDR 3, wo er einmal die kriselnde Gruppendynamik des BVB kommentierte. Die andere Person war ein Botticelli-Engel, blond, hinreissend, Augen wie Mondseen, zart, grazil, und alles andere als mein (androgyner) Urtyp. Ich weiss überhaupt nicht mehr, wo ich sie erstmals sah, was sie studierte (Pädagogik?), aber bis heute sehe ich ihr blond gelocktes Haar in frühlingswarmer Luft leuchten. Wäre dieser Brief eine Playlist, würde ich jetzt einen Song aus Joni Mitchells „Blue“ auflegen. Das, was jetzt kommt, ist tollkühn und banal, ein Ausreisser aus meinen damaligen Liebesgeschichten, die  gerne mit längerer Träumerei aus sicherer Distanz bzw. romantischer Ferne begannen, und mitunter auch so aufhörten. Anders als in späteren Jahren war ich noch recht schüchtern, und gewöhnt, eigene Unsicherheiten in grösseren Zusmmenkünften mit einem gern bereitgestellten Lächeln zu kompensieren. Hier aber schaltete ich in den Aktions-Modus um. Ich war fraglos verliebt, ich hatte, als psychosomatisches Korrelat dafür, ein seltsames Ziehen in einzelnen Fingergelenken, weitaus weniger poetisch als die  mir unbekannten, vielzitierten „Schmetterlinge im Bauch“. Jedenfalls wusste ich bald, wo sie wohl mit dem erfahrenen, älteren Studenten mit Schnauzbart lebte, wahrscheinlich war es sogar sein Haus. In meiner Erinnerung war es ein himmelblauer Tag, ich hatte mir einen zugegeben sehr kleinen Plan zurechtgelegt, der allein darin bestand, ihr ohne  viel Herzklopfen vorzuschlagen, einmal gemeinsam mit mir zu frühstücken, im Cafe Michel, im Zentrum unserer damaligen Stadt der Träume und Engel. Tatsächlich kellnerte dort eine junge Frau namens Petra, mit der ich Jahrzehnte später in Kiel…. ich schweife ab. Und jetzt also der Showdown: zu dem Haus führte ein Gartentor, das ich öffnete und hinter mir schloss, ich wusste weder, ob ihr Freund oder sie selber zuhause war. Als ich klopfte, öffnete mein Botticelli-Engel die Tür und blickte mich verwundert an. Wahrscheinlich sagte ich Sätze wie „Wir kennen uns“, oder „Darf ich eintreten“. Ich verkniff mir also solch romantischen Unsinn wie ihr ein besonders ausgefuchstes Liebesgedicht zu überreichen, um dann möglichst elegant den Rückzug zur Gartenpforte anzutreten. Sie bat mich herein, in eine Küche, die in warmen Holztönen gehalten war, und an einem grossen Eichentisch nahm ich Platz. Ihr Blick reine Verwunderung. Sie bereitete einen Tee zu, und ich habe keine Ahnung, wie wir diese ersten Minuten mit Wörtern füllten, bis auf einmal ihr Freund auftauchte, aus einem hinteren Zimmer, und sich scheinbar souverän und ruhig dazugesellte. Nach meiner halblaut vorgetragenen, wohl jetzt recht dreist rüberkommenden Frühstücksidee, lächelte sie unsicher und gab mir zu verstehen, dass der Mann hier, Rolf nämlich, ihr Lebensgefährte sei. Ich hatte keinerlei Argumente mehr, und auch keine Ideen. Leicht betretene Stille. Nach der Tasse Tee verabschiedete ich mich freundlich, und sah sie nie wieder. Ich glaube, der Liebeskummer war nur sehr kurz, und es wäre übertrieben, wenn dieser Brief eine Playlist wäre, nun „Nobody Loves You When You’re Down And Out“ von Janis Joplin und Jorma Kaukonen aufzulegen. Eher passend: „Cloud Dancing“ von The Roches. Als ich in einem späteren Leben in Dortmund auf das Praxisschild ihres damaligen Partners stiess, überlegte ich kurz, ob ich mal reinschneien sollte, aber liess es bleiben. Samsara. Es erschien mir  alles, was ich erträumt hatte, bereits damals unheimlich fern, als ich die Gartenpforte zum zweiten Mal schloss. Würdest du mich nach ihrem Namen fragen, würde ich ins Grübeln kommen und Friederike sagen, oder Erika, oder Susanne. Es gibt noch eine Geschichte, mit einem weiteren Botticelli-Engel (so viele trifft man nicht in einem Leben), und jene andere Story aus dem Bahnhof Langendreer verlief noch um einiges absurder, aber auch melodramatischer. (Das nenne ich mal einen cliffhanger.) Ein andermal. Liebe Grüsse, Michael!

 

 
 
Dies ist die nunmehr sechste Janis-Joplin-Biographie in meinem Bücherregal, erschienen im Oktober letzten Jahres. Da inzwischen nun wirklich keine Neuigkeiten mehr aus dem Leben der Sängerin herauszupressen sind, schon gar keine sensationellen, hat die Autorin Holly George-Warren in erster Linie die allseits bekannten Stationen aus Janis‘ Leben nachgearbeitet und sie dabei neu gewichtet.

So unoriginell wie der Titel ist die Vorgehensweise der Autorin. Vielleicht gerade deshalb gelingen ihr gelegentlich Perspektiven, die so noch nicht beschrieben worden sind. Ein Schwerpunkt liegt auf Janis‘ Kindheit und Jugend und ihrem Verhältnis zu Geschwistern, Eltern und Mitschülern. Dass sie zeitlebens versucht hat, ihre Eltern davon zu überzeugen, dass sie mit ihrer Entscheidung, nach San Francisco und zu BBHC zu gehen, den richtigen Schritt getan hatte, zieht sich durch viele Briefe, aus denen die Autorin zitiert. Dass dabei ihre objektive Situation nicht immer dem entsprach, was sie ihren Eltern erzählte, wird hier sehr deutlich. Janis‘ Talent, andere vor den Kopf zu stoßen, ihr ständiger Alkohol-, Pillen- und Heroinkonsum, ihre dauernden Versuche, damit aufzuhören und es doch nicht zu schaffen, ebenso ihr ständiger Fight mit diversen Sex- und Liebesabenteuern: das alles wird in diesem Buch nicht anekdotisch am Rande abgehandelt, sondern in zum Teil epischer Breite als die lebensbestimmenden Faktoren, die sie wohl waren. Gleichwohl bin ich nicht davon überzeugt, dass alle, die heute behaupten, mit Janis geschlafen zu haben, das wirklich getan haben. Es ist nun mal nicht mehr überprüfbar.

Es ist dies die erste Joplin-Bio, in der wirklich detailliert auf die Geschichte ihrer verschiedenen Bands eingegangen wird. Dass Janis‘ Ausnahmetalent die Jungs von Big Brother & The Holding Company überforderte, kann jeder hören, der Ohren hat. Das wusste Janis auch selbst. Gleichzeitig aber war die Band für sie so etwas wie ein sicherer Hafen. Die Band hielt zusammen wie Pech und Schwefel, und Janis sah sie als eine Art Familie an. Um sie endlich dazu zu bringen, BBHC zu verlassen und eine eigene Band zu gründen, brauchte es eine starke Vaterfigur, in diesem Fall ihren Manager Albert Grossman. Und selbst das tat sie nicht, ohne Sam Andrew aus BBHC mitzunehmen. Das führte wiederum zu Schwierigkeiten mit den erstklassigen Musikern ihrer Kozmic Blues Band, mit deren Fähigkeiten Sam nicht mithalten konnte. Und Janis selbst stellte schon bald fest, dass es ihr nicht lag, eine Band zu führen. Genau das aber hätte sie tun müssen; die Kozmic-Blues-Leute konnten zwar alles spielen, was man von ihnen verlangte, aber man musste ihnen genau sagen, was sie spielen sollten. Auch das Publikum akzeptierte die neue Band und den souligen Sound nicht so ohne weiteres. Und so erfahren wir dann auch, wie Janis an ihre dritte und beste Band kam, die dann den Namen Full Tilt Boogie Band annahm.

Nebenher wird beschrieben, wie BBHC einen sehr dummen Knebelvertrag mit dem Jazzlabel Mainstream Records abschloss, aus dem sie schließlich von Columbia Records mit 200.000 Dollars herausgekauft wurden — damals eine ungeheure Summe, die ahnen lässt, welche Hoffnungen Labelboss Clive Davis in Janis gesetzt haben muss. Aber auch ihm war klar, dass Janis das nicht mit BBHC schaffen würde, und so wirkte er hinter den Kulissen auf Grossman ein. Gelegentlich tauchen dabei auch Widersprüche zu früheren Biografien auf; etwa über die Story des Songs „Mercedes Benz“ oder das Zustandekommen des namens „Pearl“ — ich kenne da inzwischen drei Varianten. Das Buch erweckt auch den Eindruck, dass Janis kaum jemals allein gewesen ist; immer waren irgendwelche Leute, Lover oder Musiker um sie herum, immer sollen auch Southern Comfort oder sonstwelche Mittelchen im Spiel gewesen sein; gleichzeitig aber wird geschildert, dass sie ständig mit einem großen Stapel Bücher reiste und viel und konzentriert gelesen haben soll. Das geht schlecht zusammen; es verträgt sich auch nicht mit Janis‘ überlieferter Klage, „On stage, I make love to 25,000 different people, then I go home alone„. Und wie war das nun mit ihrem Tod — hat da noch jemand etwas aus ihrem Hotelzimmer entfernt oder nicht? Auch hier gilt: Es ist nicht mehr überprüfbar.

Es sind die kleinen Randgeschichten und Anekdoten, die das Buch interessant machen auch für Leute, die schon andere Janis-Biografien kennen. Pflichtlektüre ist es nicht, aber sauber recherchiert ist es, und im Zusammenhang mit anderen Janis-Biografien ergibt sich ein insgesamt stimmiges Bild einer einmaligen, aber hochgradig zerrissenen Persönlichkeit, die wohl immer auf der Suche war, aber selbst nicht wussste, wonach.

 

Holly George-Warren
Janis — Her Life And Music
Simon & Schuster 2019,
ISBN 9-781476-793108

 

 
 
 
Ein neues Album von Janis Joplin! Ein Doppelalbum sogar! Yay!

Na gut. Die Story des Cheap Thrills-Albums ist wahrscheinlich bekannt: Big Brother & The Holding Company (der Name ist bis heute seiner Zeit voraus) hatten sich im Studio so oft verspielt, dass der Produzent letztlich auf die Idee verfiel, Publikumsgeräusch dazuzumischen und das Ganze als Live-Album auszugeben. Dort würden die Fehler glatt als „authentisch“ durchgehen. Einzig „Ball And Chain“ war eine wirkliche Live-Aufnahme, aufgenommen im Fillmore in San Francisco. Wenn mich nicht alles täuscht, ist der für den Rest der Platte verwendete Beifall derselbe, der auch für das (ebenfalls gefakte) Live-Album der 13th Floor Elevators von 1968 eingesetzt wurde.

Columbia hat damals weder das ursprünglich vorgesehene Coverfoto

 
 
 

 
 
 

noch den eigentlich beabsichtigten vollen Titel des Albums akzeptiert. So ließ man es denn bei Cheap Thrills, und Janis Joplin höchstpersönlich bat Robert Crumb um einen Comic, den dieser mit Freuden lieferte. Und weil er so schön war, kam er aufs Frontcover. Auf die ihm angebotenen 600 Dollar verzichtete Crumb: „I don’t want Columbia’s filthy lucre“. Wer sich’s denn leisten kann …

 
 
 

 
 
 

Weil Crumb davon ausging, dies solle das Backcover werden, visualisierte sein Comic die einzelnen Titel des Albums und nennt die Musiker. Eine der Zeichnungen war mit „Harry“ beschriftet. Das war der Titel eines sehr kurzen und sehr schrägen Stücks, das die Seite 2 eröffnen sollte. Da die Plattenfirma dieses Stück ebenfalls rauswarf, wurde im Nachhinein „Harry“ aus der Zeichnung entfernt und „Art: R. Crumb“ eingefügt. (Crumb selbst hat seine Zeichnungen nie signiert.) — Das Original des Comics übrigens ist 1971 aus dem Columbia-Archiv geklaut worden, wohl von einem Mitarbeiter. Zwölf Jahre später wurde es bei Sotheby’s für 250.000 Dollar versteigert; das Auktionshaus hat den Verkäufer nie bekanntgegeben.

Nun ist „Harry“ wieder da. Diesmal unter dem vollständigen Originaltitel des Albums, für das vorgesehene Originalfoto allerdings mochte man sich aber auch diesmal nicht entscheiden. (So originell war’s auch wirklich nicht.) Zweieinhalb Stunden Outtakes und Live-Mitschnitte aus der Cheap Thrills-Ära gibt es zu hören — 30 Stücke insgesamt, davon 25 bislang unveröffentlicht, fünf erschienen bereits als Bonustracks auf anderen Zusammenstellungen oder Re-Issues. In vielen Fällen, so ehrlich sollte man sein, erschließt sich recht schnell, weshalb das Stück ein Outtake geworden ist. Spielfehler, falsche Noten, Abbrüche und Aussetzer kommen immer mal wieder vor. Es wird (wieder einmal) klar, dass BBHC zwar eine für damalige Normalverhältnisse brauchbare Band war, mit Janis‘ Ausnahmetalent aber schlicht überfordert war. Auch Janis scheint nicht in allen Stücken bei 100 Prozent zu sein, dafür übertreibt sie in anderen Stücken mit voll durchgetretenem Gaspedal. Aber die meisten Stücke sind hörenswert. Und überhaupt: 80 Prozent Joplin sind immer noch mehr als das meiste, was heute gern mal als „neue Joplin“ gehandelt wird. Es bleibt dabei: Es gibt nur eine.

Das Booklet beinhaltet einen kurzen Gruß von Grace Slick und einen längeren Text von BBHC-Drummer Dave Getz, der einiges an interessanten Hintergrundinformationen liefert.

2016 6 Mai

Janis: Little Girl Blue

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Ami Bergs neuer Dokumentarfilm über Janis Joplin, Janis: Little Girl Blue, hatte vor zwei Tagen seine amerikanische Fernsehpremiere und steht für die nächsten paar Wochen online bei PBS (leider vermutlich nicht ausserhalb der USA).

Um es vorwegzunehmen: Viel Neues bietet der Film nicht. Aber damit war wohl auch kaum zu rechnen. Es gibt nur wenige US-Stars, deren Werk und Nachlass so systematisch in kleinen Portionen in Büchern, Booklets und Zeitschriftenartikeln, auf immer wieder neuen CD-Kollektionen und neuerdings auch auf der Musicalbühne verhackstückt worden ist wie das Janis Joplins. Und noch immer hält die familieneigene Stiftung den Daumen auf allem, was von Interesse sein könnte. Wer die Janis-Biografien von Alice Echols, Myra Friedman, Ingeborg Schober und Janis‘ Schwester Laura Joplin gelesen hat, kennt die meisten der verfügbaren Informationen und Quellen, weiß aber auch, wie unklar und weitläufig interpretierbar sie sind. Besonders die Biografien Echols und Friedmans tragen allzu deutlich die Spuren des Versuchs, Janis für die politischen oder weltanschaulichen Vorlieben der Autorinnen zu vereinnahmen. Janis, behaupte ich, würde sich das energisch verbeten haben.

Diesen Fehler immerhin macht der Film nicht. Er verlässt nur kaum je das amerikanische Fernsehlevel, er bleibt also stets dicht an der Oberfläche. Dabei hätte er mit einer Laufdauer von 105 Minuten Zeit genug gehabt, auch mal weiter in die Tiefe zu gehen. Neben viel Archivmaterial, das man längst kennt (Studio, Woodstock, Monterey, Festival Express), gibt es auch relativ neue Interviewschnipsel mit ihren Bandmates Peter Albin, Dave Getz und dem (inzwischen verstorbenen) Sam Andrew, mit Bob Weir von Grateful Dead, Country Joe McDonald, Kris Kristofferson, Fernsehmann Dick Cavett, dem damaligen CBS-Boss Clive Davis sowie dem Filmemacher DA Pennebaker. Auch Freunde, Liebhaber und Verwandte tauchen auf; manchmal haben sie sogar etwas Interessantes zu sagen. Viel hat Janis auch von ihrem Produzenten Paul Rothchild gelernt, doch der ist leider nicht mehr zu interviewen.

Meist wird Janis getreu ihrem Klischeebild als emotionsgesteuertes Powerpaket dargestellt, das ständig von ihrem eigenen Überschwang davongetragen wurde. Dass ihr Gesang in Wahrheit sehr genau ausgetüftelt und bis in kleinste Verzweigungen ihrer stimmlichen Möglichkeiten erforscht, ausprobiert und einstudiert war – kein Wort davon in diesem Film. Dass Big Brother & The Holding Company eine passable Band war, soll nicht bezweifelt werden. Für Janis war sie ein guter Start. Dennoch musste Janis die Band verlassen, weil sie auf die Dauer dort mit ihrem Ausnahmetalent verhungert wäre. Meiner Ansicht nach eine konsequente und richtige Entscheidung. Der Film jedoch stellt sie als Fehlentscheidung dar, weil Janis mit der Band auch so etwas wie ihre Familie und damit ihren emotionalen Rückhalt aufgab. Man kann das so sehen, und sicher ist das ein Teil des emotionalen Chaos, das Janis wohl eigen war.

Weshalb dann die von Janis selbst zusammengestellte Kozmic Blues Band nicht funktionierte, macht der Film immerhin ansatzweise klar: Weil die Band aus Musikprofis bestand, die alles spielen konnten, was man von ihnen wollte, denen man aber genau sagen musste, was sie spielen sollten. Diese Führungsrolle war nicht Janis‘ Ding. Dass noch dazu die damals soultypischen Bläsersätze ihre Stimme erdrückten, muss sie selbst gemerkt haben. Wie Janis dann an die überwiegend kanadischen Musiker ihrer Full Tilt Boogie Band kam (ihrer zweifellos besten), wird leider gar nicht erklärt. Auch ihr Spielchen mit der Kunstfigur „Pearl“, die sie sich – vermutlich für die Bühne – ausgedacht hatte, bleibt unerwähnt und ungeklärt. (Nein, „Pearl“ war nicht, wie immer wieder behauptet wird, Janis‘ Spitzname.)

In einigen Interviewausschnitten mit Janis kommt bei aller Oberflächlichkeit des Films trotzdem durch, dass sie eine hochintelligente Person war. Mit ihr konnte man über Musik und Kunst ebenso fundiert wie über politische oder soziologische Fragen diskutieren, sie hatte die amerikanischen Systemtheoretiker ebenso gelesen, wie sie Adorno oder Sartre an Bord hatte. Die Präzision und Überlegtheit, mit der sie Fragen beantwortet, ist oftmals bemerkenswert. Sie kannte Odetta und Billie Holiday bis ins Detail, ebenso aber auch Strawinsky oder Ligeti. Zeitlebens muss diese Frau darunter gelitten haben, dass das keiner von ihr hören wollte, ja, mehr noch: dass keiner ihr diese Kenntnisse überhaupt zutraute. Der Film geht auf diesen Aspekt kaum ein. Deswegen bleibt es letztlich auch rätselhaft, weshalb sie weder vom Alkohol noch vom Heroin dauerhaft loskam – der Film erklärt den Drogenkonsum durchweg mit jugendlichem Rebellentum, der emotionalen Leere nach den Auftritten und der Einsamkeit in den Hotelzimmern. Sicherlich nicht verkehrt, aber mir ein bisschen zu dünn.

Alles in allem ist Janis: Little Girl Blue kein schlechter Portraitfilm über eine sehr vielschichtige Persönlichkeit. Wer wenig über Janis Joplin weiß, erfährt hier einiges zum Einstieg. Aber man hätte mehr daraus machen können.

 
 

 
 
 
On view for two days at the Pittsburgh Vintage Grand Prix.
 
 
 

 
 
 
Her Porsche 956c Cabriolet, built in 1965.
 
 
 

 
 
 
Painting was done by Dave Richards, one of the Big Brother roadies.
 
 
 

 
 
 
Next year I would like to see Joe Meek’s Sunbeam here.
 
 


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