Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

You are currently browsing the blog archives for the tag ‘Bilder einer Ausstellung’.

Archives: Bilder einer Ausstellung

Als N mich fragte, ob ich mit ihr in die Ausstellung gehen würde, sagte ich sofort zu, ohne zu recherchieren. Nicht, dass ich eine großartige Museumsbesucherin wäre, aber ich fand die Vorstellung, etwas gemeinsam zu erleben, besser als die, sich – vergleichsweise abstrakt – in einem Café zu treffen. Ich kannte N nicht wirklich. Wie man einen Menschen kennt, dessen Texte man liest. Nein, nicht Texte, sondern Gedichte. Wenn ich ein paar Gedichte von jemandem gelesen habe, habe ich ein ziemlich gutes Gespür für den Menschen, auch ohne ihn je gesehen oder mit ihm oder ihr gesprochen zu haben.

 

Gehst du oft ins Museum?

Eher, wenn ich in einer anderen Stadt bin.

 

Gemälde sind Farbe, Skulpturen sind Form. So bringen wir es gewöhnlich auf den Punkt. Anliegen der Ausstellung ist es, diese Fehleinschätzung zu widerlegen. Dafür wurden Exponate aus mehreren tausend Jahren Menschheitsgeschichte zusammengetragen. Altägyptische Skulpturen stellen wir uns schon eher vergoldet und mit Blau-, Rot- oder Brauntönen verziert vor. Verwirrend ist es aber, den Köpfen griechischer oder römischer Statuen mit farbigen Augen aus Glas zu begegnen. Dass uns sogenannte veristische Elemente in Skulpturen so wenig vertraut sind, hat auch damit zu tun, dass über die Jahrhunderte hinweg immer wieder die Elemente, die den Skulpturen mehr Realitätsbezug geben sollten (wie Echthaar und Glasaugen) entfernt wurden, wie die ausführlichen Beschriftungstexte erläuterten.

Telefonieren ist hier nicht erlaubt. Wasser trinken auch nicht! Sie können gern die schriftliche Benutzungsordnung lesen. Außerdem ist ein Sicherheitsabstand von 1,23 Metern zu den Exponaten einzuhalten. Ähem, ja, das war unser Fehler. Es wird ganz bestimmt nicht mehr vorkommen. Gleichzeitig waren N und ich zu Delinquentinnen geworden und künftig warf der Wachmann sein strenges Auge bevorzugt auf uns.

Und natürlich das Mittelalter. Es sind Kultbilder. Weniger religiös ausgedrückt: Gedächtnisbilder. Die Wirkung von Azoritblau. Wir näherten uns der Gegenwart, sahen die Poren der Haut in den Gesichtern. Ein bisschen Schmutz unter den Fingernägeln. Überhaupt: Hände, Füße, und die kleinen Falten darin, Zehen, Fingernägel, das sind Kunstwerke. Barthaare, jedes einzelne sichtbar. In einer Vitrine ein Exponat von Ron Mueck. „Man in a sheet“. Fast erschreckend real, in sich gekehrt, ganz bei sich oder resigniert? Sofort denkst du darüber nach, welchen Anteil du von ihm hast. Er löst selbstverständlich andere Gefühle aus, als der griechische Boss der Götterwelt, Zeus. Denn darum geht es immer in der Kunst: Um die Begegnung mit uns selbst.

 
 
 

 
 
 

Plötzlich stand ich in einem etwas separaten Raum neben einer vollkommen nackten Frau. Es war irritierend und ich dachte an den allgemein einzuhaltenden Sicherheitsabstand von 1,23 Metern.

 

Es ist nicht voyeuristisch, weil das Licht stimmt.

Ja.

Ich finde sie nicht wirklich erotisch. Sie schaut so streng und sie hat ihr Haar im Nacken zusammen.

Ich mag sie auch nicht.

 

Wir hatten geflüstert. Vor dem Exponat mit der stärksten Wirkung flüsterten wir auch. Ein Mann Anfang Vierzig hält seinen verstorbenen nackten Vater im Arm. Ein stilles Bild. Ein Gedächtnisbild. Da wurde etwas weitergegeben.

 
 

Ausstellung: Die große Illusion. Veristische Skulpturen und ihre Techniken
Liebighaus, Frankfurt am Main, bis 1. März 2015


Manafonistas | Impressum | Kontakt | Datenschutz