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Archives: Albatros

Die Einladung kam von einem alten Bekannten, Jochen Dierschke arbeitet seit langem am Institut für Vogelforschung. Und da ich eh auf dem Weg in den Norden war, kam mir der Abstecher nach Helgoland gelegen. Es war der zweite Hubschrauberflug meines Lebens, und vor Aufregung liess ich gleich mal meine Arbeitstasche in dem kleinen Büro am Startplatz liegen. Hier auf Helgoland ist gerade eine Hochzeit für Ornithologen, eine mir recht fremde Berufssparte, die mir just aber auch bei der Lektüre von Robert Macfarlanes KARTE DER WILDNIS begegnete. Wir näherten uns nach einigen Minuten ganz langsam (mit diesem irren „Drone“-Ton dieses „fliegenden Rieseninsekts“) dem Lummerfelsen, und dort bekam ich dann das Objekt der Begierde zu sehen, einen Albatros. Zuletzt ist mir dieser eindrucksvolle Flieger begegnet beim Abitur, in der Französischklausur, dort galt es „L’albatros“ zu interpretieren, ein berühmtes Gedicht von Charles Baudelaire aus „Les fleurs du mal“. Da war er ein einsamer Herrscher der Lüfte, hier der König im felsigen Gestein der zerklüfteten Insel. Es gab tatsächlich, erzählte mir Jochen, nur 127 Sichtkontakte in den letzten 30 Jahren, zumindest in Europa, wo er sich äusserst rar macht. Später traf ich in einer Kneipe auf Vogelforscher aus Finnland und Schweden, und erlebte im „small talk“ ihre Begeisterung für dieses besondere Geschöpf. Sie hatten allesamt leuchtende Augen. Ich fand das Flugerelebnis nun mindestens so erhebend wie den Anblick des riesigen Vogels – jeder Mensch kreiert seine eigenen Euphorien. Als Laie und Stadtkind (ich trage gern mal einen Pulli, auf dem LONDON NIGHTLIFE zu lesen ist) kam mir das alles halb so wild vor. Wer will auch schon ständig ergriffen sein, ausser Richard Wagner-Verehrern?! Als ich spät abends in meinem Hotelzimmer lag und das erste Stück der neuen CD „Now This“ von Gary Peacock hörte (mit Marc Copland und Joey Baron), fühlte ich mich aufgrund der Flugluft eines kleinen Trommelwirbels, und dank der schwebenden Transparenz der Klänge (mit 80 kann Gary Peacock seinem Kontrabass immer noch einen Gesang entlocken, der aller Erdenschwere entkommt), an die halbe Flugstunde erinnert – im nachhinein gar mit einem Hauch Faszination. Erst die Komposition „Gaia“ (und die Erinnerung an dieses Baudelairegedicht) machten diesen Tag seltsam komplett, mit all seinen Flüchtigkeiten. P.S.: Eine andere Flüchtigkeit war noch, wie mir, sogar während des Anblicks des Albatros, völlig unpassend für Anhänger des Erhabenen, ein Ohrwurm durch den Kopf ging, Blurs Song vom „Ice Cream Man“.

 
 
 

 


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