Madres Paralelas (Spanien 2021)
Almodóvars vorletzter Film (nach Leid und Herrlichkeit und vor Strange way of life) dreht sich nur scheinbar um Mütter – bei ihm ohnehin ein Dauerthema mit Variationen – aber in Wirklichkeit um Geburten im abstrakteren und symbolischen Sinne: Dem Ans-Licht-Kommen von Geheimnissen und Wahrheiten, auch diese müssen geboren werden und oft ist dergleichen recht schmerzhaft.
Zunächst beginnt es wieder, naturellement, mit hübschen Mamas in die gewohnten Bildtableaus und ins gewohnte Upper Class Dekor attraktiv placiert zum geschickt eingesetzten Soundtrack von Almodóvars Hofkomponisten Alberto Iglesias und ebenso geschickt eingesetzter Schleichwerbung diverser Produkte, wobei zu hoffen wäre, dass er nicht mittlerweile auf product placement zurückgreifen muss, um sein Alterswerk zu finanzieren. Das wünscht man ihm ja doch nicht, nachdem er uns solange erfreut hat. Und man verzeiht ihm ja vieles, auch den Dauergebrauch seines Paradepferds Penelope, but never change a winning team und mit Milena Smit ist ja auch ein neues reizvolles Gesicht mit am Start. Es gibt also was zu gucken.
Es entrollt sich ein Melodrämchen zwischen Müttern, Töchtern und nur am Rande beteiligten und im wesentlichen gutartigen Männern, wie wir es aus früheren Filmen des Maestros kennen: Zwei Mütter gebären synchron in der Klinik, wobei die Kinder vertauscht werden und beide Mütter mit dem jeweils falschen Kind nach Hause gehen. Eines der beiden Mädchen verstirbt, die Mutter des überlebenden Babys (Janis) bezieht die nun kinderverwaiste andere Mutter als Nanny in ihr Leben mit ein und es entwickelt sich eine kurze Liebesbeziehung zwischen den Frauen, bis Janis den Tausch aufdeckt und gesteht.
Der Film spannt ein Netz an Heimlichkeiten auf zwischen Mann und Frau, Müttern und Töchtern, Vätern und Kindern, verbotenen Affären und betrogenen Frauen – but no spoilers; Vater- und Mutterschaftstests dienen als Mittel zur Wahrheitsfindung, schaffen Ordnung und Zugehörigkeit, lösen Geheimnisse und schaffen Beziehungen neu, alles scheint im Fluss und sein Ziel zu finden und ist recht spannend zu sehen und der Regisseur kommt hier mit deutlich weniger Rückblenden, Zeitsprüngen und Verschachtelungen aus wie sonst – beispielsweise bei La Mala Educaçion aus dem Genre der Mindfuckers; das ist natürlich nicht abwertend gemeint.
Ein grosses Geheimnis verbleibt – Janis wünscht sich die Exhumierung eines Massengrabes – sie ist auf der Suche nach ihrem verschollenen Urgrossvater, der im Widerstand gegen Franco und die Falangisten gekämpft hatte. Am Ende wird die Stelle gefunden und die Grube ausgehoben, es finden sich zahlreiche Skelette, anhand eines Glasauges kann der Uropa identifiziert werden. Die Kamera entfernt sich nach oben, signalisiert damit Distanz zum Tagesgeschehen und Beziehungsgebrodel und die Skelette verwandeln sich in die toten Menschen, die sie waren – ein starker und erschütternder Eindruck als Schlusseinstellung, der das Gewebe menschlicher Verstricktheiten relativiert und fast belanglos erscheinen lässt angesichts eines gewaltigen Massenmordes, von dem wir hier nur einen kleinen Teil sehen.
Und ein Aufruf an Spanien, die „Leichen im Keller“ bzw seine faschistische Vergangenheit – die dreissig Jahre später endete als die Deutschlands, falls dergleichen überhaupt jemals endet – anzusehen und aufzuarbeiten. Somit hätte sich Almodóvar zum ersten Mal von Individualschicksalen ausgehend politischen Inhalten zugewandt mit dem Nachzeichnen menschlicher Verirrungen als Epiphänomen viel verheerenderer kollektiver Verdrängungsbewegungen.
Die dabei spürbare Grundaussage „Bleibt in der Wahrhaftigkeit“ und „Es geht auch im Guten“ mögen naiv erscheinen, andererseits sind wir auch etwas dressiert darauf nur die Schilderung von Düsterkeit, menschlicher Schwäche und Bosheit und sonstigem Kulturpessimismus als intellektuell zu goutieren und versöhnlichere Figurenzeichnungen die zu einem guten Ende finden schnell als unrealistisches Sentiment abzulehnen.
Hier steht Almodóvar in der Tradition eines Fellini oder Ken Loach, die ihre Figuren nie verrieten, ohne Bösewichte und Grausamkeiten auskamen und deren Blick auf die Welt immer ein lebensfreundlicher und angenehm menschelnder war, ohne platt oder kitschig zu sein. Darauf kann man sich getrost einschwingen, schliesslich gibt es auch diese Seite der Welt und sie kann ruhig dargestellt werden. Man muss es halt bloss können. Und sich trauen …