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2024 6 Mai

Leben in Wien

von: Anja Sturmat Filed under: Blog | TB | 18 Comments

 

Ankunft spätabends im siebten Bezirk, die U-Bahn rattert auf einem kurzen Stück als Hochbahn über Gürtel und Wienzeile hinweg, die Fassaden der umstehenden Häuser geben sich verschlossen und schmutzig, verschiedenste Lichter funkeln, wandern herum, huschen vorbei, Werbetafeln locken meinen Blick. Einige Halte-Stationen sind hell erleuchtet, offen, mit lindgrünen Ornamenten.

Ich steige aus und trete auf die Straße, bleibe stehen:

 
 

 
 

Soll das eine Anrufung sein? Ein Hilfeschrei? Warum heißt es nicht Mama?

Mutti hat immer so etwas Verschämtes, auch Verniedlichendes, für sehr alte Frauen, und für solche, die in den Augen der anderen nicht mehr so ganz ihre Sinne beisammen haben (vielleicht lächeln die Muttis aber wohlwollend über ihre verkannte Rebellion hinweg?).

Sind die fünf Buchstaben als Denkmal gemeint? Oder ein Klageruf?

Ich beherrsche mich, das Wort nicht probehalber mit verschiedener Betonung laut vor mich hin zu sprechen – drehe mich um: Haben sie schon bemerkt, dass auf der gegenüber liegenden Straßenseite ein Kino ist?

 

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18 Comments

  1. Jochen:

    Eine Verharmlosungsform – Kosename für ein Monster.

    Stattdessen könnte dort auch Zorro stehen.

    ;)

  2. Ursula Mayr:

    Eigene Erfahrung, Jochen?

    Es könnte auch sein, dass einer derselbigen ein Denkmal setzt. Den beneide ich dann aber auch nicht …

    Thats alright, Mama, everything you do … huahhh.

    By the way: Als ich zum erstenmal in Wien war, gurkte ich hilflos durch die Strassen, stellte mich dann erstmal in einer Nebenstrasse hin zur Erholung. Wo steh ich? Berggasse 19. Das nenn ich auch Anrufung, das kann diese Stadt offenbar. Beim einen die Mama, beim anderen der geistige Papa.

  3. Ursula Mayr:

    Übrigens ein reizvoller Gegensatz – ein kesser Sprayer, der sich nicht an Verbote hält und dann „Mutti“. Leider finde ich das Schwarzweissfoto nicht mehr, das ich dermaleinst in Urbino schoss: Allerhand schönes altes Gemäuer, gotische Fenster, maurisch verziertes Portal, Fresken usw. Dann – mitten auf einer Hauswand, fetzig hingesprüht: Miles Davis.

    Hat auch was …

  4. Jochen:

    Eigene Erfahrung? Nein i wo, Ursula!

    Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig. Die Mutti ist die Allerbeste ;)

    Dein Miles Davis Foto enthält ein Prinzip der Bildenden Kunst von Max Ernst über Magritte bis heute hin zu Anselm Kiefer: durch ein nicht passendes Element wird ein irritierender Schockeffekt erzeugt.

  5. Ursula Mayr:

    Sag ich auch immer! Alles Schlampen ausser Mutti.

    Aber merkwürdig, Mutti sagt doch heut fast keiner mehr – Mama, Mom, die Alte … zumindest in der Sprühergeneration. Wie Anja sagt – eher abwertend, etwas Muttihaftes: Da assoziiert man ältlich, matronenhaft, gluckenhaft, Einheitsdauerwelle mit Blauton, Stützstrümpfe, gesunde Schuhe, Bankerlsitzen, Kaffeeklatsch, Topfhüte, riesige Handtaschen, Heino – Schallplatten, Mittwochswunschkonzert, Nachmittagserbschleichersendung: Liebe Tante Käthe, für Dich spielen wir jetzt das Lied „Vor meinem Vaterhaus steht eine Linde“ von Fritz Wunderlich und lieben Gruss von der Schweinfurter Verwandtschaft – da tut sich eine versunkene Welt auf bei einem einzigen Wort.

  6. Ursula Mayr:

    Nö, schockierend war’s nicht damals (1977), ich fands pfiffig, zwei Welten gleich geschätzt und verbindend. Die alten Leute fanden’s sicher schockierend.

  7. Jochen:

    Das Wort stammheimt ja auch aus der Zeit des Wirtschaftswunderlandes, in denen den Müttern am heimischen Herd, umgeben von Persil, Frühstücksrama und fröhlichen Zwiebacks-Kindern ein Platz an der Sonne zugeordnet wurde. Und Abends dann die Luftsprünge des Dalli-Dalli-Hans schwarzweiss bewundern, zwecks Holocaust-Vergessens.

  8. Jochen:

    Und Heintje nicht vergessen:

    „Maaamaa, musst doch nicht um deinen Jungen weinen …“

    (es brechen gerade tiefere bewusstseinsschichten auf)

    Mutterhöhle / Mutterhölle – gibt’s da ’nen Zusammenhang?

    Wusste Pink Floyd („The Wall“) da etwa mehr davon?

  9. Ursula Mayr:

    Bestimmt!

    Und zu diesem Thema empfehle ich „Muttersöhne“ von Volker Elis Pilgrim.

    Da versteht man die beziehungsflüchtigen Männer dann besser.

  10. Ursula Mayr:

    … und sich den Text von „Thats alright, Mama“ … genüsslich reinziehen …

  11. Ursula Mayr:

    Anja, jetzt haste was losgetreten.

  12. Anja Sturmat:

    Das war – unbewusste – Absicht ;)

    An solchen Türln zum Reich der Vorstellungskraft und auch der aufgeladenen Fantasien bleibe ich hängen … und war schon ganz gespannt auf die Reaktionen!

    Wie Jochen nahelegt, könnte es sich auch um ein Code-Wort handeln, und man fragt sich, wer dort auf der Wand mit wem kommuniziert und worüber …

  13. Ursula Mayr:

    Und wenn da jetzt Pappi gestanden wäre?

  14. Jan R.:

    Wenn’s umgekehrt wäre: Gegenüber wäre das Mutti-Kino, und an der Wand stünde “Admiral” – DAS fände ich beunruhigend.

  15. Ursula Mayr:

    Warum?

  16. Jan R.:

    @ Uschi: Es würde den derzeitigen Geisteszustand der Menschheit ziemlich präzise widerspiegeln.

  17. Lajla:

    In Ostdeutschland wird bis heute statt Mama MUTTI gesagt. in der Merkelära wurde die Urmutti Merkel sehr oft an die Wand geschmiert, als Protestausdruck ihrer Politik. Da hat sich wohl ein Ossi in Wien verirrt.

  18. Ursula Mayr:

    Macht Sinn!

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