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2023 5 Apr

Es war ein nasskalter Wintertag voller Regen …

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | 5 Comments

… und ich sass im „Omnibus“, einem Musiklokal in Würzburg, es war Anfang 1975, und ich kann mich sogar genau an den freien Platz unweit der Bar erinnern, an dem ich vor einem grossen Bier sass. Den Unmut von Bert Jansch konnte ich gut verstehen, wegen des Thekengemurmels und Gläserklirrens. Da sass einer der grossen Folk-Gitarristen Englands und verzauberte mich mit seinem Solospiel. Wenn er sich von seinem Unmut lösen konnte, war sein Vortrag makellos, sein Gesang, sein feeling,  seine Behendigkeit – diese  beiläufige Perfektion liess mich an meine Stunden in der alten Heimat erinnern, mit Pentangle und ihrem Album „Basket Of Light“. Ich dachte an Uta B. zurück, und die Musik, die zu meiner „Entjungferung“ lief (ich war kein Junge mehr hinterher): die Band mit dem Namen „It‘s A Beautiful Day“ war, das hatte ich damals sofort so empfunden, ziemlich stark inspiriert von Pentangle. Und Bert Jansch war bei Pentangle in seinem Element. Diese Stunden im „Omnibus“ waren ein Zeittunnel, in dem ich immer andere Anker in ein goldenes Eden zurückliegender Jahre werfen konnte. Ich möchte es noch pathetischer sagen, aber ich belasse es dabei. Die andere grosse Folkband Englands damals war The Fairport Convention, und während ich im Omnibus sass, fiel mir ein seltsames Hörerlebnis ein: im Musikhaus Schlüter fiel mir einst ihre Schallplatte „Liege & Liefe“ in die Hände, und ich liess sie mir auflegen, damals stand man mit anderen Musikverrückten im Kreis zum Probehören. Die hatten alles von OHR, die erste NEU! – ein Wunderladen. Ich war komplett in Trance und die zwei, drei Songs, die ich von Fairport Convention hörte, gingen  unheimlich tief. Bis heute kann ich mir nur mehr schlecht als recht erklären, dass dieses „Ergriffenheitserlebnis“, das an das spätere erste Hören von Brian Enos „Taking Tiger Mountain (By Strategy)“ im „I-Haus“ nah herankam, so einmalig blieb: wann immer mir die Platte später begegnete, war ich voll banger Vorfreude, und wurde jedesmal enttäuscht. Obwohl ein  Meisterwerk seines Genres und seiner Zeit, berührte mich die Musik nur noch auf der Ebene  allgemein verdienter Wertschätzung. Während ich vorhin noch beim Brötchenholen Enos Knaller im Auto mitsang, und kurze Bilder aus den wilden Siebzigern aufleuchteten. Ich entdeckte unter den Zuhörern von Bert Jansch auch einen Kommilitonen, der spätestens nach den letzten  Sekunden von Rausches allwöchentlichem Statistikseminar wild rumknutschte mit seiner rothaarigen Flamme. Uschi kann sich an den langen Schlaks und seine Braut nicht erinnnern, der zuvor ein Jahr in Indien war, und auch ohne rote Tracht signalisierte das ganz klar einen Vorsprung an sexueller Erfahrung. Und möglicherweise an Tripper und Konsorten. Ich sah mich natürlich auch in dem kleinen Saal um, und angesichts der totlangweiligen mathematischen Gleichungen dachte ich da sicher öfter an Sex als im Kino in  „meinen“ Wenders- und Herzogfilmen (die, bei weitgehender Asexualität, einen ertstaunlichen Flow der Langsamkeit bereithielten, der aber, wie alles im Leben, auch nur seine Zeit hatte). Jedenfalls sprach mich Ulrich an, wir tauschten kleine Musikstories aus, und schlenderten, nach dem Schlussapplaus, munter in den Regen. Er wohnte unweit vom Omnibus und lud mich zu einem Glas Wein ein. Er erzählte von seinen Meditationserfahrungen und öffnete kurz einen Schrank, an dessen Innenseite das grosse Foto eines nackten männlichen Körpers posierte. – Komm, wir ziehen uns aus, und schauen, was passiert. Nö, sagte ich, keine Lust, und das entsprach der Wahrheit. Ich war damals nicht annähernd so schlagfertig wie später, und ging etwas unbeholfen in den späten Abend hinaus. Ich dachte an den Auftritt von Bert Jansch, an „Basket Of Light“ von Pentangle, an Uta unter dem weissen Laken, ging in meine kleine Kammer im Studentenheim und legte „Witchi-Tai-To“ vom Jan Garbarek-Bobo Stenson-Quartett auf.  Bald sollte ich die schönste Frau Gelsenkirchens im Aufzug erblicken, und der Rock‘n‘Roll begann. Nun, viele Jahre später, hole ich immer noch gerne alte Platten von Jan Garbarek aus meinem Regal, und auch Bert  Janschs  „Avocet“. Und jedesmal – jedesmal – wenn ich dieser Platte lausche, durchströmen mich ein paar flackernde Bilder aus dem alten, lang geschlossenen „Omnibus“, und wenn ich eins bedaure, rückwärtsblickend, an diesem Abend, dann, dass ich nicht auf Bert Jansch zugegangen bin, und er mir vielleicht später, in der Nacht in seinem Hotelzimmer, die Geschichte seines Lebens erzählt hätte. Eine Geschichte wie aus 1001 Nacht. Er hätte den besten Zuhörer der Welt gehabt (es wird in dieser kleinen Erinnerungsstudie nicht an Superlativen gegeizt)!

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5 Comments

  1. Ursula Mayr:

    Eine schöne Geschichte voller Melancholie. Aber Berichtigung: Den Omnibus gibts noch, ich war drin und immer noch gute Musik, dank Rauchverbot hält mans jetzt viel länger aus. An den Schlaks kann ich mich echt nicht erinnern, aber einen langhaarigen Schwulen, der in Indien war, hatten wir auch bei den Psychologen.

  2. Norbert Ennen:

    Durfte 2008 beim Green Man Festival im Brecon Beacons National Park in Wales Pentangle in Originalbestzung erleben.

  3. Michael Engelbrecht:

    @ Uschi: cool
    @ Norbert: oh my god. Da wäre ich nicht nur wg Pentangle gern dabei gewesen.

  4. Michael Engelbrecht:

    @ Uschi: der andere „Inder“ war aber meist als Baghvan gekleidet und wirkte weniger erleuchtet als staubtrocken. Ich habe ihn nie mit einem Lächeln gesehen (falls wir überhaupt den gleichen meinen)

  5. Ursula Mayr:

    Nee, der meine lächelte dauernd!!


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