Manafonistas

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2023 5 Mrz

ECM Double Take: 1069 & 1077

von: Olaf Westfeld Filed under: Blog | TB | Tags: , 9 Comments

Keine Ahnung, wann ich das letzte Mal in der alten Heimat eine Schallplatte gekauft habe. Der letzte Tonträger war vielleicht Du kannst mich an der Ecke rauslassen, eines der schönsten deutschsprachigen Alben, steht aber zwischen den CDs und ist 2008 erschienen. Ich erinnere mich auch daran, das zweite Album von Calexico kurz nach der Veröffentlichung bei Shock Records zu kaufen, oder Original Rockers, die ich aus einem Stapel zog, nachdem ich schon hunderte Alben in einem Second Hand Shop durchgeschaut hatte. Aber das war vor Jahren, Jahrzehnten, … so lange hatte ich in dieser Stadt, in der ich häufig bin, keine LP gekauft bis wir uns zu viert, eine sitzt noch in ihrem Kinderwagen, gestern in den kleinen und schon gut gefüllten Schallplattenladen kurz vor dem Markt drängten. Wir waren an diesem verregneten Samstagmittag alle schon etwas hangry, merkten zum Teil noch den schweren Primitivo vom Vorabend, so dass ich nur schnell durch das ECM/Japo Fach guckte, während der Besitzer des Ladens sich mit einem anderen Kunden über das Rolle mit Hip Hop Album von Afrob unterhielt. Love, Love habe ich noch nie so günstig gesehen, nach einem Blick auf das Vinyl wusste ich warum, bei zwei anderen Alben stimmten jedoch Qualität und Preis: Für €35,- trug ich Gnu High und Nan Madol in ein Café, wo wir unsere Laune besserten, ins Elternhaus, schließlich in einem Auto und zwei Zügen nach Hause. Am Samstagabend reichte die Energie nur noch zum Glotzen (8 Frauen in der ARD Mediathek), dafür hat mich die Musik heute über sonntägliche Landschaften getragen.

Auf der Innenhülle von Nan Madol sind ein Name (vielleicht „Babock“, die Schrift ist nicht ganz deutlich) und ein Datum (22. 12. 78) in verblichener blauer Tinte geschrieben. Ich glaube nicht, dass diese Schallplatte oft lief, dafür ist das Vinyl zu gut erhalten; gleiches gilt zum Glück für Gnu High. Da ich in der letzten Woche mehrmals Travel von The Necks gehört habe, drängen sich mir Vergleiche auf. Musikalische Momentaufnahmen von einer hohen Dichte, kleinteilige rhythmische Partikel, ein klanglicher Wildwuchs, in dem viele Stimmen miteinander plaudern, das Ganze oft mit Brummen und Summen grundiert. Auf dem Album von Edward Vesala finden sich mehr melodische Themen, fast schon folkloristisch-liedhafte Einflüsse, als bei The Necks, die noch tiefer in den reinen Klang einzutauchen scheinen (wobei es ja auf dem neuen Album dieses tolle Stück gibt, wo der Klangstrom fast schon reggaehaft konturiert wird).

Gnu High – die erste ECM LP von Kenny Wheeler, das letzte Album, auf dem Keith Jarrett als Sideman mitwirkte – Kreise, die sich öffnen, Kreise, die sich schließen. Zu den beiden gesellten sich im Juni 1975 noch Dave Holland und Jack DeJohnette vor die Mikrophone des Generation Sound Studio in New York, wo Tony May und Manfred Eicher die Musik (3 Stücke, 40 Minuten) aufnahmen. Pure Champion Sound, massive. Am Ende von Heyoke gibt es eine längere Passage – es ist nur das Schlagzeug zu hören, vor allem zischen die Becken – der unsere Hündin höchst aufmerksam gelauscht hat. An dem Rest der Schallplatte hat Ella dann unverständlicherweise keinerlei Reaktion gezeigt. Sehr bemerkenswert an dieser Arbeit ist, wie genau die Musiker aufeinander hören, wie sie Pausen setzen, sich wechselseitig immer wieder die Bühne überlassen, um wenig später gemeinsam die Sterne vom Himmel zu holen.

Was mich noch ein bisschen umtreibt: nachdem ich einem Freund schrieb, welche Platten ich mir gekauft habe, antwortete er, dass ich „ein sehr vorhersehbarer Plattenkäufer“ sei. Wie gut, dass es bald wieder ein neues Album der Sleaford Mods gibt. Oder ich kaufe mir Hounds Of Love, etwas von PJ Harvey, Common One, oder… mal sehen. 

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9 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    A propos Gnu High:

    ECM Announces „Luminessence“—a New Audiophile Vinyl Reissue Series „CUT FROM THE ORIGINAL MASTERS MADE IN EUROPE ANALOG PRODUCTIONS WHEREVER POSSIBLE“

    The series Includes jewels of the label’s deep catalogue that have long been out of print or have never been available on vinyl, packaged in elegant, high-quality editions cut from the original masters made in Europe analogue production wherever possible.

    The first two titles are: Kenny Wheeler’s Gnu High featuring Keith Jarrett, Dave Holland and Jack De Johnette and Nana Vasconcelos’s Saudades.

    From the press release:

    „Luminessence, ECM’s new audiophile vinyl-reissue series, is a kaleidoscope, shedding light on the jewels of the label’s deep catalogue in elegant, high-quality editions. The hallmarks of the series: original and evocative music, imaginatively played and sensitively produced. The recordings underline the scope and variety of ECM’s world of sound and the LPs are presented in different formats.

    The series features albums that have changed perceptions of creative music making, albums now heralded as classics. Some are offered in exclusive facsimile editions, others framed in high-grade gatefolds that include new liner notes offering historical context and fresh perspectives, while again others have been long out of print or even never before released on vinyl. Many of the re-issues are cut from the original analog master tapes and all Luminessence releases incorporate the striking cover art which has contributed to ECM’s renown.

    Launching the series are Kenny Wheeler’s Gnu High and Nana Vasconcelos’s Saudades, which were recorded in 1975 and 1979 respectively and are indicative of the label’s reach from the outset. Gnu High was Kenny Wheeler’s debut record for the label, fronting a stunning quartet with Keith Jarrett on piano, Dave Holland on bass, and Jack DeJohnette on drums. The album put Wheeler on the map, as both lyrical improviser and jazz composer, and laid the foundation for the Canadian trumpeter’s influential and highly regarded work to come.

    Saudades, meanwhile, was the culmination of Brazilian percussionist Naná Vasconcelos’s dream of hearing the berimbau in an orchestral context. It was made possible through the creative input of Egberto Gismonti, here the arranger of the material for strings, as well as co-composer and supporting soloist. The Gismonti-Vasconcelos creative partnership was highlighted on a number of recordings, but never again in this magical orchestral weaving of musical expressions.

    Among the many other significant ECM recordings appearing in this ongoing re-issue series will be

    Keith Jarrett’s Bremen Lausanne 3-LP Box-set,

    Jan Garbarek’s Afric Pepperbird

    as well as Madar, by Garbarek and Anouar Brahem
    which appears on vinyl for the first time.

    Also, Zakir Hussain’s Making Music

    Gary Burton’s New Quartet

    and the self-titled album by Old And New Dreams with Don Cherry, Dewey Redman, Charlie Haden and Ed Blackwell

    And of course, Luminessence, the 1975 album that gives the series its name and sees Jan Garbarek improvising over string-arrangements written explicitly for him by Keith Jarrett, will also be part of the edition and released soon. All of these records were produced by Manfred Eicher – and more will follow.

    Olaf, ich habe tatsächlich ALLE der hier angekündigten LPs gekauft, als sie erschienen sind – das auf einmal in eine historischen Perspektive zu sehen, zeigt, wie lebensbegleitend diese Musik war und ist. Wenn ich die downbeat Wertung machen würde, würde ich durchweg 5, 4 1/2,oder 4 Sterne geben.

  2. Martina Weber:

    Von The Necks habe ich einen ganzen Stapel an CDs, hab sie aber seltener gehört, nachdem ich Boards of Canada und Pan American entdeckt habe. Mein Lieblingsalbum von The Necks ist drive by aus dem Jahr 2003.

  3. Michael Engelbrecht:

    Ich entdeckte The Necks auch 2003 erst, als mich Geoff Dyer in einem Interview in London auf diese Cd hinwies. Seitdem habe ich jedes neue Album der Necks in den Klanghorizonten vorgestellt, sie wurden zu meiner Lieblingsband (was instrumentale Musik angeht). Und nach einer Begegnung mit Richard Williams brachte ich meine Idee eines Doppelalbums auf den Weg, das eine produced by Manfred Eicher, das andere produced by Brian Eno. Es scheiterte allein daran, dass Brian nach einiger Überlegung absagte.

    Den überbordenden reichtum von Boards Of Canada schätzen ich so wie den diskreten von Pan American. Für gewisse Stunden immer wieder gern.

  4. Martina Weber:

    Ah, von Geoff Dyer kam der Tipp. Als ich The Necks zum ersten Mal in deiner Sendung hörte, war ich sofort fasziniert. Du konntest natürlich nur einen Auszug spielen, vielleicht sieben oder zehn Minuten, ein Fragment, das den Wunsch nach Mehr auslöst. Man muss sich schon eine Stunde Zeit nehmen für ein Album der Necks, meist ist nur ein Track auf der CD, man kann das Lauschen schwerlich unterbrechen. Und wie verwandelt taucht man auf aus einer solchen Hörerfahrung.

    Es ist spannend, wie sich eigene Hörgewohnheiten verändern. Über Monate hinweg habe ich fast jeden Tag eine der frühen Arbeiten von Pan American gehört. Diese Musik ist ein Teil von mir geworden. Allmählich bin ich bereit, diese Komfortzone auch zu verlassen.

  5. Michael Engelbrecht:

    Doch, ich hätte es jederzeit ganz spielen können, aber dann wären damals, bei zwei Stunden Sendezeit, zu viel Gutes ausgefallen. Aber genau das war die Regel: wenn ich mal ein Stück eine ganze Stunde lang spiele, dann vorher einfach nur sehr viel erzählen! Ws hab später diese Ein Stunden Stücke in der Nacht, u.a. NOVEMBER. Von einem Minimalisten am Klavier.

    Die tollste Musik kann Komfortzone werden. Viele Musiker leben davon, immer die gleiche Platte zu machen. Die Erfolgsformel als Falle.

  6. Martina Weber:

    Ja, wenn du vorher viel erzählst, stimmen die Proportionen wieder.

    Man muss sich wohl selbst verändern, jemand anderes werden, um das eigene kreative Werk auch ändern zu können.

  7. Olaf Westfeld:

    The Necks faszinieren mich zwar endlos – sie scheinen ihren Klang ja der Unendlichkeit abgelauscht zu haben – aber so ganz oft kann ich die nicht hören, diese oft zähflüssige Klanglava ist dann doch sehr intensiv, anstrengend. Trotzdem und gerade deshalb eine tolle Band! Jon Hassell, Living City, lief hier zuletzt häufiger – auch sehr intensiv, doch irgendwie leicht verdaulicher. Und ähnlich ist es auch mit diesen beiden ECM Veröffentlichungen – GNU HIGH habe ich bis jetzt häufiger gehört als NAN MADOL. Keine Ahnung, wie das langfristig sein wird, The Necks klingen ja immer wie neu…

  8. Martina Weber:

    Mit The Necks geht es mir auch so. Sie verlangen viel an Aufmerksamkeit. Living City ist heute erst als CD rausgekommen, in der Wiederveröffentlichung.

  9. Olaf Westfeld:

    Terrible schoolboy error: gerade festgestellt, dass Tales Of Another nach Gnu High eingespielt und veröffentlicht wurde und damit wohl das letzte Album von Keith Jarrett als sideman war.


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