Manafonistas

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2022 2 Okt

„Wie die Sonne durch ein Vergrösserungsglas“

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | 2 Comments

Filme können wie Bücher aus der Zeit fallen, und den Zauber verlieren, den sie irgendwann einmal für uns besassen. Heute möchte ich an einen Film erinnern, den ich einmal, unter besonderen Umständen, vor vielen Jahren (und viele Jahre nach seinem Erscheinen 1989) gesehen habe. Ich erinnere also an einen Film, den ich mir bloss noch vage und atmosphärisch vor Augen holen kann. Lovely Rita war die Expertin, ich der Nachzügler. Als wir uns im letzten Jahrhundert auf einer Chaiselongue räkelten, schüttete sie mich nicht mir ihrem Wissen zu, sondern nur ab und zu etwas Wein nach. Heute früh versuchte ich, meine blassen Erinnerungen zusammenzuklauben, ein kleines Gemenge aus Verzerrungen, Fehlern, Lücken, und viellecht mal einem Volltreffer. Ich glaube, es war (auch) ein feiner Klavierfilm, von der Sorte „after hours“, die Party ist vorbei, der Champagner ausgetrunken, und, pure Hallizination, die Frauen hatten das Konfetti von ihren nackten Schultern gewischt. Ein verwegen altmodisches Licht- und Schattenspiel. Dezente erotische Spannungskurven. Ich googelte etwas herum. Mr. Klove (mir unbekannt) sei ein nostalgischer junger Mann gewesen, lese ich, dessen Leidenschaft für Ella-Fitzgerald-Platten, Film Noir und romantisches Melodrama in diesem Regiedebüt ineinandergegriffen hätten. Soso. Bis heute weiss ich nicht, ob ich den fabelhaften Baker Boys noch mal begegnen möchte, oder ob ein Grossteil von Faszination und Flow dem Ambiente jener Londoner Nacht  mit altem Fernseher geschuldet waren, in welcher auch nicht wirklich viel passierte, ein kleiner Rausch hier, ein kurzer Kick da. Ich untertreibe natürlich. Draussen die Docklands, drinnen die Schokolade, der Wein, good old Hollywood, und meine gute alte platonische Freundin (sie hätte in jeden Roman von Milan Kundera gepasst, bekam bei Handke Zahnschmerzen, und war ein Fan von „Hundert Jahre Einsamkeit“). Der Plattenspieler blieb unangetastet, um die Melodien des Films nachklingen zu lassen.

 

Die Baker Boys, gespielt von Jeff und Beau Bridges, sind Pianisten in Cocktail-Lounges, die „Feelings“ unter großem Applaus spielen. In diesem umwerfend komischen ersten gemeinsamen Auftritt machen die Brüder diesen menschlichen Klischees alle Ehre, indem sie Jack und Frank  so darstellen, als wären sie ein alter Boxer und sein Manager, die auf der Kippe stehen. Das Juwel in dieser Kulisse ist Susie Diamond, eine Chanteuse, gespielt von Michelle Pfeiffer, aalglatt und zynisch, mehr Bacall als Bacall. Wie die Sonne durch ein Vergrößerungsglas, brennt sie ein Bild auf die Leinwand.

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2 Comments

  1. Elke G., Sylt:

    Lieber Micha, ein fabelhafter Film. Eine solche Filmbesprechung habe ich auch noch nicht gelesen:) Du hast bei den Existenzalisten gar nicht erwähnt, dass du den kurzweiligen Lesekreis zu Sarah Bakewells Buch hier nahe dem Watt geleitet hast. Wenn auch nur die ersten Kapitel in der Kürze der Zeit. Danke nochmal dafür! Ich habe unlängst Camus‘ Die Pest gelesen, und seine packende Autobiographie. Auch Frau Mayrs Text war formidabel. Ich selbst halte den Existenzialismus für eine Chance, Humanismus zu leben und dabei „alle religiösen Systeme durchs Ofenrohr zu schiessen“, wie es unser Pianodoktor P.B. mal so toll formulierte. Wir haben damals viel gelacht, und das bei diesen ernsten Dingen.

  2. Ursula Mayr:

    Herrje, Micha – ich hab die Baker Boys nicht gesehen – wäre mir zumindest nicht erinnerlich.
    Michelle Pfeiffer als Impact? Okay, ich werds nachholen, Jeff Bridges zuliebe.
    Pfeiffer schätze ich als Schauspielerin, besitzt aber vom Typ her nicht meine persönliche Sympathie. In der Verfilmung von “ Cheri – eine Komödie der Eitelkeiten“ ( Cheri und La fin de Cheri von Colette gehören zu meinen Lieblingsbüchern ) eine ziemliche Fehlbesetzung, zu ätherisch für die Figur, zu wenig bodenständig, zu exaltiert. Für den Cheri hätte man den jungen Anthony Perkins klonen sollen.


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