Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2022 20 Sep

Geschichten, die das Meer erzählt (1)

von: Lajla Nizinski Filed under: Blog | TB | 3 Comments

 

Vom Bus aus konnte ich ihn täglich bergauf joggen sehen. Ich wunderte mich nicht über sein Laufen in der prallen Sonne, auch seine schlanke Gestalt beschäftigte mich nicht. Seltsam war nur, dass er ein Tablet um seinen Hals hängen hatte. Seine langen glatten Haare bedeckten seine schmalen Schultern, die schwarze Pracht hielt ein weißes Sportsband zusammen. Yeah, let the freakflag fly. Nein, das war kein Freak. Dieser ausdauernde Läufer kam aus einer anderen Welt. Was war sein Geheimnis? Ich gab ihm fortan den Namen „Autopilot“. Ich war mir fast sicher, dass sein ungewohnter Bergaufsport etwas mit positivem Stressen zu tun hatte. Er verbrauchte dabei eine Menge Kalorien, die Andere im normalen Alltag eher mit ständigen Veränderungen erzeugten, die versuchten, irgendwo anzukommen und nicht mehr merkten, dass ihre Konsumgüter sich ständig veränderten, und ihnen deshalb keine Sicherheit bieten konnten. Autopilot joggte vielleicht so extrem, um die Begrenztheit des Ichs zu erkunden. Seine kräftigen Beine schienen gegen etwas Anlaufen zu wollen. Was war sein Geheimnis?

Als er ganz nah an meinem Tisch vor der Bar vorbeitänzelte, schaute ich blitzschnell auf das Tablet. Ich konnte XIASI entziffern, die Buchstaben sagten mir nichts. Unter ihnen konnte ich einen Hundekopf ausmachen. Es vergingen einige Tage, an denen ich Autopilot nicht mehr sah. Vielleicht war er abgereist. Dann hätte er sein Geheimnis mit hinüber auf das Festland genommen. Dann hätte er sein Abenteuerleben woanders willkommen geheißen. Meine Vermutung war, dass Autopilot an einer Strategie gegen ein von mir nicht begründbares Etwas arbeitete. Ich stellte mir vor, dass er woanders seine Sicherheitsmechanismen trainierte. In welche Richtung lief sein Selbst? Konnte er überall seine Zelte für immer aufschlagen? War er soo frei?

Am Abend setzte er sich zu mir an den Tisch vor der Bar. Er grinste mich an und lachte breit: “Do you have a good Karma donatíon?“ Wieso hatte ich die ganze Zeit angenommen, er käme aus Deutschland? Ich lächelte ihn an: “I often see you from the bus, running on the street. Why are you jogging always uphill?“ „I am running against my fears“, he said. „What kind of fears?“ I asked directly. „I bet you saw my tablet. I own several startups all over the world, one in Hyderabad in India, one in Palermo on Sicily, one in Greece on Crete. That’s why I have to check permanently my crypto currency investments.“ Er stand unvermittelt auf, schaute mich intensiv an und meinte dann: „Let us call together as one SILENZIO BRUNO.“ Danach sah ich ihn nicht mehr auf der Insel.

 

This entry was posted on Dienstag, 20. September 2022 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

3 Comments

  1. Lajla Nizinski:

    „Silenzio Bruno!“ Regisseur Luca erklärt die Bedeutung hinter dem wunderbaren Mantra des Pixar-Films.

  2. Ursula Mayr:

    Wann hat der denn noch Zeit zum Disney gucken?
    Mantra würde ich das nicht nennen, das sind die Tricks der Motivationscoaches und Kommunikationstrainer mit denen die sich goldene Nasen verdienen. Tschaggah…!!! Auch Disney hat solche Trainings entwickelt, einige sind sogar ziemlich gut und auch in der Psychotherapie brauchbar. Man darf sie nur nicht bei Leuten mit ausgeprägten Grössenphantasien anwenden, die springen dann vom Dach wenn der Bruno schweigt weil sie glauben sie können fliegen. Weil die Schutzfunktion von Ängsten auch ein nicht zu unterschätzender Faktor ist, vor allem bei Kindern, die ja auch lernen müssen Realitäten richtig einzuschätzen und keine zu grossen Risiken einzugehen. Was den pädagogischen Wert des Filmes sehr fraglich macht, die Kids nehmen das ja alles wörtlich.

  3. Lajla:

    Autopilot ist sicher ein Kind von South Park. Die können Animationsfilme angucken und gleichzeitig essen und schlafen und joggen und Börsen verfolgen. Auffallend ist bei diesen digital nomads ihre Redundanz. Hier sitzt z. Z. ein etwa 45 Jähriger und liest Mogli , die Erzählung aus dem Dschungelbuch.


Manafonistas | Impressum | Kontakt | Datenschutz