Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

Es ist schon einige Zeit her, dass ich mich erstmals in die Welt der MAD MEN und der Werbeagentur Sterling Cooper in der Madison Avenue in New York begeben habe. Damals habe ich mir für die sieben Staffeln, die sich über die gesamte Dekade der 1960er Jahre und bis November 1970 hinziehen, viel Zeit genommen: das Büroleben, Intrigen, Familiengeschichten, vor allem aber „cloud of mystery“ Don Draper, die Fassetten seiner Persönlichkeit, die Art seiner Intelligenz und wie er scheinbar mühelos alles in Magie verwandelt. Nun habe ich die letzte Staffel in wenigen Tagen durchlaufen lassen, eine kleine Retrospektive, immer noch eine faszinierende Erfahrung. Und es sind dieselben Stellen wie beim ersten Mal, die mich staunen und innehalten lassen, dieselben Bilder und Dialoge. Die Staffel beginnt mit dem Vorschlag für einen umwerfenden Werbefilm für Acuton Armbanduhren, vorgetragen von Freddy, einem Freiberufler, hinter dem der freigestellte Don steckt. Ein junger Mann mit Koteletten in Besprechungsraum eines Büros, eigentlich gelangweilt, aber die Uhr gibt ihm Identität; ein Kollege spricht ihn darauf an. Es endet mit dem Pitch: „Acuton. It’s not a time piece. It’s a conversation piece.“ Und viel später Peggy, die Don auffordert, ihr zu erklären, wie er denkt, und dann gemeinsam mit ihm eine verbesserte Fassung ihres Werbefilms für Burger Chef entwickelt. Nicht mehr anknüpfen am schlechten Gewissen der Mütter, die kein Abendessen zubereiten, sondern die Vorzüge von Burger Chef im Vergleich zum Zuhause betonen: a clean, well-lighted place (Hemingway), and every table is the family table. Ohne Fernseher in Reichweite. Don Draper, der das Fenster seines Hochhausbürozimmers berührt. Zum ersten und einzigen Mal hören wir den Wind, wie er um die Betonblocks zieht. Und plötzlich die Vögel wahrnehmen, wie sie ihre Bahnen suchen. Der letzte Dialog zwischen Don und Roger, in dem Don gesteht, er habe Roger immer darum benieden, dass er es nicht für nötig befunden habe, etwas zu erreichen. Eine andere Ausfahrt ansteuern, die Flucht, die kalifornische Wüste, gefangen in einem Yoga- und Selbsterfahrungs-Retreat. Spätestens hier wird mir bewusst, dass es viel zu viele Studioszenen gab: Endlich aufatmen in einem realen Raum. Don ruft Peggy an, sie fordert ihn auf, zurückzukommen ins Büro, nach Hause, wie sie sagt, die Werbestrategie für Coca Cola entwickeln. Don erklärt ihr in ein paar Sätzen, wie vernichtend er über sein Leben denkt. Er hat nur angerufen, um sich bei ihr zu verabschieden. Am nächsten Morgen eine Yogasitzung in kleiner Gruppe am Rand des Pazifik. The new day brings new hope. Lives we’ve lead, the lives we get to lead, a new day, new ideas, a new you. Don im Lotossitz, Hände auf den Knien. Er stimmt ein in den Ruf des „Om“, lächelt, mit geschlossenen Augen. Die Serie könnte jetzt zu Ende sein, es folgt jedoch etwas Irritierendes: eine Werbung für Coca Cola, die aus einem Fernsehbildschirm ausgestrahlt wird. Eine Gruppe von vielleicht hundert Personen aus der ganzen Welt stehen auf einer Wiese und singen. Jeder hat eine Flasche Cola in der Hand. Völlig unterschiedliche und eher normale Menschen. Es könnte die Nachbarin dabei sein oder man selbst. Der Songtext ist ziemlich genial, bringt die Stimmung Anfang der 1970er Jahre auf den Punkt und ist ganz unironisch gemeint: „I’d like to buy the world a coke / and keep it company. // It’s the real thing / what the world wants today.“ Die Schnittstelle zwischen dem lächelnden, ruhigen Don und dem Werbespot ist der rätselhafteste Schnitt der Serie. Warum endet die Serie so und vom wem stammt die Werbung, in der Serie gedacht? (Es ist eine original Coca Cola Werbung.) Immerhin ist die Werbeagentur McCann Erickson mit der Coca Cola Werbung beauftragt. Hat Peggy den Spot mit ihrem Team entwickelt? Don gegenüber hatte sie als ihr Berufsziel angegeben, einen Pitch zu entwickeln, der ein Klassiker wird. Oder ist es eine Idee von Don? Ihm zugefallen im Moment seiner Yogaübung? Ist es nicht eine Idee, die man eher an der Kalifornischen Küste als in einem New Yorker Bürozimmer entwickeln kann? Ist es eine Idee, die umgesetzt wird (der Spot läuft im Fernsehen) oder stellt sich Don nur vor, dass der Film im Fernsehen läuft? Kehrt er nach New York in die Werbefirma zurück? Oder teilt er seine Idee mit Peggy, und sie setzt sie um? Matthias Weinert, Hauptautor und Produzent der Serie, sagte im Audiokommentar, die letzte Minute von MAD MEN hätte für viel Diskussionsstoff gesorgt. Genau das macht den Reiz dieses Schnittes aus.

This entry was posted on Sonntag, 18. September 2022 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

9 Comments

  1. Jan Reetze:

    Eine schöne Erinnerung … die mir plötzlich bewusst macht, dass ich von der gesamten Serie nur noch einige Blitzlicher im Kopf habe, obwohl ich sie damals soo gut fand. Ich sollte sie einmal wieder anschauen, aber es graust mich ein wenig vor der langen Strecke.

    Der Coke-Song dürfte den Hintergrund haben, dass zum einen die Coca-Cola-Company einiges für das Product Placement bezahlt haben wird, aber wichtiger noch: Wenn mich meine Erinnerung nicht im Stich gelassen hat, endete jede Folge mit einer Originalmusik aus dem jeweiligen Jahr. Und das war dann dieser Song, der ja mit den New Seekers ein Riesenhit war.

  2. Martina Weber:

    Es gibt immer bewusste Erinnerungen und solche, die wieder aktiviert werden, wenn du die Serie nochmal schaust. Ich halte oft inne beim Zuschauen, verwende immer wieder die Pause-Taste. Über einige Blitzlichter hatte ich damals auch kleine Mana-Posts gemacht, weil sie mich an etwas erinnerten oder mir etwas bedeutet haben. Das waren die im Text erwähnen. Ich habe die Serie vor sechs Jahren gesehen und mir damals viel aufgeschrieben: Dialoge, die ich im Englischen einfach klasse fand, oder Wörter und Wendungen, die ich nicht kannte. Deshalb hat es sich lang hingezogen.

    Man kommt schnell wieder rein ins Geschehen, wenn man einfach nur eine Folge sieht oder eine Staffel. Das ist dann nicht so eine lange Strecke.

    Ja, jede Folge endet mit einer Originalmusik aus der Zeit. Du hattest es damals, als auf dem Blog darüber geschrieben wurde, angemerkt. Im Unterschied zur letzten Folge war es aber immer so, dass die Musik nur im Hintergrund lief. Diesmal war der Song mit einer Werbung verknüpft, also mit Bildern. Ich wusste erst nicht, dass es eine Original-Cola-Werbung war, weil ich im November 1970 noch nicht vor dem Fernseher saß. Ich habe es erst durch den Audiokommentar erfahren. Liegt nahe, dass es ein Deal mit Coca Cola war. Zwischendurch wurde immer mal wieder Cola getrunken.

  3. Anonymous:

    … eine Folge endet indem Draper „Tomorrow Never Knows“ von Beatles auflegt und sich zum Hören hinsetzt. Genial!

    Mad Men habe ich auch mittlerweile zwei mal komplett geschaut. Über das Ende habe ich auch gerätselt. Meine bevorzugte Interpretation ist, dass er ganz bei sich ist, wenn er etwas (was auch immer) in die Form einer Werbung übersetzt.

    Grüße
    Christoph

  4. Jan Reetze:

    Das mit dem Song wusste ich auch nur durch Zufall, weil ich die Platte habe. Die muss ich mal um 1971 von meiner Mutter bekommen haben, die damals bei Coca-Cola angestellt war. Der Song stammte aus der Brill-Building-Werkstatt und war als Werbesong geschrieben. Solche Jobs wurden immer gern angenommen. Als sich dann abzeichnete, dass darin möglicherweise ein Hit stecken könnte, musste dann nur der Text ein bisschen verändert werden.

  5. Olaf Westfeld:

    Ich habe tatsächlich noch keine Folge gesehen und nun … „graust es mich ein wenig vor der langen Strecke“ – aber bestimmt sehr, sehr gut, das ganze.

  6. Martina Weber:

    Du kannst dich glücklich schätzen, Olaf, dass du die MAD MEN-Erfahrung noch vor dir hast. Der Sog ist schon enorm, auch für mich, die ich jetzt nochmal die sechste Staffel schaue. Und so lang ist die Strecke für jemanden, der jahrzehntelang sehr sehr viele Filme geschaut hat, wie du neulich irgendwo kommentiert hast, nicht. Es fließt auch viel Zeitgeschichte ein, der Vietnamkrieg zum Beispiel. Ich, die ich während meiner Schulzeit immer wieder Referate zum Thema, wie Werbung uns beeinflusst, anhören musste, bin nun ganz angetan von der Energie einer gut gemachten Werbung. Durch die Figur des Don Draper werden existenzielle Grundfragen verhandelt, über Identität und die Rolle der Herkunft vor allem.

  7. Jan Reetze:

    Olaf, lass dich nicht abschrecken von der langen Strecke, es ist die Zeit wert. Mir ging es nur deshalb so, weil ich die Serie ja schon gesehen habe. Aber ich glaube, sie wird auch eine zweite Besichtigung sehr gut vertragen.

  8. Olaf Westfeld:

    Mal sehen, was der Winter bringt, vielleicht versinke ich ja in MAD Men … ;-)

  9. Martina Weber:

    Vielleicht ist es noch jemandem aufgefallen: Jede Folge von MAD MEN endet nach dem Abspann damit, dass kurz das Bild einer Tarotkarte eingeblendet wird, und zwar der Sonne.
    Ich wollte das Foto hier einfügen, es hat aber nicht geklappt. Und man kann die Interpretation dieser Tarotkarte auf die Entwicklung von Don Draper beziehen, wie sie sich vor allem in der letzten Staffel darstellt. Auf der Tarotkarte befindet sich unten ein Schimmel, darauf sitzt ein Kind, dahinter eine Mauer, Sonnenblumen, darüber die Sonne und an der Seite windet sich eine Standarte. Liest man die Bildsymbole von unten nach oben, so ergibt sich, wie es Renate Anraths in ihrem Tarotbuch formuliert und dann ausführlich erläutert, „ein spiritueller Weg, um `Sonnenbewusstsein´ zu erlangen und zu erkennen, was Glück eigentlich ist“. Zum Glück gehören laut der Tarotkarte der Sonne: Bewegung / die Fähigkeit, sich mit anderen zu verbinden / die Fähigkeit zur Abgrenzung / die Fähigkeit, sich dem Licht zuzuwenden / und: zu geben. In der letzten Staffel und je mehr es dem Ende der Serie zugeht, beschreitet Don diesen Weg. Er wirkt immer selbstloser. Er macht anderen Menschen wertvolle Geschenke. Megan stellt er zur Scheidung einen hohen Scheck aus, er verschenkt sein Auto einer Zufallsbekanntschaft. Er bewegt sich auf bisher unbekannten Wegen, am Ende steckt er fest an einem Ort, den er sich nicht ausgesucht hat, und er ist auf andere angewiesen, von dort wegzukommen. Er lässt sich auf eine Gesprächsgruppe ein und erkennt sich selbst in einem unscheinbaren unglücklichen Mann mittleren Alters. Und ganz zum Schluss genießt er einfach das Sonnenlicht in seinem Gesicht. Ich denke nicht, dass er in die Werbeagentur zurückkehrt. Man würde ihn nach all dem, wie er sich verhalten hat, auch nicht mehr aufnehmen. Bei McCann-Erickson weht ein anderer Wind, wir haben gesehen, wie man mit Joan umgegangen ist. Dons Geschichte ist auch die Geschichte einer Midlifekrises. Es beginnt ein neues Kapitel.


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