Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2022 4 Jun

Inselpost aus dem Norden

von: Manafonistas Filed under: Blog | TB | 7 Comments

Hallo, allerseits!

Ich bin ein alter, besser, neuer Bekannter eures chronischen Syltreisenden, der hier mal Roger Eno-Kompositionen auf einem Bösendorfer serviert bekam, neben Krabbenbrötchen.  Vielen Dank, Micha, an dieser Stelle, für das kleine Plattenpaket mit einem Schätzchen des Keith Jarrett Quartet, „Shades“. Ja, eine kleine humorvolle Truppe hatte sich da eingefunden, beim letzten Beisammensein hier  in  Sichtweite unserer Heide. Michael erzählte von dem Manafonistentreffen im Seepferdchen, und ich vernahm, wie die geschätzte Lajla, deren Nachname so kompliziert klingt, vom speziellen Grün der Dünenlandschaften schwärmte, ich kann das nur bestätigen. Und was für ein feines Buch ist das von Geoff Dyer, da wünscht man sich mehr intelektuelle Briten auf der Insel. Bei einem anderen Autor könnte Dyers Neigung, ums eigene Leben zu kreisen leicht ermüdend wirken. Aber die Kleinigkeiten, die er zur Schau stellt – die kostenlose Anmeldung beim Tennis, die Entnahme von Shampoo aus Hotels im industriellen Maßstab – klingen verdammt lebensnah. Und, ja, traumhaft, wie alles beginnt mit den zwei Kapiteln zu „Endspielen“ der besonderen Art, zwei Liedern von den Doors und Bob Dylan! (A propos Musik, was für eine tolle Entdeckung ist diese alte Jarrett-Scheibe!)

 


Aber zurück zum Thema. Diese Offenheit für die Dinge ist es, die einen dazu ermutigt, Geoff Dyer zu vertrauen, und ihm bei seinen gelegentlich etwas obskuren Streifzügen zu folgen, wie etwa Nietzsches Vorstellung von der ewigen Wiederkehr. Auch ist da stets ein feiner Humor im Spiel,  und das Gefühl, dass er genau hingesehen – und über die Dinge nachgedacht hat. Er könnte anmerken, dass bei jeder Dichterlesung, „wie angenehm sie auch sein mag, die Worte, auf die wir uns am meisten freuen, immer dieselben sind: ‚Ich lese noch zwei Gedichte.'“ Dennoch ist sein Buch durchdrungen von einer tiefen Auseinandersetzung mit Lyrik von Larkin bis Tennyson, Milton, Louise Glück und anderen. Das dürfte auch Frau Weber  nahegehen.

 

 


Der gute Herr Dyer räumt ein, dass er sich immer weniger von der militärgeschichtlichen Abteilung der Buchhandlungen entfernt, die sich zunehmend stärker auf den Zweiten Weltkrieg konzentriert. Die Zeiten sind dunkel, keine Frage. Aber er ist auch jemand, der in Joshua Tree immer noch kompliziert choreografierte halluzinogene Drogen konsumiert, buchstäblich davon träumt, Fußball zu spielen („meine besten Träume des Jahres„), und mit dem offensichtlichen Elan eines Achtjährigen Fahrrad fährt. Herr Siemer kann ein Lied davon singen. Das Alter hat ihn eingeholt, aber die Jugend ist noch da. Kniestützen an beiden Beinen halten ihn jetzt auf dem Tennisplatz, aber wie sein Titelheld Roger Federer ist es eine Reserve an Fingerspitzengefühl, Gefühl, Timing und einem scharfen Auge, die ihn im Spiel hält. Was für ein tolles Buch: immer vor dem Einschlafen ein Kapitel langsam lesen, das ist die ideale Dosierung. Geoff Dyers „The Last Days of Roger Federer – And Other Endings“ ist grosse Kunst, locker serviert.

 

 

Da hier auf dem Blog auch immer wieder  Filme besprochen werden, möchte ich gerne noch den jüngsten von Herrn Almodovar ans Herz legen – „Parallele Mütter“. Wunderbares Alterswerk mit einem Hauch von Hitchcock. Auch psychoanalytisch eine Wonne!

Inselgruss von Dr. Br.

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7 Comments

  1. Jochen:

    Fahrradfahren „mit dem Elan eines Achtjährigen“ – da fühlt man sich doch geradewegs auf frischer Fahrt ertappt … ;)

  2. Lajla:

    Danke für die netten Worte, Mr. Unknown. The grass is always greener on the other side ;)

  3. Martina Weber:

    Ich freue mich immer wieder, wenn sich jemand als aufmerksamer Leser unseres Blogs zu erkennen gibt. Von Geoff Dyer hat mich „Zona. A Book about a Film about a Journey to a Room“ regelrecht umgehauen. Sehr lesenswert auch „White Sands“. Und aus „Yoga for People, who can´t be bothered to do it“ ein Minizitat: „There was no fog, but the sound of foghorns is a part of my memory of the scene.“

  4. ijb:

    „Parallele Mütter“ ist in der Tat ein virtuoser Film. Almodovar in allerbester Regieform. Da weiß einer sehr genau, wie man die Mittel der Filmsprache meisterhaft beherrscht. Und die Schauspieler/innan wissen diese exzellent geschriebenen Drehbuchseiten mit der selben Meisterschaft zu verlebendigen. Zum Staunen. Sehr bewegend. Großer Film.

  5. Michael Engelbrecht:

    Peter, leider konnte ich dich ja nicht überzeugen, dem Club beizutreten, aber ab und zu so eine inspirierende Mail für alle hier – feinfein! Parallel Mothers wird geguckt.

    Schön dass dir Shades gefällt, ein raues Album des amerikanischen Jarrett Quartetts.

  6. Ursula Mayr:

    Die „Mütter“ konnte ich leider noch nicht sehen, hier am Südzipfel gibt’s nur 4 Kinos mit Commercials. Falls jemand Ende Juli in München ist – wir (d h die Münchner Arbeitsgemeinschaft f. Psychoanalyse) zeigen dort am 29.7. den Film LA MALA EDUCACION mit Vortrag von dem Journalisten und Medienwissenschaftler Manfred Riepe, der auch ein Buch über Almodóvar geschrieben hat (Intensivstation Sehnsucht), sowie zwei über Cronenberg und eins über die Coen-Brüder.

  7. Michael Engelbrecht:

    P.S. für Peter Br.:

    Pianist / composer Ethan Iverson declared that „every piece on Shades… is exceptional.“ He described „Shades of Jazz“ as „a goddamn classic,“ and called „Southern Smiles“ „one of the Jarrett’s best folk-rock-gospel numbers, joyous and unrestrained,“ praising Redman’s solo as „‚wrong‘ but oh so right.“

    Ich hatte zwei Vinylausgaben von Shades, beide etwas knisterig, nicht die beste Pressung. Die Vorstellung, dass Shades jetzt in deiner Kammer läuft, mit Blick zur Heide in der Dämmerung, wunderbar. Fort Yawuh wird immer mein Jarrett-Impulse Favorit bleiben dicht gefolgt von Death and the Flower und – Shades.


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