Hallo, allerseits!
Ich bin ein alter, besser, neuer Bekannter eures chronischen Syltreisenden, der hier mal Roger Eno-Kompositionen auf einem Bösendorfer serviert bekam, neben Krabbenbrötchen. Vielen Dank, Micha, an dieser Stelle, für das kleine Plattenpaket mit einem Schätzchen des Keith Jarrett Quartet, „Shades“. Ja, eine kleine humorvolle Truppe hatte sich da eingefunden, beim letzten Beisammensein hier in Sichtweite unserer Heide. Michael erzählte von dem Manafonistentreffen im Seepferdchen, und ich vernahm, wie die geschätzte Lajla, deren Nachname so kompliziert klingt, vom speziellen Grün der Dünenlandschaften schwärmte, ich kann das nur bestätigen. Und was für ein feines Buch ist das von Geoff Dyer, da wünscht man sich mehr intelektuelle Briten auf der Insel. Bei einem anderen Autor könnte Dyers Neigung, ums eigene Leben zu kreisen leicht ermüdend wirken. Aber die Kleinigkeiten, die er zur Schau stellt – die kostenlose Anmeldung beim Tennis, die Entnahme von Shampoo aus Hotels im industriellen Maßstab – klingen verdammt lebensnah. Und, ja, traumhaft, wie alles beginnt mit den zwei Kapiteln zu „Endspielen“ der besonderen Art, zwei Liedern von den Doors und Bob Dylan! (A propos Musik, was für eine tolle Entdeckung ist diese alte Jarrett-Scheibe!)
Aber zurück zum Thema. Diese Offenheit für die Dinge ist es, die einen dazu ermutigt, Geoff Dyer zu vertrauen, und ihm bei seinen gelegentlich etwas obskuren Streifzügen zu folgen, wie etwa Nietzsches Vorstellung von der ewigen Wiederkehr. Auch ist da stets ein feiner Humor im Spiel, und das Gefühl, dass er genau hingesehen – und über die Dinge nachgedacht hat. Er könnte anmerken, dass bei jeder Dichterlesung, „wie angenehm sie auch sein mag, die Worte, auf die wir uns am meisten freuen, immer dieselben sind: ‚Ich lese noch zwei Gedichte.'“ Dennoch ist sein Buch durchdrungen von einer tiefen Auseinandersetzung mit Lyrik von Larkin bis Tennyson, Milton, Louise Glück und anderen. Das dürfte auch Frau Weber nahegehen.
Der gute Herr Dyer räumt ein, dass er sich immer weniger von der militärgeschichtlichen Abteilung der Buchhandlungen entfernt, die sich zunehmend stärker auf den Zweiten Weltkrieg konzentriert. Die Zeiten sind dunkel, keine Frage. Aber er ist auch jemand, der in Joshua Tree immer noch kompliziert choreografierte halluzinogene Drogen konsumiert, buchstäblich davon träumt, Fußball zu spielen („meine besten Träume des Jahres„), und mit dem offensichtlichen Elan eines Achtjährigen Fahrrad fährt. Herr Siemer kann ein Lied davon singen. Das Alter hat ihn eingeholt, aber die Jugend ist noch da. Kniestützen an beiden Beinen halten ihn jetzt auf dem Tennisplatz, aber wie sein Titelheld Roger Federer ist es eine Reserve an Fingerspitzengefühl, Gefühl, Timing und einem scharfen Auge, die ihn im Spiel hält. Was für ein tolles Buch: immer vor dem Einschlafen ein Kapitel langsam lesen, das ist die ideale Dosierung. Geoff Dyers „The Last Days of Roger Federer – And Other Endings“ ist grosse Kunst, locker serviert.
Da hier auf dem Blog auch immer wieder Filme besprochen werden, möchte ich gerne noch den jüngsten von Herrn Almodovar ans Herz legen – „Parallele Mütter“. Wunderbares Alterswerk mit einem Hauch von Hitchcock. Auch psychoanalytisch eine Wonne!
Inselgruss von Dr. Br.