Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2021 30 Okt

Wo war ich stehengeblieben?

von: Jochen Siemer Filed under: Blog | TB | 2 Comments

Damit man sich nicht verliert im Dschungel der Digitalität, sollte man vielleicht von Zeit zu Zeit schriftlich resümierend zum Rückblick anhalten. Ist doch Paul Klees Angelus Novus, also der sich rücklings aus dem Bild entfernende Engel, nicht erst seit Walter Benjamins Reflexionen dazu von grosser Bedeutung. Auch man selbst findet zunehmend Gefallen an dieser Haltung, die auch altersbedingt ermöglicht, die Welt in Distanznahme und zunehmender Abkehr zu betrachten. Zunächst aber zum Heute: der Buchtitel „Kein Sport ist auch keine Lösung“ ist aktuelles Gebot der Stunde und katapultierte mich geradewegs in eine Gegend, in der ich vorher noch nie war. Das ist immer wieder ein gutes Gefühl. Eine neue Fahrradbrücke führte über eine neue Schnellstrasse und der laue, aromatische Südwind tat sein Übriges zu folgender Assoziation: what a stairway to heaven! Alter Mann, was nun? Ganz gewiss den Karren noch nicht hingeschmissen!

 
 


 
 

 
 

Zurück zum Rückblick: am vorigen Sonntag, der sehr sonnig war, fuhr ich zunächst in die City, um ein paar Fotoshots zu machen. Komischerweise hatte ich die ganze Zeit Byung-Chul Hans Buch Duft der Zeit im Sinn, das ich einmal wieder lesen wollte. Als ich dann aus der Stadt spätnachmittags in den Georgengarten fuhr, bot sich ein seltsames Schauspiel: im proppevollen Park, in fantastische Herbstsonne eingetaucht, fotografierte nahezu ein Jeder mit seinem Smartphone, was das Zeug hielt. Beinahe hätte ich, um eine bestimmte Perspektive zu ergattern, einen Anderen in den Teich geschubst. Ja, die Schüchternheit, sie legt sich mit dem Alter. Der Han am nächsten Tag ging rein wie Butter. Gute Lektüren, ebenso wie auch Musik und Serien, sind ja perfekte Spiegelungen, in denen man sich selbst wiedererkennt. Neben Han waren das zuletzt das Trio-Album Bayou, für mich die schlichtweg ultimative Musik. Weiterhin zu nennen wäre die vierte Staffel von Goliath, fantastisch fotografiert. Und wo sind wir heute Abend? Mit Nine Perfect Strangers auf einem Selbsterfahrungstrip der höchsten Güte. There is nothing better than a microdose of LSD.

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2 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    Grossartiger Text mit Witz und doppelten Böden. Die Szene mit dem Schuppsen ist so cool wie die Picassozeile in meinem Song des Tages. Wir sind anscheinend kurzweilig unterwegs im munter reflektierenden Retrorausch, Joey!

    Und wie man auf diesem Umweg über Zeitsprünge und -reisen an einem aufregenden Ort namens HierUndJetzt landen kann, in jener Spielart erfüllter Gegenwart, die einen leicht trunken und hellwach zugleich sein lässt. „Microdosing Marie Claire“! So lässt sich mein Jukeboxtrip mit Peter Sarstedt kurz umreissen. Achtung, Schunkelreim: Mit meiner Marie Claire ging ich mal unterm Eiffelturm her. 100 Francs, und ich mach daraus einen Limerick!

    P.S. Goliath (season 4) ist grosses Kino, NPS exzellent (Olaf und ich sind schon Fans der Serie aus dem Team um die Macher von Little Big Lies) und – kleiner Tipp – „1917“ von Sam Mendes ein frischer Eintrag in meiner Liste „Die 50 besten Filme aller Zeiten“. (Die beiden Guardiancineasten Mark Kermode und Peter Bradshaw, sowie meine Wenigkeit vergeben fünf Sterne – ist also ne sichere Sache😅).

  2. Michael Engelbrecht:

    Nach dem assoziativen comment nun mal ein hochkonzentrierter. Ich habe nämlich über die letzten Jahre gutes Wissen angesammelt über microdosing LSD.

    Ayelet Waldmann, die Frau von Michael Chabon, hat ein kluges Buch über microdosing geschrieben, das es auch auf deutsch gibt. Ihr hat es sehr geholfen, und es hat tatsächlich, klug eingesetzt mit Blick auf set und setting, ein positives Potential. Ein weites Indikationsfeld.

    Desgleichen hat Michael Pollan ein hervorragendes Buch über psychedelische Substanzen (LSD, MDMA, Psylocybin etc.) geschrieben, sachlich, fundiert, incl. Selbsterfahrungen. Ich stellte es hier vor Jahren vor.

    Natürlich war ich nicht untätig und habe mir legales LSD besorgt, vor Jahr und Tag, um mein eigenes Microdosieren zu veranstalten. Legales LSD ist kein Widerspruch in sich. Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel.

    Sobald verfügbare LSD Derivate unters Betäubungsmittelgesetz fallen, wird eine neue Molekularstruktur hergestellt, die dann auch wieder im Körper zu LSD zerfällt. So hatte ich genug LSD-Pappen, um meine eigenen Erfahrungen zu machen. Damit lässt sich eine Dosierung zwar nicht so superexakt vornehmen, aber einigermassen.

    Der finale Satz „there is nothing better than a microdose of LSD“ ist eher der geheime Leitspruch dieses mysteriösen „healing place“ aus NINE PERFECT STRANGERS, aber nicht ganz korrekt.

    Mein microdosing führte ich streng nach Anweisung aus, und führte zu ernüchternden Erlebnissen. Man kann ja mit 10 Mikrogramm anfangen (aber nur, wenn man sich bestens im Vorfeld informiert hat) , und sich langsam, in Zeitintervallen, ranrobben an die Dosierung von 50 – 150, wo die Halluzinationen kommen und der Trip Trip genannt werden kann – ich jedoch „scheiterte“ schon bei einer Menge von 30 bis 50 Mikrogramm.

    Selbst bei 20 Mikrogramm war die Reaktion meiner Psychosomatik ungesund: mich befiel starke innere Unruhe, eine extreme Nervosität, über Stunden. Und, aufgepasst, es ging mir vor der Einnahme gut, Set und Setting stimmten. Aber das Zeug tat mir leider gar nicht gut, OBWOHL ich in froher Erwartung war und kein bisschen ängstlich.

    Nachdem sich diese Erfahrung bei meinen fünf, sechs, sieben Mikrodosierungen wiederholte, brach ich das Experiment endgültig ab. Und bin ich ziemlich sicher, dass ein klassischer LSD Trip bei mir ein ziemlicher Horror werden könnte [selbst wenn ich mich zuvor fabelhaft fühle, vielleicht ist auch eine allergische Reaktion]

    Und so bleibe ich jenen „Trips“ treu, die, was bewusstseinsverändernde Erfahrungen angeht, zu den aufregendsten meines Lebens zählen: dem luziden Träumen, den Klarträumen. Dazu muss ich zwar fleissig meine Übungen machen, werde dafür aber in gewisser Regelmässigkeit von Träumen belohnt, in denen ich erkenne, dass ich träume, während ich träume, und dann die phantastischsten Dinge erleben kann, profund, abenteuerlich, kreativ.


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