Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2021 30 Okt

die Veränderung des Ausdrucks im Blick

von: Martina Weber Filed under: Blog | TB | 2 Comments

 

Daniel Clowes hat eine grandiose Fähigkeit, Gesichtsausdrücke zu zeichnen. In seiner Graphic Novel Ghost World fiel mir das bereits auf, in dem Band Caricature. Nine Stories haut es mich regelrecht um, denn ich erkenne ich jedem Gesicht eine Persönlichkeit und in jedem Ausdruck ein unergründliches Feld. Dabei liegt zwischen der Veröffentlichung von Ghost World (1997) und Caricature (1998) nur ein Jahr. Das Panel oben stammt aus der Titelgeschichte von Caricature. Der Mann ist die Hauptfigur, ein eher durchschnittlicher Karikaturist, der von einem Festival zum andern zieht, seine Ausrüstung in einen Stand räumt und Leute zeichnet. Die schönen Ladys stellt er sich nackt vor, in einer Position, wie er sie leicht haben kann. Mit der Frau im Panel links (sie hat ein blaues Auge, links, daher im Bild nicht zu sehen) kommt er ins Gespräch, sie gehen essen. Gerade hat er ihr eine triviale Karikatur eines anderen Künstlers gezeigt. Die Frau ist schwer einschätzbar, sie ist klug, arbeitet in Nachtclubs, wird dafür bezahlt, cool auszusehen und dem Club eine Identität zu geben. Ihre Eltern sind bekannte Künstler. „He’s almost too aware of what he’s doing“, sagt sie, als sie die Zeichnung betrachtet. Und was bedeutet sein Gesichtsausdruck? Da kann man viel hineinlesen: Skepsis, Bewunderung, Erstaunen, Erkennen. Es kann auch der Moment sein, in dem ihm klar wird, dass er mit ihr ins Bett will, aber nicht oder nicht nur, weil sie gut aussieht, sondern weil noch etwas anderes, wichtigeres da ist. Die Geschichte ist vielschichtig, verläuft völlig unberechenbar, am Ende muss sich der Karikaturist neu erfinden. Auch in den anderen Storys begegnen wir einsamen Randfiguren der Gesellschaft, Traumlogik, time- and spacetravel, Gewalt und Gegengewalt, Reue, Rache, Selbstreflexion. Der Reiz der Graphic Stories von Daniel Clowes: Sprache ist nur ein Teil der Verständigung. Zentral, ja: entscheidend im Leben ist etwas, was im Dunkel liegt, verschwommen, verdächtig. In einem langen Interview mit Kristine McKenna aus dem Jahr 2011 in dem wundervollen, von Alvin Buenaventura herausgegebenen Band The Art of Daniel Clowes sagt der Künstler: „The only stuff that becomes really interesting is the stuff that’s so obscure it isn’t on the internet.“ In der Story Immortal, Invisible aus Caricature zieht ein Vierzehnjähriger in der Halloweennacht trick-or-treating in seiner Nachbarschaft herum, wobei er die Häuser, die sich für das Fest geschmückt haben, meidet und die anderen aufsucht.

 

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2 Comments

  1. Olaf Westfeld:

    Genau, Sprache ist nur ein Teil der Verständigung, wie wahr in diesen (zu Recht) maskierten Zeiten. Und der 14jährige hat am Sonntag mit seinen beiden Freunden auch an unserer ungeschmückten Tür geklingelt, gemeinsam mit zwei Freunden.
    Die Panels sind wirklich sehr eigen und individuell gezeichnet.

  2. Martina Weber:

    Hier haben sie auch geklingelt. Sie hatten Plastikeimer mit blinkenden Neonschlangen dabei.


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