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2021 13 Sep

JACKY TERRASSON – SMILE

von: Hans-Dieter Klinger Filed under: Blog | TB | 4 Comments

Jacky Terrasson ist ein technisch brillanter Pianist, ein außerordentlich einfallsreicher Improvisateur. Ob er irgendwann einmal in der Galerie der Jazzpianisten in die Klasse von Oscar Peterson, Dave Brubeck, Bill Evans, Keith Jarrett, Chick Corea et alt. aufgenommen wird weiß ich natürlich nicht. Ich vermute, das wird eher nicht der Fall sein und zwar deswegen, weil er keine sensationellen Ausblicke öffnete wie Dave Brubeck mit seinen rhythmisch-metrischen Neuerungen (im Jazz), wie Keith Jarrett mit seinen atemberaubenden Solorecitals, weil er nicht Mitglied einer Miles Davis Band gewesen ist, weil er …

In meiner persönlichen Jazzpianisten-Galerie nimmt er einen Platz in der Ersten Klasse ein. Ich wurde auf ihn aufmerksam im Jahr 2006 oder 2007 durch eine Aufzeichnung des Auftritts des Ron Carter Trios bei der 37. Jazzwoche Burghausen, wo es eine grandiose Version von My Funny Valentine (Video) zu hören gab. Das komplette Konzert kann hier aufgerufen werden

Ron Carter – ich muss nicht betonen, dass er einer der größten Bassisten des Jazz ist – war Mitglied des legendären Zweiten Miles Davis Quintetts. Miles Davis war immer Avantgardist, und die Mitglieder seiner Bands waren es somit unvermeidlich ebenfalls. Ron Carter würde ich schon lange nicht mehr zu den Avantgardisten zählen, es sei denn, man erachtet die Rückkehr zur Interpretation der klassischen Standards als ‚Avantgardie‘. Keith Jarretts geradezu radikale Reminiszenzen wirkten durchaus avantgardistisch nach einer Phase der Weigerung, sich des Amerikanischen Songbooks zu bedienen. Ron Carter spielt gerne die alten Standards, auch Jacky Terrasson schätzt sie und gibt sie zurück als wunderbare Erscheinungen auf gleich hohem Niveau wie Keith Jarrett. Er spielt auch Eigenkompositionen oder bedient sich jüngerer Popsongs.

Nun denn, das mediale Erlebnis des Burghausener Konzerts veranlasste mich, mein erstes Jacky Terrasson Album zu erwerben.

 
 

 
 

Es gehört zu den meist gehörten Jazzpiano-Alben meiner Sammlung und enthält eine Fülle von Perlen, darunter die für mich schönste Version von NARDIS. Das Titelstück Smile verdient es, in die Hall of Fame des Jazzpianos aufgenommen zu werden. Es ist ein Meisterwerk. Den unscheinbar einfachen Song hat Charlie Chaplin komponiert, und wohl deswegen ist er noch am Leben. Terrasson versetzt ihn vom 4/4 in den 5/4 Takt, und zwar mit einer Feinheit und Leichtigkeit, dass man es selbst als ausgefuchster Hörer kaum spürt. Über ausgedehnte Räume rückt das Fünfer-Metrum kaum wahrnehmbar in weite Ferne, ist aber immer präsent. Wunderbar, und hier zu bestaunen.

Mit dem Hören von Jackys Alben habe ich mich nicht zufrieden gegeben. Ich wollte ihn auch live erleben. Er gastiert nicht sehr häufig in Deutschland. Im Jahr 2009 konnte ich ihn im Kleinen Saal der Laeiszhalle Hamburg hören. Unter den Stücken des Albums SMILE ist eine Version von Stevie Wonders Song Isn’t She Lovely?, die mir ein unfassbares pianistisches Rätsel blieb für lange Zeit, spielt Terrasson doch ausgedehnte Girlanden zweistimmig im Intervallabstand einer kleinen Sekunde – eigentlich unmöglich. Nach dem Auftritt seines Trios in der Laeiszhalle bat ich ihn um die Lösung des Rätsels. Davon berichte ich in comment #1

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4 Comments

  1. Hans-Dieter Klinger:

     
    Von der tieferen Mittellage bis zum Diskant werden die Töne des modernen Klaviers von 3-chörigen Saitenbespannungen durch Anschläge eines Filzhammers hervorgerufen.
     


     

    Ein Flügel verfügt über 2 bis 3 Fußpedale, von denen durch Betätigen des rechts außen gelegenen die Dämpfungsfilze permanent von den Saiten abgehoben sind.

    Durch Betätigen des links außen platzierten Pedals wird die komplette Hammermechanik so weit nach rechts verschoben, dass vom 3-chörigen Ton nur noch 2 Saiten getroffen werden. Man nennt dies – zum Beispiel in einer Klavierpartitur – una corda.

    Jacky Terrasson hat für Isn’t She Lovely? die linke Saite der tre corde um einen Halbton verstimmen lassen. Tritt er also NICHT auf das una-corda-Pedal, dann erklingt eine zweistimmige Melodie aus zwei Linien (tre corde) im Halbtonabstand. Durch Betätigen des una-corda-Pedals erklingen due corde von identischer Tonhöhe.

    Natürlich kann er bei einem Live-Konzert diesen Effekt nicht vorführen, es sei denn, es steht ein zweiter Flügel mit beschriebener Präparation/Stimmung bereit.
     

  2. Olaf Westfeld:

    Ich hatte mir den Namen Terrasson schon im Zusammenhang mit „Nardis“ gemerkt. Nach dem Lesen von Deinem Post war zufällig Zeit, in Smile reinzuhören – es ist ja alles gleich verfügbar, Spotify sei Dank. Ich habe die beiden Songs – Smile und Isn*t she lovely – sowieso sehr gerne … Das Album ist jedenfalls atemberaubend, ganz groß, vielen Dank dafür.

  3. Bernd Freter:

    Tolle Einblicke in ein kleines Jazzmeisterwerk! Habe mir die CD gestern Abend mit Genuss wieder mal angehört!

  4. Helmut Schreiber:

    Smile ist natürlich eine tolle Pianoplatte. Es gibt so viele Juwelen am Rande des Weges, da ist dieses Album wahrscheinlich schon ein Bestseller im Vergleich. Ganz und gar zurückgenommen und dabei ungemein faszinierend sind die Miniatures von Glauco Venier – nur das Piano und ein paar Glocken und Klingeln im Hintergrund.


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