Kurz bevor das alte Jahrtausend zuende ging, schickte mir Konrad Heidkamp einen Text, der bald darauf so oder leicht verwandelt in der „Zeit“ erscheinen sollte. Er war glücklich, diesmal nicht allzusehr der inneren Lyrik zu folgen, und ein paar handfeste Geschichten zu Jon Hassells Musik zu finden, in einem schon damals älteren Interview aus der Jazzthetik, das mein Londoner Gespräch mit Jon aus dem Sommer 1990 enthielt. Ich habe mir erlaubt, die Dinge, die er von mir hatte, Fakten, kleine Sätze, rauszukürzen, und nun liest es sich so.
„Was macht der Kritiker beim Hören? Kratzt am schwarzen Stabilo point 88 auf und ab und wartet auf den Impuls. Hört, hört, hört, hofft, irgendetwas möge doch endlich auf dem karierten Papier erscheinen. Vergeblich. Jon Hassell, die zweite, die dritte. Leeres, weißes Blatt, wieder vor lauter Hören zu schreiben vergessen. Keine Bilder, keine Assoziationen – Musik. Schließlich schreibt er zeitgezwungenermaßen das Folgende:
Seit 20 Jahren kennen manche die Platten des Trompeters Jon Hassell, haben jenen verhangenen, elektronisch verstärkten Klang im Ohr, jenen atmenden, stimmähnlichen Sound, der sich über afrikanische Rhythmen legt, zu Samples haucht und indische Ragas begleitet – Fundstücke auf verschiedenen Labels, in immer neuen musikalischen Zusammenhängen, Malerei im freien Stil, die mit Brian Eno ambient schafft, Jazzelemente dazumischt und in Bluescreen-Technik ungehörte Verbindungen zwischen Vorder- und Hintergrund kreiert.
So könnte man beginnen. Aber auch manches überspringen, und jetzt endlich den Titel nennen: „Fascinoma“, ein Album, das all dies hören lässt und doch ganz vertraut klingt. Ein Trompetenton, unverstärkt und warm, dazu die Flöte von Ronu Majumdar, das mäandernde Piano von Jacky Terrasson und die Gitarre und Inspiration von Ry Cooder. Jon Hassell improvisiert, als wäre Atmen wie Musik …
Doch lieber ihn selbst zitieren: „Gleichzeitig feiere ich hier meine erste Berührung mit musikalischen Exotica in Form von bestimmten Liedern und Melodien, die ich als Kind im Radio oder Kino gehört habe. Diese Musik schafft eine Art beständiger Technicolor-Oase in meinem Kopf – einen Ort, zu dem ich immer wieder heimkehren möchte zu einem erfrischenden Trunk, ob er jetzt nach Duke Ellingtons und Juan Tizols Caravan schmeckt oder nach Ravel, nach Raga oder Gamelan oder Gil oder JoÆo oder Joujouka – einen Ort, wo die tief liegende Quelle entspringt, aus der sich mein Fourth-World-Paradigma speist.““