Manafonistas

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2021 24 Jun

Lou Reed: Coney Island Baby (1976)

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | Comments off

 

Ich habe mich, auch nach Jahrzehnten, nicht geirrt (was sonst gewiss häufiger vorkommt!) – es gibt einen hinreissenden Lovesong auf „Coney Island Baby“, der „Coney Island Baby“ heisst und nahtlos in den Kosmos von „Astral Weeks“ gepasst hätte, so gut ist er tatsächlich. Lou Reed war damals, 1976, auf den Hund gekommen, seelisch, körperlich, finanziell. Und was für Kinder des Ruhrgebiets die Cranger Kirmes war (auf der ja wohl auch die Geister dunkler Zeiten verscheucht wurden), war für waschechte New Yorker Coney Island, eine Ort, an dem es, wie Stuart Berman, schreibt, „immer 1953 ist, eine Jahrmarktsfantasie, die aussieht, als würde sie gleich von der imposanten, endlosen Weite des Atlantiks verschluckt werden. Coney Island fühlt sich an wie der letzte Halt vor dem Ende der Welt. Es ist unsere kollektive Vision des bevorstehenden Todes, groß geschrieben in Riesenrad-Lichtern und Zuckerwatte: Ein letztes Aufblitzen von Kindheitsnostalgie, bevor wir in der Leere verschwinden.“ Also etwas grösser und existenzieller angelegt als eine Kirmes mit Auto-Scooter und Geisterbahn im Kohlenpott – eine historisch verbürgte Schattenwelt. Und genau dort zog es den jungen Lou hin, um sich am eigenen Schopf, und mit einer formidablen Band, aus dem Sumpf zu ziehen. Es gibt auch hier nachtschwarze „Partysongs“, die aus billigem Sex, Koks und Todesnähe gebastelt sind, aber es gelingt dem Mann am Abgrund, eine Handvoll schwebend-leichte Lieder aus dem Ärmel zu schütteln, die nicht in Alpträumen versinken, sondern so etwas wie feinen Beobachtungsssinn an den Tag legen, die Gitarrenluftigkeit eines Eric Clapton, die Bereitschaft, sich der eigenen Normalität zu stellen, und vielleicht sowas wie Liebe zu finden. So kannte man ihn vorher nicht. Ich gebe dem Album, das ich heute zum ersten Mal seit 1976, 1977, 1978, um den Dreh rum, gehört habe, dreieinhalb Sterne, und ein Lächeln mit auf den Weg.

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