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2021 1 Apr

Ein Interview mit Stuart Baker aus dem Jahre 2006

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | Comments off

 


Vorspiel 2006
: Das waren noch Zeiten, als, gerade mal zehn Minuten von meiner Haustür entfernt, die Platten und Bücher des Londoner Labels Soul Jazz Records ankamen, bei einer kleinen PR-Agentur. Alle paar Wochen kam ich vorbei, und mit neuem Stoff aus dem Hauptquartier von Stuart Bakers Label nach Hause: die Roots Reggae-Fundgrube von Sir Coxsone Dodd schien unerschöpflich, aber es gesellten sich auch brilliante Kompilationen aus Brasilien, der New Yorker-Noise-Szene und etlichen anderen Quellen hinzu. Ein Sammelsurium mit Sinn und Verstand. Stuart Baker ist ein Musikdetektiv, ein Jäger fast verlorener Schätze: wilder, nie gehörter Jazz aus den 60er Jahren, kubanische Ritualtrommeln, harsche Elektronik aus New Wave-Zeiten. SoulJazz Records wurde eine Bereicherung meiner Klanghorizonte im Deutschlandfunk, von Anfang an. Ein kleines Interview nun, per Telefon, das damals als Corso-Gespräch im Radio lief.

 

Woran arbeiten sie gerade in ihrem Büro in Soho?

 

Wir arbeiten an einem Buch mit dem Titel „New York Noise“ – ein Buch über die New Yorker Musik- und Kunstszene der 80er Jahre, mit Bildern von vielen Protagonisten und mit Texten, etwa von David Byrne oder Cindy Sherman. Und da nähert sich die Deadline, heute muss der komplette Text in die Post gehen! Zudem beende ich gerade die Begleitexte für unsere zweite „Tropicalia-Compilation“, die brasilianische Musik in den Siebzigern!

 

In früheren Jahren zogen sie ja länger durch die USA, stets mit der Musik im Blickfeld. Wieso waren sie so scharf auf Raritäten, unabhängig von ihrem komerziellen Wert?

 

Ich war eigentlich besonders an schwarzer amerikanischer Tanzmusik interessiert. Ich weiss gar nicht so genau, woher diese Faszination rührte. Auf jeden Fall war es ein guter Weg, die USA zu erfahren, und nebenher eine Art musikalische Erziehung zu erhalten.

 

Sie sagten einmal: man kann dieselbe Faszination für eine Jazzplatte aus den 50er Jahren empfinden wie für ein modernes Tanzalbum. Man muss es nur in der richtigen Weise präsentieren.

 

Es ist meine eigene Erfahrung, dass ich die Musik einer anderen Kultur und einer anderen Zeit genauso genießen kann, wie Musik aus dem heutigen England. Hermann Hesse kann für einen 16-jährigen englischen Jugendlichen  genauso spannend sein wie ein brandneuer Roman. Es geht halt  um die Weise, wie man eine Umgebung präsentiert, die sich außerhalb deiner eigenen, gewohnten Kultur befindet. Und das ist die Freude daran, eine Plattenfirma wie Soul Jazz Records zu haben.

 

Soul Jazz Records ist berühmt geworden für all die immer  noch sprudelnden Veröffentlichungen aus dem legendären Archiv des Studio One von Sir Coxsone Dodd. Können Sie etwas erzählen von ihrer Beziehung zu Coxsone, und zu ihren Kämpfen gegen die „englische Reggaepolizei“?

 

Ja, das ist wahr. Unsere Beziehung  begann vor etwa 10 Jahren – wir sagten ihm, dass wir gerne mit ihm zusammenarbeiten würden, und sandten Coxsone eine Sammlung unserer Arbeiten. Er mochte es, daß wir kein reines Reggae-Label waren, sondern alle möglichen Genres von Musik im Programm führten. Nicht zuletzt  Jazz und Soul – diese Musik liebte er sehr! Er gab erst mal sein Ja für ein Projekt. Ich traf ihn in New York, und  das führte mit der Zeit zu einer Freundschaft – und zu Reisen nach Jamaika. Er gab uns auch grünes Licht für einen Film! Von da an haben sich die Dinge stetig  weiterentwickelt. Und was die etwas sarkastische Bemerkung von der „Reggae Polizei“ betrifft – nun, die Wege, die Soul Jazz Records ging, waren in den frühen Jahren ziemlich gewöhnungsbedürftig für viele Leute. Uns ging es ja darum, Verbindungen aufzuzeigen zwischen Reggae, Soul- und Funkmusik! Und was jetzt ziemlich offensichtlich erscheint, löste vor gut zehn Jahren noch ziemlich viel Befremden aus. Und viele Leute, die mit ihrer Liebe zum Reggae aufgewachsen waren, hatten da eigene Empfindsamkeiten entwickelt. Und die richteten sich gegen unsere Vorgehensweisen. Da gab es einige Reibereien, und das war auch ein Generationenproblem!

 

Die Reggaemusik hat ja oft ein sehr verklärtes Sonnenschein-Image. Aber die Wahrheit ist eine andere: einige Protagonisten wurden ermordet; Armut machte sich breit, Wohlstand war kaum zu erlangen, wenn man keinen Vertrag von großen Labels bekam. Wieso, denken Sie, strahlen diese alten Reggaeklänge heute noch eine eigen Magie aus?  

 

Ich denke nicht, dass Reggae einfach nur eine Emotion verkörpert. Es hängt von der jeweiligen Zeit ab: „Ska“ war sehr turbulent und aufregend, spiegelt die Unabhängigkeit und die eigenen Wurzeln; in den 70ern wurde der Reggae nicht melancholischer, aber teilweise dunkler. Wieder spiegelte die Musik die Zeit, aber, wie bei aller Musik, die ich mag, kam hier stets etwas Rohe und Raues zum Vorschein, etwas Ungeschliffenes. Diese Reggae ist sehr roh, und das kommt bei den alten Aufnahmen sehr klar zum Ausdruck.

 

Nachspiel 2021Various Artists – Cuba Music And Rvolution – „Culture Clash in Havana Cuba – Experiments In Latin Music Vol. 1) – „This compilation, curated by Gilles Peterson and Soul Jazz’s Stuart Baker, collects together some of the most exploratory items from the catalogue of Cuban label EGREM. Irakere appear with a track from 1976’s Grupo Irakere, finding them mixing Afro-Cuban percussion and syncopated vocals with bursts of brass and distorted guitars. On ‘Y No Le Conviene’ Juan Formell & Los Van Van blend son with a classic 60s beat bassline, while Grupo de Experimentación Sonora del ICAIC’s ‘Sondeando’ could be a Curtis Mayfield soul soundtrack gem in disguise. At times there appears a kinship with Brazil, Pablo Milanés‘ ‘Te Quiero Porque Te Quiero’ having more than an echo of Milton Nascimento’s orchestral pop, while Paquito D’Rivera is a samba delight. Surprise of the record must be Juan Pablo Torres y Algo Nuevo’s ‘Rompe Cocorioco’, a funky sonwith a lunatic arrangement: synths bleeping, harpsichord hooks, in-your-face percussion and a relentless pace that somehow gives it a proto-disco feel. The bittersweet conclusion after listening is that while salsa was exploding around the world, its progenitor, son, was having its own adventures back in Cuba, its light burning just as bright. Such a shame that only a few saw it flicker at the time.“

 

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