Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2020 3 Dez

Fussball, Twist, und Rock‘n‘Roll

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | 7 Comments

 

 

Man kann es nachschlagen, man kann darüber lesen, aber am besten ist es natürlich, man wird es selber. Meister. Wir sind im Terrain der Kindheitserinnerungen, leicht zu verzerren durch die Filter des Unterbewussten, Ausschmückung, Übertreibung. Der meist gesagte Satz eines Philosophen, in meiner Nachtsendung, stammt von Gaston Bachelard: „Die Räume der Kindheit müssen ihre Dämmerung behalten.“ Für dieses Spiel brauchte ich keine Dämmerung, aber wenn es eine gebraucht hätte, dann bitte mit Flutlicht!

 

Nun, ich kann die Erinnerung nachstellen, ein Wochenende, ein Nachmittag, Berliner Strasse Nr. 2. Ich sitze auf der Couch. Bei der Oma in Essen-Frohnhausen. Als wäre es heute, kann ich in den Körper des Kindes huschen, der hochspringt, als Hoppy Kurrat das 1:0 schiesst. Der kleine quirlige Verteidiger, mit einem satten Schuss. Köln war der klare Favorit bei diesem letzten Endspiel um die Meisterschaft, vor Einführung der Bundesliga. Aber dann kam Hoppy. Der erste Hobbit. 3:1 hiess es am Ende. Für Borussia Dortmund. Hier ein Nachbericht. Das alte Schwarzweiss. Der nüchterne Tonfall. Der Rausch. Wer hat das Spiel eigentlich live kommentiert? Ich glaube, es war der wunderbare Ernst Huberty (der stets etwas Leichtes, Elegantes hatte).

 

Ungefähr ein Jahr früher war der Twist in der Bundesrepublik angekommen. Im Mittelalter nannte man es die Tanzwut“, schrieb das amerikanische Time-Magazin. „Die Zeiten waren voller Seuchen und Kriege, so daß die Leute ihren Gram in wilden Tänzen abzuschütteln suchten. Und sie tanzten zu Tausenden, bis sie umfielen.“ Nun, ich erinnere mich gut an meine  kurze Twist-Phase, im Sommer 62, als ich wegen meines Asthmas sechs Wochen nach Norderney kam. Es war nicht der ideale Einstieg in die Welt der friesischen Inseln, und ich bin – kindliche Entschlusshärte – nie wieder nach Norderney übergesetzt. Die Nonnen führten ein strenges Regiment in diesen Kinderheimen. Aber abends, in den grossen Zimmern, probten wir den Aufstand, tanzten den Twist. Wer erwischt wurde, landete bei Milchsuppe und Hausarrest. Im Sommer darauf wurde ich zum ersten Mal Meister. Im Fernsehen lief „Am Fuss der blauen Berge“. 1965 kaufte ich meine erste Single, wieder ein Rausch. Der Wahnsinn, die A-Seite. Chuck Berry kannte ich gar nicht. Ich war 10 und beendete meine kurze Karriere als Messdiener.

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7 Comments

  1. Martina:

    Ich war, als ich gerade fünf Jahre alt geworden war, mit meinen Eltern und meinem Bruder vier Wochen auf Norderney, um meinen Keuchhusten auszukurieren. Das ist die erste Reise, an die ich viele Erinnerungen habe: Meine Angst vor den Krebsen und dass mich meine Mutter getragen hat, damit ich nicht auf Krebse treten muss. Der Strandkorb, der ein kleines Zuhause war. Dieser unglaubliche Wind. Ich erinnere mich auch daran, dass meine Mutter unsere Unterkunft als unsauber empfunden hat und dass sie deshalb geweint hat und eine andere Unterkunft haben wollte. Ich weiß aber nicht mehr, was daraus wurde. Mein Keuchhusten jedenfalls war verschwunden. Und ich bin nie wieder auf Norderney gewesen.

  2. Michael Engelbrecht:

    Ich glaube, man vergisst es nicht, wenn man Keuchhusten hatte. Bei mir kam statt des Christkindes dieser tückische Husten. Und dann in aller Früh beim Kinderarzt.

    Auf so einer Insel, in solchen stillen Zeiten, kommt man leicht in einen meditativen flow. Und hat kurzweilige Begegnungen mit Fremden, die entweder Ureinwohner sind (das reichste Nest ist Morsum:)), Zweitwohnungsbeaitzer, oder hart arbeitende Menschen wie ich.

    Eno mailte gestern, dass er erst heute dazu komme, meine Fragen zu beantworten, weil er seine Tochter tagsüber in Birmingham besucht habe. Und der Clou: gerade als ich seine Post bekam, lief bei mir das komplette Album FROM BRUSSELS WITH LOVE durch. Und da kommen, in einer der aussergewöhnlichsten compilations ever (von 1980 und überhaupt), auch Jeanne Moreau und Eno zu Wort, umgeben von elektronischen Sounds. Dir würde das Teil gefallen, bei der reissue gibt es nicht nur eine tolle Edeledition, sondern auch eine Neuauflage der alten Kassette. Bei Les Disques du Crepuscule kannst du nachgucken.

    Morgen geht es zurück. Bis dahin muss ich noch ein paar Klamotten kaufen, Sanddornsaft, was, man eben so macht, wenn man sich mal erholen muss von meiner Variante von knallhartem investigativem Journalismus. Manche Leser mögen jetzt denken, hat der einen Clown gefrühstückt. Aber nein.

    Fakt ist, ich bleibe an dem Fall mit dem Sprengstoffbesteller dran. Das Räumkommando musste fünf Stunden lang das Teil entschärfen, vor Ort, es war schon zusammen gemischt worden.

    Fakt ist, und das liest du nirgends, es gibt eine unterirdische Galerie, u.a. mit einem Chagall, die nie für die Öffentlichkeit geöffnet ist, und lediglich den Besitzer beglückt in endlosen stillen Stunden. Ich versuche heute eine Begegnung anzuleiern. Ist aber mehr von der Sorte: Kobra, übernehmen sie. Ihre chance ist gleich null. Und das ist jetzt keine Story aus dem Krimi SYLTER LÜGEN, in dem es u.a. um einen gefälschten Chagall geht. Und um eine Landarztwitwe😉

    Ich würde heute abend gerne den alten deutschen Kinofilm NORDEE IST MORDSEE sehen(hiess der wirklich so?, Jan wird ihn gut kennen als Hamburger Junge).

    Und meine kurzweiligen Telefonate mit Rosato weiter führen, über Gott (den vielleicht gar nicht gibt), die Welt (die auseinanderfällt), und, was wohl passiert, wenn 2025 das Köln Concert 50 wird.

  3. Rosato:

    1:0

    ich erinnere mich an das 1:0 von Libuda, geschossen zwischen 1964 & 1968 gegen Liverpool?

    gesehen in einem überfüllten, verrauchten Studenten-Wohnheim-Gemeinschafts-Raum – schwarz/weiß natürlich.

    War das der erste Europa-Pokal, den eine Mannschaft aus der BRD gewonnen hat?

    An Husten kann ich mich nicht erinnern.

    Wegen Unterernährung (vermute ich) war ich in Oberammergau – Berge statt Meer

  4. Michael Engelbrecht:

    Schönes Tor.

  5. Martina:

    Bei allen sehr fragemtarischen Erinnerungen an Norderney erinnere ich nicht an den Anlass der Reise: den Keuchhusten.

    Audiokassetten kaufe ich nur als Leerkassetten, um etwas aufzunehmen, am liebsten deine Sendung, Michael :)

    Das Buch von Bachelard, Poetik des Raums, ist sehr inspirierend, auch heute noch. Deinen Lieblingssatz aus dem Buch, Michael, habe ich im Kapitel „Das Haus: Vom Keller zum Dachboden. Der Sinn der Hütte“ in Abschnitt IV gefunden: „Das früheste und für die Traumgehalte entscheidende Haus muß seine Dämmerung behalten.“

  6. Michael Engelbrecht:

    FROM BRUSSELS WITH LOVE war eine der ganz wenigen Musikkassetten, C 90, die ich mir mal gekauft hatte… gan es damals die SOUNDS noch, frage ich mich, nicht dich, oder schon die SPEX? Das Tolle: das stilistische Spektrum. Alle sagten POST PUNK, aber das war schon viel zu eng. Als wäre es etwas zum Bejubeln, wird von mancher Band heute noch das Etikett angedichtet, POST PUNK. Naja. Noxh ein Hauch Free Jazz, und es wäre wie Klanghorizonte aus Brüssel gewesen anno 1980. Überlege gerade , vielleicht doch daraus ne ganze Stunde zu machen am Dezembertag 26.

  7. Michael Engelbrecht:

    So entstehen playlists. Brian hatte wohl keine Lust, eine alte love story aus Paris (zwei Frauen, die an seiner Seite, und die in den Ohren der zwei, Joni Mitchell mit Court and Spark) neu zu erzählen, hätte gut gepasst nach der Stunde über sein Sozndtrackalbum, und den Klassiker Music For Films.

    Also, und das passt auch super:

    From Love with Bruxelles, evtl gemixt mit dem Barry Lyndon Soundtracck. Zack: angerichtet!

    https://www.manafonistas.de/2020/11/22/baukasten-fuer-zwei-ausgaben-der-klanghorizonte-am-19-und-26-dezember/

    Und dann war auch Raum für Olaf W.s Weihnachtsmusikempfehlung aus einem alten Indien.


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