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on life, music etc beyond mainstream

2020 3 Mrz

Die Geschichte eines Jazzmagazins

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | 11 Comments

Zum Beispiel das Magazin vom 5. März, das man abends um 21.05 Uhr hören kann. Im Deutschlandfunk. Und sieben Tage lang, danach, in der Mediathek des Senders. Ein Magazin, in dem alles bloss unverbunden nebeneinander steht, mag ich nicht. Ein Strauss Buntes ist zwar nicht zu verachten, aber ein Strauss Buntes ist eben nicht einfach ein Strauss Buntes. Da können Welten zwischen liegen. Es kommt auf die Komposition der Farben an. Ich mag rote Fäden, die en passant auftauchen, oft erst in der Planung, oder beim Verfassen des Skripts. Diskrete Leitfäden.

 

So diskret natürlich nicht, wenn man in einen öffentlichen Raum spricht. Ein Leitfaden diesmal sind sogenannte „alte Werke“, Schallplatten und Cds, die zwischen 1971 und 2018 rauskamen. Sie fliessen am Rande ein, aber bei manchem Hörer wird dann der Griff in den Plattenschrank (oder die Lust am Verfolgen einer Spur) so naheliegend sein wie der Wunsch, vielleicht die eine oder andere der neuen Produktionen zu erwerben. Welche historischen Aufnahmen werden also anklingen, ohne einen einzigen Ton von ihnen zu spielen? Hier sind sie: Carla Bley: Escalator Over The Hill. Paul Bley: Open, to Love. Gil Scott Heron: Pieces Of A Man. Ralph Towner: Solo Concert.

 

Und natürlich, wenn man sich die Sendung ein- oder zweimal anhört, und meinen dezent servierten, rein verbalen, Schlussknall nicht überhört, eine hübsche Breitseite für stockkonservative Musiklehrer, Gema-Lobbyisten – und Bierzeltbewohner des Jazz, dann weiss man, wo hier der Hase im Pfeffer liegt.

 

Dass es beim Hören von Musik, die nicht auf glattrasierten Oberflächen dümpelt, stets eine Tiefenstrukur, oder, weniger Chomsky-like, einen doppelten Boden, einen Abgrund, diverse „roots“, und zuweilen eine Unerschöpflichkeit gibt (warum sonst zu ihr zurückkehren?), das sollten die eingehend vorgestellten neuen Produktionen idealerweise belegen. USA: Gil Scott-Heron & Makaya McCraven. Jeff Parker. Transatlantische Bündnisse: Carla Bley Trio. Wolfgang Muthspiel Trio (diese beiden ECM-Produktionen werden von Bert Noglik und Thomas Loewner mit Interviewpassagen präsentiert). England / Südafrika: Shabaka and the Ancestors. Europa: Samuel Rohrer.

 

Und im Laufe der Zeit werden Sie auch die Stimmen von zwei Schlagzeugern vernehmen, von Samuel Rohrer aus einem aktuellen Interview, und von Jon Christensen aus einem Gespräch aus dem letzten Jahrhundert. Samuel Rohrer schrieb mir vor Tagen: Jon Christensen war und bleibt mein erster großer Held! Und so wäre es auch gar nicht verfehlt, ein paar der grossartigen Alben zu nennen, an denen der Norweger mitwirkte. Ich habe mich auf ein einziges beschränkt, statt gleich ein Dutzend aufzuzählen, weil ein Magazin eben nicht ausufern sollte. Und „Sich-Auf-Die-Suche-Machen“ ein Teil der Freude auf Entdeckungsreisen ist.

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11 Comments

  1. stimme aus dem off:


    … eine hübsche Breitseite für stockkonservative Musiklehrer …
     
    vergebliche mühe . die hören keine sendungen von engelbrecht an
     

  2. Michael Engelbrecht:

     
    … doch, doch, es gibt auch viel Laufkundschaft …
     

  3. Uwe Meilchen:

     
    Zum Nachhören

     

  4. Olaf:

    Dieser trockene und energetische Bass scheint der Antrieb bei den Ancestors zu sein, beim Carla Bley Trio habe ich das Gefühl, einem Gespräch zu zuhören und der Kopfnicker Jazz von Makaya McCraven und Jeff Parker gefällt mir sehr gut. Schöne Sendung!

  5. Michael Engelbrecht:

    EIN bedeutendes Fundament allemal. Ariel Zamonsky ist der Bassist. Er stammt aus Argentinien, lebt aber seit 2005 in Pretoria. Einer der gefragtesten Bassisten in Südafrika, er spielte u.a. mit Louis Moholo, ein Drummer der alten Heroen, der so viele – und auch schon in Chris McGregors Brotherhood of Breath – Spuren hinterliess.

    Ein famoses Album, was Shabaka and the Ancestors hier abliefern, und es ist zu hoffen, dass das zu neuem Label erwachte Label Impulse! auch weiterhin an die legendären Zeiten anknüpft.

  6. Olaf (Ost):

    In den Jazzfacts blieben meine Ohren sofort hängen an „We’re New Again A Reimagining“ by Makaya McCraven. Ganz reizvoll. Spoken poetry with rhythm-soundscape sind zuweilen eine unglaublich magische Melange. Zum Beispiel solche Black Voices, wie die Last Poets und deren zeitgenössischer Nachfolger Saul Williams, den ich ob seiner krass charismatischen, auch agitatorisch-gebildeten Ausstrahlung sehr bemerkenswert finde. Im Deutschen mag ich Katharina Franck sehr, deren CDs Hunger und Zeitlupenkino ich eben mal wieder aus dem Schrank gezogen hatte.

    Danke auch für den Tip Samuel Rohrer. Genau meine Schiene. Und siehe da: der großartige Burnt Friedmann, dessen rhythmische Eskapaden ich fresse, und überhaupt, dessen musikalischem Weg ich seit gewiss 25 Jahren nachfolge, hat den Rohrer auch schon remixed, was mir durch die Lappen gegangen war.

  7. Michael Engelbrecht:

    Bernd lebt ja in Berlin seit langem, das waren noch Abende, mit ihm und Mr. Liebezeit zusammen, und Stories hören. Mit Samuel Rohrer hatte zuletzt den einen und anderen Kontakt, mir gefällt seine Zwischen den Zonen Musik auch sehr.

    Er schrieb mir vor Tagen:

    (…)

    „Ich mach grad ein Album mit Max Loderbauer, Stian Westerhus, Tobias Freund und mir fertig, welches ich vor zwei Jahren aufgenommen habe. Ziemlich dunkle aber schöne progressive Ambient Ausdehnungen :) – ein Spaziergang im abendlichen Wald eben.“

  8. Olaf (Ost):

    Da ist mir ja wieder mal jemand voraus … ;)

    Dem Bernd habe ich auch schonmal ’ne Nuss zu knacken gegeben … :) Ist aber schon Jahre her, als er noch mit einem Set an MD-Playern unterwegs war.

    Und als es dann zu der Zusammenarbeit mit Sylvian kam, fiel ich fast in Ohnmacht. Zwei meiner – so unterschiedlichen – Heroen treffen aufeinander. Dabei war es eigentlich nur
    folgerichtig. Denn irgendwann hatte ich begriffen, dass es eine Sphäre im musikalischen Kosmos geben musste, in der
    sich die besten der Besten auf den Divanen lümmeln und genreübergreifend und scheuklappenlos miteinander kommunizieren.

    Ich erinnere mich auch immer gern an die Zeit, da Burnt bei incoming! veröffentlichte. Einmal war das Label mit einem Showcase in Potsdam vorstellig, bei dem auch Burnt
    auflegte. Ich glaube, ich war der einzige Zuschauer, oder einer von höchstens dreien. Saß auf einer Holzkiste am Ende des Saales und spürte mit dem Hintern den Bässen nach, die je nach Frequenz verschiedene Bretter der Kiste zum Vibrieren brachten.

    Tja, und Liebezeit war wohl auch ein interessantes Unikum, das ich gern kennengelernt hätte. Das ist dann wohl der Bonus, den man als Radiomensch einsackt!

    Kürzlich erst hatte ich entdeckt, dass die »banality of evil« (Sylvian/Friedmann) auf einem Ausspruch von Hannah Ahrendt beruht, welche mal mit einem Günther Anders
    verheiratet war. Von diesem wiederum las ich mit großem Gewinn einige Schriften; besonders die Essays in »Die Antiquiertheit des Menschen« haben mich wegen ihrer
    Klarsichtigkeit begeistert und geprägt.

  9. Olaf:

    Lustigerweise habe auch ich diverse Konzerte und DJ Sets in Potsdam erlebt, wo sich kaum oder nur wenige zahlende Besucher hin verirrten. Falls ich auf diesen Incoming Abend war, habe ich es verdrängt; jedenfalls mochte ich das Label in den 90ern sehr, neben Friedmann hatte es mir damals besonders Unitone HiFi angetan.
    In meine Erinnerung eingeprägt hat sich ein Tortoise Konzert in Potsdam in den 90ern; die waren damals wohl auf den Höhepunkt ihrer Bekanntheit in Deutschland und trotzdem war der Saal im Waschhaus… na ja, immerhin halbvoll oder so. Bei anderen durchaus bekannten Bands war es dann noch deutlich leerer, besonders bei elektronischer Musik.

  10. Michael Engelbrecht:

    Die Anzahl der Olafs hier ist fast schon psychedelisch. Fehlt nur noch, dass sich Olaf S. aus dem nordwestlichen Ruhrgebiet meldet😉

  11. Lorenz:

    Ich habe Liebezeit/Friedman zweimal live erlebt (Tuebingen und Stuttgart) und war jedesmal begeistert mit welcher Gelassenheit und gleichzeitig Kraft Jaki Liebezeit die geheimen Rhythmen auf seinem etwas anderen Drumset spielte.
    Und schade, dass es die Platte von Samuel Rohrer nicht auf CD gibt. Tolle Musik!


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