Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2017 31 Mai

Ereignisgeschenke

von: Martina Weber Filed under: Blog | TB | Comments off

Kürzlich lud mich ein langjähriger Freund zum Abendessen in einem italienischen Restaurant ein. Er fragte mich, ob ich mich daran erinnern könne, dass wir in einer Zeit, in der er, aber noch nicht ich, in dieser Stadt lebten, in genau diesem Restaurant Pizza gekauft und uns auf eine bestimmte Bank im Park gegenüber gesetzt hatten. F – ich nenne ihn F – wusste noch genau, welche Art von Pizza wir geordert hatten. Ich weiß es nicht einmal mehr jetzt, nachdem F es mir erzählt hat. So funktioniert Erinnerung. Wir saßen auf Hochstühlen an einem der wenigen hohen Tische. Eigentlich sah es eher aus wie ein Imbiss als wie ein Restaurant. An der Eingangstür klebte ein Plakat, auf dem groß „25 Jahre“ stand und eine gute Gastronomiebewertung, aber als F den Inhaber fragte, wann sie das Restaurant (er sagte Restaurant, nicht Imbiss) eröffnet hatten, sagte er, vor 32 Jahren, und sie hatten nur fünf Jahre bleiben wollen. Es war Fs Geburtstag und ich fragte ihn, was ich ihm schenken könne. Heutzutage verschenkt man keine Bücher mehr, schon gar nicht solche, die man (der Beschenkte) angeblich unbedingt lesen müsse. Und Musik? Mein letztes Mixtape ging an T., das war im Spätsommer 2012. Hier ist die Tracklist. Einige Jahre lang habe ich meinen Geburtstag so gefeiert, dass ich meine Gäste darum bat, auf keinen Fall ein Geschenk mitzubringen, dafür aber eine kleine artistische Einlage vorzubereiten, das Thema war frei. Jemand führte einen Zaubertrick vor, es gab einen mathematischen Beweis, ich erinnere mich an selbst angefertigte Comics, die Panels lagen im Großformat auf dem Teppich, einer führte auf einem winzigen Kinderklavier mit höchstens 16 Tasten John Cages 4.33 auf, einmal brachte jemand einen Kurzfilm auf VHS mit, über den wir dann diskutierten, jemand warf den alten Diaprojektor an und zeigte Landschaftaufnahmen aus aller Welt, und Städte aus den 60er Jahren und wir sollten herausfinden, aus welcher Region sie stammten. Die Idee verbreitete sich. Es gab eine legendäre Geburtstagsfeier bei S, einer gemeinsamen Freundin von F und mir, bei der F und ich aus Peter Handkes „Publikumsbeschimpfung“ im Wechsel lasen und ein anderer Gast eine lange, lässige selbst verfasste Geschichte, an deren Inhalt ich aber keinerlei Erinnerung mehr habe, weil ich mich auf seine Stimme und auf die Art seins Vortrags konzentrierte. Ich könnte F fragen, worum es in der story ging, er erinnert sich, fast wahllos, an alles. F arbeitet als Selbstständiger in einem Gemeinschaftsbüro und er erzählte mir, sie würden seit neuestem jeden Mittwoch beim gemeinsamen Mittagessen kleine Referate anhören, zu beliebigen Themen, wobei es nur eine Vorgabe gäbe: sie dürfen nichts mit dem Job zu tun haben.

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